Göttliche Gestalten – Zur körperlichen Darstellung des Göttlichen
Themenfeld der Ausstellung „Körper. Kult. Religion.“

Die Vorstellungen von Gottheiten oder von übermenschlichen Wesen sind oft menschenähnlich, doch nicht immer. Die konkrete körperliche Vorstellung vom Göttlichen erleichtert die Zugänglichkeit und auch das Verständnis von etwas Höherem, nicht Sichtbarem. Wahrnehmungen des Göttlichen sind aber in jeder Religion vielfältig und unterscheiden sich teilweise erheblich.
Im Christentum gilt Gott einerseits als unabbildbar und andererseits doch auch als menschengestaltig. Im alten Ägypten oder in Asien können die göttlichen Gestalten auch die Form von Tieren annehmen oder treten als Mischwesen aus Mensch und Tier auf, während im Islam und Judentum die Darstellung Gottes meist konsequent abgelehnt wird.
Das Göttliche bezeichnet nicht nur die einzelnen Gottheiten im engsten Sinne, sondern ebenso eine Vielzahl an unsichtbaren Mächten, denen übermenschliche Fähigkeiten zugesprochen und die um Unterstützung gebeten werden. In bestimmten Gesellschaften Afrikas und auch im afro-brasilianischen Candomblé werden Verkörperungspraktiken wie Besessenheit und Tanz genutzt, um diesen unsichtbaren Mächten zu huldigen und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.
Zudem werden häufig bestimmte Tiere, Attribute, Symbole oder Schriften mit dem Göttlichen verbunden. Die unterschiedlichen Auffassungen des Göttlichen geben Auskunft über kulturelle, spirituelle und künstlerische Aspekte jeder Glaubenspraxis und sind daher unverzichtbar für die Erforschung dieser Religionen.
Ausgewählte Ausstellungsstücke
Die folgenden Texte basieren auf dem Katalog zur Ausstellung:
Erhardt, S.; Graefe, J.; Lichtenberger, A.; Lohwasser, A.; Nieswandt, H.-H.; Strutwolf, H. (Hgg.): Körper. Kult. Religion. Perspektiven von der Antike bis zur Gegenwart. Münster 2024.
Fotografie „Trance im Candomblé“ von Pierre Verger (Kat. Nr. 32)
© Salvador da Bahia, Fundação Pierre Verger Das schwarzweiße Foto zeigt eine sog. filha de santo („Tochter des Heiligen“) der brasilianischen Religion Candomblé in Trance. Die Meeresgöttin Iemanjá hat ihren Körper übernommen. In der Vorstellungswelt des Candomblé hat jeder Mensch bereits vor seiner Geburt eine Verbindung zu bestimmten sogenannten orixás – Gottheiten afrikanischer Herkunft. Im Laufe des Lebens wird diese Verbindung rituell gefestigt und ein Teil des orixá befindet sich dauerhaft im Körper eines jeden Menschen. Wird dieser Teil rituell entsprechend aktiviert, überlassen die filhas- und filhos de santo ihren Körper (und Geist) temporär ganz den orixás: Sie „fallen“ in Trance. (exc/fbu)
Abguss des Dämons Pazuzu als Mischwesen (Kat.-Nr. 6)
© Abguss-Sammlung Antiker Plastik Berlin Pazuzu ist der König der bösen Winddämonen, die mit Krankheiten verbunden sind. Er kann sowohl schädlich als auch schützend wirken, vor allem wenn er auf Grund der Gastfreundschaft der Menschen seine Dämonen unter Kontrolle bringt. Anders als Götter, die im Alten Orient menschliche Gestalt haben, werden Dämonen als Mischwesen betrachtet, was ihren niedrigeren Rang zeigt. Ergänzend zu dem menschlichen Körper mit Krallenhänden ist auch Pazuzus Kopf eine Mischung aus Mensch und Tier. Er ist der Gegner der kinderfressenden Dämonin Lamashtu, die mit Kindbettfieber in Verbindung gebracht wird, und wird als Schutzgeist gegen solche Krankheitsdämonen verehrt. In der mesopotamischen Medizin und Magie dienten Darstellungen von Pazuzu als Schutzamulette, um böse Einflüsse abzuwehren. Diese Darstellungen fanden sich weit verbreitet im alten Mesopotamien und Umgebung. Heute ist Pazuzu durch den Film „Der Exorzist“ bekannt. (exc/tst)
