THE TOXIC AVENGER - Exzess und Genrereflexivität als Strukturprinzip

Patrick Zemke

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Einleitung: Problem und Erkenntnisinteresse

Wie lässt sich ein wissenschaftlicher Zugang zu einem Film wie The Toxic Avenger (USA 1984) finden? Schon die Einordnung von Kaufmans Film in ein klassisches Genre stellt den*die Filmwissenschaftler*in vor nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten. Der Drehbuchautor und selbsternannte ‚Krypto-Zoologe‘, Bruce G. Hallenbeck versteht den 1984 erstmals und 1986 wiederveröffentlichten Filmstreifen aus dem New Yorker Independent-Studio Troma (vgl. Meyers 2011) in seiner Abhandlung Comedy-horror Films als Horror-Komödie und bezeichnet ihn zudem als vielversprechenden Kandidaten für den Titel „most tasteless movie ever made“ (Hallenbeck 2009: 145). Des Weiteren unterstellt er dem Film das Fehlen eines „true sense of irony“ (ebd.), die dominierende Botschaft des Films erschöpfe sich für ihn darin, dem Bösen mit dem zweifachen Maß an Grausamkeit und Brutalität begegnen zu müssen. Doch weist er ebenfalls auf die Kapitulation der klassischen Filmkritik und ihrer Kategorien vor The Toxic Avenger (im Folgenden: TTA) hin:

It’s impossible to critique a film like The Toxic Avenger in the ordinary way. It is disgusting, sick, vile, poorly acted and sloppily produced. The fact is, that is exactly what the filmmakers intended it to be. So in that respect, it’s a great success (ebd.: 146).

Hallenbecks Einschätzung benennt auf plakative Weise jene Hürden, die auch den wissenschaftlichen Umgang mit dem Film erschweren. Diesen Problemen, die sich aus der exzessiven Darstellung von Gewalt und der Übercodierung des filmischen Textes ergeben, gilt es, primär auf einer genretheoretischen Betrachtungsebene zu begegnen. Um ein kompletteres Bild zu liefern, sollen im Folgenden aber auch kulturhistorische Erkenntnisse zum klassischen Exploitation-Kino in die Überlegung einfließen. Ziel ist es, Ansatz- und Anreizpunkte für tiefergehende Untersuchungen des Filmtextes zu präsentieren. In Bezug auf das leitende Erkenntnisinteresse wird unterstellt, dass sich die in TTA zu findenden Bedeutungsebenen nicht allein in ihrer Fragmentarität und dem Status des Films als idiosynkratischem ‚Trash‘ erschöpfen. Bei TTA handelt es sich m. E. nach vielmehr um einen Filmtext, der sich durch einen hohen Grad an Hybridität, Selbstreflexivität und die Verwendung intertextueller und intermedialer Verweise auszeichnet, die Kaufmans Film in die ästhetische Nähe von Kristin Thompsons Konzept des cinematic excess (Thompson 1977)1 rückt und selbigen darüber hinaus als postmodernen Vertreter des klassischen Exploitation-Kinos zu erfassen hilft.

Bis zum Platzen klassischer Genrekonvention – und darüber hinaus. Genre- und Medienreflexivität in The Toxic Avenger

Nehmen wir aus heuristischen Gründen zunächst an, dass es sich bei TTA wie von Hallenbeck vorgeschlagen um eine Horror-Komödie handelt. Den am Ende der Neunziger bereits seit zwei Dekaden andauernden Boom dieses Filmgenres vor Augen, versucht Noël Carroll für die klassischen Genres der Komödie und des Horrors eine Liste notwendiger Merkmale zu entwickeln, um so eine Schnittmenge beider Genre-Definitionen zu erhalten, aus der sich, so Carrolls Vermutung, das konstitutive Merkmal für das Genre der Horror-Komödie ergeben sollte. Carrolls Erkenntnisinteresse lässt sich in der Frage zusammenfassen, wie sich zwei intuitiv so verschiedene und auf entgegengesetzten Emotionalisierungsstrategien beruhende Genres zu einem Hybriden zusammenfassen lassen, dessen Vertreter ein Mainstream-Publikum ansprechen können. Als notwendige Bedingung für den Horror-Film sieht Carroll das Vorhandensein eines Monsters (oder Killers mit übernatürlichen Zügen), dessen Auftreten im Rahmen einer Fiktion die (zumeist wissenschaftlichen und moralischen) Normen der Diegese herausfordert, überschreitet oder (temporär) auflöst (vgl. Carroll 1999: 145–154).

