(Rechts-)Populismus und Christliche Sozialethik

Die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Strömungen, insbesondere auch mit den Verflechtungen zwischen der politischen und der religiösen Rechten in Deutschland, verschiedenen europäischen Ländern und darüber hinaus, ist in den letzten Jahren zu einer unabweisbaren Herausforderung der Gesellschaftsethik geworden. Die Untersuchung ideologischer Muster, Welt- und Gesellschaftsbilder, Feindbilder und Modi der Ab- und Ausgrenzung sowie der Kommunikation sind für eine kritische Analyse unerlässlich. Dabei zeigen sich breite Schnittflächen zu (religiöser) Anti-Gender-Polemik und zu ausgrenzenden Diskursen gegenüber "Anderen" und "Fremden" – mithin sowohl zu religionspolitischen als auch zu migrationspolitischen Fragestellungen und deren ethischer Reflexion.

Die Auftragsstudie zur Programmatik der Partei Alternative für Deutschland (2017, s. u.) weiterführend, wurden in den zurückliegenden Jahren am ICS – teilweise eingebunden in die Arbeitsplattform "Religion, Politik und Geschlecht" des Exzellenzclusters Religion und Politik – verschiedene Studien zu rechtspopulistischen Diskursen an den Schnittstellen von Religion, Nation und Geschlecht durchgeführt, u. a. die Tagung "Gender – Nation – Religion", aus der eine gleichnamige Buchveröffentlichung hervorgegangen ist (herausgegeben von M. Behrensen, M. Heimbach-Steins, L. Hennig, Frankfurt: Campus 2019). Eine Reihe von Beiträgen zum einschlägigen Wissenstransfer wurden u. a. durch die Mitarbeit an den Positionsbestimmungen/Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz zu den Themen Rechtspopulismus und Gender(-forschung), geleistet.

  • Gender – Religion – Nation

    Exzellenzclusters "Religion und Politik"
    © Exzellenzclusters "Religion und Politik"

    Auf der Grundlage der im Juni 2017 durchgeführten Tagung der Arbeitsplattform "Religion, Politik und Geschlechterordnung" im Exzellenzcluster Religion und Politik zum Thema "Gender – Religion – Nation" wurde ein Buchprojekt unter dem gleichen Titel entwickelt, das von Maren Behrensen gemeinsam mit Marianne Heimbach-Steins und der Soziologin Linda Hennig (CRM – Centrum für Religion und Moderne) herausgegeben wird. Der Band fokussiert in international vergleichender Perspektive (mit Beispielen aus Deutschland, Russland, Südosteuropa und den USA) gesellschaftliche Debatten über den Wert von Ehe und Familie, die Frage der Abtreibung, rechte sexueller Minderheiten, Sexualkundeunterricht oder Gleichstellungspolitiken, die insbesondere aus (rechts-)populistischen und religiös-fundamentalistischen Quellen gespeist werden und so nationalistische Motive mit der Ablehnung der sogenannten "Gender-Ideologie" verknüpfen. Die Publikation ist im Frühjahr 2019 erschienen in der Reihe "Religion und Moderne" im Campus-Verlag , Frankfurt.

    Zwischen diesem Vorhaben und der Analyse der Programmatik der Partei "Alternative für Deutschland" (familien- und geschlechterpolitische Aspekte), die wir im Frühsommer 2017 vorlegten, bestehen thematische breite Schnittstellen. Die beide Projekte verbindende Auseinandersetzung mit Genderfragen im Horizont rechtspopulistischer Anti-Gender-Diskurse führte im akademischen Jahr 2017/18 zu einer Reihe von Einladungen und Veranstaltungensbeteiligungen verschiedener gesellschaftlicher und kirchlicher Institutionen.

    Verantwortlich:

    • Prof.'in Dr. Marianne Heimbach-Steins
    • Dr. Maren Behrensen

    Mitarbeit:

    • Josef Becker, Mag.Theol.

