„Die Suche nach Wahrheit“

Wissenschaftler des Exzellenzclusters über Konversionen von der Antike bis heute

Plakat Ringvorlesung Konversion
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© Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

Mit Konversionen befasst sich die öffentliche Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster im Wintersemester 2015/2016. Die Germanisten Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf und Prof. Dr. Bruno Quast haben die Reihe, die am 20. Oktober unter dem Titel „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ beginnt, mit dem Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Wolfram Drews organisiert. Im Gespräch mit dem Zentrum für Wissenschaftskommunikation erläutern sie, was es mit religiösen und nicht-religiösen Konversionen von der Antike bis heute auf sich hat, warum Menschen überhaupt ihren Glauben wechseln und wie es danach für sie weitergeht.

Was bedeutet Konversion?

Martina Wagner-Egelhaaf: ,Konversion‘ kommt vom lateinischen Verb ,convertere‘, das übersetzt ,umdrehen‘, ,umkehren‘, ,umwenden‘ oder ,umwandeln‘ heißt. Wir verstehen den Begriff zunächst allgemein als eine entscheidende Wende im Leben. Das ist häufig der Religions- oder Glaubenswechsel. Deshalb versteht man unter ,Konversion‘ oder unter dem deutschen Begriff ,Bekehrung‘ im engeren Sinn den Übertritt von einer Konfession oder Religion zur anderen. Auch der Wechsel von einer Konfession zu einer anderen Konfession derselben Religion kann als Konversion bezeichnet werden, etwa im Christentum, aber auch im Islam.

Im Mittelalter beispielsweise entsandten fatimidische Imam-Kalifen von Ägypten aus eigens Missionare in die islamische Welt, um die Mehrheit der Muslime, die nicht dem siebenerschiitischen – dem ismailitischen – Bekenntnis der Fatimiden anhingen, zu bekehren. Aber auch Formen der Radikalisierung des eigenen Glaubens können als Bekehrung gewertet werden. Und natürlich ist auch der Klostereintritt eine Konversion, insofern als sich dadurch das Leben radikal verändert.

Warum ist im Untertitel der Ringvorlesung von „Lebenswenden“ die Rede? Was hat es mit politischen, weltanschaulichen oder anderen nicht-religiösen Konversionen auf sich?

Martina Wagner-Egelhaaf: Wörtlich bedeutet ‚Konversion‘ einfach ‚Wende‘. Auch wenn die Begriffe ,Konversion‘ und ,Bekehrung‘ in der Regel auf religiöse Kontexte bezogen werden, kann man sich beispielsweise auch zum Vegetarianismus bekehren oder zu Thomas Mann, den man vielleicht früher nicht mochte. Entscheidend ist, dass sich mit einer solchen Bekehrung die Sicht auf die Welt und das eigene Ich sowie das Wertesystem grundlegend verändert. Deshalb sind Konversionen häufig ideologisch, denn sie stellen ja neue Leitbilder für das eigene Leben auf.

Seit der Antike haben Menschen ihren Glauben oder ihr Weltbild und damit auch ihr Leben immer wieder grundlegend verändert. Uns geht es um die strukturellen Parallelen zwischen religiösen und nicht-religiösen Konversionen. In der Antike etwa wurde die Zuwendung der Seele des Philosophen zur Gottheit als Bekehrung begriffen. Die „hohe Minne“ im Mittelalter vergöttlicht die geliebte Frau. Die Wende vom Geisterglauben zur Psychiatrie kann zu einer Verabsolutierung moderner wissenschaftlicher Heilmethoden führen. Und wenn Juristen nicht mehr an den Gesetzgeber glauben, verändert sich ihr Welt- und Selbstbild auf sehr grundsätzliche Weise.

Wenn heute öffentlich von Konversionen die Rede ist, geht es oft um Muslime, die Christen werden, dies aus Angst vor Strafe aber nicht öffentlich machen. Umgekehrt geht es um westliche Christen, die zum Islam wechseln. Warum werden andere Konversionen, etwa von katholisch zu evangelisch, weniger öffentlich thematisiert?

Wolfram Drews: Die mediale Aufmerksamkeit sagt noch nichts über die tatsächlichen Zahlenverhältnisse im Hinblick auf die Größe von Konvertitengruppen aus. Übertritte von einer christlichen Konfession zu einer anderen sind heute einfach weniger konfliktbehaftet und erfahren daher weniger öffentliche Aufmerksamkeit. Ganz anders war dies etwa in der Frühen Neuzeit, als Königin Christina von Schweden, die Tochter des vermeintlichen Protestantenretters Gustav Adolf, 1655 zum Katholizismus konvertierte. Ebenso befremdlich wirkte Jahrhunderte zuvor der Übertritt von Bodo, dem Pfalzdiakon des karolingischen Kaisers Ludwigs des Frommen, zum Judentum, der im islamischen Spanien den Namen Eleazar annahm und sich mit einem anderen Konvertiten, dem vom Judentum zum Christentum übergetretenen Paulus Alvarus von Córdoba, in einem kontroverstheologisch aufgeladenen Briefwechsel auseinandersetzte. Wenn wiederum ein Jude im Mittelalter zum Christentum konvertierte, wie Petrus Alfonsi im 12. Jahrhundert, dann vollzog er einen Bruch mit seiner Familie und seiner Herkunftsgemeinschaft, was zu existentieller Vereinzelung führen konnte, wie aus einem seiner überlieferten Briefe hervorgeht. Erst in den Bettelorden, die sich ab dem 13. Jahrhundert in Europa verbreiteten, fanden spätere Konvertiten vom Judentum eine neue Heimat, die ihnen Existenzsicherheit bot.