Dieses für Carroll konstitutive Merkmal des Horror-Genres lässt sich leicht auf Ebene der histoire von TTA identifizieren, schließlich fokussiert die Geschichte die Außenseiterfigur Melvin Junko, der im Fitnessstudio des fiktiven Ortes Tromaville, „der Giftmüll-Hauptstadt der USA“, als Reinigungskraft arbeitet, eines Tages durch einen Unfall in ein Fass mit atomarem Giftmüll fällt und anschließend genetisch zu einer Kreatur mit übernatürlichen Kräften mutiert. Aber auch auf discours-Ebene weist der Film allerlei Einstellungen und Szenen auf, die an den klassischen Horrorfilm der 1930er- bis 1950er-Jahre erinnern; so z. B. wenn Toxie den Drogendealer im Fitnessstudio, dem „Tromaville Health Club“, zur Strecke bringt und wir aus einem POV-Shot heraus sehen, wie die anwesenden Gäste kreischend vor dem moppschwingenden Ungeheuer fliehen; oder wenn es zur, für den Slasher-Film der 1970er typischen, Verfolgung des final girl (Kendrick 2014: 317) Julie durch Toxie im Keller des Fitnessstudios kommt. Zudem wird die discours-Ebene des Films durch die exzessive Nutzung von – für die Ästhetik des Horrorfilms der 80er-Jahre typischen – Gore-Elementen beherrscht, also der Zurschaustellung blutrünstiger Gewalt. In Bezug auf das Genre der Komödie identifiziert Carroll mit Einschränkungen die Inkongruenz-Theorie als das Modell mit dem höchsten Erklärungspotenzial. Diese basiert auf der Annahme, dass der Effekt des Komischen im Wesentlichen auf einem Kategorienfehler beruht, also die im set-up eines Witzes/einer Situation oder erzählten Geschichte geschürten Erwartungen nicht von der Pointe eingelöst werden und der unerwartete Ausgang stattdessen die Relation zu einer anderen kognitiven Kategorie eröffnet. Mit Bezug auf die klassische Horror-Komödie Abbot and Costello Meet Frankenstein (USA 1948) will Carroll deutlich machen, was passiert, wenn ein Monster wie Frankenstein durch den Erzähler seiner Furchtsamkeit beraubt wird: Sie werden zu (häufig sehr langsam) laufenden Kategorienfehlern, die zwar immer noch Normgrenzen verletzen, aber dabei harmlos wirken, da die „fictional environment“ von der Erzählinstanz als „safe“ (Carroll 1999: 157) markiert wird. In der Überschreitung von kognitiven Kategoriegrenzen sieht Carroll dann auch das Überschneidungsmerkmal zwischen Horror und Komödie identifiziert: „Horror equals categorical transgression or jamming plus fear; incongruity humor equals, in part, categorical transgression or jamming minus fear“ (ebd.).

Auch in TTA lassen sich auf beiden Ebenen filmischen Narration Elemente benennen, die dem von Carroll beschriebenen transgressiven Charakter der Horror-Komödie entsprechen: So z. B. in der Metamorphose-Sequenz, in der aus Melvin hinter der verschlossenen Badezimmertür das Monster Toxie wird.2  Hier entsteht die Komik der Szene aus einem Spiel zwischen den Erzählebenen, welche dem Zuschauenden visuell mehr Informationen preisgibt als der Figur von Melvins Mutter. Ein Kategorienfehler, wegen dem Melvins Mutter die verstörenden Geräusche hinter der Badezimmertür als Melvins Eintritt in die Pubertät interpretiert.3

