DER BUCKLIGE VON SOHO: (K)Ein Fall für das Grindhouse?

Elena Katharina Göbel, Sina Weiß

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Genrekonstitutives Spiel mit Grenzüberschreitungen

„[E]in Dutzend Leichen, knallbunte Kulissen“, „Grusel-/Gewalteinlagen“ und „Frauen satt“ (Kramp 2004: 66–68). Äußerungen wie diese dienten zur Beschreibung des Films Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer), der dem Genre des deutschen Kriminalfilms zugeschrieben wird. Doch die Beschreibungen weisen bereits auf eine abweichende Ausgestaltung des Genres hin, welche vom Publikum durchaus kontrovers aufgenommen wurde. Betrachtet man darüber hinaus die Plakate, mit denen Der Bucklige von Soho beworben wurde, lässt sich eine Nähe zum Exploitationfilm erkennen, die bewusst erzeugt wurde. Vor diesem Hintergrund wird gefragt, inwiefern sich der Film (genre-)typischer Elemente bedient, sich eventuell gar als Exploitationfilm deklarieren lässt, und in welchen Aspekten er vom Exploitation-Genre zu unterschieden ist.

Der Bucklige von Soho erschien 1966 als 26. Film der Edgar-Wallace-Filmreihe und erster Farbfilm der Reihe. Unter der Regie von Alfred Vohrer und der Produktion von Constantin- und Rialto-Film basierte er nicht, wie die meisten Filme der Reihe, auf einem der Kriminalromane von Wallace, sondern entstand ohne eine entsprechende Vorlage. Wallace-Elementen im Sinne des Wallace-Labels, um den Wiedererkennungswert bei den Rezipient*innen zu wahren. So entsprach bereits der Filmtitel dem bisherigen Schema, da er einen expliziten Hinweis auf den Haupttäter und auf den Handlungs- bzw. Herkunftsort liefert (vgl. Der Fälscher von London, BRD 1961, Harald Reinl). Im Vorspann von Der Bucklige von Soho werden durch die Begrüßungsformel „Hallo, hier spricht Edgar Wallace“ (0:00:55) bei den Zuschauenden eindeutige Assoziationen geweckt. Die Aussage fungiert als Versprechen, an die Filme der Erfolgsreihe anzuknüpfen. Auch auf Handlungs- und Figurenebene werden Topoi der Wallace-Reihe bedient: Die Handlung zentriert sich um einen visuell entstellten Haupttäter – hier den buckligen Würger. Der Plot entwickelt eine Erzählung um die für Wallace typischen Themen Erbschleicherei und Mädchenhandel. Die meisten der Schauspieler*innen besetzten bereits in vorangegangenen Filmen ähnliche Rollen, wie z. B. Günther Stoll (als Inspektor Hopkins), Siegfried Schürenberg (als Sir John) u.a.m.

All diese Elemente, bei denen die Serialität der Reihe genutzt wurde, um durch Wiederholung äquivalenter Motivaktualisierungen Topoi auszubilden (vgl. Lück 2015: 299), wurden synthetisch ins Genre des Kriminalfilms integriert. Der Kriminalfilm handelt stets von der Überschreitung gesellschaftlich gegebener Normen und der Verfolgung bzw. Ahndung des Gesetzesbruchs (vgl. Hickethier 2005: 11).

Weil das Genre von Grenzsituationen der Menschen handelt, greift es immer wieder gestalterische Formen am Rande des Konventionellen auf, mit denen sich diese existentiellen Grenzüberschreitungen filmisch formulieren. (Ebd.: 37)

Zwar können in jedem Filmgenre topografische wie semantische Grenzen überschritten werden, doch der Kriminalfilm verhandelt hauptsächlich Grenzen auf Ebene gesellschaftlicher Norm- und Moralvorstellungen, wobei die Grenzen der filmischen Diegese auch für die Wirklichkeitserfahrung der Rezipient*innen relevante Grenzen bedeuten. In Der Bucklige von Soho finden sich unkonventionelle bis umstrittene Aspekte bspw. in Hinblick auf die zahlreichen, hübschen, leicht bekleideten Frauen in den Mädchenpensionaten, wobei bereits das Zeigen von Bordellszenen zur Zeit der Erstausstrahlung einen Tabubruch darstellte.

