Abteilung für Westfälische Landesgeschichte am Historischen Seminar

Die landesgeschichtliche Forschung ist am Historischen Seminar der Universität Münster seit 1961 mit einer Professur vertreten, die 1965 zu einer eigenen Abteilung für Westfälische Landesgeschichte ausgebaut wurde. Inhaberin der Professur seit Ende 2021 ist  Carla Meyer-Schlenkrich, ihre Vorgänger waren Werner Freitag (2004-2021), Peter Johanek (1985-2002), Heinz Stoob (1964-1985) sowie Albert K. Hömberg (1961-1963). Neben den traditionellen Schwerpunkten der Abteilung in der mittelalterlichen Geschichte Westfalens widmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Westfalen und anderen Regionen in der Frühen Neuzeit und der Moderne.

Eng verbunden ist die Abteilung mit dem Institut für vergleichende Städtegeschichte, das seit 1970 der europäischen Städteforschung innerhalb des deutschsprachigen Raums einen institutionellen Rahmen bietet. Da Landesgeschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft seit jeher eine Servicefunktion für die außeruniversitäre Öffentlichkeit einnimmt, verbindet die Schnittstelle Geschichte & Beruf an der Abteilung eine landeshistorisch ausgerichtete Public History mit der Berufsorientierung für Studierende.

Westfalen im Video

Die Video-Reihe „Eine kurze Geschichte Westfalens“ auf dem YouTube-Kanal „Westfalen im Film“ des LWL bietet kurze Clips rund um die Geschichte Westfalens von der Urgeschichte bis ins Mittelalter. Aktuell werden die Videos für die Epoche des Spätmittelalters geplant. Als wissenschaftliche Berater*innen fungieren Carla Meyer-Schlenkrich und Jan Keupp. Weitere Informationen und einen Einblick erhalten Sie hier

E-Mailing-Liste zur Westfälischen Geschichte

Ein Austausch über das Thema „Westfälische Geschichte“ erfolgt über die E-Mailing-Liste des LWL. Sie bietet Hinweise auf Veranstaltungen, Projekte und Literatur. Weitere Informationen erhalten Sie hier

Was ist (westfälische) Landesgeschichte? 

Eine Standortbestimmung von W. Freitag 
 
                
Landesgeschichte ist eine Teil­disziplin der Geschichts­wissen­schaft: Profes­suren und Insti­tute für Landes­geschichte finden Sie an vielen großen Univer­sitäten der Bundes­repu­blik. Zwei Beson­derheiten machen Landes­geschichte aus und geben ihr ein eigenstän­diges Profil: Landes­geschichte weist zum einen eine Scharnierfunk­tion auf. Viele der Über­legungen der Geschichts­wissen­schaft werden auf das „Land“ übertragen und münden in wissen­schaft­liche Unter­suchungen ein - damit ist Landes­geschich­te ein höchst aktu­elles An­wendungs­feld der all­gemeinen Geschichte. Aller­dings gehen Landes­histori­kerinnen und -historiker nicht mit dem Rasen­mäher all­gemeiner Heu­ristik vor. Da ihnen „ihr“ Land wohlvertraut ist, wissen sie viel über Spezifika und konturieren ihre Forschungen anders. Aus diesem Grund war und ist es auch gerade die Landes­geschichte, die der „All­gemeinen Ge­schichte“ für einzelne Themen­felder des Mittel­alters und der Frühen Neuzeit neue Inter­pretationen anbieten kann. Mit der Scharnier­funktion verbunden ist die Service­funktion, denn Institu­tionen, Städte und Gemeinden im engen und weiteren Umkreis der Uni­versität suchen die Beratungs- und Forschungs­kompetenz der uni­versi­tären Landes­geschichte.

