„Man sollte den Scharlatanen nicht den Marktplatz überlassen“

Die Philosophin Dr. Eva-Maria Jung im Gespräch
Dr. Eva-Maria Jung vom Zentrum für Wissenschaftstheorie der WWU
Dr. Eva-Maria Jung vom Zentrum für Wissenschaftstheorie der WWU
© Thomas Kundy

Über die Gefahren, die von wissenschaftsskeptischen Politikern und Bürgern ausgehen, sprach Norbert Robers mit der Philosophin Dr. Eva-Maria Jung vom Zentrum für Wissenschaftstheorie der WWU.

Mit den „Science Marches“ wollen Wissenschaftler am 22. April weltweit gegen die ihrer Einschätzung nach grassierende Wissenschaftsfeindlichkeit protestieren. Teilen Sie diese Sorge?

Große Teile der Bevölkerung verlassen sich nach wie vor auf die Wissenschaft, etwa beim Kauf eines Autos oder bei der Einnahme eines wissenschaftlich getesteten Medikaments. In einigen politischen Debatten, beispielsweise zum Klimaschutz, ist die Lage dagegen kritischer geworden. Einzelne Politiker oder andere Persönlichkeiten versuchen die Wissenschaft für ihre Zwecke auszunutzen.

Sie missbrauchen die Wissenschaft für politische Zwecke?

Ja, dieser Eindruck drängt sich auf, etwa beim amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Er vertraut offenbar nur den Wissenschaftlern, die gleichzeitig seine politischen und wirtschaftlichen Ziele unterstützen. Das ist ein fundamentaler Angriff auf die Unabhängigkeit und Freiheit der Wissenschaft.

Der politisch motivierte Missbrauch von Wissenschaft ist aber kein neues Phänomen, oder?

Nein, denken Sie nur an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, in der zahlreiche Wissenschaftler aus genau diesen Gründen aus Deutschland ausgewandert sind, während sich andere Wissenschaftler vor den Karren der Nazis spannen ließen. Die aktuelle Entwicklung ragt dennoch heraus, weil dieses Phänomen der Wissenschafts-Skepsis in mehreren Ländern um sich greift. Übrigens auch in Deutschland, wenn Sie beispielsweise an die Debatten über alternative Medizinmethoden denken, bei denen private Bildungseinrichtungen in Konkurrenz zu Universitäten stehen.

Man könnte ja auch auf dem Standpunkt stehen: Die Politiker und Präsidenten kommen und gehen – die Verlässlichkeit der Wissenschaft bleibt dagegen.

Nein, eine solch defensive Haltung hätte möglicherweise unangenehme Folgen. Donald Trump ist kein Philosoph, der seine Ablehnung und Skepsis gegenüber der Wissenschaft mit einer fundierten Ideologie untermauern kann. Er nimmt die Ideale der Wissenschaft einfach nicht ernst, er ignoriert sie. Das kommt offenbar in Teilen der Bevölkerung gut an, die es damit einer vermeintlichen Eliten-Schicht mal so richtig zeigen kann.

Einer Elite, die offenkundig auch nicht immer solide und sauber arbeitet...

Völlig richtig. Niemand plädiert dafür, allen Wissenschaftlern immer und geradezu blind zu vertrauen. Es gibt vielfach Zweifel an bestimmten Ergebnissen, es gibt auch Fälschungen in der Wissenschaft. Aber genau das ist der Wesenskern der Wissenschaft: dass es einen Streit der Ideen gibt, dass Zweifel angemeldet werden, dass um die Wahrheit gerungen wird, und dass Fälschungen offen als Fälschungen benannt werden. Aber all das sollte nicht so weit führen, die Idee der Wissenschaft an sich anzugreifen. In der Wissenschaft spielen – zumindest idealerweise - nicht Meinungen die entscheidende Rolle, sondern Tatsachen. Das Erkenntnis-Interesse steht im Vordergrund und nicht das persönliche Interesse oder die eigene Karriere.

Inwieweit trägt auch das Internet mit seinen zig Foren und Blogs, in denen tausende Pseudo-Wissenschaftler ihre Befindlichkeiten und ihre Sicht der Dinge kundtun, zu dieser Art Wissenschafts-Skepsis bei?

Das ist sicher ein Verstärker. Aber ich möchte zunächst auf die positiven Aspekte hinweisen: Das Internet hält sehr viele korrekte Informationen bereit, die sonst für viele Menschen nicht erreichbar wären. Auf der anderen Seite stimmt es, dass vielfach die Unterscheidung zwischen einem Laien und einem Experten aufgehoben wird. Das halte ich durchaus für problematisch.

Reagiert die Wissenschaft mit den Science Marches angemessen und richtig?

Ja, denn es ist ein Zeichen, und ein ungewöhnliches obendrein. Die Wissenschaftler müssen auf die Folgen und möglichen Konsequenzen öffentlich aufmerksam machen. Dazu zählt auch, darauf hinzuweisen, dass es strittige Fragen und viel Unwissen gibt – diese Offenheit ist nicht bedrohlich. Im Gegenteil: Man sollte den Zweiflern und Scharlatanen nicht den Marktplatz alleine überlassen.