Der Kamera wird im Kriminalfilm außerdem eine wichtige Aufgabe zuteil. Sie lenkt den Blick der Zuschauenden auf ausgewählte Details im Krimi, in welchem zielführend der Frage Whodunit? nachgegangen wird (vgl. ebd.: 31). In Bezug auf die Produktionsästhetik wird in Der Bucklige von Soho im Vergleich zu Sei donne per l'assassino (Blutige Seide, IT 1964), einem Kriminalfilm aus dem Jahre 1964, größeren Wert auf filmsemiotische Elemente und Schauspielleistung gelegt. Während die Handlung von Der Bucklige von Soho als zu verworren beschrieben werden kann, fällt Blutige Seide durch einen simplen Plot, laienhafte Schauspielleistungen in Kombination mit oberflächlichen Dialogen auf.

Versuch der Revitalisierung, Persiflage oder Ausbeutung tabuisierter Themen im Stile des Exploitationfilms?

Durch die Titelgebung, das Insert und den auditiven Zusatz zu Beginn von Der Bucklige von Soho wird die Rezeptionshaltung bereits dahingehend beeinflusst, dass die Zuschauer*innen aufgrund ihres Vorwissens die symptomatischen Inhalte, Motive oder Erzähltechniken der Edgar Wallace-Romane bzw. -Verfilmungen antizipieren. Während Alfred Vohrer u. a. auch ein sehr gängiges Narrativ liefert, differiert der Film auf Ebene der histoire insofern von seinen Vorgängern, als dass die Anzahl der Morde höher ist und dass zusammenhängend mit dem Aufgreifen des tabuisierten Themas Prostitution die Zurschaustellung weiblicher Nacktheit in dem Film verhältnismäßig hoch ist. Im Lexikon des internationalen Films wird er dementsprechend als ein mit „Grusel- und Sexeinlagen aufbereiteter Krimi, sehr frei nach Edgar Wallace“ beschrieben, das prisma spricht gar von einer „Krimi-Kolportage“.

Auf Ebene des discours lässt sich analog feststellen, dass Der Bucklige von Soho zwar mit dem Vorenthalten von Informationen und einer überraschenden Auflösung des Falls als final twist charakteristische Erzähltechniken des Kriminalfilms nutzt, die Narration durch die zusätzlich hohe Anzahl der Verdächtigen, die teils miteinander, teils gegeneinander arbeiten, jedoch komplexer gestaltet ist als die meisten seiner Vorläufer. Obschon der Großteil der Handlung im Film kausal motiviert erscheint, könnte das Ende der Eingangsszene, bei dem konstant näher an den Mund des weiblichen Opfers gezoomt wird und der Vorspann einsetzt hingegen mit Kristin Thompson als ‚filmischer Exzess‘ deklariert werden. Die Aufmerksamkeit der Rezipient*innen wird dadurch auf die Form des Films gelenkt (vgl. Thompson 1977: 55). Während dieses Phänomen in Der Bucklige von Soho nur punktuell zu finden ist, lassen sich in einigen Exploitationfilmen längere solcher Episoden herausstellen

Fraglich ist, ob durch diese Abweichungen von den vorausgegangenen Edgar-Wallace-Filmen primär eine Revitalisierung des Genres bezweckt wurde, da dieses bis dato durch die vielfache Wiederholung bereits abgegriffen war, ob die Überspitzung der zugrungeliegenden Formen im Sinne einer Persiflage zu verstehen ist oder, ob die Themen Tod, Prostitution und Nacktheit hier im Stile des Exploitationfilms aus einem kommerziellem Interesse heraus ‚ausgebeutet’ werden sollten.1

Eine adäquate Lesart für den Film könnte auch der Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler liefern, welcher innerhalb der Kunst und Literatur das folgende postmoderne Phänomen beschreibt:

There is no doubt in the minds of most writers whom the young especially prize at the moment that their essential task is to destroy just such distinctions [between high and low art] and discriminations once and for all – by parody or exaggeration or grotesque emulation of the classic past, as well as by the adaptation and camping of pop forms. (Fiedler 1972: 255)

Gleichzeitig würde durch eine solche Position, welche sich gegen die Differenzierung zwischen low art und high art sperrt, die Frage danach, ob der Film eher zum Exploitationfilm ins grindhouse zu verorten wäre, auf gewisse Weise obsolet.

