Münze des Monats

Ist ein Philipp wirklich ein Philipp? Original und Nachprägung
Philippe IV., Kgr. Frankreich, Gros Tournois, 3.94 g, aus dem Fund von Grabstede II, Inv. Nr. 117421Mz + Inv. Nr. 17429Mz.
Das nachantike Münzwesen nördlich der Alpen ist hauptsächlich dadurch geprägt, dass es nur ein einziges Nominal gab, dem allenfalls Teilstücke zur Seite standen. Seit der Zeit der Karolinger war dies der Denarius oder volkssprachlich der Pfennig (englisch penny). Im Einflussbereich des Islam und unter dessen Einfluss auch im Süden Europas war dies anders. Die Notwendigkeit zu Änderungen ergab sich zuerst in Italien, wo zum einen die Wirtschaftsentwicklung im 13.Jahrhundert insgesamt weiter voran geschritten war und zum anderen der Denaro in seinem Edelmetallgehalt sich kontinuierlich soweit von karolingischen Ausgangswerten entfernt hatte, dass Bezahlungen mit einer Münze sinnvoll erschienen, die ein mehrfaches des Standardnominals ausmachte.
Den Anfang machten 1172 Genua zunächst mit dem Vierfachen, dann Venedig 1192 mit Stücken zu 20 denari. Nördlich der Alpen wirkte sich dies aber zuächst nicht aus. Am 24.7.1266 ordnete der französische König Louis IX. die Ausprägung von Münzen im Wert von 12 Deniers an. Im deutschen Sprachgebrauch werden sie meist als Turnose bezeichnet, im französischen als Gros tournois. Es war dies bei einem Normgewicht von 4,1 g die größte und schwerste und mit einem Feingehalt von 958/00 silberreichste Münze, die bis dahin jemals in Frankreich geprägt worden war. Vorbereitend hatte Louis 1262 eine Verordnung erlassen, dass die königlichen Münzen im gesamten Königreich Geltung beanspruchten, während die ebenfalls existierenden Prägungen geistlicher wie weltlicher Fürsten in seinem Herrschaftsgebiet den Münzumlauf ihrer Münzen nur in ihem eigenen Herrschaftsgebiet beanspruchen können sollten. Die Verordnung von 1266 verbot auch die Nachprägung königlicher Münzen und regelte zum Vorteil des königlichen Fiskus den Wechselkurs fremder vorläufig noch akzeptierbarer Münzen. 1270 übernahm sein Nachfolger Philippe III. (1270-1285) diese Münzsorte und auch unter Philippe IV. (1285-1314) wurde sie fortgesetzt.
Bildlich wurde die neue Emission verknüpft mit den schon seit sehr langem bestehenden „Deniers tournois“, die neben dem „Denier parisis“ zu einer Regionalwährung in großen Teilen des unter königlicher Kontrolle stehenden Frankreichs geworden war und auch von Analphabeten erkannt werden konnte. Die eine Seite zeigte eine stark stilisierte Kirche oder Burg, das sogenannte „châtel tounois“, das jetzt bei der größeren Münze von einem Kranz von zwölf Lilien, dem Symbol des französischen Herrscherhauses, umgeben wurde. Die Zahl zwölf bezog sich dabei auf den Wert. Zwölf Deniers, die 1266 sowohl an Silber geringhaltig als auch relativ leicht waren, sollten nämlich einer der neuen Münzen entsprechen. Auch die andere Seite ist von der traditionellen Form der Deniers tournois übernommen. Sie weist ein Kreuz ohne Kugeln in den Winkeln und umher den Namen des aktuellen Königs. Herum setzte man einen weiteren Schriftkreis mit „Benedictum sit nomen Domini nostri Dei Jesu Christi“ (Gesegnet sei der Name unseres Herrn und Gott Jesus Christus). Es war dies eine auch im Kontext liturgischer Gesänge und Handschriften benutzte Ableitung aus Psalm 112, bei der hier „et gloriose virginis matris ejus in eternum et ultra. Amen“ aus Platzgründen ausgelassen wurde. Die Formel wurde als Spruch französischer Königsmünzen beibehalten bis zur französischen Revolution
Es ist davon auszugehen, dass die entsprechende Prägung nicht nur etwa im namengebenden Tours oder in Paris stattfand, sondern in einer Mehrzahl königlicher Münzstätten, wahrscheinlich fünf oder sechs. Allerdings ist es bei derzeitigem Kenntnisstand noch nicht möglich, die der internen Kennzeichnung dienenden kleinen Beizeichen (meist als Trennungszeichen zwischen den Worten) bestimmten Münzstätten zuzuweisen. Eine entsprechende schriftliche Überlieferung ist nicht erhalten. Methodisch bliebe nur der ins Detail gehende Vergleich zwischen Schatzfunden aus Mitteleuropa, England und Südeuropa. Die nur fragmentarisch erhaltenen Abrechnungen über die Münzprägung lassen annehmen, dass mehrere Millionen solcher Münzen geprägt wurden.