Doch diese generische Einordnung TTAs erscheint nur bei einer oberflächlichen Betrachtung des Filmtextes zufriedenstellend. Neben den offensichtlichen intertextuellen Referenzen zum Horror-Genre, v. a. dem filmischen Frankenstein-Narrativ (1910, 1931), lassen sich in der Tiefenstruktur des Textes paradigmatische Korrelationen aufzeigen, anhand derer sich TTA auch als Superhelden-Film, oder präziser formuliert, als Superhelden-Persiflage bzw. -Parodie lesen lässt. Insbesondere die Ausgangssituation der Handlung, in der eine Außenseiterfigur durch Kontamination mit einer gefährlichen, unerforschten Substanz (oder Technik) zum Superhelden wird. Seine vorhergegangene Rolle als misfit bewahrt den Helden nun üblicherweise davor, seine neu erlangte Macht für egoistische Zwecke oder gar das Böse zu nutzen – er wird stattdessen der Beschützer der Schwachen und Unterdrückten. Diese Anleihen bei Serien und Filmen des Superhelden-Genres wirken sich bis auf die Spezialeffekte auf discours-Ebene aus. Die Maske Toxies erinnert stark an die vier mutierten Ninja-Kröten aus Kevin Eastmens und Peter Lairds Comic Teenage Mutant Ninja Turtles (Comic ab 1984, Zeichentrickserie: USA 1987–1996), aber auch an die durch Lou Ferrigno verkörperte Version des Hulk aus der 70er-Jahre TV-Serie The Incredible Hulk (USA 1978–1982).

Der Film eröffnet noch eine ganze Reihe weiterer solcher Referenzen zu stilbildenden Vertretern des Horror- und Superhelden-Genres, der Komödie sowie zeitgenössischen Kung-Fu- und Karate-Filmen, aber auch dem Liebesdrama und Volksmärchen à la Die Schöne und das Biest (1740, 1756). Diese Übercodierung im Sinne einer exzessiven Referenzialität zur Populärkultur lässt TTA somit auch als Vertreter eines postmodernen „Kinos der Oberflächen“ erscheinen, dass sich Jan Distelmeyer zufolge im Vergleich zum narrativen Hollywood-Kino bis zum Ende des Production Codes über „neue ästhetische Verfahren mit Bild und Ton“ konstituiert und einen „selbstbewusstes Umgehen mit der Oberflächlichkeit des Films“ pflegt, sich aber auch durch „eine Art offensichtliches Kooperationsverhältnis zwischen dem Kino und seinem Publikum“ im Kinosaal charakterisieren lässt, das ab den 1970er- und 80er-Jahren zunehmend aus medienerfahrenen Expert*innen besteht und mit Henry Jenkins Konzept der media savvy audience beschrieben werden kann (vgl. Distelmeyer 2006: 192–193, Herv. v. J.D.).4

Dieser kurze Abriss von intertextuellen und intermedialen Referenzen soll genügen, um zu verdeutlichen, dass es sich bei The Toxic Avenger um einen übercodierrten Genremix handelt. Auf theoretischer Ebene verdeutlicht der Film aber auch das Problem essentialistisch gedachter Genre-Konzepte, wie sie Carrol verfolgt. Kuhn et al. weisen zudem darauf hin, dass es sich bei Genre-Hybridität um ein konstitutives Merkmal von Filmen handelt (Kuhn u. a. 2013: 30). Die neuere Genre-Forschung geht laut Kuhn et al. nicht länger von einheitlichen, hinreichenden Definitionen aus, sondern betont den stets hybriden, intertextuellen und intermedialen Charakter von Genres.5

Hybridität erscheint somit als integraler Bestandteil bei der Entstehung neuer Genres – ein Punkt, der mit Blick auf das Phänomen des Exploitation-Kinos wichtig erscheint, aber auch die Abgrenzung zwischen Genrehybriden, -mixen und -Parodien erschwert. Des Weiteren unterscheiden Kuhn et al. die einem Genrekonzept stets inhärente Hybridität im Sinne einer ständigen Fortschreibung der generischen Konventionen, und damit einhergehender rhetorischer Strategien einer selbstreflexiven Hybridität, die in Form expliziter Hinweise auf die generischen Konventionen und den spielerischem Umgang damit verweist (vgl. Kuhn u. a. 2013: 30 f.; vgl. auch Hettich 2014: 52–54). Je nach Kontext wird hier auf TTA als Parodie bzw. Genremix referiert werden.

