Abstracts zu den Vorträgen


Cornelia Schoon
Altersverstellung in fingierten Erpresserschreiben – Eine apparent-time Studie über Sprachbewusstsein

„99,9 Prozent aller Formulierungen, Satzkonstruktionen oder Argumentationsstrukturen lassen keine Rückschlüsse auf den Täter zu. Die Kunst ist es, die restlichen 0,1 Prozent zu finden.” (Rottler, 2020, S. 32). Immer wieder versuchen Täter:innen, ihre Identität in Erpresserschreiben zu verschleiern. Hierzu versenden sie die Schreiben anonym, verstellen ihre Handschrift oder versuchen, durch ihre Ausdrucksweise die Ermittelnden auf eine falsche Fährte zu locken. Die kriminelle Trickkiste bietet einige Verstellungsstrategien, wie etwa die Verstellung als Nichtmuttersprachler:in oder das Einbringen von Jugendsprache. Bereits in den 1970er Jahren begründete Hannes Kniffka die forensische Linguistik und zeigte auf, dass Täter:innen auch anhand ihrer Sprache identifiziert werden können. Wie aber verrät ein/e Täter:in sich in einem Erpresserschreiben? Wie können Ermittelnde die 0,1 Prozent ausmachen? Um diesen Fragen nachzugehen, wird in dieser Pilotstudie die Verstellung des Alters in Erpresserschreiben untersucht. Angelehnt an den Versuchsaufbau von Dern (2008) werden die Studienteilnehmer:innen gebeten, in fingierten Erpresserschreiben ihr Alter zu verstellen, um mögliche Strategien zu ermitteln.


Bedia Vidua
Die Verarbeitung von Nominalkomposita im mentalen Lexikon

In der deutschen Sprache ist eine Vielzahl an Komposita vorhanden. Aus diesem Grund bezeichnen Gaeta und Schlücker (2012) das Deutsche auch als eine „kompositionsfreudige Sprache“. Am häufigsten werden Determinativkomposita verwendet, wie z.B. das Nominalkompositum Kartoffelsuppe. Doch wie werden Komposita im mentalen Lexikon verarbeitet und gespeichert? Werden diese als „Ganzheiten“ nach dem full-listing model (z.B. Butterworth, 1983) gespeichert oder bei ihrer Verwendung in ihre Bestandteile zerlegt, wie es das full-parsing model besagt (z.B. Taft, 1979)? Dies kann u.a. mit ihrer Frequenz und ihrer semantischen Transparenz zusammenhängen. Der lexikalische Zugriff (lexical access) von Nominalkomposita wird experimentell untersucht, um Aussagen über die Repräsentation und den Zugriff auf Komposita im mentalen Lexikon zu treffen.


Xueying Zhong
Tempus und Aspekt in narrativen Texten – Deutsch und Chinesisch im Vergleich

Zeit ist eine der Basiskategorien der menschlichen Kognition, die sprachlich mittels Tempus bzw. Aspekt oder Aktionsart realisiert wird. Die Unterschiede der zeitlichen Ausdrücke in den Sprachen der Welt haben Sprachvergleichsforschungen angeregt, die sich meistens auf die indo-europäische Sprachfamilie beschränken (Dahl, 2000; Haßler, 2016). Die deutsche Sprache verfügt über ein Tempussystem, wohingegen das Zeitverhältnis im Chinesischen durch Zeitnominale bzw. Adverbien realisiert wird. Daneben verfügt das Chinesische über ein reiches Aspektsystem, welches wiederum im Deutschen in diesem Umfang nicht existiert. In Anlehnung an die bestehende Forschung von Zhang (1993) spielen die Aktionsarten von Verben, also ihre interne Bedeutungsstruktur mit zeitlichen Merkmalen, auch eine wichtige Rolle in beiden Sprachen. Im Vortrag wird eine empirische Untersuchung der zeitlichen Relation in narrativen Texten in der Spontansprache präsentiert. Mithilfe der Bilderzählung des deutschen Comics Vater und Sohn werden Daten von deutschen und chinesischen Muttersprachler:innen elizitiert, um unter gleichen Umständen einen Vergleich der zeitlichen Ausdrücke zwischen beiden Sprachen ziehen zu können.


Berna Akseki
Functions of intonation patterns in WH-questions and YES/NO-questions in English and Turkish

How do we ask questions? Are there different ways to ask a question? And what is a question at all? As a grammatical category, the question has various usage forms in Turkish, as well as in all other languages in the world (Karatas, 2020). Generally, in many languages, information requests are expressed by certain linguistic means such as interrogative syntactic structures, interrogative particles, and intonation. Question words and question particles are question elements used in both spoken and written languages. There have been some studies on interrogatives in written and spoken Turkish, but the results are not unanimous (Yilmaz, 2005). While YES/NO-questions in English have a rising pitch pattern, WH-questions are commonly ascribed a falling pitch pattern. However, studies of natural speech challenge these claims.  Similarly, previous studies of Turkish did not rely on natural spoken data and their results are therefore questionable. In this presentation, we will look at intonation patterns in both YES/NO-questions and WH-questions in data collected from TV-recordings of spoken language. PRAAT-based analysis will outline the observed patterns of Turkish information requests and interrogative structures.


