Mai 2020
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Münze des Monats

© Bernd Thier

Eine Schleppermarke der Zeche Königsgrube in Röhlinghausen

VS: (Abb. Schlägel und Eisen) │ KÖNIGSGRUBEB. WANNE (in einem oben offenen und unten gebundenen stilisierten Eichenlaubkranz) (im Perlkreis im Stabrand)
RS: SCHLEPPERMARKE │ [drei Sterne nebeneinander] (im Perlkreis im Stabrand)
Messing, Ø 24,0 mm, Stärke 2,0 mm, 6,39 g, Wendeprägung / Privatbesitz

Wenn in der heutigen Zeit jemand als „Schlepper“ bezeichnet wird, denkt man zunächst unweigerlich an einen Kriminellen, der Menschen bei der illegalen Einreise über eine Grenze hinweg hilft, seien es illegale Flüchtlingen oder Zwangsprostituierte. Von Schlepperorganisationen oder Menschenhändlerringen ist die Rede, der Begriff ist folglich eher negativ belegt. Bildlich gesprochen werden hierbei Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung ins Land „geschleppt“. Vielleicht denkt man aber auch traditionell an die alte Bezeichnung für eine Zugmaschine, einen Trecker oder Traktor (von lateinisch trahere ziehen oder schleppen), einen Sattelschlepper oder ein Schleppschiff, das zum Ziehen und Schieben anderer Schiffe oder Pontons eingesetzt wird.
Schlepper war jedoch ursprünglich die Berufsbezeichnung für jemanden, der mit seiner eigenen Körperkraft Lasten schleppte, also ohne die Hilfe von rollenden Transportbehältnissen. Er war auch kein Träger, der dies im aufrechten Gang erledigen konnte, das Schleppen bedingte meist eine gebückte oder kriechende Körperhaltung. Schon diese Vorstellung lässt erahnen, dass der Beruf körperlich sehr anstrengend und finanziell nicht sehr lohnend war.
Die hier zu behandelnde Schleppermarke der Zeche Königsgrube in Röhlinghausen bei Wanne (Wanne-Eickel), heute Stadt Herne, ist offenbar bisher die einzige Wertmarke im deutschsprachigen Bereich, die in ihrer Aufschrift explizit auf diesen Berufstand im Zusammenhang mit dem Kohlebergbau hinweist. Sie wurde bereits von Lührig / Zimmermann (Nr. 1.5) und offenbar nach diesen auch bei Menzel (Nr. 32771.2) aufgeführt, zusammen mit einer weiteren Variante in fast identischer Machart, angeblich mit einem Durchmesser von 28,5 mm in einem unbekannten Metall, bei der sich die Abbildung von Schlegel und Eisen auf der Rückseite befinden soll. Ein eindeutiger Nachweis dieser Marke steht allerdings noch aus.
In der gleichen Gestaltung der Vorderseite mit dem Eichenlaubkranz sind auch drei Messing-Marken des Consum & Sparvereins zur Zeche Königsgrube bei Wanne in den Wertstufen 2½, 5 und 10 Groschen (Silbergroschen) bekannt, der 1868 gegründet, zweitweise ca. 120 Mitglieder umfasste aber bereits 1880 wieder aufgelöst wurde (Lührig / Zimmermann Nr. 1.1–3 / Frenzel Nr. 1–3 / Menzel Nr. 32771.3–5). Diese Marken ermöglichten den verbilligten Einkauf der Bergleute der Zeche Königsgrube entweder in der werkseigenen Kantine bzw. eher in den vom Verein betriebenen Geschäften, in denen der durch die Großabnahme bestimmter Waren und Lebensmittel erzielte Einkaufsrabatt an die Kunden bzw. „Kumpel“ weitergegeben wurde.
Die Schleppermarke diente jedoch einem anderen Zweck, dürfte aber aus der gleichen Zeit, also vermutlich den 1860er oder frühen 1870er Jahren stammen und möglicherweise in der gleichen – noch unbekannten – Prägeanstalt hergestellt worden sein.