Welche persönlichen Gründe nennen Menschen für die Konversion? Welches Selbstverständnis hatten die Reformatoren?

Wolfram Drews: Wir vermuten, dass die Reformatoren, unter ihnen an erster Stelle Luther, von ihrem Selbstverständnis her den Glauben gerade nicht gewechselt haben, denn sie wollten den ursprünglichen christlichen Glauben, so wie sie ihn verstanden, wiederherstellen; es ging ihnen also um eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Glaubens, um eine kirchliche Reform, die zu einer Wende in der Kirchengeschichte führen sollte, die allerdings auch mit persönlichen Lebenswenden existentieller Natur einherging. Der spanische Jude Petrus Alfonsi, der Christ wurde, nannte als sein Bekehrungsmotiv die Suche nach Wahrheit und nach einer vernünftigen Religion. Für seine Zeit nutzte er moderne Begriffe, die ihm die nötige öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen sollten. Petrus Alfonsi stellt seinen Lebensweg auch über den Glaubenswechsel hinweg als konsequente Suche nach Wahrheit hin. Eine solche Sicht dürfte auch heute noch auf etliche Konvertiten zutreffen, während sich andere vielleicht aus familiären oder beruflichen Gründen für den Wechsel des religiösen Bekenntnisses entscheiden.

Aus welchen Quellen erfahren wir von historischen und heutigen Konversionen? Welchen Zweck hat es, wenn etwa christliche Konvertiten in der Spätantike von ihrer Entscheidung in Konversionserzählungen berichten oder der US-Sänger Bob Dylan nach seiner Bekehrung ein Album mit ausschließlich religiösen Liedern herausbringt?

Bruno Quast: Wichtige Quellen sind literarisch überformte autobiographische Berichte, etwa die Dialoge des christlichen Konvertiten Petrus Alfonsi, in denen er ein Selbstgespräch zwischen Moses, einer Figur, die seinen früheren Namen trägt, und Petrus, – so heißt er nach seiner Konversion –, inszeniert. Derartige literarische Texte, etwa die Beschreibung seines Klostereintritts durch den Zisterziensermönch Aelred von Rievaulx (1100-1167) oder der Lebensbericht Guiberts von Nogent (1055-1125), nahmen rhetorisch Bezug auf bestimmte Urszenen wie die Bekehrungen der Kirchenväter Augustinus oder Hieronymus. Die Texte sollten den Glaubenswechsel sowohl vor einer Öffentlichkeit als auch vor dem Autor selbst als plausibel, konsequent und glaubwürdig erscheinen lassen.

Konversionen gehen regelmäßig mit einer Manifestation nach außen einher: keine Konversion ohne Erzählung, Bericht oder auch Song. Die Versprachlichung der Konversion dient der Festigung einer neu gewonnenen Identität nach innen wie nach außen. Im Pietismus gab es sogenannte Sammelbiographien, also Sammlungen von Bekehrungsberichten, die oftmals sehr schematisch sind, also die Geschichte der Konversion nach dem gleichen Muster erzählen. Diese gehen wiederum auf ältere Vorbilder zurück, etwa die von dem pietistischen Autor Johann Henrich Reitz zusammengestellten sieben Teile der „Historie der Wiedergebohrnen“, die zwischen 1698 und 1745 erschienen. Manchmal werden Konversionsgeschichten auch romanartig literarisiert wie im Fall der „biographischen Erzählung“ der Schriftstellerin Ruth Nahida Lazarus von 1898, die den emphatischen Titel „Ich suchte Dich!“ trägt und die eine Konversion vom Christentum zum Judentum schildert.

Was geschieht nach der Konversion? Wie nehmen Gemeindemitglieder neue Gläubige auf?

Wolfram Drews: Hierauf gibt es keine generelle Antwort; wenn Menschen sich in ihrer neuen Religion an- und aufgenommen fühlen, können sie sich glücklich schätzen. Im ungünstigen Fall hält man ihre Entscheidung vielleicht sogar für unglaubwürdig, etwa durch angebliche karrieristische Motive veranlasst. Mit solchen Vorwürfen musste sich der Konvertit Petrus Alfonsi seitens seiner früheren jüdischen Glaubensgenossen auseinandersetzen. Im späteren Mittelalter wurden jüdische Konvertiten zumeist nicht von Gemeinden, sondern von Ordensgemeinschaften aufgenommen, vornehmlich den Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, denn getaufte Juden konnten sowohl im Universitätsbetrieb als auch bei der polemischen Auseinandersetzung mit dem Judentum nützlich sein. Als die Anzahl der Konvertiten im 15. Jahrhundert allerdings aus Sicht der sogenannten Altchristen zu stark anwuchs, griff man sogar zu rassistischen, antisemitischen Argumenten, wie dem Kriterium der „Reinheit des Blutes“, um jüdische Konvertiten auszugrenzen, an deren Aufrichtigkeit man zweifelte und die man als Konkurrenten beim Streben nach einträglichen Positionen in Kirche und königlicher Verwaltung empfand.

Welche Menschen konvertieren?

Martina Wagner-Egelhaaf: Hier sind keine Verallgemeinerungen möglich. Vielmehr sind für jeden Einzelfall die persönlichen Motive sowie historischen und kulturellen Bedingungen zu untersuchen. Nicht jede Konversion ist freiwillig und nicht jede geschieht aus innerer Überzeugung. Bei Konversionserzählungen muss man auch berücksichtigen, dass sie oft nachträglich in einer bestimmten Weise stilisiert und im Hinblick auf ein bestimmtes Publikum geschrieben werden. Wer jedoch frei und aus innerer Überzeugung konvertiert, zeigt ein kritisches Bewusstsein gegenüber vorgegebenen Lebens- und Glaubensformen.