Die entsprechenden Münzen verbreiteten sich schnell über weite Teile Europas. Nachgewiesen sind sie in Funden in England, Deutschland, Italien, Spanien und Skandinavien. Ähnlich wie vordem die englischen Sterlinge waren solche Münzen geeignet über lange Strecken die Komplikationen regionaler Währungsgrenzen zu überwinden. Selbst im Nahen Osten sind sie in jüdischen Berichten erwähnt. Aus den islamischen Staaten gibt es auch Fundnachweise, auch wenn diese leider nicht immer sehr genau sind. Allerdings hatten sie im Orient keine entscheidende Bedeutung und wurden sicher vielfach eingeschmolzen und umgeprägt.
Schon unter Philipp III. begannen aber Probleme, die die Grenzen der königlichen Macht im Zahlungsverkehr offenbarten. Der Wechselkurs von 12:1 ließ sich angesichts der weiterhin schleichenden Verschlechterung des Kleingeldes nicht halten. Dort, wo der der König keinen Einfluss auf Wechselkurse ausüben konnte, wurden für eine Turnose mehr als 12 Deniers tournois verlangt. Dies führte dazu, dass in nicht zu unterschätzendem Umfang Turnosen das Herrschaftsgebiet Frankeichs verließen und in benachbarte Gebiete mit einem günstigeren Wechselkurs verließen. Es ist kein Zufall, dass es keinen Schatzfund mit Turnosen aus dem Gebiet des Königreichs Frankreich in seinen Grenzen der 2.Hälfte des 13.Jahrhunderts gibt.
Im Rheinland machen sich die Turnosen aus den Niederlanden kommend seit dem Ausgang des 13.Jahrhunderts bemerkbar. Ein Hinweis darauf sind vereinzelte Stücke in den Schatzfunden von Burgholdinghausen (Kreis Siegen) oder in der niederländischen Twenthe in Haarlo, die beide kurz vor 1300 abgeschlossen wurden. Ein erster vorsichtiger Schritt zur Prägung von Mehrfachnominalen wurde im Erzbistum Köln unter Ezbischof Heinich von Virneburg (1306-1332) mit der Herstellung von sogenannten Großpfennige im Wert von 2 ½ Pfennigen spätestens 1308 gemacht. 1342 begann Heinrichs Nachfolger Walram von Jülich (1332-1349) mit der Prägung von offenkundig von französischen Turnosen inspirierten „Grossi“ in Deutz und später auch in Bonn, die sich aber im Bild doch deutlich unterschieden und somit kaum zu verwechseln waren. Seit etwa 1340 häufen sich auch in Westfalen in der schriftlichen Überlieferung auf „grossi turosenses“, die mehrheitlich mit den Zusätzen „antiqui“ und „regales“, also ältere und königliche Stücke, ergänzt wurden. Offenkundig sollte die Ergänzung andere, weniger vertrauenswürdige Stücke ausschließen. Diese späte Ausbreitung ist verwunderlich, weil die Produktion in Frankreich schon aufgehört hatte und aus dieser Richtung kein Nachschub kommen konnte. In der Mitte des 14.Jahrhunderts erreichten die Turnosen bereits die Nordseeküste. Die älteste Nennung in Bremen ist 1347. Aus dem Hinterland stammen die zwei Turnosen enthaltenden Schatzfunde von Grabhorn-Grabstede (Landkreis Friesland), von denen der 2.Schatzfund etwas älter als der erste ist. Er wurde wohl bald nach 1349 verborgen und besteht neben einigen Osnabrücker Pfennigen mehrheitlich aus Turnosen, von denen nur zwei eine Aufschrift haben, die sie als nichtfranzösisch ausweist.