Alexandra Schlobohm
„De Hubert will dat nich“ – Der Definitartikel bei Personennamen in Dialekttheaterstücken des Westfälischen im 20. Jahrhundert

Als inhärent definite Nominalphrasen sind Personennamen grundsätzlich ausreichend definiert. Trotzdem kommt es dazu, dass in einigen Regionen Deutschlands häufig ein zusätzlicher Definitheitsmarker in Form eines definiten Artikels vor dem Personennamen verwendet wird. Werth (2020) hat in seiner Studie zum Personennamenartikel im gesamten deutschen Sprachraum festgestellt, dass die Verwendung des Artikels im norddeutschen Sprachraum noch pragmatischen Funktionen unterliegt. Jedoch zeigte sich, dass der Personennamenartikel im Westfälischen dreimal so häufig vorkommt wie in anderen norddeutschen Varietäten. Das vermehrte Auftreten des Artikels im Westfälischen konnte Werth ab 1955 belegen. Für die Jahre davor fehlen jedoch Daten. Als konzeptionell mündlicher (Koch & Oesterreicher, 1985) Gegenstand dieses Vortrags werden Dialekttheaterstücke des Westfälischen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herangezogen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Fragestellung, ob an den Orten, an denen Werth ab 1955 den Personennamenartikel feststellen konnte, auch in den Jahren davor ein Vorkommen des Artikels zu erkennen ist. Als Basis dienen 10 Theaterstücke aus unterschiedlichen Teilen des westfälischen Sprachraums, die hinsichtlich der Verwendung von Personennamen und des Personennamenartikels untersucht werden.


Silvia Böhmer
Direktiv-kommissive Sprechhandlungen – Aufforderungen in der interaktionalen Schriftlichkeit am Beispiel von WhatsApp-Chats

Aufforderungen werden als soziale Handlungen verstanden, die von Sprechenden durchgeführt werden, um den/der Empfänger:in zu einer praktischen Handlung zu bewegen, die dem Sprechenden zugunsten kommt (Gubina, 2021; Couper-Kuhlen, 2014; Taleghani-Nikazm, 2011). Diese direktiv-kommissiven Sprechhandlungen (Couper-Kuhlen, 2014) äußern wir fast jeden Tag, indem wir unsere Interaktionspartner:innen z.B. am Frühstückstisch fragen: „Kannst du mir die Butter reichen?“. Da sich heutzutage ein Großteil der Alltagskommunikation über Messenger-Dienste (z.B. WhatsApp) abspielt, stellt sich die Frage, wie Aufforderungen in der interaktionalen Schriftlichkeit (Imo & Lanwer, 2019) realisiert werden. Aktuelle interaktionslinguistische Arbeiten zeigen, dass es keine festen sprachlichen Muster gibt, mit denen Aufforderungen geäußert werden (Drew & Couper-Kuhlen, 2014). Zwar gibt es mehr oder weniger konventionalisierte lexiko-syntaktische Formen, um Aufforderungen zu realisieren, aber auch andere Ausdrücke können ohne weiteres dazu dienen, den/die Interaktionspartner:in zu einer Handlung aufzufordern (Drew & Couper-Kuhlen, 2014). Der Vortrag nimmt daher eine handlungsbezogene, nicht aber eine formbezogene Perspektive zum Ausgangspunkt: Anhand von dyadischen WhatsApp-Chats und Gruppenchats aus der Mobile Communication Database (Beißwenger et al., 2020) wird untersucht, wie Schreibende in WhatsApp-Chats ihre Rezipient:innen auffordern, etwas zu ihren Gunsten zu tun. Die Daten werden mithilfe der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik analysiert.


Patricia Linnemann
„ich könnt KOTzen; natürlich wieder ICH ne,“ – Sprachliche Interaktion in Gesellschaftsspielen