Zwischen Subversion und Perpetuierung stereotyper Geschlechterkonzepte und des male gaze

Männer in den Rollen des Ermittlers, des (Scotland Yard-)Chefs, des Arztes und des Rechtsanwalts – Frauen in den Rollen der Ehefrau, der Sekretärin und des Opfers. Angelehnt an die Edgar-Wallace-Romane finden sich in Der Bucklige von Soho nahezu durchgehend geschlechtsstereotype Rollenmuster wieder. Während die Handlungsträger im Film zumeist männliche Figuren sind (hier wäre vor allem der Ermittler Inspektor Hopkins zu nennen), sind die weiblichen Figuren entweder Opfer, die in der Regel auf die Hilfe von Männern angewiesen sind, oder Gehilfinnen bei der Realisierung der von Männern geplanten Straftat. Versuche des eigenmächtigen Handelns wie bei den Ausbruchsversuchen aus dem Heim oder im Falle der Sekretärin Emily scheitern. Die vielleicht einzige Frauenfigur, die den Zuschauenden in einer nicht-stereotypen Rolle begegnet – Sergeant Morgan – disqualifiziert sich für ebendiese mit ihrem zweiten und letzten Gesprächsbeitrag selbst („Hier ist ein süßer, kleiner Mord passiert“ [1:03:08]). Ist das Verhalten an dieser Stelle vielleicht schon derart überzeichnet, dass es das Klischee nicht mehr bedient, sondern es der Lächerlichkeit preisgibt?

Eine Abweichung von dem eher traditionell gehaltenen Figureninventar bildet außerdem die Oberin aufgrund ihrer (vermeintlichen) Homosexualität. Während es zwar als progressiv angesehen werden könnte, dass Homosexuelle in Der Bucklige von Soho somit filmisch repräsentiert werden, wird die Figur der Oberin durch Äußerungen wie: „Welche Neigung wollen Sie mit ihrer Brutalität verdrängen?“ (0:14:14) eindeutig abgewertet und als ‚abnorm‘ isoliert. Damit steht sie nämlich im Kontrast zu den übrigen Frauenfiguren des Films, die in der Figurenrede durchgehend als sehr attraktiv betitelt, und zu den Mädchen des Pensionats, die als „gefallene Engel“ (0:31:44) bezeichnet werden. Zudem scheint die Homosexualität der Oberin eine Legitimation für Szenen zu sein, in denen junge, leicht bekleidete Frauen sexuell objektiviert werden (0:14:14–0:14:28). Während vermutet werden könnte, dass hierdurch die Etablierung eines female gaze (auf den weiblichen Körper) intendiert werden könnte, spricht die filmische Umsetzung dagegen, da zum Beispiel keine POV-Shots genutzt werden. Die (sexuelle) Objektivierung der jüngeren Frauen zeigt sich auch in dem Verhalten des Scotland Yard-Chefs Sir John. Allerdings scheint sein Verhalten durch die extreme Überspitzung im Film eher als Element der Komik zu dienen, das durch Wiederholung quasi zum running gag wird.2 Trotzdem ist dieser Spaß vor dem Hintergrund der übrigen Filmhandlung nicht als humoristische Distanzierung vom male gaze zu sehen, denn zu diesem wird keine Alternative angeboten.

