Münze des Monats
Infektionsschutz mal anders!
Utz Gebhardt, Amulett-Medaille (sogenannter Pesttaler) o. J. (1527–1529), St. Joachimstal
Silber, geprägt; Gew. 30,56 g, Dm. 47 mm (mit Öse 50 mm)
Museum für Hamburgische Geschichte, Inv.-Nr. MK 1959,75-296
„Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider Dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“ – „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Diese beiden Bibelstellen, NVM-RI 21 [6–9] und IOAN-NES+ 3 [14–16], sind die Grundlage für das Verständnis der zwei Seiten des vorliegenden Gepräges. Auf der einen Seite das Kultbild der sogenannten ehernen, also bronzenen Schlange, die sich vielfach um den aufgerichteten Kreuzstab windet. Unten 12 Kniende, die zu der Schlange beten, links vorn vielleicht Moses mit einer Schlange; am Fuß des Kreuzes zwei Tote, von denen eine Schlange aufsteigt. Die zweikreisige Umschrift lautet: DER + HER + SPRA + ZV + MOSE + MAC + DIR + EIN + ERNE + SLANG + VND + RICT + SI + ZVM + ZEIG|EN + AVF + WER + GEPISN + IST + VND + SIET + SI + AN + DER + SOL + LEBEN +. Auf der anderen Seite der Gekreuzigte, bärtig, mit Dornenkrone, großem Wundmal und wehendem Lendentuch, das Kreuz mit reich verzierten Enden, oben die Tafel mit INRI, „Ihesus Nazarenus Rex Iudaeorum“, „Jesus von Nazaret, König der Juden“; unten 14 Kniende, zum Kreuz betend. Die zweikreisige Umschrift lautet: GLEIC + WI + DI + SLANG + SO + MVS + DES + M-ENSEN + SON + ERHOET + WERDEN + VF | DAS + A-L + DI + AN + IN + GLAV-BEN + HABEN + DAS + E-WIC + LEB.
Mit der Pest, dieser hochansteckenden Infektionskrankheit des Bakteriums Yersinia pestis, die hauptsächlich als Beulen- und Lungenpest auftritt und, eigentlich eine Nagetierkrankheit, durch Flöhe auf den Menschen übertragen wird, hat diese Darstellung zunächst gar nichts zu tun. Das Stück gehört in den Kontext der sogenannten erzgebirgischen Prägemedaille, stammt also aus jener montanwirtschaftlichen Boomregion des früheren 16. Jahrhunderts, wo erstmals in großem Stil Großsilbermünzen geprägt wurden, die später den Namen Taler erhielten. Ab ca. 1525 entstanden aus dem vielen Silber in den sächsischen und böhmischen Münzstätten auch münzähnliche Gepräge für den freien Verkauf. Sie sind anfangs meist unsigniert und nicht datiert, tragen jedoch das Zeichen des Münzmeisters, hier Kreuz über Halbmond des Ulrich (Utz) Gebhardt, 1526 bis 1531 Münzmeister in St. Joachimstal (heute Jáchymow/Tschechien). Schnell entwickelte sich daraus die eigentliche erzgebirgische Prägemedaille, selbstständige künstlerische Werke, deren Produktion bis in die 1570er Jahre anhielt.
Die Themenpalette ist riesig: Neben Geprägen auf Persönlichkeiten der Reformation und der Region – Sachsen und Böhmen waren Kernländer der Reformation – sind es vor allem Stücke biblisch-religiösen und/oder allegorischen Inhalts. Charakteristisch ist, dass die zwei Seiten der Medaille oft nach Entsprechungen zwischen Neuem und Altem Testament suchten. In auch ikonografischer Analogie zu Christus am Kreuz, zentrales Ereignis des christlichen Glaubens, fand man so die eherne Schlange am Stab – zumal das Johannes-Evangelium diese Verknüpfung selbst hergestellt hat. Die Stelle des 4. Buches Mose spricht dabei in erstaunlicher Klarheit von Krankheiten, die Gott in Form von Schlangen als Strafe über die Israeliten für deren sündhaftes Verhalten brachte. Die Darstel-lung ließ sich somit gut auf Krankheit, Seuchen, Pest beziehen – schon zeitgenössisch wurden sol-che Gepräge deshalb „Pesttaler“ genannt.
