Vorwort

Andreas Blödorn, Johannes Ueberfeldt

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Das vorliegende Paradigma-Heft geht auf das Seminar ‚Exploitation-Kino‘ zurück, das im Wintersemester 2017/18 am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattgefunden hat. Im Rahmen des Masterstudiengangs Kulturpoetik der Literatur und Medien kam im Anschluss an eine studentische Exkursion zu den Internationalen Filmfestspielen (der Berlinale) 2017 die Idee auf, sich mit solchen populären Low-Budget-Produktionen zu beschäftigen, die international häufig als exploitation oder grindhouse movies bezeichnet werden. Denn diese Filme, die über ihre überdurchschnittlich häufige und betont exzesshafte Darstellung von Sex und Gewalt definiert werden und aufgrund ihrer niedrigen Qualitätsstandards häufig den Trash-Filmen zugerechnet werden, kennzeichnet – so die formulierte These und Seminaridee – oftmals eine Subversion klassischer Genre-Muster, gesellschaftlicher Standards und Heldentypologien.

Der Glaube, dass es die alleinige Faszination des trashs ist, die die Exploitationfilme so reizvoll erscheinen lässt, greift allein deshalb zu kurz, weil sich durch die Möglichkeit billiger Produktionen marginalisierte Gruppen vor und hinter der Kamera versuchten: So kann Blaxploitation (das schwarze Exploitation-Kino) etwa als narratives empowerment verstanden werden, führte es doch zur Popularisierung von schwarzen Schauspielern, Erzählungen und nicht zuletzt einer alternativen Populärkultur. Schon lange vor den zuletzt vielbesprochenen Black Panther-Filmen1 wurden Filme mit schwarzem Cast von einem schwarzen Regisseur realisiert. Ähnlich steht es um die Repräsentation von (‚starken‘) Frauenfiguren im Kino. Mehr als eine Dekade vor dem häufig zitierten Klassiker Alien (Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt; GB/USA 1979, Ridley Scott) avancierten Frauen zu Action-Stars in Filmen wie Faster, Pussycat! Kill! Kill! (Die Satansweiber von Tittfield, USA 1965, Russ Meyer), Coffy (Coffy – Die Raubkatze, USA 1973, Jack Hill) oder The Last House on the Left (Mondo brutale; USA 1972, Wes Craven).

Allerdings sollten Reflexionen über den Begriff ‚exploitation‘ selbst erahnen lassen, dass es Regisseuren und Produktionsfirmen nicht ausschließlich um eine Demokratisierung der Kinolandschaft ging, sondern oftmals um das schnelle Geld.2 Gesellschaftlich führten die untypischen Produktionsbedingungen, die progressiv-anmutenden Besetzungsentscheidungen, der plakative Stil der Film und die entsprechende Vermarktung dieser zu einer ambivalenten Rezeption. Auf der einen Seite stürmten im Falle des Blaxploitation-Kinos schwarze Amerikaner begeistert die Kinos, um das ‚neue schwarze Kino‘ zu feiern, das weder moralisierend noch ernsthaft politisch in Erscheinung trat, sondern als Action-Spektakel in Form eines Sweet Sweetback's Baadasssss Song (USA 1971, Melvin Van Peebles) den Nerv einer jungen Generation traf. Auf der anderen Seite sahen besorgte (Afro-)Amerikaner ein Problem in der stereotypen Darstellung schwarzer Kultur als Sumpf des Verbrechens, Drogenhandels und der Zuhälterei. Gleiches gilt für die Inszenierung von Frauen im Exploitation-Kino zwischen Stärke und Sexualisierung. Denn ‚exploited‘ wurde alles, was reißerisch und finanziell aussichtsreich war – und so mehrten sich die Sub-Genres: Blaxploitation, Sexploitation, Nunsploitation, Naziploitation, Carsploitation, etc.

