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Herausforderungen einer digitalen Bücherschau

Buchwissenschaftlerin Prof. Dr. Norrick-Rühl (Englisches Seminar) kommentiert die diesjährige Frankfurter Buchmesse
Portrait Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl
Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl (Chair of Book Studies / Englisches Seminar)
© privat (Rühl)

Bereits im 15. Jahrhundert zeigte Johannes Gutenberg in Frankfurt die ersten Erzeugnisse seiner Druckerpresse. Heute ist die Frankfurter Buchmesse die größte und bedeutendste Buchmesse der Welt. In diesem Jahr muss sie vom 14. bis zum 18. Oktober coronabedingt größtenteils digital stattfinden. Statt den erwarteten 7500 Ausstellern haben sich lediglich 750 angemeldet. Prof. Dr. Corinna Norrick-Rühl beschäftigt sich am Englischen Seminar der WWU Münster mit dem internationalen Buchmarkt, der auf der Messe in Frankfurt am Main zusammenkommt. Im Interview mit Jana Haack (zentrale Pressestelle der WWU) schätzt sie ab, was die Corona-Pandemie für die Frankfurter Buchmesse, für das Gastland Kanada und die deutsche Buchbranche bedeutet.

Warum ist die Frankfurter Buchmesse so wichtig für die Buchindustrie?

Normalerweise ist im Oktober die gesamte Buchwelt zu Gast in Frankfurt – 70 Prozent der Aussteller und Händler kommen üblicherweise aus dem Ausland. Im letzten Jahr besuchten über 300.000 Menschen aus 147 Ländern die Frankfurter Buchmesse. Für den Literaturbetrieb ist sie einer der wichtigsten Knotenpunkte. Zwar werden Buchlizenzen heutzutage nicht mehr unbedingt auf der Messe verkauft, aber die Verträge werden dort angebahnt und neue Titel vorgestellt. Der Netzwerkgedanke und die Kontaktpflege sind laut einer Besucher-Umfrage das oberste Ziel der Aussteller und Fachbesucher. Gerade dieser Punkt fällt durch das digitale Format der Buchmesse nun größtenteils weg. Insbesondere für Menschen, die neu in der Buchbranche Fuß fassen wollen, ist das ein großer Verlust. Auch der eigentliche Reiz der Messe – das Entdecken und Stöbern – bleibt bei der diesjährigen Ausgabe auf der Strecke.

Letztes Jahr gab es 900 Stunden Bühnenprogramm – nun sind es nur knapp über 70 Stunden. Hätte man die Frankfurter Buchmesse absagen sollen?

Auf keinen Fall. Sie ist ein fester Bestandteil des Messekalenders und sollte das auch bleiben, denn auch in ihrer digitalen Form hat die Frankfurter Buchmesse Symbolcharakter. Als Leuchtfeuer der Buchindustrie liefert sie der Branche Motivation für das kommende Jahr. Wenn die Messe ganz abgesagt worden wäre, hätte das zur Gefahr für das Prinzip Messe werden können, da sich der Handel daran gewöhnen könnte, die Geschäfte zukünftig ohne die Buchmesse als festen Treffpunkt abzuschließen. Nicht zuletzt ist es natürlich für die Veranstalter und die dahinterstehenden Jobs wichtig, die Buchmesse zumindest digital stattfinden zu lassen.

Profitiert das diesjährige Gastland Kanada von diesem Symbolcharakter, obwohl die Messe nur digital stattfinden kann?

Das Gastland bekommt üblicherweise kostenfrei eine zentrale Ausstellungsfläche zur Verfügung gestellt, auf der es sich präsentieren kann – das ist in diesem Jahr nicht möglich. Für Kanada wäre das eine große Chance gewesen, seine Kultur und Literatur in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Denn englischsprachige Literatur ist zwar die weltweit erfolgreichste in Bezug auf Übersetzungen, doch es sind vor allem Bücher aus Großbritannien und den USA, die den Markt dominieren. Die Aufmerksamkeit, die man durch die Präsentation bekommt, führt nachweislich dazu, dass mehr Bücher des jeweiligen Gastlandes ins Deutsche übersetzt und verkauft werden. Wahrscheinlich hat Kanada Glück, und dieser Effekt tritt trotz der digitalen Version ein, da die Verlage die Titel bereits in Vorbereitung für dieses Jahr geplant haben. Die Gefahr besteht eher darin, dass eine Art Ermüdungseffekt in den Medien eintreten könnte, da Kanada auch im nächsten Jahr das Gastland ist.

Inwiefern hat die Corona-Pandemie nicht nur die Frankfurter Buchmesse, sondern die deutsche Buchindustrie insgesamt durcheinandergebracht?

Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr haben viele Verlage ihre Erscheinungstermine in diesen Herbst gelegt, verbunden mit der Hoffnung, zu diesem Zeitpunkt mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Dieser Plan ging jedoch nicht auf, denn Corona ist nach wie vor das bestimmende Thema. Dadurch, dass die Produktion der Bücher in den Herbst verschoben wurden, stehen beispielswiese in den USA nun nicht genug Druckkapazitäten zur Verfügung. Insgesamt werden durch die Pandemie weniger Titel erscheinen. Zudem sind viele deutsche Verlage nach wie vor in Kurzarbeit, und vor allem kleinere Verlage werden die Krise nicht unbedingt überleben, was die Vielfalt im Buchhandel gefährden könnte.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in der Zeitschrift Mémoires du livre - Studies in Book Culture untersucht Corinna Norrick-Rühl die Effekte des Gastlandsauftrittes auf der Frankfurter Buchmesse auf die Übersetzungslandschaft in Deutschland: https://doi.org/10.7202/1070263ar

Englisches Seminar

Chair of Book Studies