Exkurs: Das historische Phänomen des Exploitation-Kino bis 1959 und darüber hinaus

In seiner geschichtswissenschaftlichen Monographie zum classic exploitation cinema zwischen 1919 und 1959 weist Eric Schaefer auf eine in seinen Augen zentrale zeitliche Begrenzung des Phänomens hin, das er grob mit der Entwicklung des klassischen Hollywood-Kinos bis zum Ende des selbstauferlegten Production Codes (1930–1967) parallelisiert. Er definiert das Phänomen wie folgt:

The term exploitation film is derived from the practice of exploitation, advertising or promotional techniques that went over and above typical posters, trailers, and newspaper ads. [...] A kind of carnivalesque ballyhoo became integral to their success. (Schaefer 1999: 4)

Für den von Schaefer eingegrenzten Zeitraum scheint es zudem entscheidend, dass wir es mit einer hohen Zahl von Amateuren zu tun haben, die auf den Markt drängen. Hier lässt sich eine erste produktionsstrukturelle Ähnlichkeit für die Phase des späteren Exploitation-Kinos aufzeigen: Begünstigt durch die Verbreitung von Camcordern, zeitigten die frühen 80er einen Boom von Amateurfilmen, die vor allem dem Slasher-Genre zuzuordnen seien. James Kendrick begründet dies mit der einfachen narrativen Formel von Slasher-Filmen, die leicht zu kopieren war.

Um die Anziehungskraft ihrer Filme zu steigern, griffen die Filmemacher des klassischen Exploitation-Kinos skandalträchtige Themen auf. In Ermangelung von Stars und innovativen Geschichten brauchte es aber zudem das filmisch inszenierte Spektakel, um das Publikum in die Kinos zu locken. Schaefer verweist in diesem Kontext auf Tom Gunning und sein Konzept des cinema of attractions, das daran erinnern soll, dass die Kinokunst ihren historischen Ursprung auf Jahrmärkten um 1900 hat:

Rather than being an involvement with narrative action or empathy with character psychology, the cinema of attractions solicits a highly conscious awareness of the film image engaging the viewer’s curiosity. The spectator does not get lost in a fictional world and its drama, but remains aware of the act of looking, the excitement of curiosity and its fulfillment. Through a variety of formal means, the images of the cinema of attractions rush forward to meet their viewers (Tom Gunning 1989: 36, zitiert nach Schaefer 1999: 77).

Schaefer kommt mit Gunning zu dem Schluss, dass das cinema of attraction in der Folge nicht einfach verschwindet, als um 1906 der narrative Filme immer dominanter wird, stattdessen gehe es in den Untergrund und seine Produktionspraktiken und auf Spektakel gerichtet Ästhetik finden dort bspw. im klassischen Exploitation-Film einen neuen kulturellen Ort: „Fiction and nonfiction merged in the classical exploitation film, and spectacle served as their organizing and unifying principle“ (Schaefer 1999: 79). Das Narrativ diente den Machern von Exploitation-Filmen also nur als Vehikel für ein filmisch inszeniertes Spektakel. Schaefer sieht hier Verbindungen zu den frühen Filmen George Méliès‘, der die story eines Films lediglich als eine Art Paratext für eine Folge visueller Effekte begriff:

As a result, the forbidden sights stood out in relief from the shambling wreck of the diegesis. Whereas the classical Hollywood film invited the viewer to move into a voyeuristic relation with the represented events through its creation of a seamless world signaled by the shift of the narration from a self-conscious to an unself-conscious mode, the exploitation film was essentially an exhibitionistic form that encouraged a different type of engagement on the part of the viewer. Classical exploitation consistently reminded the viewer that he or she was watching a film, either through the display of spectacle or because of the crumbling continuity (ebd.: 80).