Die Pest, durch genetische Forschungen bereits in bronzezeitlichen Kulturen Zentralasiens nachgewiesen – in den dortigen Nagetierpopulationen besteht bis heute ein natürliches Pestreservoir –, trat in geschichtlicher Zeit erstmals im Frühmittelalter in Europa auf. Die sogenannte Justinianische Pest, die zwischen 541/42 und ca. 770 in mehreren Wellen ganz Europa, die Mittelmeerregion und Vorderasien erfasste, ist die erste als Pest belegte Epidemie. Seuchen anderer Art hatte es natürlich immer auch gegeben, etwa 430 bis 426 v. Chr. in Athen oder mehrfach in der römischen Kaiserzeit. Der sogenannte Schwarze Tod aber, die gesamteuropäische Pestwelle der Jahre 1347 bis 1353 – eingeschleppt aus dem Reich der Goldenen Horde –, erreichte ungeahnte Dimensionen. Millionen Menschen aller gesellschaftlichen Schichten starben innerhalb kürzester Zeit und unter qualvollsten Bedingungen, geschätzt ein Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung. Stadt wie Land erlebten, flankiert von Klimaveränderungen, Unwettern, Hungersnöten, tiefgreifende Veränderungen in ihrer sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ja sogar psychologischen Struktur. Symptome waren auch die Judenpogrome, die an vielen Orten Europas jüdisches Leben auf lange Zeit vernichteten, ebenso Flagellanten, Geißler, die dieser Strafe Gottes durch extreme Bußübungen zu begegnen suchten. Seitdem blieb die Pest endemisch, fast überall und fast immer kam es irgendwo in Europa regional zu Ausbrüchen – so auch 1521/22 in den erzgebirgischen Bergstädten Freiberg, Annaberg, Buchholz, Schneeberg und St. Joachimstal. Besonders in Kriegszeiten trat die Pest als Teil der Trias Krieg, Hunger und Krankheit in Erscheinung, doch zogen auch Pocken, Fleckfieber, Cholera, Typhus oder Masern tributfordernd durch die europäische Geschichte. Seit den 1720er Jahren aus Zentraleuropa und mit Moskau 1771 ganz aus Europa verschwunden, gab es in der Welt auch in der zweiten Hälfte des 19. und im früheren 20. Jahrhundert noch Pestpandemien. Und auch heute ist der Erreger, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt, längst nicht besiegt – und er ist ein biologischer Kampfstoff.
In Zeiten, als man vor Entdeckung des Pestbakteriums 1894 der Pest letztlich nur reagierend, etwa durch verbesserte Hygiene, gegenüberstand, mussten sich Vorbeugung und Behandlung naturgemäß im volkstümlichen Bereich abspielen. Alles war recht, neben allerlei Arzneien – am bekanntesten ist der sogenannte Theriak – vor allem Amulette, krafterfüllte Objekte mit abwehrender, stärkender Wirkung. Die „Pesttaler“ waren Universalamulette gegen Krankheit aller Art; die hohe Überlieferungsquote deutet auf die damalige Käuferzahl. Eigentliches Wirkmittel war das Kultbild des Gekreuzigten: Wie die von der Schlange Gebissenen, die, wenn sie die eherne Schlange ansehen, leben werden – noch heute ist die Schlange am Stab, Attribut des griechischen Heilgottes Asklepios, als Äskulap-Stab Symbol der Ärzte und Pharmazeuten –, verleiht der Glaube an Christus das ewige Leben.
Amulettcharakter und Wirksamkeit des vorliegenden „Pesttalers“ aber wurden durch dessen spezifische Materialität nochmals verstärkt. Die äußeren Umschriftkreise sind wie die zentrale Figur Christi vergoldet, zudem wurde eine kunstvolle Öse angesetzt, und oberhalb des Gekreuzigten sitzt ein facettierter roter Stein, wohl ein böhmischer Granat. Im Volksglauben kam den (Edel-)Metallen, Silber, mehr freilich noch Gold, ebenso wie insbesondere den Edelsteinen vielfache astrologisch-magische Kraft zu. Die Öse jedoch machte das Amulett tragbar, an Schnüren oder Kettchen, und es damit erst wirksam, indem die Kraft des Objekts auf dessen Träger übergehen konnte. Das Kompositamulett, ein Schmuckstück zumal im engeren Sinne, ist so ein auch mentalitätsgeschichtlich eindrückliches Zeugnis für den noch lange abergläubischen Umgang mit Krankheit im vormodernen Europa. Und wer weiß: Vielleicht helfen solche Amulette ja auch heute …
(Stefan Kötz)
Literatur:
- Pfeiffer, Ludwig / Ruland, Carl: Pestilentia in Nummis. Geschichte der grossen Volkskrankheiten in numismatischen Documenten. Ein Beitrag zur Geschichte der Medicin und der Cultur, Tübingen 1882, S. 72–126
- Katz, Viktor: Die Erzgebirgische Prägemedaille des XVI. Jahrhunderts, Prag 1932, S. 39–50
- Matthes, Erich: Pesttaler und Pestmedaillen aus erzgebirgischen Bergstädten (1525–1550), in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 14 (1963), S. 13–17
- Bergdolt, Klaus: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, München 32018
- Pest! Eine Spurensuche (Ausstellungskatalog LWL-Museum für Archäologie, Herne 2019/20), Darmstadt 2019
- Kötz, Stefan: Die Pest in Europa. Amulette als Universalheilmittel, in: Haymann, Florian / Kötz, Stefan / Müseler, Wilhelm (Hrsg.): Runde Geschichte. Europa in 99 Münz-Episoden, Oppenheim am Rhein 2020, S. 199–202 [Wiederabdruck]