Spätestens seit dem Siegeszug des postmodernen Pastiche-Kinos Quentin Tarantinos, der sich thematisch und stilistisch so bevorzugt wie umfangreich bei B-Movies der 1970er- und 1980er-Jahre bedient, ist das Trash-Archiv des Exploitation-Kinos als thematische Inspirationsquelle, politisches Zeitdokument und ästhetisches Verfahren wieder in den Blick einer interessierten Öffentlichkeit gerückt worden. Obwohl im amerikanischen Raum mittlerweile einige Aufsätze und Sammelbände zum Grindhouse Cinema und Exploitationfilm erschienen sind und sich auch die internationale Kunst- und Kinoszene vermehrt für den subversiven ‚Schund‘ zu interessieren scheint, stellt der Exploitationfilm innerhalb der deutschen film- und kulturwissenschaftlichen Forschung jedoch weiterhin ein erhebliches Forschungsdesiderat dar.

Angesichts dessen versuchen die Beiträge dieses Heftes einen ersten Grundstein zu legen, weshalb weder alle Formen und Subkategorien des Exploitationkinos abgebildet werden noch systematisch das heterogene Phänomen an sich definiert wird, sondern vielmehr, in Einzelanalysen oder Genre-Skizzen überblicksartig verschiedene Filme auf Exploitation-Elemente untersucht werden, mit dem Ziel ihre Ästhetik und Semantik herauszuarbeiten. Dabei werden sowohl bekannte Klassiker wie etwa der bereits erwähnte Faster, Pussycat! Kill! Kill! (Die Satansweiber von Tittfield, US 1965, Russ Meyer) oder Foxy Brown (USA 1974, Jack Hill) untersucht, als auch Peripheriephänomene wie Vampyros Lesbos (Vampyros Lesbos: Die Erbin des Dracula, D/S 1971, Jesús Franco), Suspiria (Suspiria: In den Krallen des Bösen, I 1977, Dario Argento), Der Bucklige von Soho (D 1966, Alfred Vohrer), Ken Park (USA/N/F 2002, Larry Clark) oder ‚Troma-Trash‘ wie The Toxic Avenger (Atomic Hero, USA 1984, Michael Herz, Lloyd Kaufman).

Aus der Seminararbeit und der Konzeption dieses Heftes ist eine thematisch vielschichtige Auseinandersetzung mit einem heterogenen Film-Korpus entstanden. Anstelle des Versuchs, den Exploitationfilm als starren Genre-Begriff oder spezifisches, ästhetisches Verfahren zu definieren, wurde ein Überblick über Ästhetik, Semantik und Narrativik einer Filmströmung und -mode angestrebt, der vor allem den Peripheriephänomenen und stilistischen Transgressionen Beachtung schenkt.

Die Herausgeber danken allen Seminarteilnehmer*innen für die anregenden Diskussionen im Seminar und das große Interesse am Gegenstand sowie allen Beiträger*innen für das große Engagement. Insbesondere möchten wir uns beim Redaktionsteam, namentlich Alexandra Schwind, Jasper Stephan, Patrick Zemke, Eve Driehorst und Niklas Lotz ganz herzlich bedanken, ohne deren inhaltliche und organisatorische Arbeit diese Ausgabe nicht hätte erscheinen können.   
 

Andreas Blödorn und Johannes Ueberfeldt

Münster, im April 2023

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1   Black Panther (USA 2018, Ryan Coogler) und Black Panther: Wakanda Forever (USA 2022, Ryan Coogler).

2   Schließlich impliziert der Begriff ‚Ausbeutung‘, ‚Ausnutzung‘ und ‚Verwertung‘ und wurde daher, vor allem in den 70er-Jahren, viel diskutiert. Das politische Geschmäckle (vor allem in Bezug auf die Subgenres ‚Sexploitation‘ und ‚Blaxploitation‘) hinterlässt dennoch bis heute einen fahlen Beigeschmack.