Gehen wir davon aus, dass diese im klassischen Exploitation-Kino rehabilitierten filmischen Strategien des cinemas of attractions aber noch länger erhalten bleiben als bis 1959, liegt es nahe, das Aufkommen des Gore-Horrors ab den 1960er-Jahren als natürlichen Nachfolger des frühen Exploitation-Kinos zu fassen. In seiner Abhandlung zum Slasher- und Splatter-Horror der 80er-Jahre geht James Kendrick auf die Entstehung einer bestimmten Ästhetik ein und interpretiert sie als „postmodern turn“ innerhalb des Horror-Genres. Spätestens Anfang der 80er-Jahre scheinen sogenannte splatter movies immer deutlicher die Zukunft des Horror-Genres zu bilden. Es handelte sich dabei um Filme, die nicht mehr zwangsläufig darauf abzielten, die Zuschauenden in einen Zustand äußerster Anspannung zu versetzen, sondern ihnen durch die explizite Zurschaustellung körperlicher Gewalt primär ihre eigene Sterblichkeit vor Augen führen wollte. Als Pionier dieses „body horrors“ (Kendirck 2014: 313) gilt der Literaturprofessor und spätere Regisseur Herschell Gordon Lewis (Blood Feast, 1963), welcher der Flut an Nacktheit im Kino der 60er- und 70er-Jahre etwas entgegensetzen wollte. Nach der inflationären Zurschaustellung von nackten (meist weiblichen) Körpern, wurde also nun die Verletzung dieser Körper zum neuen, an den Kinokassen ausbeutbaren Tabus. In den 70ern und 80ern sickert diese Gore-Ästhetik über den populären Slasher-Film auch mehr und mehr ins Mainstream-Kino. Kendrick verweist hier unter anderem auf die an den Kinokassen äußerst erfolgreiche Trias Halloween (USA 1978), Friday the 13th (USA 1980) und Nightmare on Elm Street (USA 1984). Im Fahrwasser dieser Filme entwickelte sich allerdings eine ganze Subkultur aus Horror-B-Movies, die billig produziert waren und einzig auf ihr grausames Spektakel zu setzen schienen, um so, wenn schon nicht die Jugendfreigabe durch die Zensurbehörden, so doch wenigstens Kult-Status innerhalb der Szene zu erlangen. Damit weist dieses stark in einer cineastischen Subkultur verankerte Horror- Parallelen zum klassischen Exploitation-Kino auf, auch wenn das Publikum freilich ein anderes geworden ist, da es nun nicht mehr nur media savvy ist, sondern durch die Verbreitung von Camcordern und Videogeräten ab den 1980ern zunehmend selbst zu Produzierenden wird (vgl. ebd.: 311–322).

In diesem kulturhistorischen Produktionskontext ist auch die TTA zu sehen, welches aufgrund seiner Gore-Ästhetik zudem als Splatter-Parodie verstanden werden könnte. Wenn auch nicht auf Video-Kassette gedreht, sondern semi-professionell produziert (vgl. Meyer 2011), handelt es sich dabei doch um ein B-Movie, das sich seinem Charakter als solches stets bewusst ist, gar keinen Blockbuster-, sondern Kultstatus innerhalb seiner Subkultur erlangen will und die von Kendrick beschriebene Gore-Ästhetik als Mittel einer exzessiven Selbst- und Genrereflexivität betreibt.

Exzess als Ausschöpfen des filmischen Bedeutungspotenzials

Dieses exzessive Strukturprinzip, das vielleicht als spezifisch für die Nachfolger des klassischen Exploitation-Kinos angesehen werden kann, wird von Kristin Thompson aus neo-formalistischer Perspektive konzeptualisiert und typologisiert. Formen des Exzesses lassen sich in TTA nämlich nicht nur auf intertextueller und intermedialer Ebene als Figuren einer Genre- oder Medienreflexivität identifizieren, sie können auch in einem anderen Sinne als strukturprägendes Element für die Ästhetik von Kaufmans Film verstanden werden. In ihrer Konzeptualisierung des cinematic excess beschreibt Kristin Thompson den Film

as a struggle of opposing forces. Some of these forces strive to unify the work, to hold it together sufficiently that we may perceive and ‚follow‘ its structures. Outside of any such structures lie those aspects of the work which are not contained by its unifying forces — the ‚excess‘. (ebd.: 54)

Thompson definiert den filmisch inszenierten Exzess damit als ein Ergebnis des Konflikts zwischen der Materialität eines Films und seinen vereinigenden (narrativen) Elementen. Vor allem Hollywood-Filme der klassischen Periode tendieren dazu, diese Elemente zu minimieren. Exzess setze sich, wie der Stil eines Werkes auch, aus den materiellen Aspekten des Films zusammen, die dabei allerdings kein spezifisches Muster bilden, das als charakteristisch (stilbildend) für ein bestimmtes Werk ausgewiesen werden könnte.