Erste Schürfbohrungen nach Steinkohle wurden im Gebiet von Röhlinghausen bereits in den Jahren 1849 und 1850 durchgeführt und drei sogenannte Mutungen (Anträge auf Abbaurechte) bewilligt, die „Glückauf Anna“, „Glückauf Elise“ und „Glückauf Lina“ genannt wurden und 1855 zum Grubenfeld „Königsgrube“ zusammengefasst wurden. Bereits 1856 wurde von der Magdeburger Bergwerks-AG mit den Teufarbeiten für die Schächte Ernestine (Schacht 1) und Louise (Schacht 2) begonnen, wobei ab 1857 Probleme mit eindringendem Grubenwasser auftraten, die zu Verzögerungen führten, bis leistungsstarke Pumpen installiert werden konnten. 1860 wurde bei einer maximalen Teufe von 222 Metern (-169 m NN) die 2. Sohle erreicht und der Schacht 1 bis zur 1. Sohle (in 170 Metern / -117 m NN) in Betrieb genommen und mit der Kohlenförderung begonnen. Die zunächst geförderten geringen Mengen wurden nur für den Eigenbedarf auf der Zeche verwendet. Erst 1863 wurde mit dem regelmäßigen Abbau und dem Verkauf von Kohle begonnen, was einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Ortschaft Röhlinghausen hatte. Viele Einwohner gaben ihre Tätigkeiten in der Landwirtschaft auf und arbeiteten nun unter Tage. Zahlreiche weitere Arbeiter kamen auch aus entfernten Regionen in das sich immer weiter entwickelnde Bergbaurevier. Die Königsgrube wurde in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut, das Abbaufeld erweitert, die Schächte tiefer geteuft und zwei weitere Schächte angelegt. Auch die Belegschaft und die Fördermengen stiegen stetig an. Während 1858 zunächst nur 170 Bergleute beschäftigt wurden, waren es 1863 schon 427, 1865 dann 560, 1870 bereits 763 und 1875 immerhin 1071 „Kumpel“. Im Jahr 1925 erreicht die Zahl der beschäftigten Bergleute mit 1800 ihren Höchststand.
1923 wurde der Betrieb auf dem Bergwerk wegen der Ruhrbesetzung für einige Zeit eingestellt, der Zweite Weltkrieg führte zwar zu erheblichen Kriegsschäden, trotzdem konnte bereits 1945 wieder mit der Förderung von Kohle begonnen werden. Seit den 1950er Jahren kam es zu deutlichen Veränderungen in der Fördertechnik, dem Transport und der Weiterverarbeitung der Kohle. 1958 erfolgte der Verbund mit der benachbarten Zeche Hannover und 1959 wurde der Förderbetrieb auf der Königsgrube stillgelegt. Die Förderung verlief nun unter Tage zum Tagesbetrieb der Zeche Hannover, auf der Königsgrube wurden die Schächte lediglich noch für die Seilfahrten der Bergleute und den Materialtransport genutzt. 1967 wurde die Zeche vollständig stillgelegt.
Zu Beginn des Abbaus, vermutlich beschränkt auf die ersten Jahre ab etwa 1860, wurden in den zunächst sehr engen Stollen offenbar auch Schlepper eingesetzt. Deren Arbeit bestand darin, die an den Abbaustellen von den Hauern gefüllten meist rechteckigen hölzernen Schlepptröge aus dem waagerecht oder leicht schräg verlaufenden Abbautunneln zum Hauptschacht zu ziehen. Die geförderte Nutzlast in einem solchen Schleppkasten lag bei etwa 100 bis 150 Kilogramm. Während einer Schicht konnte ein Schlepper daher bis zu einer Tonne Kohlen auf einer Streckenlänge von 1000 Metern fördern. Um hierbei den Schlepptrog ziehen zu können wurden daran Lederriemen, das sogenannte Sielzeug, befestigt, das sich der Schlepper über die Schultern legte und dann mit seiner ganzen Körperkraft ziehen konnte. Dabei musste er sich so bewegen, dass der Winkel des Troges zum Erdboden nicht zu spitz wurde und der Trog sich verkeilte. Zur Unterstützung zog er sich mit den Händen am Ausbau vorwärts. Bei stark abfallenden Strecken ließ er den Schlepptrog vor sich her rutschen und bremste diesen ab, indem er sich mit seinem Körpergewicht gegen die Riemen stemmte. Da das Ziehen der Tröge sehr schwer war, waren kräftige Männer erforderlich. Die leeren Schlepptröge wurden dann meistens auf dem Rücken zurück getragen. Vorteilhaft war die Förderung mittels Schlepper in Kohlenbergwerken mit Strebbau, wie offenbar auch auf der Königsgrube. Hier konnten sie die Steinkohlen aus dem Streb bis zur Hauptförderstrecke bringen. Für die Arbeit in den Bergwerken wurden deutlich mehr Schlepper für die Förderung benötigt, als Hauer vor Ort waren. In den preußischen Bergbaurevieren war man aus Mangel an Schleppernachwuchs im 19. Jahrhundert teilweise gezwungen, Hauer als Schlepper einzusetzen und ihnen ihren – deutlich höheren – Hauerlohn zu bezahlen. Später wurden in den Streben auch Grubenpferde und dann eiserne Loren auf Schienen, die von Grubenbahnen gezogen wurden, eingesetzt, so dass der Beruf des Schleppers ausstarb.
