Die Hürden sind hoch, die Motivation ist höher

Drei internationale Postdocs berichten über ihre Forschung und ihren Start in Münster
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Die Hürden sind hoch, aber die Motivation ist höher: Der Exzellenzcluster Mathematik Münster erhält trotz Corona-Pandemie starken Zulauf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt.

Dr. Bakul Sathaye aus Indien, Dr. Tingxiang Zou aus China und Dr. Christopher Kauffman aus den USA sind drei von aktuell 29 internationalen Postdocs, die ihre Forschung in Münster vertiefen. In Gastbeiträgen berichten die drei Postdocs über ihre Leidenschaft für die Mathematik und geben Einblicke in ihren Werdegang und wie sie sich während der Pandemie in Münster fühlen.


Neue Lösungswege für mathematische Probleme

Gastbeitrag von Dr. Tingxiang Zou

Dass ich einmal Mathematikerin werden würde, hätte ich mir früher nie vorstellen können. Zu Beginn meines Grundstudiums an der Peking Universität in China habe ich mich eher für Philosophie und Soziologie interessiert. Ich wollte verstehen, wie die menschliche Kognition funktioniert und welchen Einschränkungen sie unterliegt. Um dabei auch die naturwissenschaftliche Perspektive zu untersuchen, habe ich mathematische Grundkurse belegt. Seitdem bin ich von der Mathematik fasziniert.

Tingxiang Zou
Tingxiang Zou
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Ich arbeite in einem Teilgebiet der Grundlagenmathematik, der sogenannten Modelltheorie. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bereichen der Mathematik gibt es in der Modelltheorie keine spezifischen mathematischen Objekte, die untersucht werden. Es handelt sich vielmehr um ein Werkzeug, das auf der mathematischen Logik aufbaut und in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurde, um sich bestehenden mathematischen Problemen auf neuen, kreativen Wegen zu nähern. Ich arbeite derzeit an der Weiterentwicklung eines Werkzeugs, das auf der asymptotischen Zählung von Punkten auf endlichen Strukturen basiert. Meine Erkenntnisse nützen vor allem der mathematischen Fachgemeinschaft. Ich bin der Ansicht, dass die Mathematik ihre eigene Existenz rechtfertigt und nicht auf Anwendungen angewiesen ist, wenngleich sie ein wichtiges Fach für viele Natur- und Sozialwissenschaften ist.

Bevor ich nach Münster kam, habe ich mein Masterstudium an der Universität Amsterdam absolviert, gefolgt von einem Promotionsstudium an der Universität Lyon und einem einjährigen Forschungsaufenthalt an der Hebräischen Universität Jerusalem. Seit Oktober 2020 bin ich für die kommenden drei Jahre Teil der Modelltheorie-Gruppe am Exzellenzcluster Mathematik Münster.

Der Start während der Corona-Pandemie war eine Herausforderung – zumal ich mit meiner kleinen Tochter nach Münster gezogen bin. Die WWU und der Cluster haben uns jedoch gut unterstützt, zum Beispiel bei der Suche nach einem Kitaplatz und mit den Formalitäten. Jetzt schaue ich voller Zuversicht nach vorne und freue mich, meine Arbeit in einem exzellenten Forschungsumfeld fortzusetzen. Die sozialen Kontakte und die persönlichen akademischen Interaktionen fehlen mir, aber auf der anderen Seite ermöglichen die vielen digitalen Angebote, weltweit an Seminaren und Konferenzen teilzunehmen.

Die größte Unterstützung auf meinem Weg war für mich bislang die kooperative Studien- und Arbeitsumgebung. Die Geduld und Bescheidenheit der meisten Mathematikerinnen und Mathematiker, die ich getroffen habe, haben mich beeindruckt und ermutigt, meinen Weg weiterzugehen. Für mich ist das Wertvollste am Mathematiker- und Forscherdasein, dass es mir das Gefühl gibt, auf einer soliden Grundlage zu arbeiten – mit einer Materie, die einfach da ist und relativ wenig mit dem Ego von irgendjemandem zu tun hat.

Komplettes Interview [en]

Kontakt Tingxiang Zou


Die "Grenzen" unendlicher Räume erforschen

Gastbeitrag von Dr. Bakul Sathaye

Meine Forschungsgebiete sind die geometrische Gruppentheorie und geometrische Topologie. Sie liegen an der Schnittstelle der drei großen Gebiete Geometrie, Topologie und Algebra. Ich habe mich zwar schon in der Schule für Geometrie interessiert, aber das entscheidende Aha-Erlebnis hatte ich während des Studiums, als ich die Konzepte von Grenzen, Unendlichkeit und wie sie in der Mathematik behandelt werden, kennengelernt habe. Das Studium der nicht-euklidischen Geometrie war ein weiterer Wendepunkt auf meinem Weg, um mich für die Forschung in der Geometrie zu entscheiden.

Seitdem faszinieren mich Räume mit nicht-positiver Krümmung. In meiner Forschung untersuche ich, was an den "Enden" oder "Grenzen" dieser unendlichen Räume passiert. Denn diese Aspekte verraten oft viel über den Raum an sich. Dafür nehme ich Werkzeuge aus der Gruppentheorie zu Hilfe. Die Erforschung solcher Räume dient Anwendungen in der theoretischen Physik und kann helfen, die Natur unseres Universums zu verstehen.