[…] [T]o try and find a narrative significance in every detail, or at least they must realize that a narrative function does not exhaust the material presence of that detail. Our conclusion must be that, just as every film contains a struggle of unifying and disunifying structures, so every stylistic element may serve at once to contribute to the narrative and to distract our perception from it. Excess is not only counternarrative; it is also counter-unity. (ebd.: 57)

Gekoppelt an das im russischen Formalismus verwurzelte Konzept der narrativen Motivation entwickelt Thompson eine kleine Typologie des Exzesses bzw. Figurationen, in denen das filmische Material seine narrative Motivation überschreiten kann. Damit soll eine tiefergehende Beschreibung des Exzesses in Filmen ermöglicht werden:

1.) Das Narrativ motiviert zwar das Vorhandensein eines Elements auf der Discoursebene, aber nicht seine spezifische Form.

2.) Da es sich beim Film um ein zeitliches Medium handelt, eine Motivation auf der Handlungsebene aber keine Auskunft darüber gibt, wie lange ein bestimmtes Element auf dem Bildschirm gezeigt werden, kann der Exzess-Effekt auch durch die Dauer erreicht werden.

3.) Das Vorkommen mehrerer Elemente auf der Discoursebene und ihre mehrfache Konnotation wird durch dasselbe Handlungsmotiv begründet. 

4.) Der Exzess-Effekt kann durch Wiederholung eines Elements entstehen (vgl. ebd.: 58-59).

In TTA kommen alle vier von Thompson beschriebenen Formen filmisch inszenierten Exzesses zur Anwendung. Bezüglich des formalen Exzesses von Bildelementen sollte nochmals auf die bereits erwähnte Gore-Ästhetik von TTA verwiesen werden, die in ihrer extremen Grausamkeit nicht durch die Handlung motiviert ist. Als besonders eindringliche lässt sich hier jene Szene anführen, in der Skippie (der Junge auf dem Fahrrad) von Bozo, Julie, Wanda und Slug gleich zweimal überfahren wird und die Kamera zeigt, wie der Kopf des Jungen platzt. Damit bleibt diese formale Figuration des Exzesses aber nicht ohne Bedeutung, sondern verweist auf die extratextuellen Faktoren einer cineastischen Produktions- und Rezeptionskultur, wie sie von Distelmeyer für das Kino der Oberflächen, von Schaefer für das klassische Exploitation-Kino oder durch Kendrick für den Slasher- und Splatter-Film beschrieben wird und historisch in einer Kultur des filmisch inszenierten Spektakels wurzelt.

Auch Beispiele für Exzesse der Dauer lassen sich zahlreich anführen, es soll hier aber der Hinweis auf das auffällige Nicht-Zeigen von Melvins/Toxies Gesicht nach dessen Verwandlung genügen. Dieses Wechselspiel der audiovisuellen Erzählinstanz zwischen interner und externer Okularisierung dominiert für eine halbe Stunde des Films (0:21:21–0:51:29) alle Szenen mit Toxie. Dennoch, auch dieses Element bleibt nicht vollends unmotiviert, schließlich scheint die Verwendung des beschriebenen Mittels nicht nur in einer Strategie der Erzählinstanz begründet zu sein, sondern ebenso und wie weiter oben beschrieben als Reminiszenz auf den klassischen Horrorfilm funktionalisiert zu sein.

Exzess-Elemente der mehrfachen Konnotation lassen sich anhand der Häufung und Ausgestaltung der diversen Prügelszenen des Films verdeutlichen, für die hier beispielhaft jene im Fast-Food-Restaurant The Mexican Place angeführt werden sollen. Für einen Exzess-Effekt durch Wiederholung lässt sich die Figur der sich drehenden Zeitung, die sog. spinning paper trope, anführen, die im Film mehrmals zum Einsatz kommt und mal mehr, mal weniger witzige Überschriften präsentiert und schließlich noch einmal in der Assoziationsmontage gegen Ende des Films wiederholt wird, somit aber kaum noch narrativen Zwecken dient, sondern vielmehr als Verweis auf den klassischen Film-Noir à la Citizen Kane (USA 1941) zu verstehen ist. Auch das musikalische Monster-Thema, welches bis dato eingesetzt wurde, um das Auftauchen Toxies in der nächsten Einstellung zu signalisieren, zeitigt durch ständige Wiederholung einen Exzess-Effekt; der Song Is This Love? von The Race kommt in jeder ‚intimeren‘ Szene zwischen Sara und Toxie vor, wird so aber im Laufe des Films auch zum Mittel der Selbstreferenz.