Zum zweiten ist Landes­geschichte deshalb ein Teil der All­gemeinen Geschichts­wissen­schaft, weil sie ebenso wie andere Diszi­plinen einen Synthese­anspruch aufweist. Dieser findet seine Begründung darin, dass es für die Dar­stellung eines bestimmten flächen- oder raum­mäßigen Gebildes eine „Leit­vor­stellung“, eine Rahmen­erzäh­lung, eine Theorie, gibt, die mit dem Anspruch versehen ist, Wesent­liches im Sinne von Wissens­wertem darzustellen, und die es zudem ermöglicht, andere gesell­schaft­liche oder kul­turelle Wirk­lichkeits­bereiche unter­zuordnen bzw. zuzuordnen. Der zweite Synthese­begriff geht wesent­lich weiter; er umfasst die Kompi­lation verschie­dener Teil­berei­che/Di­mensionen zu einer Gesamt­darstel­lung.

  • Was ist Landesgeschichte?

    Landesgeschichte als Teil der Geschichts­wissen­schaft muss sich mit dem zentralen Problem auseinander setzen, das sich jedem Historiker stellt. Woher nimmt man die allgemeinen Über­legungen, die aus dem unend­lichen Chaos vergangener Vorgänge den Filter wissen­schaftlicher Erfassung abgeben? Damit kommen wir zu den erkennt­nis­leitenden Inter­essen der Landes­geschichte: Landes­geschichte geht von der Prämisse aus, dass sich „Land“ als etwas Indi­vidu­elles, Besonderes nachweisen lässt und - zweitens - dass es gesell­schaft­liche Orien­tierungs­bedürf­nisse und nicht nur Forschungs­defi­zite gibt, die es lohnenswert machen, Landes­geschichts­forschung zu betreiben. Diese „unab­gegoltenen Orien­tierungs­bedürf­nisse“ (Jörn Rüsen) können in Zusam­menhang stehen mit regionalen Identitäten, Heimat­liebe, Bundes­land­bewusst­sein usw.; diese können Produkte von Identitäts­managern, aber auch schon lang gewachsene imaginierte Gemein­schaften sein. Diese Orien­tierungs­bedürf­nisse sind da und fließen in die Heuristik im Sinne von „was ist wissens­wert“ ein, solche Kulturwert­ideen bedürfen aber der kritischen Reflexion; Landes­geschichte ist also nicht vor­ausset­zungslos. Dass gleich­zeitig die Frage­stel­lungen der allgemeinen Geschichte die Heuristik leiten, wird aus dem oben Gesagten schon deutlich geworden sein. Landes­geschichts­forschung geht also von einem forschungsleitenden Gegenstand aus, der „nicht inner­zünf­tisch“ konstituiert ist und dessen Erfor­schung mit dem Anspruch verbunden ist, all­gemeine Aussagen über den Gegen­stand zu treffen.

    Bei der Historischen Methode, jenem seit Droysen wohl­vertrauten Dreischritt von Heuristik, Kritik und Inter­preta­tion, gibt es unter­schiedliche For­schungs­strategien. Zunächst gibt es, wie in der gesamten Geschichts­wissenschaft, analytische und/oder (neo-)herme­neutische Vorgehens­weisen. Über die Heuristik haben wir schon gesprochen. Hier fließen bestimmte Vor­stel­lungen von Land ein: Land im Sinne von spät­mittel­alter­lichem Territorium, früh­neuzeit­lichem Staats­wesen oder neu­zeit­lichem Verwal­tungs­bezirk bis hin zum Bundes­land und seiner Teil­region Westfalen - möglich ist aber auch ein Raum­konzept. Bei der Quellen­kritik gereicht der Landes­geschichte ihre Nähe zum Unter­suchungs­objekt zum Vorteil. Bei der Inter­pretation stellen sich in noch größerem Maße als in der all­gemeinen Geschichte das Auswahl-, das Abwägungs- und das Gewich­tungs­problem: Ein Teil dieser Probleme ist in einem „Glaubensakt“ vom „Land“ (Bundes­land/Ter­ritorium, Dynastie usw.) oder vom „Raum“ her gelöst worden; ein anderer Teil wird beantwortet von den Forschungs­ständen und den Groß­erzäh­lungen der „all­gemeinen“ Geschichts­wissenschaft. Aber: Das Dilemma, wie die beiden Dar­stellungs­felder - besser: das All­gemeine und das Besondere - zu verschränken sind, bleibt!