Bei genauer Betrachtung fällt aber auf, dass es unter den 63 den Namen Philippus tragenden Turnosen zwei Gruppen gibt. Die eine ist leicht abgegriffen und mehr oder wenige am Rande beschnitten, die andere relativ frisch aussehend, aber dennoch nicht den Gewichtsstandard der französischen Vorschriften erreichend. Der Befund ist nicht so einzigartig wie es zunächst den Anschein haben könnte. Mehrere erhaltene deutsche Funde aus der Mitte des 14.Jahrhunderts mit Turnosen enthalten in größerer Zahl anonyme Kopien französischer Turnosen, vornehmlich auf den Namen Philippus. Das Problem ist freilich, dass die Mehrzahl der Funde mit Turnosen nicht mehr vorhanden ist und das bei älteren Beschreibungen in Unkenntnis der Problemstellung, die Turnosen oft gar nicht oder nur pauschal beschrieben und verzeichnet wurden. Selbst bei dem Schatzfund von Helden-Oberveischede, dessen Beschreibung durch Peter Berghaus über lange Jahrzehnte eine von wenigen detaillierten Fundpublikationen war, ist im Nachhinein der genaue Anteil von Kopien nicht mehr feststellbar. Erkennbar sind derartige nichtfranzösische Nachprägungen, die etliche Jahrzehnte später als die Originale entstanden, zum einen an Gewichten und Feingehalten, die sehr deutlich unter der Norm liegen. Zum anderen erreichten bei allen offenkundigen Bemühungen die Stempelschneider der kopierenden Münzstätten nicht den relativ einheitlichen Duktus königlich-französischer Münzstätten. Bei der Münze mit Inv.Nr.12741Mz z.B. ist das h von Philippus zu weit vom senkrechten Stamm des h, so dass das h fast in zwei Teile zerfällt. Besonders schwierig war für die Kopisten der relativ lange Text mit kleinen Buchstaben in der Außenumschrift. Vielfach reichte de verfügbare Platz am Ende nicht, so dass einzelne Buchstaben ausgelassen oder nicht verstanden wurden. Bei unserem Beispiel ist so aus DHI (H für N) DIII geworden. Es würden sich noch mehr Abweichungen aufzählen lassen. Zum anderen ist zu beobachten, dass für die kleinen Lilien zu Vereinfachung der Arbeit Punzen eingesetzt wurden, die auch auf anderen Prägestempeln vorkommen und vielfach Turnosen kombinieren, die chronologisch nicht zusammenpassen. Auch sind Stempelkoppelungen zwischen solchen Imitationen nicht ungewöhnlich. So lassen sich relative geographische Zuordnungen für manche Imitationsgruppen feststellen.
Eine detaillierte Erfassung der vorhandenen typologischen Vielfalt von Turnosen, die zunächst kaum überschaubar scheint, mit Vorschlägen zur chronologischen Einordnung versuchte der Niederländer Cees van Hengel. Sein System wird freilich dadurch erschwert, dass 1997 in Folge drucktechnischer Schwierigkeiten, die typischen Variationen einzelner Buchstabenformen durch Ziffern ersetzt wurden, was heute durchaus keine Schwierigkeit mehr machen würde. Seine Typologie wurde angewandt bei der Bearbeitung des sehr umfangreichen, hinsichtlich der Münzen ausschließlich aus Turnosen bestehenden Schatzfundes von Erfurt. Es zeigte sich dabei, dass der Anteil von nichtfranzösischen Kopien hier miminalst ist. Aus nachvollziehbaren Gründen wird der Schatzfund von Erfurt, der unmittelbar in einem jüdischen Kontext geborgen wurde, mit dem Schwarzen Tod folgenden Pogrom 1348-1349 in Verbindung gebracht. Dabei ist es besonders bemerkenswert, dass in Thüringen sonst französische Turnosen nicht nachgewiesen sind. Umgekehrt ebenso erstaunlich ist das systematische Fehlen solcher Münzen in dem zeitgleichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einem jüdischen Kontext stehenden Schatzfund von Münster-Stadtweinhaus, in dem nur kölnische Turnosen vorhanden waren, während die schriftliche Überlieferung im regionalen Umfeld durchaus die Benutzung von Turnosen schon vor der Mitte des 14.Jahrhunderts bezeugt.
Mit der Einführung von Mehrfachnominalen in den Zahlungsverkehr veränderte sich die Wirtschaft grundlegend. Fortan bestand das Münzwesen aus unterschiedlichen Wertebenen und konnte mitunter auch schwer zu übeschauen sein.
Das Phänomen der Imitation und Kopierung besonders von weit verbreiteten Münzsorten ist nicht auf das 14. Jahrhundert beschränkt. Es reicht durchaus bis in die Antike zurück, wenn man zum Beispiel an die Imitation augusteischer Denare in Germanien oder Indien denken will. Und auch in wesentlich jüngeren Jahrhunderten sind vergleichbare Nachprägungen ohne besondere Kennzeichnung zu vermerken. Gerade bei letzteren können wir sie dank der schriftlichen Überlieferung, die wir für diese Zeiten haben, erkennen. Ohne diese würden wir sie wahrscheinlich für Originale halten. Umgekehrt wissen wir aus archivalischen Quellen, dass der Preußenkönig Friedrich II. in größerem Umfang auch nach dem Frieden von 1763 in Geheimaktion ausländische Münzen nachschlagen ließ, sind aber nicht in der Lage, diese im Bestand erhaltener Münzen zu identifizieren.
Peter Ilisch
Literatur:
- N.J.Mayhew (Hg.): The gros tournois. Proceedings of the fourteenth Oxford symposium on coinage and monetary history. Oxford 1997
- Marcus Phillips: The early use and imitation of the gros tournois in the Low Countries. Revue Belge de Numismatique 2014
- Peter Ilisch: Gros tournois d'imitation frappés en Allemagne du Nord. Revue Numismatique 6e série Bd. 29, 1987, S. 109-117, Tf. X-XI
- Mario Schlapke: Die Münzen und Barren des Erfurter Schatzfundes und Katalog der Münzen. In: S. Ostritz (Hrsg.), Der Schatzfund. (Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt 3). Langenweißbach.