Thompson plädiert letztlich für eine intensivere Analyse von Exzess-Elementen, da sie die spezifischen Möglichkeiten des filmischen Zeichensystems eröffnen und damit ein in vielen Analysen ungenutztes Bedeutungspotenzial freilegen könnten:

We are always guided by our knowledge and cultural tradition. But a perception of a film which includes its excess implies an awareness of the structures (including conventions) at work in the film, since excess is precisely those elements which escape unifying impulses. Such an approach to viewing films can allow us to look further into a film, renewing its ability to intrigue us by its strangeness (ebd.: 63).

Ausblick: Filmischer Exzess als tragendes Konzept?

Aus der Analyse von TTA sollte deutlich geworden sein, dass sich das Exzess-Konzept Thompsons als ein produktives und tragendes für die filmwissenschaftliche Analyse erweisen kann, sofern es durch genretheoretische Überlegungen ergänzt wird. Für die weitergehende produktions- und rezeptionsästhetische Theoretisierung des Exploitation-Kinos nach 1959 oder gar seine Konturierung als eigenständiges Film-Genre scheint es sogar unerlässlich, da es sich hier um ein äußerst heterogenes kulturelles Feld handelt, dessen filmische Artefakte auch anderen filmgeschichtlichen Strömungen, Genres und den damit verbundenen Ästhetiken zugewiesen werden können. Das macht die Suche nach ästhetischen, diskursiven oder narrativen Strukturprinzipien, die Thompsons Konzept ergänzen könnten, umso dringlicher und formuliert letztlich ein Desiderat der filmwissenschaftlichen Forschung.

Der hier vorgeschlagenen Kopplung von Genretheorie mit Thompsons Exzess-Konzept folgend, könnte sich eine weiterführende Analyse zu TTA aber auch an der Frage orientieren, ob es sich bei dem Film im Sinne Leslie Fiedlers nicht um einen gap closer zwischen Hoch- und Populärkultur handeln könnte (Fiedler 1969). Eher rezeptionsästhetisch und interdisziplinär perspektivierte Studien sollten auf Grundlage von kognitionswissenschaftlichen Studien, wie sie bspw. McCauly (1998) vorgelegt hat, zudem die Bedeutung von Fiktionssignalen berücksichtigen, welche eine weiterreichende Erklärung für den komödiantischen Effekt der in The Toxic Avenger gezeigten Gewalt liefern könnten, der sich nicht allein durch die  weiter oben beschriebene Inkongruenz-Theorie Carrols fassen lässt.

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1   Thompsons neo-formalistische Definition versteht den filmischen Exzess mit Rückgriff auf Roland Barthes und Steven Heath als vom „filmic system“ selbst aufgebautes „counternarrative“. Gemeint sind damit Einstellungen oder Szenen, die nicht dem Fortgang der Handlung oder dem Aufbau der Diegese zu dienen scheinen, sondern die Materialität der gezeigten Elemente betonen: „[E]xcess arises from the conflict between the materiality of a film and the unifying structures within it.“ Damit weist der Begriff durch seine Betonung „of the material apsects oft the film“ zwar eine formale Nähe zum Konzept des ‚filmischen Stils‘ auf, doch für Thompson unterscheiden sich beide Begriffe in einem entscheidenden Punkt:„Style is the use of repeated techniques which become characteristic of the work“. Während unter dem Stil eines Films also ein spezisches Muster zu verstehen ist, formt der filmische Exzess „no specific patterns which we could say are characteristic of the work“ (ebd.: 55, Herv. i. O.).

2   Es sollte an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass das von Mitch Cohen verkörperte Monster erst nachträglich „Toxic Avenger“ bzw. „Toxie“ getauft wurde, darauf verweist eine Einstellung im Film, in der Kinder T-Shirts mit der Aufschrift „I love the monster hero“ tragen. Der Film sollte erst unter dem Titel The Health Club Horror veröffentlicht werden.

3   „Mein süßer kleiner Melvin – jetzt ist er wohl doch noch in die Pubertät gekommen“ (0:21:21).