Bakul Sathaye
Bakul Sathaye
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Mein Interesse an der theoretischen Mathematik wuchs in meiner Zeit am Indian Institute of Technology (IIT) in Bombay, Indien. Dort absolvierte ich meinen Master, bevor ich an der Ohio State University in Columbus, USA, promovierte. Danach arbeitete ich als PostDoc an der Wake Forest University in North Carolina. Später verbrachte ich ein Jahr an der Ben Gurion Universität in Israel, bevor ich zum Exzellenzcluster Mathematik Münster kam. Die Entscheidung für Münster fiel mir nicht schwer: Die Bedingungen für junge Forscherinnen und Forscher sind sehr gut, und es gibt hier viele Personen, die in einem ähnlichen Forschungsgebiet wie ich arbeiten. Meine Zeit in Münster wird mir sicher helfen, als Mathematikerin zu wachsen.

Ich hatte das Glück, auf meinem Weg inspirierende und ermutigende Menschen zu treffen, die mir halfen, das starre Äußere der Mathematik aufzubrechen und die Schönheit zu sehen, die darin liegt. Ich hoffe, dass ich dasselbe für junge Studierende tun kann, die ich in Münster unterrichten werde.

Ich bin seit Oktober in Deutschland. Die Corona-Pandemie brachte natürlich einige Herausforderungen mit sich. Sehr viel Hilfe habe ich vom Welcome Centre der WWU und über das Buddy Programm des Clusters bekommen. In der Mathematik entstehen viele Ideen und Kooperationen in Coffee Lounges und bei informellen Zusammenkünften rund um Seminare. Die Pandemie hat diesen Aktivitäten natürlich einen Dämpfer verpasst. Nichtsdestotrotz kommuniziere ich mit meinen Forscherkolleginnen und -kollegen so gut ich kann.

Die Stadt Münster konnte ich leider noch nicht richtig erleben. Ich freue mich beispielweise schon sehr darauf, den Wochenmarkt zu besuchen. Das ist sicherlich ein wunderbarer Ort am Samstagmorgen! Außerdem bin ich sehr froh, in einer fahrrad- und fußgängerfreundlichen Stadt zu sein – dadurch können aktuell viele fachliche Diskussionen an der frischen Luft stattfinden.

Komplettes Interview [en]

Kontakt Bakul Sathaye


Mit Mathematik die Umgebung Schwarzer Löcher besser verstehen

Gastbeitrag von Dr. Christopher Kauffman

So lange ich zurückdenken kann, habe ich es als Möglichkeit gesehen, in der mathematischen Forschung zu arbeiten. Im Studium habe ich begonnen, dieses Ziel aktiv zu verfolgen. Der schönste Aspekt dieses Berufs ist für mich, dass man dabei Problemstellungen aus vielen verschiedenen Bereichen vereinen kann. Im besten Fall findet man eine Herangehensweise, die einen tieferen Einblick in gleich mehrere Herausforderungen auf einmal gibt.

Christopher Kauffman
Christopher Kauffman
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Ich arbeite im Gebiet der partiellen Differentialgleichungen, mit einem Schwerpunkt auf der allgemeinen Relativitätstheorie. Aktuell untersuche ich das Verhalten von Wellen in der Nähe rotierender Schwarzer Löcher. In diesem Bereich stößt man sofort auf den Umstand, dass die Energie für eine beliebig lange Zeit in einer bestimmten Region, der so genannten Photonensphäre, fokussiert sein könnte. Ich arbeite an einer leichten Modifikation der traditionellen Wellengleichung, um diesen Aspekt zu verdeutlichen. Gleichzeitig suche ich nach einem Weg, wie man die Gleichung analysieren kann und dabei dieses Problem umgeht.

Von den Forschungsergebnissen profitiert wahrscheinlich am meisten die Physik. Im Moment kann man nämlich noch nicht sicher nachweisen, wie sich ein bestimmtes Phänomen in der Nähe eines Schwarzen Lochs verhält. Aber partielle Stabilitätsergebnisse wie die, an denen ich arbeite, werden hoffentlich ermöglichen, sich ein vollständigeres Bild von dem zu machen, was dort passiert.

Ich habe mein Grundstudium an der University of Rochester im Westen des Bundesstaats New Yorks absolviert und bin dann an die Graduiertenschule der Johns Hopkins University gegangen. Nach meinem Abschluss habe ich kurz an der Southern Methodist University gearbeitet und bin dann nach England gezogen, um am Imperial College London zu forschen. Dort war ich Postdoc bei Prof. Dr. Gustav Holzegel. Als er vergangenes Jahr nach Münster wechselte, hat er mich eingeladen, mit ihm zu kommen und weiterhin Teil seiner Arbeitsgruppe zu sein.

Eine große Herausforderung für mich ist im Moment die Sprachbarriere, da ich nur wenig Deutsch spreche. Auch die Orientierung auf dem Wohnungsmarkt war nicht ganz einfach. Davon abgesehen, verlief mein Start in Münster sehr gut. Die Stadt ist schön, ebenso wie das Umland, und der Wochenmarkt ist sehr nett. Ich hoffe, dass ich bald mehr von der Stadt sehen kann!

Komplettes Interview [en]

Kontakt Christopher Kauffman


Links:

Artikel "Interesse am Forschungsstandort Münster ist groß" in der Unizeitung "wissen I leben", Mai 2021 (S. 3)

Gastbeiträge auf der WWU-Webseite

Karrieremöglichkeiten bei Mathematics Münster [en]