Es bleibt zu konstatieren, dass der Film der (männlichen) Lust am Schauen und der (weiblichen) Zurschaustellung einen Raum bietet. Die weibliche Schönheit wird sowohl in Der Bucklige von Soho als auch in Blutige Seide kontinuierlich thematisiert. In beiden Filmen wird dem Publikum ein Cast präsentiert, das aus vielen jungen Frauen besteht, die nicht selten leicht bekleidet zu sehen sind, sowie Settings (ein Mädchenpensionat und eine Modelagentur), welche dies legitimieren. Auffällig ist, dass die semantische Eigenschaft ‚weibliche Schönheit‘ an die Seme ‚Gefahr‘ bzw. ‚Bedrohung‘ gekoppelt wird, sodass ein gemeinsamer semantischer Raum etabliert wird. In Der Bucklige von Soho geschieht dies beispielsweise dadurch, dass über die Mädchen des Heims, welche auch bis auf einzelne Ausnahmen vorbestraft sind, ausgesagt wird, der Teufel habe ausgerechnet die weniger Frommen unter ihnen „besonders anziehend und wohlgestaltet gemacht“ (0:17:33–0:17:39). Auch werden die attraktivsten Frauen z. T. gezwungen, im Bordell Mekka zu arbeiten, was für viele tödlich endet. In Blutige Seide wird hingegen vermutet, dass die weibliche Schönheit den Mörder bei seiner Tat antrieb.

Insofern perpetuieren die Filme stereotype Geschlechterkonzepte, obschon im Falle von Der Bucklige von Soho auch Elemente zu finden sind, die als subversiv angesehen werden können. Die häufige Nutzung des Stilelements der Übertreibung legt hier eine Deutung als Persiflage nahe. 

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1   Laut Eric Schaefer zeichnet klassische Exploitationfilme u.a. die Verhandlung solcher und ähnlicher ‚verbotener‘ Themen sowie die billige Produktionsweise aus (vgl. Schaefer 1999: 4).

2   Etwa Kommentare wie „Oh, wie schade“, auf die Äußerung der Oberin, dass die Mädchen bereits vor 20 Minuten geduscht hätten (Der Bucklige von Soho: 0:32:22-0:32:31).


Filme

Der Bucklige von Soho (BRD 1966, Alfred Vohrer).

Der Fälscher von London (BRD 1961, Harald Reinl).

Night of the Living Dead (Die Nacht der lebenden Toten, USA 1968, George A. Romero).

Sei donne per l’assassino (Blutige Seide, I/F/BRD 1964, Mario Bava).

Forschungsliteratur

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in DER WIXXER“. In: KODIKAS/Code. Ars Semeiotica 30, H. 1–2: Themenheft Erzählstile in Literatur und Film, hrsg. v. Jan-Oliver Decker, S. 137–152.

Carter, David Ray (2010): „It’s Only a Movie? Reality as Transgression in Exploitation Cinema“. In: From the Arthouse to the Grindhouse. Lanham, Md., S. 297–315.

Fiedler, Leslie A. (1969): „Cross the Border – Close the Gap“. In: Playboy (Dez. 1969), S. 151, 230, 252–254, 256–258.

Hickethier, Knut (2005): Filmgenres. Stuttgart.

Kramp, Joachim u. Jürgen Wehnert (2004): Das Edgar Wallace Lexikon. Leben, Werk, Filme. Berlin.

Lexikon des internationalen Films: Der Bucklige von Soho. https://www.filmdienst.de/film/details/26890/der-bucklige-von-soho (25.05.2023).

Lück, Michael (2015): „Exorzismus der inneren Stimme. Mediengeschichtliches zur Edgar-Wallace-Kinoreihe der 60er Jahre“. In: Thomas Morsch (Hg.): Genre und Serie. Paderborn, S. 293–315.

Schaefer, Eric (1999): „Bold! Daring! Shocking! True!“ A History of Exploitation Films, 1919–1959. Durham, NC.

Thompson, Kristin (1977): „The Concept of Cinematic Excess“. In: Cine-Tracts 1, H. 2, S. 54–63.

N. N. (o. J.): „Kriminalfilm. Der Bucklige von Soho“, prisma.de. https://www.prisma.de/filme/Der-Bucklige-von-Soho,230574 (15.01.2018).