Spionage an der Universität

Wirken und Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit an westdeutschen Hochschulen (1971 – 1989)

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Hochschulen der Bundesrepublik schätzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR seit dem Jahre 1971 dezidiert als „Zentren des Feindes“ ein. Diese galt es zu ergründen, zu überwachen und nötigenfalls auch zu bekämpfen. Von Interesse für die Stasi waren die Wirtschafts-, die Technologie- und die Militärspionage. Ein weiteres Gebiet war die Überwachung von DDR-kritischen Aktivitäten und potentiellen Unterstützergruppen der DDR-Opposition, um vermutete „politisch-ideologische Diversion“ – also die negative Meinungsbildung gegenüber der DDR – an bundesdeutschen Universitäten zu unterbinden. Sozialismuskritische Diskussionsprozesse sollten möglichst beeinflusst und – wenn nötig – Aktivisten und Aktivistinnen manipuliert werden. Zu den Aufgaben des MfS und der für die sogenannte „Westarbeit“ zuständigenUmfeld Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) gehörte maßgeblich auch die Rekrutierung von bundesdeutschen Inoffiziellen Mitarbeitern („IM“) im Umfeld der Universitäten: Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Angestellte, Studierende, aber auch Aktive im universitären Umfeld.

Das Forschungsprojekt untersucht, welche Wissenschaftsbereiche das MfS und die HV A operativ bearbeiteten und welche Erkenntnisse in den SED-Staat zurückflossen. Im Mittelpunkt der empirischen Studie stehen vier ausgewählte westdeutsche Hochschulen: die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, die Universität Bremen, die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Universität Kassel. Für diese Orte soll der Frage nach den Beteiligten nachgegangen werden, wer als Inoffizieller Mitarbeiter oder Mitarbeiterin geworben, wer ausgespäht oder beobachtet wurde. Das Spektrum möglicher Spionagefelder des MfS wie auch die Einsätze seiner Akteure und Akteurinnen werden eruiert und auf ihre Wirkmächtigkeit in den jeweils unterschiedlichen Kontexten überprüft. Der Vergleich der Ergebnisse erlaubt es, die lokalen Einzelbefunde auf generalisierbare Aussagen hin zu analysieren.

Das Interesse des Forschungsprojektes richtet sich auf eine Reihe von Fragen:

  • In welchem Umfang war die Staatssicherheit an den vier westdeutschen Hochschulen aktiv?
  • Mit welchen Methoden ging das MfS vor, welche Informationswege und Kontakte konnte die Staatssicherheit zu welchem Zeitpunkt erschließen?
  • Welche Ziele verfolgten MfS und HV A in den einzelnen Institutionen?
  • Wer waren die Protagonisten/ Protagonistinnen („Führungsoffiziere“, „IM“, „Kundschafter des Friedens“, „Kontaktpersonen“, Betroffene) der Kontakte?
  • Welche Informationen der Westspionage flossen auf diese Weise in die DDR?
  • Welchen Nutzen konnte die Staatssicherheit bzw. die SED aus den Informationen ziehen?
  • Gab es eine Politik der aktiven Beeinflussung von Universitäten im Bundesgebiet?
  • Welches sind die heute in der Öffentlichkeit kursierenden Bilder der West-Aktivitäten der HV A und seiner „Kundschafter“? Wie stehen diese in Beziehung zu den erhobenen empirischen Befunden (Korrektur, Bestätigung, usw.)?

Fotos

Das Forschungsprojekt stützt sich auf eine breite Quellenbasis. Insbesondere gehören hierzu Stasi-Akten aus dem Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). Des Weiteren stehen auch Unterlagen aus dem Bestand der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (SAPMO) zur Verfügung. Forschungsrelevante Erkenntnisse liefern ferner Ermittlungs- und Gerichtsakten von Spionageprozessen, die in den 1990er Jahren stattfanden, sowie Personalakten in den Universitätsarchiven. Eine weitere relevante Zugangsmöglichkeit eröffnen Interviews mit ehemaligen Stasi-„Auskunftspersonen“ – „IM“ oder „Kontaktpersonen“ – sowie Gespräche mit von Bespitzelung Betroffenen oder anderen Beteiligten. Solcherart Interviews erlauben Einblicke in konkrete Vorgänge und können Informationswege erhellen sowie eine komplementäre Perspektive bieten. Diese Erzählungen zeigen aber auch, wie diese Kontakte mit der Staatssicherheit retrospektiv in die Biographie eingeordnet werden.

Das Forschungsprojekt setzt es sich zum Ziel, dezidiert über das Sammeln von Zahlen und Namen hinauszugehen. Es stehen daher konkrete Vorgänge und deren mögliche Auswirkungen auf den universitären Alltag in der damaligen Bundesrepublik im Blick. Ziel ist es, die Einflussbereiche der Staatssicherheit sowie die in den Jahren 1971-1989 bestehenden MfS-Aktivitäten an den vier Universitäten weitestgehend einzuschätzen. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit Einzelner mit dem MfS und der HV A an konkreten Beispielen qualifiziert und die Konsequenzen der Informationsweitergabe beurteilt werden. Jenseits der historischen Forschung zu diesem Aspekt der deutsch-deutschen Teilung wendet das Forschungsprojekt seinen Blick zudem auf die Gegenwart: die individuelle Erinnerung an Stasi-Kontakte, Erinnerungsmuster des Kalten Krieges sowie damit verbundene Projektionen der Tätigkeit für das MfS bzw. die HV A zwischen „Spionage für den Frieden“ und „Denunziantentum“. Auf diese Weise trägt das Projekt auch zu einer alltagspraktischen Differenzierung des oftmals von Skandalisierung, Verklärung und häufig von Annahmen geprägten Themas der „Stasi im Westen“ bei.

Die Studie wird seit Januar 2015 bis April 2018 durch die Volkswagen Stiftung finanziert.

Projektmitarbeiter_innen:

Publikation:

Sabine Kittel, „Jenseits von Zahlen. Überlegungen zur Staatssicherheit der DDR an Westuniversitäten“, in: Deutschland Archiv, 4.7.2014 

Presse-Links (Auswahl):

ZEIT Campus Nr. 01/2014, Studenten als Spione, 1. Januar 2014.

Westfälische Nachrichten, ‘IM Park‘ spionierte unter Studenten, 5. Januar 2015.

Radio Q WWU Münster, Forschung zur Spionage der Stasi an westdeutschen Unis, 6. Januar 2015.

Hessische Allgemeine, Wissenschaftler sind Stasi-Spitzeln an der Uni Kassel auf der Spur, 7. Januar 2015.

WDR, Lokalzeit, Stasi-Spitzel an der Uni, 7. Januar 2015, (Redaktion Christian Ronig).

Wissen/Leben, Die Zeitung der WWU Münster, Dezember 2014. Den Artikel finden Sie: hier.

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