    Kooperation:

    • Arbeitsstelle Theologische Genderforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät zur Homepage

    Finanzierung:

    • Exzellenzcluster "Religion und Politik" (2018)
    • Programm Geschlechtergerechte Hochschule des Landes NRW (bis 12/2019)
    • Eigenmittel (2019/2020)

    Laufzeit: 2016 bis 2019

  • Grundpositionen der Partei "Alternative für Deutschland" und der Katholischen Soziallehre im Vergleich

    Die folgenden Thesen fassen zentrale Ergebnisse einer Studie zur Programmatik der Partei "Alternative für Deutschland" zusammen; sie basiert vor allem auf der Analyse des Grundsatzprogramms, des Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2017 sowie auf der Untersuchung ausgewählter Reden von Parteifunktionären und der Facebook-Nutzung der AfD. Die leitende Frage der Untersuchung ist: Wie verhalten sich grundlegende Positionen und politische Zielsetzungen der Partei zu den Positionen der katholischen Soziallehre? Ziel der Untersuchung ist es, Orientierungen für eine christlich fundierte Urteilsbildung und Hilfestellungen für den Umgang mit inhaltlichen und kommunikativen Herausforderungen anzubieten, denen Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung mit den Positionen und dem Politikstil der AfD begegnen.

    Die AfD definiert ihre Programmatik über Feindbilder und Krisen...

    Die AfD ist als Partei aus einer Krise entstanden (der "Eurokrise"). Nach bilden Aspekte des Zeitgeschehens, die sie als krisenhaft wahrnimmt, die Dreh- und Angelpunkte ihres Programms. Islam, politische Eliten, Europa und Gender werden als diffuse Feindbilder entworfen und zu einer existenziellen Bedrohung Deutschlands überhöht. Innerhalb der einzelnen Feindbilder wird nicht differenziert (z. B. wird Islam nicht vom Islamismus abgegrenzt; die "Altparteien" werden als "Meinungskartell" dargestellt).

    … und verweigert die Auseinandersetzung mit großen Zukunftsfragen, 

    Gesellschaftliche und weltpolitische Herausforderungen wie die Globalisierung, der Klimawandel oder die Veränderung sozialer Realitäten im Bereich der Familie werden entweder geleugnet oder ihnen wird durch das leere Versprechen, zu einer angeblich besseren Vergangenheit zurückzukehren, begegnet. Die AfD hat kein positives Verständnis von Verantwortung, Gerechtigkeit und Solidarität in einer global vernetzten Welt.

    ...ohne zukunftstaugliche politische Lösungen anzubieten.

    Bestimmte Einzelforderungen der AfD lassen sich auch in politischen Programmen anderer Parteien finden oder stammen ursprünglich aus diesen. Sie werden jedoch in einen die programmatischen Gesamtrahmen gestellt, der im Vergleich zu anderen Parteien, vor allem aber im Vergleich zu einem christlichen Menschen-, Gesellschafts- und Geschichtsverständnis rückwärtsgewandt und hoffnungsarm ist. Das Weltbild der AfD ist zutiefst pessimistisch.

    Die AfD möchte eine "deutsche Identität" sichern, ohne konkret zu sagen, was ihr an Deutschland eigentlich wichtig ist.

    Die AfD verschreibt sich in ihrem Programm der Pflege deutscher Kultur, Identität und Sprache. Aber die allgemeinen Verweise auf abendländische Werte und Traditionen lassen im Unklaren, was genau sie bewahren möchte und weshalb. Auch in den kulturpolitischen Positionen der AfD wird eine vermeintlich bessere Vergangenheit beschworen, während eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zurückgewiesen wird. Die Stilisierung einer bestimmten ethnischen oder ethno-nationalen Zugehörigkeit als Wert an sich ist der katholischen Soziallehre mit ihren Orientierungen an der Würde jedes Menschen als Geschöpf, am (universalen) Gemeinwohl, an Solidarität und Gerechtigkeit fremd.

    Die AfD steht für eine zutiefst unchristliche, ethno-nationale Bevölkerungspolitik.

    Die AfD tritt zwar für die Unterstützung eines traditionellen Familienbildes und für den Schutz des ungeborenen Lebens ein. Diese Anliegen werden jedoch einem vorrangig bevölkerungspolitischen Interesse zugeordnet: Deutsche sollen zur Familiengründung angeregt, deutsche Familien und Kinder sollen gefördert werden, während in der Asyl-, Einwanderungs- und Integrationspolitik völlige Abschottung gefordert wird. Eine solche bevölkerungspolitische Verzweckung der Familie widerspricht (trotz mancher ähnlich klingender Einzelaussagen) sowohl dem katholischen Familienverständnis als auch dem Eintreten für einen umfassenden Lebensschutz.

    Die AfD steht im Spannungsverhältnis mit der Religionsfreiheit.