Bronzerekonstruktion der Athena „Lemnia“ (Kat.-Nr. 13)
© Hessen Kassel Heritage, Antikensammlung Die Bronzerekonstruktion der griechischen Göttin Athena vom Typus „Lemnia“ zeigt, dass die Götterdarstellungen der griechischen Antike häufig keine spezifisch gezeigte Göttlichkeit besaßen, sondern stattdessen über menschliche Körper verfügten. Durch diese Art der Präsentation waren die Gottheiten Teil der Lebensrealität der Menschen und für sie deutlich greifbarer, was sich auch in der alltäglichen, praktischen Ausübung von Glaubensvorstellungen widerspiegelte. Im Falle der Athena „Lemnia“ ist sie als solche durch den für sie typischen Helm und die Ägis – einen nicht genau fassbaren Gegenstand der griechischen Mythologie, der meist als Schild oder als eine Art Umhang gezeigt wird – gekennzeichnet. (exc/tst)
Holzbild eines manifestierenden Geistwesens (Kwakwaka’wakw) (Kat.-Nr. 36)
© Yannick Oberhaus Bei diesem bemalten Holzbild handelt es sich um eine stilisierte Darstellung mehrerer Geistwesen und mythischer Figuren, die alle in Tierform verkörpert werden: Rabe mit Rabenkind, Bär, Robbe und Lachs. Das handgefertigte Schnitzwerk entstammt der Kwakwaka’wakw-Kultur, die neben anderen First Nations der Nordwestküste Kanadas glaubt, dass die Welt von zahlreichen Geistwesen bewohnt wird, die in verschiedenen Formen wirken. Einige dieser Geistwesen sind Ahnengeister, andere sind mit bestimmten Naturkräften wie Wind und Regen oder Tieren verbunden. Zum Beispiel ist der Rabe ist ein Schöpferheld, der Bär symbolisiert Willensstärke und familiäre Bindung, und die Robbe steht unter anderem für Reichtum und Überfluss. Schamanen können durch diese Geistwesen besondere Kräfte erhalten, um mit der unsichtbaren Welt in Verbindung zu treten und das Handeln der Geistwesen zu beeinflussen. (exc/tst)
Blatt aus Gebetsbuch mit Einsetzung des israelitischen Opferdienstes (Kat.-Nr. 22)
© Bodleian Library Oxford, Inv. MS Laud Or. 321, fol. 127v Dieses jüdische Feiertagsgebetsbuch (Laud Mahzor) aus dem 13. Jh. zeigt den Beginn des Gebetszyklus für das im Juni begangene Wochenfest (Shavuot), welches der Übergabe des Gesetzes an die Israeliten am Berg Sinai gedenkt. Dieses Ereignis ist am oberen Rand dargestellt, während im Mittelpunkt die Einsetzung des Priestertums steht, die von Gott mit dem täglichen Tempel-Opferdienst beauftragt wird. Die göttliche Gegenwart ist in der Mitte des Blattes durch das goldene Initialwort Adon – „Herr“ visualisiert (das erste Wort dieser Hymne) und nicht wie sonst oft üblich in der jüdischen Kunst, durch die anthropomorphe Hand Gottes. Der Titel der Hymne lautet „Der Herr hat mich herangebildet” und ist in den Mund einer personifizierten Torah gelegt. Die Torah ist somit das von Gott bestimmte himmlische „Werkzeug“, das Israel zum auserwählten Volk macht. Das goldene Initialwort „der Herr“ steht also für Gott, der Israel dieses „Werkzeug“ verleiht. (exc/pie)