  • Was ist Westfalen?

    Der Westfalenbegriff, von dem die Westfälische Landes­geschichte auszugehen hat, ist uneinheitlich, ja geradezu schillernd. Heute umfasst er Verwaltungsgrenzen und hat etwas mit Identitäts­regionen zu tun. Er umfasst auch Stereo­typen („stur, treu, heimat- und natur­verbunden“). Diese mental maps und Wesens­züge sind aber nur ein Teil des West­falen­begriffs. Das heutige Westfalen als Wahrnehmungs­region ist im Großen und Ganzen identisch mit dem Westfalen des Bundes­landes, d.h. mit admini­strativen Grenzen (Regierungs­bezirke Arnsberg, Detmold, Münster). Der Land­schafts­verband West­falen-Lip­pe pflegt und konturiert das geschicht­liche und kultu­relle Erbe in diesen Grenzziehungen. Damit knüpft er an die Tradition seines Vorgängers, des Provinzialverbandes der preußischen Provinz West­falen, der im Verbund mit Geschichts­vereinen und Historikern im Bereich der preußischen Provinz Westfalen, d.h. ohne Lippe, im späten 19. Jahrhundert und bis 1945 die west­fälische Identität förderte, aber auch begründete. Wesenszüge des Westfälischen wurden entdeckt, Westfalen als „Fläche“ verstanden, allerdings als „Klein­west­falen“ der preußischen Provinz und unter Einbeziehung Lippes. Parallel dazu wurde „das alte, das große“ Westfalen (wieder) entdeckt, das nicht mit den Provinz­grenzen identisch war; Höhepunkt dieses über die Verwaltungs­grenzen hinaus­gehenden West­falen­begriffs war das Werk „Der Raum West­falen“, der in mehreren Bänden von 1931 an erforscht worden ist (Hermann Aubin, Franz Perti u.a.).

    Das Westfalen des Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit hingegen kann nur ex-post verstanden werden: Ein Westfalen­bewusst­sein war ausschließlich Produkt gebildeter Eliten, das sich auf Wesenszüge und gemeinsame Herkunft eines „Stammes“ bezog. Aber: Weder ein mit Terri­torien angebbares Sprengel noch eine westfälische Dynastie sind nachzuweisen. Auch der seit 1512 bestehende „Nieder­rhei­nisch-Westfälische Reichs­kreis“, ein „Raum der Nebenländer“ (Rudolf Vierhaus) besaß keinerlei Binde­wirkung. Noch ältere Westfalen­begriffe - und damit sind wir bei der Herkunft des Begriffs - verweisen auf das 8. Jahrhundert: Das „erste Westfalen“ (Hermann Aubin) war das Siedlungs­gebiet von Teilen des Sachsen­stammes (Westfalen, Engern, Ostfalen). Im 9. Jahr­hundert wurde dann die Bezeichnung „Westfalen“ auch auf die Gebiete der Engern und teilweise auch der Ostfalen angewandt; unter „Westfalen“ wurde seit dem 11. Jahrhundert die Bevölkerung verstanden, die östlich des Rheins und westlich der Weser lebte.

    Was also ist Westfalen? Es muss von (Untersuchungs-)Fall zu Fall definiert werden, doch der neuzeitliche, enge West­falen­begriff ist, so die Forschungs­strategie der Abteilung für West­fälische Landes­geschichte, in den Mittelpunkt zu stellen.