Gesellschaftsspiele sind eine verbreitete Form des sozialen Miteinanders. Die Sprachwissenschaft hat sich bisher auf Spiele unter Kindern und am Computer konzentriert (z.B. Aarsand & Aronsson, 2007), Brett- oder Kartenspielinteraktionen unter Erwachsenen sind dagegen erst seit kurzem Gegenstand linguistischer Betrachtung. Als methodische und methodologische Grundlage für die Untersuchung kommunikativer Praktiken in Spielkontexten eignet sich die Interaktionale Linguistik, die Sprache empirisch in ihren realen sozialen Handlungszusammenhängen untersucht (Imo & Lanwer, 2019). Mit diesem Zugang wurde bereits die sprachliche Aushandlung einiger spielspezifischer Phänomene wie Manipulationen (Hofstetter & Robles, 2018) oder Regelverletzungen (Zinken et al., 2021) beschrieben. Doch es bleibt offen, welche anderen kommunikativen Praktiken sich im Spielkontext herausgebildet haben. Der Vortrag fokussiert daher anhand von Aufnahmen authentischer Spielinteraktionen Sequenzen im Spielgeschehen, in denen eine Person einen Nachteil erleidet. Mit welchen sprachlichen Formen und Praktiken realisieren Spieler:innen ihr eigenes ‚Verlieren‘, und wie wird es interaktiv von den Mitspieler:innen behandelt? Anhand eines exemplarischen Datenausschnitts werden erste Analyseergebnisse vorgestellt, die darauf hinweisen, dass solche Sequenzen insofern stark kontextsensitiv verlaufen, als sowohl spielinterne Faktoren wie der Punktestand als auch übergeordnete Prinzipien wie Accountability (Robinson, 2016) von konstitutiver Relevanz für das Geschehen sind.


Hannah Jasiewitz
Die Gesprächspartikel genau in institutioneller Kommunikation – Eine gesprächsanalytische Untersuchung des Podcasts „Coronavirus-Update“

Achtet man in alltäglichen Konversationen auf die Verwendung der Gesprächspartikel genau, wird vielen Sprecher:innen des Deutschen wahrscheinlich schnell bewusst: Die Partikel ist allgegenwärtig. Sie wird im Deutschen in vielfältigen Funktionen verwendet – sei es in ihrer responsiv-bestätigenden Funktion oder als auto-reflexiver Diskursmarker (Auer, 2020). Auch Oloff (2017) verweist auf das breite Funktionsspektrum der Partikel im interaktionalen Gebrauch, indem sie genau als Gradpartikel, responsive Bestätigungspartikel und als Intersubjektivitätsmarker beschreibt. Während die bisherige Forschung die Gesprächspartikel genau vordergründig in informeller Kommunikation untersucht hat (Oloff, 2017), soll der Fokus des Vortrags auf dem Gebrauch der Partikel in mediatisierter, institutioneller und wissensvermittelnder Kommunikation liegen. Hierfür wird der NDR-Podcast Coronavirus-Update gesprächsanalytisch untersucht, wobei nicht nur die verschiedenen Funktionen der Partikel genau, sondern auch ihr Auftreten und ihre unterschiedlichen Funktionsprofile bezogen auf das Rollenverhältnis der Sprechenden herausgearbeitet werden. Dabei wird insbesondere der Zusammenhang zwischen der Verwendung von genau und positionsspezifischen epistemischen Rechten (Heritage 2012, 2013), die den Interagierenden im institutionellen Setting des Podcast-Interviews zugeschrieben werden, von Interesse sein. Auch das Medium Podcast und seine spezifischen Affordanzen werden innerhalb des Vortrags in den Blick genommen.


Eva Müller
„Das Foto ist furchtbar. Man kann sie bald als Windspiel ins Fenster hängen“ – Eine Sprachliche Analyse des Diskurses zu Body Shaming auf Instagram

Per Like oder Kommentar kann man als User:in auf der fotozentrierten Social Media-Plattform Instagram hochgeladene Bilder bewerten (Schreiber & Kramer, 2016). Ein immer häufiger beobachtbares Phänomen in den Kommentarspalten ist dabei das sogenannte Body Shaming, welches überwiegend online in den sozialen Medien stattfindet. Schlüter et al. (2021, S. 183) definieren Body Shaming als „action in which a person expresses unsolicited, mostly negative opinions or comments about a target’s body“. Das Shaming  richtet sich hier gegen verschiedene Körperarten und -formen – so wird etwa unterschieden zwischen Fat Shaming, Skinny Shaming oder Trans Shaming (Schlüter et al., 2021). Die Normierung und Bewertung von Körpern basieren dabei auf tief sozialisierten und internalisierten Vorstellungen von Schönheitsidealen: Die Norm sind typischerweise junge, heterosexuelle, schlanke, straffe Körper mit ebenmäßiger Haut und symmetrischen Proportionen (Dolezal, 2015). Mithilfe diskurslinguistischer Methoden (Spitzmüller & Warnke, 2008, 2011) werden beispielhafte Instagram-Beiträge analysiert, um herauszufinden, wie Body Shaming versprachlicht wird und welche Einstellungen User:innen zu solchen Bewertungen führen. Hierbei sollen zudem multimediale und multimodale Interaktionspraktiken einbezogen werden (Marx, 2019). Es soll der Versuch unternommen werden, sich dem Diskurs zu Body Shaming, welcher bisher vordergründig soziologisch-kulturwissenschaftliche Beachtung fand, auch aus einer diskurslinguistischen Perspektive zu nähern.

© Silvia Böhmer, Hannah Jasiewitz, Xueying Zhong