© Bonnie Plitzkat

Manuskript des Tuḥfat al-muḥtaǧ bi-šarḥ al-minhāǧ von Ibn Ḥaǧar al-Haytamī

Objekt des Monats Oktober 2021

Inv.-Nr.:                      Hs. 17
Umfang / Format:    212 Folios / 31,2 cm x 21,3 cm x 5,8 cm
Material:                    Papier, Leder
Stil:                             nasḫī
Illumination:             keine
Datierung:                 ca. 11. - 12. Jahrhundert n. H./ 17.-18. Jahrhundert n. Chr.
Provenienz:               gekauft in Äthiopien von Prof. Dr. Dieter Metzler, Schenkung 2019,
                                     ursprünglich vermutlich im Nahen Osten (mašriq) hergestellt



Das vorliegende Buch ist ein Kommentar zu „Minhāǧ aṭ-ṭālibīn“ (Die Methode für die Lernenden) von an-Nawawī (1233-1277), der vom ägyptischen Rechtsgelehrten und Mufti Ibn Ḥaǧar al-Haytamī (1504-1567) verfasst wurde. Die „Tuḥfat al-muḥtāǧ“ (Das Geschenk für den Bedürftigen) gilt als sein Hauptwerk und zählt zu den wichtigsten Texten der schafiitischen Rechtsschule, die im Nahen Osten verbreitet ist, aber besonders in Ostafrika und Indonesien dominiert. Das Manuskript enthält den ersten von vier Bänden.

Es trägt die Spuren häufigen Gebrauchs: Die Bindung der abgewetzten und in einer an den nasḫī-Duktus angelehnten Gebrauchsschrift beschriebenen Seiten ist nicht im Original erhalten. Die alten Blätter wurden auf Streifen aus neuem Papier geklebt, um sie neu zu binden. Darüber hinaus enthält die Handschrift neu hinzugefügte Textpassagen (S. 25-75, 89-121,169-226) – Das Schriftbild lässt erkennen, dass hier mindestens zwei Kopisten am Werk waren. Die letzte neu eingefügte Passage ist auf Papier geschrieben, das in Europa hergestellt wurde, wie das Wasserzeichen aus drei Halbmonden beweist, dass auch tre lune genannt wird.

Besonders die älteren Blätter des Buchs sind mit zahlreichen Kommentaren am Rand versehen, die ebenfalls auf eine intensive Benutzung hindeuten. Sie sind wie der Haupttext größtenteils in der gleichen Gebrauchsschrift geschrieben, manche jedoch in einem gröberen, typisch äthiopischen Stil. Letztere sind vor allem inhaltliche Ergänzungen der „Tuḥfat al-muḥtāǧ“ sowie weiterführende Fragen. Der äthiopische Stil zeichnet sich durch eine charakteristische lām-alif-Ligatur (siehe Abb. 1) und eine markante kāf-Schreibung (siehe Abb. 2) in einer sonst an den nasḫī-Stil angelehnten Gebrauchsschrift aus. Dieser Stil wurde von Sarah Fani der Stadt Harar im östlichen Äthiopien zugeordnet. Wie ganz Ostafrika ist auch Harar und seine Umgebung schafiitisch geprägt. Es ist aber ebenso möglich, dass die Handschrift aus anderen schafiitischen Gebieten des Nahen Ostens, wie Ägypten oder dem Jemen stammt.

Vor und nach dem Text der „Tuḥfat al-muḥtāǧ“ sind Notizen der unterschiedlichsten Art zu entdecken, die stilistisch fast alle Äthiopien zuzuordnen sind. Dazu zählen Besitzvermerke, knappe lexikographische und geographische Notizen, mehrere Vermerke über die Geburt von Kindern der Familie, die im Besitz des Buches waren, mehrere Notizen und ein Hadith (allerdings ohne die übliche Überlieferungskette, den sogenannten isnād) über die aṣḥāb al-kahf, jene legendären Figuren, die im christlichen Kontext als die Siebenschläfer bekannt sind und deren schützende und segnende Kraft beschrieben wird. Ein weiterer solcher Hadith handelt vom Konsum der Blätter des Kathstrauchs (ar. qāt), einer Volksdroge mit milder anregender Wirkung, die in Äthiopien und dem Süden der Arabischen Halbinsel verbreitet ist. Daneben ist vom Nutzen des vom Buch kommentierten Werks von an-Nawawī zu lesen sowie eine gynäkologische Notiz, Bemerkungen zur islamrechtlichen Regelung der Vererbung von Schulden und ein längerer Text über die Frage, ob takfīr, also das „Für-ungläubig-Erklären“ von Muslim*innen zulässig sein kann. Ein letzter Text gibt ein islamisches Rechtsgutachten, d. h. eine Fatwa, wieder, in der eine landwirtschaftliche Frage beantwortet wird. Ein Bauer erzählt von einer Kuh, die nur dann Milch gibt, wenn er in ihr Geschlechtsteil pustet, und fragt, ob das zulässig sei. Die Antwort, die ihm von einem Gelehrten namens al-Imām al-Muwaffiq li-d-Dīn al-Azraq gibt, erlaubt das, solange der Kuh kein Schaden zugefügt wird.

Diese bunte Mischung verschiedenster Themen und Kommentare zeugt von einer lebhaften Geschichte der Handschrift und gleichzeitig von den verschiedenen Ereignissen, Vorstellungen und alltäglichen Dingen, die ihre Besitzerinnen und Benutzer beschäftigten.

-Johannes Jakob Ruhstorfer



Literatur

  • Crossen, Craig; Procházka, Stephan: The Seven Sleepers and Ancient Constellation Traditions — a Crossover of Arabic Dialectology with the History of Astronomy. IN: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. Festschrift für Hermann Hunger zum 65. Geburtstag. Bd. 97 (2007), S. 79-105.
  • Fani, Sarah: Practices in Arabic Manuscripts from Ethiopia: The ʿAjamization of Scribal Practices in Fuṣḥā and ʿAjamī Manuscripts from Harar. IN: Islamic Africa 8 (2017) S. 144-170.
  • Kandler, Herrmann: Die Bedeutung der Siebenschläfer (Aṣḥāb al-kahf) im Islam. Bochum 1994. Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1993.
  • Trimingham, J. Spencer: Islam in Ethiopia. London, New York, Toront 1952.
Abb. 1
© Johannes Jakob Ruhstorfer
Abb. 2
© Johannes Jakob Ruhstorfer