Bibelmuseum
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Rituale des Lebens – Über Initiationsrituale und Praktiken im Zusammenhang mit dem Eintritt in neue Lebensabschnitte

Themenfeld der Ausstellung „Körper. Kult. Religion.“

Plakat zur Ausstellung „Körper. Kult. Religion.“
© exc/nur design/Stefan Matlik

Der Mensch durchläuft im Leben verschiedene soziale Stufen. Die Übergänge zwischen diesen Stufen sind oft durch religiöse Vorstellungen und damit verbundene Handlungen geprägt, die am individuellen Körper durchgeführt werden. In vielen Gesellschaften geht der Übergang zwischen bestimmten Stufen mit Ritualen der formalen Aufnahme – der sogenannten „Initiation“ – in die neue Lebensstufe einher. Initiationsprozesse oder -rituale existieren weltweit in verschiedenen Gesellschaften und Zeitaltern.

Es gibt viele religiös geprägte Initiationsrituale. So erlebt man es als Christ:in mit der Taufe, da man durch sie in den Kreis der Christenheit aufgenommen wird. In vielen Gesellschaften sind Beschneidung, Tätowierung, Brandmale oder das Rasieren der Haare Elemente von Initiationsritualen. In manchen Gesellschaften gibt es auch geheime Initiationsrituale. Als Beispiel dienen die Freimaurer, deren Aufnahmeritual selbst für Anwärter zunächst geheim ist. Aber es gibt auch weitere Initiationen, die man erst im Laufe des Lebens durchläuft. Dazu zählen beispielsweise die Erstkommunion im Katholizismus oder die Pilgerfahrt nach Mekka im Islam.

Das Ergebnis einer jeden Initiation – egal ob gesellschaftlich und/oder religiös geprägt – ist eine Veränderung des sozialen Standes des Individuums. Oft wird es zumindest vorübergehend vom vorherigen sozialen Umfeld und der Umgebung getrennt (z.B. beim Schulabschluss). Initiationsprozesse fördern den Zusammenhalt einer (religiösen) Gesellschaft und verschaffen dem Individuum ein Zugehörigkeitsgefühl. Auch moderne Formen der Initiation behalten einige Funktionen bei, die diesen Ritualen in allen Gesellschaften zugrunde liegen: die Schaffung von Identität, die Integration in soziale Gruppen und die Betonung gemeinsamer Werte.

Ausgewählte Ausstellungsstücke

Die folgenden Texte basieren auf dem Katalog zur Ausstellung: 

Erhardt, S.; Graefe, J.; Lichtenberger, A.; Lohwasser, A.; Nieswandt, H.-H.; Strutwolf, H. (Hgg.): Körper. Kult. Religion. Perspektiven von der Antike bis zur Gegenwart. Münster 2024.

 

  • Exemplarische Ausstellungsstücke aus dem Themenfeld „Rituale des Lebens“

    Ikone mit einer Darstellung der Taufe Jesu aus dem 18. Jahrhundert (Kat.-Nr. 158)

    © Bibelmuseum Münster

    Die Szene zeigt die Taufe Jesu im Jordan durch Johannes den Täufer. Im christlichen Glauben wird in dem Moment der Taufe die Gottessohnschaft Jesu und damit auch die Dreieinigkeit Gottes offenbart. In der Darstellung symbolisiert die weiße Taube den Heiligen Geist, während die Göttlichkeit Jesu durch einen Heiligenschein mit der Inschrift „Der Seiende“ deutlich wird. Für das Christentum ist die im Neuen Testament bezeugte Taufe der zentrale Initiationsritus. Sie symbolisiert die Teilhabe an Tod und Auferweckung Christi. Im christlichen Sinn wird mit der Initiation die Eingliederung in Kirche und Gemeinde vollzogen. (exc/fbu)

  • © Yannick Oberhaus

    Buddhistische Bettelschale (Kat.-Nr. 170)