Die Bezahlung der Bergleute, die unter Tage arbeiteten und folglich kaum kontrolliert werden konnten, erfolgte damals vielfach im sogenannten Gedinge, also in einer Art Leistungsentlohnung im Akkord. Die Hauer erhielten einen bestimmten Betrag für den Streckenvortrieb mit Schlägel und (Berg-)Eisen, die zusammen zum Symbol für den Bergbau wurden, die Schlepper für die Anzahl transportierten Schleppkörbe. Hierbei wurde oft auch die ganze Arbeitsgruppe nach ihrer gemeinschaftlichen Leistung bezahlt, was oft zu Unstimmigkeiten führte, da die Arbeitsmenge der einzelnen Bergleute durchaus unterschiedlich sein konnte. Das Gedinge wurde auch immer wieder neu verhandelt, z.B. je nach der Beschaffenheit des Flötzes bzw. der Länge und dem Zustand der Strecke. Den Lohn erhielten die Arbeiter folglich erst, wenn die vereinbarte Leistung vollständig erbracht worden war. Daher mussten möglichst objektive Kontrollmechanismen entwickelt werden. Im frühen Erzbergbau wurden daher sogenannte Arbeitszeichen (Zahlzeichen oder Gedinge-Marken) eingeführt: Für eine bestimmte Menge Fördergut wurde dem Bergmann eine entsprechende Marke mit einem vorher festgelegten Wert von einem für die Verteilung zuständigen Vorarbeiter ausgegeben, die dann wöchentlich gegen Bargeld eingelöst werden konnte. Der Wert bzw. die dafür zu erledigende Arbeitsleistung konnte entsprechen immer neu festgelegt werden.
Für den eigentlichen Abtransport des tauben Gesteins sowie des Erzes wurden sogenannte Hundslauf-Zeichen, Hundsschlepper-Marken, Karrenläufer-Marken oder Rollkasten-Zahlzeichen ausgegeben, auf denen allerdings nie diese Bezeichnungen standen. So findet man auf dem zwischen etwa 1660 und 1760 im Oberharz verwendeten oft sogar datierten Marken meist nur die Initialen der Bergwerke oder deren Betreiber bzw. Besitzer und eine Abbildung der Hunde oder Hunte. Dieser ziehend oder schiebend eingesetzte meist rechteckige Förderbehälter, der Kufen oder Räder (Rollkasten) aufwies, unterschied sich deutlich von den einfacheren Schleppkästen. Während im Harz diese Marken ab dem Ende des 18. Jahrhunderts kaum noch verwendet wurden, gab es in Österreich/Ungarn Ende des 19. oder zum Beginn des 20. Jahrhunderts gelegentlich noch Fördermarken, auf denen ein Bergmann mit einer Hunte abgebildet wird. Ansonsten wurde dieses Abrechnungssystem offenbar über mehrere Generationen nicht angewendet, eher es dann wohl – nun im Kohlebergbau im Ruhrgebiet – „wiederentdeckt“ oder neu erfunden wurde, möglicherweise zuerst oder nur einmalig für die Gedinge- bzw. Akkordabrechnungen auf der Königsgrube in Röhlinghausen. Dort erhielten die Schlepper die beschriebene Schleppermarke (eigentlich eine Korb-Marke) für jeden ordnungsgemäß gefüllten und abgelieferten (Schlepp)-Korb von dem für ihn zuständigen Vorarbeiter, die diesem zuvor vom Betriebsbüro vorgezählt übergeben wprden war. Diese Förderungsmarken löste der Schlepper dann wieder gegen Bargeld im Bergwerksbüro ein.