  • Vergleichende Landesgeschichte

    Die Kür der Landes­geschichte ist der Vergleich! Es geht der Landes­geschichte somit nicht um immer neue Kon­textu­alisie­rung im Detail „dichter“ Landes­beschrei­bung, sondern um den Vergleich von „Landes­geschichten“ und von einzelnen Themen­feldern. Damit ist wie in jeder anderen Disziplin der Geschichts­wissen­schaft die Suche nach Kriterien verbunden; sonst würden ja landes­geschicht­liche Äpfel mit Birnen verglichen werden. Königs­wege sind Typen­bildungen, phäno­menolo­gische Zugriffe und ana­lytische Kri­terien. Beispiele für Themen­felder sind Aspekte fürst­licher Herrschaft, Resi­denzen­forschung, Gewerbe- und Agrar­landschaften, Verwaltung und Büro­krati­sierung, Kon­fessiona­lisie­rung, Stadt­typen, soziale Gruppen. Eine Gesamt­schau von Landes­geschich­ten hingegen ist nur schwer möglich, denn die oben ange­deutete Schnitt­stellen- und Abwägungs­proble­matik stellt sich noch schärfer. Was aber Ertrag verspricht - und sich zudem befruchtend für die gesamte Geschichts­wissen­schaft auswirkt -, das ist das Nach­denken über Metho­dologie und „Kultur­wert­ideen“ der Landesgeschichte. Damit könnten auch die Unter­schiede zur Regio­nalge­schichte stärker akzen­tuiert werden.

  • Literaturhinweise

    Werner Buchholz (Hg.), Landes­geschichte in Deutschland. Be­stands­auf­nahme, Analyse, Perspektiven, Paderborn 1998.

    Werner Freitag, Michael Kißener, Christine Reinle, Sabine Ullmann (Hg.), Handbuch Landesgeschichte, Berlin 2018.

    Carl-Hans Hauptmeyer (Hg.), Landesgeschichte heute, Göttingen 1987.

    Sigrid Hirbodian, Christian Jörg, Sabine Klapp (Hg.), Methoden und Wege der Landesgeschichte (Landesgeschichte 1), Ostfildern 2015.

Nachruf

Dr. Wilfried Ehbrecht verstorben (1941 – 2022)

Das Historische Seminar, die Abteilung für Westfälische Landesgeschichte und das Institut für vergleichende Städtegeschichte Münster trauern um Dr. Wilfried Ehbrecht, der am 30. Januar 2022 im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Geboren in Hildesheim, aufgewachsen in Wilhelmshaven hat er sein außerordentlich produktives Forscherleben vor allem in Münster verbracht. Schon sein Studium der Germanistik absolvierte Wilfried Ehbrecht an der Universität Münster. Seit 1967 war er als Assistent von Prof. Dr. Heinz Stoob, später als Akademischer Rat bzw. Oberrat an der Abteilung für Westfälische Landesgeschichte tätig. Hier wurde er 1969 mit der wegweisenden Studie zu Landesherrschaft und Klosterwesen im ostfriesischen Fivelgo promoviert.

Zusammen mit Heinz Stoob engagierte er sich für den Aufbau des Instituts für vergleichende Städtegeschichte, war zunächst wissenschaftlicher Geschäftsführer und von 1979 bis 1984 Wissenschaftlicher Vorstand des IStG. Hier war er über lange Zeit Kopf und treibende Kraft der Atlasarbeit. Als langjähriger Herausgeber hat er die Atlaswerke maßgeblich geprägt und als Autor selbst neun Atlasblätter verfasst. Darüber hinaus wird er als Mitveranstalter zahlreicher Frühjahrstagungen wie auch des Freitags-Kolloquiums und als Herausgeber von sechs Bänden in der Institutsreihe ‚Städteforschung‘ in Erinnerung bleiben.

Der mittelalterlichen Geschichte Ostfrieslands galt sein Interesse bis heute. Impulse setzte er in der Hansegeschichte und der vergleichenden Städteforschung. Neben Fragen zur Bedeutung der Städte für den Ausbau von Landesherrschaft beschäftigten ihn hier unter anderem auch innerstädtische Konflikte.
Zu seinen großen Verdiensten gehört es, dass er in der Lehre die Studierenden nicht nur für stadt- und landesgeschichtliche Themen begeistern konnte, sondern sie vielfach in seine aktuellen Forschungsprojekte aktiv einband.

Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.