    Die AfD bekennt sich zwar zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, bestreitet jedoch die Religionsausübungsfreiheit. Diese will sie für muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger stark einschränken. Mit ihrer religionspolitischen Position steht sie in erheblicher Spannung zum Grundrecht auf Religionsfreiheit. Diese selektive Auffassung ist mit der modernen katholischen Lehre über die Religionsfreiheit als Recht der Person – unabhängig vom konkreten Bekenntnis – nicht vereinbar.

    Die AfD beruft sich auf die Soziale Marktwirtschaft, steht aber in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen nicht klar dafür ein.

    Die AfD hat sich die ursprünglich christdemokratische Rede von der sozialen Marktwirtschaft und das Versprechen vom "Wohlstand für alle" angeeignet, ohne entsprechende Inhalte klar zu vertreten oder darzulegen, wie ihre Versprechen eingelöst werden sollen. Ihre Einzelpositionen zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen sind ein unübersichtliches Gemisch aus marktliberalen und protektionistischen Forderungen. Dem Eintreten der katholischen Soziallehre für eine auf den Grundsätzen der Solidarität und der Subsidiarität gegründete Gesellschaftsordnung entsprechen weder marktliberale noch protektionistische Positionen.

    Die AfD nutzt populistische Kommunikationsstrategien.

    Die AfD nutzt einen populistischen Politik-Stil, der das Profil der Partei in eigener Weise unterstützt. Zwar sind nicht alle Formen des Populismus per se abzulehnen, ein antidemokratischer Populismus jedoch schon: Er ist charakterisiert durch einen antipluralistischen Anti-Elitarismus und eine bloß symbolische Repräsentation des 'wahren Volkes'. Für beides gibt es Belege im AfD-Populismus. Kriterien, mit denen populistische Redeweisen identifiziert werden können, sind etwa strategische Tabubrüche und verschwörungstheoretische Einordnungen. Vertreterinnen und Vertreter der AfD nutzen solche populistischen Kommunikationsstrategien. Am häufigsten sind dies eine Bestimmung von Identität durch Exklusion, ein Anti-Elitarismus, Strategien des Tabubruchs und der Widerstand gegen eine als "Meinungsdiktatur" interpretierte Political Correctness.

    Die AfD nutzt intensiv die Sozialen Medien als Teil ihrer populistischen Strategie.

    Die AfD nutzt die so genannten Social Media (vor allem Facebook) sehr intensiv und erzielt deutlich mehr Resonanz auf diesen Plattformen als andere Parteien. Zudem lassen sich für die AfD im Gegensatz zu anderen Parteien Echokammereffekte nachweisen: AfD-Sympathisanten auf Facebook bilden eine homogene, nur innerhalb "rechter" Gruppierungen vernetzte Gemeinschaft. Echokammern und Filterblasen haben gesellschaftlich gesehen eine antidiskursive Wirkung. Praktische Konsequenz für Internetnutzer ist medienethisch gesehen daher, eigene Einschließungen in Filterblasen zu vermeiden.

    Die AfD behauptet für sich einen Alleinvertretungsanspruch für den "Mut zur Wahrheit".

    Die AfD beansprucht, als einzige politische Kraft den „Mut zur Wahrheit" zu haben. Diesem Anspruch können und müssen Christinnen und Christen entgegentreten. Um Wahrheit muss gerungen werden. Wahrheit ist ohne die Achtung der Freiheit auch der Anderen, ohne den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit nicht glaubwürdig zu vertreten. Die Suche nach Wahrheit steht für Christinnen und Christen im Zeichen des Vorläufigen und der begrenzten menschlichen Einsichtsfähigkeit. Sie werden notwendige Auseinandersetzungen um Geltungs- und Wahrheitsansprüche im Geist des Respekts, nicht im Schema von Freund und Feind führen.

    Die Ergebnisse der Analyse wurden veröffentlicht in dem ICS-Arbeitspapier Nr. 8.

    Verantwortlich:

    • Prof.'in Dr. Marianne Heimbach-Steins (ICS)
    • Prof. Dr. Alexander Filipovic, Hochschule für Philosophie München, Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg)

    Mitarbeit:

    • Josef Becker (ICS)
    • Dr. Maren Behrensen (ICS)
    • Theresa Wasserer (zem::dg)

    Finanzierung:

    • Auftraggebende Bistümer
    • Eigenmittel