Heute sind nur noch sehr wenige Exemplare dieser ungewöhnlichen, damals vermutlich in sehr großer Zahl verwendeten Marke aus Röblinghausen bekannt, die wahrscheinlich nur zwischen etwa 1857/1860 und 1870 verwendet worden ist, da danach der Einfachheit und der Gleichbehandlung der „Kumpel“ irgendwann die übliche Abrechnung der Arbeit nach Zeitlohn (in Arbeitsschichten) eingeführt wurde. Sie ist somit ein frühes originales Zeugnis aus dem Beginn des Ruhrbergbaus und ein einmaliges numismatisches Objekt aus den Anfängen der Lohnzahlung im Kohlebergbau im Gedinge mittels spezieller Marken. Ob auf anderen Zechen im Ruhrgebiet ebenso verfahren wurde ist unbekannt, zumindest sind bisher keine weiteren gleichartigen Marken aus der Region bekannt geworden. Allerdings könnten auch unbeschriftete (stumme) Marken oder solche mit heute „kryptisch“ erscheinenden abgekürzten Inschriften verwendet worden sein, denen man ihre damalige – allen Beteiligten bekannte – Funktion heute nicht mehr ansehen oder ableiten kann.
Bernd Thier

Literatur:

  • Max Frenzel, Die Consum-Werthmarken des Deutschen Reiches 1850 bis 1922. Eigenverlag. Augsburg 1988, hier S. 79.
  • Wolfgang Hasselmann, Die Consumverein-Werthmarke. Katalog zum Datieren und Bewerten der deutschen Consumvereins-Werthmarken für den Zeitraum 1850–1905, Münster 1981, hier S. 136.
  • Wolfgang Hasselmann, Marken und Zeichen Lexikon, Lexikon für die im deutschsprachigen Raum aus Metall geprägten Marken und Zeichen in 4 Bänden (Manuskript München, November 2001), erschienen nur als PDF auf CD-ROM im Verlag für digitale Publikationen Bogon, Berlin 2007, hier S. 1174.
  • Gustav Heyse, Die Fördermarken des Oberharzes, in: Numismatische Zeitung 11, 1844, S. 176–190.
  • Gustav Heyse, Vermischte Notizen über Münz- und Rentmeister, Jettons und Marken, in: Numismatische Zeitung 15, 1848, S. 165–168.
  • Gustav Heyse, Nachtrag zu den Fördermarken des Oberharzes, in: Numismatische Zeitung 25, 1859, S. 29–30.
  • Gustav Heyse, Bergwerksmarken des westlichen Harzes, in: Beiträge zur Kenntnis des Harzes, seiner Geschichte, Literatur und seines Münzwesens, hg. v. Gustav Heyse, 2. verm. Ausgabe Aschersleben/Leipzig 1874, S. 151–156.
  • Heinrich Lührig / Peter Zimmermann, Wanne-Eickeler Geschichte auf Münzen und Geldscheinen, Herne, 1982, hier S. 19–20.
  • Peter Menzel, Deutschsprachige Notmünzen und Geldersatzmarken im In- und Ausland 1840 bis 2002, digitale Publikation auf CD-ROM, Winfried Bogon-Verlag Berlin 2018, hier S. 5746.
  • Bernhard Prokisch, Die Sammlung von Bergbaugeprägen des Karl Ritter von Ernst. Münzen, Marken, Medaillen, Rechenpfennige und Jetons aus dem 15. bis 20. Jahrhundert, Wien 2016.
  • Zur Zeche Königsgrube: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche_K%C3%B6nigsgrube
  • Zur Arbeitsweise der Schlepper: https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6rdermann)
  • Zum Schlepptrog: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlepptrog
  • Zum Gedinge: https://de.wikipedia.org/wiki/Gedinge