    Diese zeitgenössische Bettelschale aus Thailand findet sich im Themenfeld „Rituale des Lebens“ und gehört zu den persönlichen Gegenständen, die buddhistischen Mönchen und Nonnen bei der vollen Initiation in das Ordensleben übergeben werden. Nach der ursprünglichen Regel sollen sie am frühen Morgen in einem gemeinsamen Almosengang bei den Laien, also den nicht als Nonnen oder Mönche ordinierten Anhängern des Buddhismus, ihre Speise erbitten. Die Laien sollen den Orden mit den nötigen materiellen Gütern versorgen, da nach der älteren Regel den Mönchen und Nonnen eine Erwerbstätigkeit untersagt ist. Der tägliche Almosengang sorgt somit für eine enge Beziehung zwischen Orden und Laien und verkörpert das Ideal des wechselseitigen Gebens: Die Laien geben dem Orden Speise, der Orden gibt ihnen die buddhistische Lehre, die als die größte Gabe gilt. Auch heute noch wird der Almosengang praktiziert, oft aber betreiben Laien auch Klosterküchen. (exc/pie)

  • Sistrum (Kat.-Nr. 160)

    © Bibelmuseum der Universität Münster

    Das äthiopische Sistrum ist ein liturgisches Instrument in der äthiopisch-orthodoxen Kirche. Es kommt während der Gottesdienste und bei wichtigen Kirchenfesten und Prozessionen zum Einsatz, die durch Musik, Gesänge und Tänze bereichert werden. Eines der höchsten Feste in der äthiopisch-orthodoxen Kirche ist Timkat, das an die Taufe Jesu im Jordan erinnert. An manchen Orten kann sich dieses Fest über mehrere Tage erstrecken, und immer spielt bei den Prozessionen Musik eine Rolle. Beim Timkat sind es v. a. Trommeln, einfache Hörner und Sistren, die zum Einsatz kommen. Sie werden sowohl von Klerikern als auch von der Gemeinde gespielt, wobei sich der ganze Zug singend und tanzend bewegt. (exc/tst)

  • Tafel mit apotropäischen Symbolen und Formeln (Kat.-Nr. 169)

    © Yannick Oberhaus

    Diese Holztafel stammt wahrscheinlich aus Marokko und wurde ursprünglich zum Schreiben und Auswendiglernen des Korans verwendet. Die Vorderseite der Tafel ist bunt bemalt, während die Rückseite zum Schreiben gedacht ist. Holztafeln wie diese waren ursprünglich weit verbreitet und sind mindestens seit der Antike in Benutzung. Heutzutage werden ähnliche Tafeln noch im Maghreb und in der Subsahararegion im Koranunterricht verwendet. Das Auswendiglernen von Teilen des Korans findet immer noch in Koranschulen (kuttāb) statt und ist ein wichtiger Schritt eines Kindes auf seinem Weg, ein vollwertiges Mitglied der religiösen Gemeinschaft zu werden. Dadurch, dass der Koran nach islamischem Glauben das unmittelbare, offenbarte und unveränderliche Wort Gottes ist, kann das Auswendiglernen als eine Aufnahme seines Wortes in den eigenen Körper betrachtet werden. (exc/tst)

  • © Fundação Pierre Verger, Salvador da Bahia

    Initiationsritual in den Candomblé (Kat.-Nr. 172)

    Das Foto von Pierre Verger aus Brasilien zeigt eine Novizin (iaô) in Trance während eines Initiationsrituals in den Candomblé, einer brasilianischen Religion mit afrikanischen Wurzeln. In der Vorstellungswelt des Candomblé ist jeder Mensch bereits vorgeburtlich mit bestimmten Gottheiten afrikanischer Herkunft (orixás) verbunden. Die Initiation soll diese Verbindung stärken und dauerhaft im menschlichen Körper verankern. Als Hauptsitz der orixás im Körper gilt der Kopf (ori), der deshalb im Zentrum einer Reihe von Initiationsritualen steht. Hier zu sehen ist die sog. Saída de iaô (‚Auftreten der Novizin‘), bei der ihr Kopf rasiert und mit kleinen Schnitten versehen wird, die dann mit einem Aufguss aus Pflanzen und Blut von Opfertieren getränkt werden, die die Energie (axé) des persönlichen orixá der Novizin tragen. Der Kopf ist zusätzlich mit punkt- und netzförmigen Zeichen aus rituell hergestellter feuchter Kreide (pemba) bemalt, die sich über die Schultern bis auf die Arme erstrecken. Die weiße Farbe der Kreide wird mit dem Gott Oxalá assoziiert, der mit dem Schöpfungsprozess in Verbindung steht und daher für die Initiation – der symbolischen Schöpfung – der Novizin von Bedeutung ist. (exc/pie)