Der Workshop findet im Rahmen des Freitagskolloquiums des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Verbindung mit dem DFG-Projekt „Des Königs neue Steuer. Praktiken preußischer Herrschaftsorganisation am Beispiel der westfälischen Akzisestädte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (ca. 1700–1756)“ und dem Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit der WWU Münster am 20. Mai 2022, in der Zeit von 14.00–19.00 Uhr s.t. statt.
„Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung.“ – Dieses berühmte Diktum Max Webers veranschaulicht sehr prägnant, dass man Herrschaften und Obrigkeiten vor Ort, in der Stadt und auf dem Land sowie im alltäglichen Zusammenleben zuvörderst in Form von Verwaltungen, Behörden, Amtsträgern oder Beamten entgegentritt. Die historische Forschung betont in diesem Zusammenhang, dass die Amtleute keineswegs nur „Mittler“ zwischen „Oben“ und „Unten“ sind. Denn mittlerweile wird Herrschaft als ein sozialer und kommunikativer Prozess anerkannt, an dem neben den Obrigkeiten eben auch die sogenannten Untertanen und die Beamten teilhatten. Insofern besitzen und besaßen Administrationen eine herausgehobene Stellung, wenn es darum geht, staatlichen oder herrschaftlichen Strukturen nachzuspüren. Folglich erweist sich die Frage, wie eigentlich verwaltet wird, als äußerst aufschlussreich. Oder anders ausgedrückt: Die Form der Teilhabe von Behörden und Institutionen an Herrschaft beleuchtet eindrücklich gesellschaftliche und soziale Zusammenhänge eines Gemeinwesens. Sprach man vormals von „Modernisierungstendenzen“, die einerseits die Verwaltungen selbst erfassten und andererseits gerade von diesen ausgingen, so stehen heutzutage eher Routinen oder Pfadabhängigkeiten im Fokus.
Genau an dieser Stelle setzt der geplante Workshop an: Inwiefern lassen landesherrliche und städtische Verwaltungs- und Verfahrenspraktiken Routinen erkennen, die es ermöglichen, Anschlussfähigkeit über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg zu bilden? Entsteht überhaupt routinemäßiges Handeln oder hat jeder Akteur sozusagen sein eigenes Ding gemacht? Entschieden die Amtsträger bei gleichem Sachverhalt tatsächlich auch immer gleich? Wenn nein, warum nicht? Existierten obrigkeitliche Vorgaben zur Einhaltung bestimmten verwaltungsmäßigen Handelns und zur schriftlichen Fixierung von Entscheidungen oder entschieden und agierten die einzelnen Amtleute eher nach Gutdünken? Kurzum: Alles Routine in den landesherrlichen und städtischen Behörden?!
Im Workshop sollen verschiedene behördliche Organisationsformen aus unterschiedlichen Epochen und Kontexten gegenübergestellt werden, um gemeinsam zu diskutieren, welchen Stellenwert Routinen und Pfadabhängigkeiten in unterschiedlichen Zusammenhängen besaßen.
Dr. Christina Fehse (Essen): „Zollerhebung an der Weser 1571–1623: Verwaltung als Herrschaft und Routine“
Ist Verwaltung Routine, Herrschaft oder gar beides? Die Rintelner Zollregister zum Warenverkehr auf der Weser von 1571 bis 1623 zeugen von einer Alltagssituation am Fluss, bei welcher Routine durchaus als Herrschaftsinstrument fungiert.
Dr. Maria Weber (München): „Informationsmassen bewältigen: Aufzeichnungspraktiken als Ordnungsinstrumente und die Grenzen der Routine“
Routinen erleichtern das Leben – auch in der Verwaltung! Besonders die Verwaltung großer Informationsmassen machte es bereits in der Vormoderne erforderlich, Verwaltungspraktiken zu entwickeln, die zur Ordnung und Systematisierung, zur Memorierung und Aktualisierung der gesammelten und aufgezeichneten Informationen beitrugen und für das Funktionieren einer semi-schriftlichen Gesellschaft unabdingbar waren. Am Beispiel der Verwaltung von Geldschulden am Stadtgericht in Augsburg für das beginnende 16. Jahrhundert zeigt der Vortrag auf, dass sich eine routinisierte Schuldenverwaltung erst durch die mikrohistorische Analyse der Dokumentationspraxis rekonstruieren und in das Verwaltungshandeln der Zeit einordnen lässt.
Während die routinisierte Schriftlichkeit der Schuldenverwaltung zielgerichtet für das Gericht verfahrensrelevante Informationen schriftlich fixierte und komprimierte, verschweigt diese routinisierte Schriftlichkeit aber Kontexte und Interaktionszusammenhänge – die Protokolle sind Einträge ohne Geschichte! Der Vortrag greift dieses methodische Problem auf und fragt danach, wie mit dieser entkontextualisierten empirischen Grundlage umgegangen werden kann.
Lasse Stodollick M. A. (Konstanz): „Von der Interaktions- zur Organisationskompetenz. Drei Thesen über die Kammerverwaltung in Minden und Ravensberg“
Am Beispiel der Kammerverwaltung in Minden und Ravensberg diskutiert der Vortrag drei Thesen über die Voraussetzungen und Folgen von Verwaltungsroutinen. Verfahren entstehen nicht einfach, sie müssen erprobt und eingeübt werden.
Sebastian Schröder M. A. (Münster): „Ravensbergische Routinen?! Akteure im Rahmen der preußischen Akzise- und Städtereformen in Westfalen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“
Die Akzise- und Städtereformen in den westfälischen Landesteilen Preußens führten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu weitreichenden Diskussionen, in die eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure eingebunden war. Kommunikation und Interaktion schufen einen relevanten Beitrag zur Etablierung von Staatlichkeit und Behördenstrukturen. Inwiefern das Verwaltungshandeln von Routinen geprägt war und welche Umstände zur Ausbildung routinisierten Verhaltens führten, steht dabei im Fokus des Vortrags.
Alle Interessierten sind um 14 Uhr s.t. herzlich zu den Vorträgen ins Fürstenberghaus (Hörsaal F3), Domplatz 20–22, 48143 Münster eingeladen.