4   Dessen Sehgewohnheiten zudem nicht mehr länger nur durch Film und Fernsehen habitualisiert scheinen, sondern ebenso durch Video- und Computerspiele. Womit das media savvy audience der 80er bereits durch die „Bilderfahrung der neuen Medien“ beeinflusst scheint und die „Leinwand“ sozusagen zusehends zum „Monitor“ permutiert, „zur flachen Oberfläche, auf der dank digitaler Kodierung oder Video-Überblendung eine beliebige Anzahl von Elementen gleichzeitig abgerufen werden kann“ (Elsaesser 1998: 98).

5   Zur arbiträr-quantitativen Einteilung in klassische und nicht-klassische Genres s. Kuhn u.a. 2013:  24–26.


Literarische Texte

Villeneuve, Gabrielle-Suzanne: Die Schöne und das Biest. Übers. v. Sonja Häußler. Münster

Filme & Serien

Abbott und Costello Meet Frankenstein (Abbott und Costello treffen Frankenstein, USA 1948, Charles T. Barton).

Blood Feast (USA 1963, Herschell Gordon Lewis).

Citizen Kane (USA 1941, Orson Welles).

Friday the 13th (Freitag der 13, USA 1980, Sean S. Cunningham).

Halloween (Halloween – Die Nacht des Grauens, USA 1978, John Carpenter).

Nightmare on Elm Street (Nightmare – Mörderische Träume, USA 1984, Wes Craven).

Teenage Mutant Ninja Turtles, (USA/J 1987-1996, Div.)

The Incredible Hulk (Der unglaubliche Hulk, USA 1978-1982, Div.)

The Toxic Avenger (Atomic Hero, USA 1984/1986, LIyod Kaufman, Michael Herz).

Forschungsliteratur

Carroll, Noël (1999): „Horror and Humor“. In: The Journal of Aesthetics and Art Criticism, Vol. 57, No. 2, S. 145–160.

Distelmeyer, Jan (2006): „‚… unterwegs zur Abteilung Spieltheorie‘ Überlegungen zum Verhältnis zwischen Videospiel und dem populären Kino“. In: Britta Neitzel u. Rolf F. Nohr (Hg.): Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion. Zur Teilhabe an den Medien von Kunst bis Computerspiel. Marburg, S. 187-207.

Elsaesser, Thomas (1998): „Augenweide am Auge des Maelstroms? – Francis Ford Coppola inszeniert Bram Stoker’s Dracula als den ewig Jungen Mythos Hollywood“. In: ders. u. a. (Hg.): Die Filmgespenster der Postmoderne. Frankfurt a.M., S. 98.

Fiedler, Leslie A. (1969): „Cross the Border – Close the Gap“. In: Playboy (Dez. 1969), S. 151, 230, 252–254, 256–258.

Gunning, Tom (1989): „An Aesthetic of Astonishment: Early film and the (In)credulous Spectator“. In: Art & Text 34 (Frühling 1989), S. 31–45.

Hallenbeck, Bruce G. (2008): Comedy-Horror Films: A Chronological History, 1914-2008. McFarland.

Hettich, Katja (2014): „Reflexivität und Genrereflexivität im Film“. In: Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung 6, S. 48–67.

http://www.rabbiteye.de/2014/6/hettich_genrereflexivitaet.pdf (18.03.2018)

Kendrick, James (2014): „Slasher Films an Gore in the 1980s“. In: Harry M. Benshoff (Hg.): A Companion to the Horror Film, Malden/ Oxfort, S. 310-328.

Kuhn, Markus u. a. (2013): „Genretheorien und Genrekonzepte“. In: Markus Kuhn u. a. (Hg.): Filmwissenschaftliche Genreanalyse. Eine Einführung. Berlin, S. 1–36.

Meyers, Heinz-Herrmann (2011): „Troma“. In: Lexikon der Filmbegriffe.  http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=6268  (23.01.2018).

McCauly, Clark (1998): When Screen Violence Is Not Attractive. In: Jeffrey Goldstein (Hg.): Why We Watch. The Attraction of Violent Entertainment. New York/ Oxfort, S. 144–162.

Schaefer, Eric (1999): “Bold! Daring! Schocking! True!” A History of Exploitation Films, 1919-1959. Duke.

Thompson, Kristin (1977): „The Concept of Cinematic Excess“. In: Cine-Tracts. A Journal of Film, Communications. Culture, and Politics, Vol. I, No. 2, S. 54–64.