Kritik, Widerspruch, Blasphemie - Anfragen an Christentum und Islam

Vom 4. bis zum 6. März 2016 fand in Stuttgart die Tagung Kritik, Widerspruch, Blasphemie - Anfragen an Christentum und Islam des Theologischen Forums Christentum-Islam in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter der Leitung von Dr. Christian Ströbele statt. Auch in diesem Jahr wirkten Mitarbeiter des ZIT Münster an der Organisation, sowie der inhaltlichen Ausgestaltung des Forums mit.

Unser Kollege Alexander Schmidt beteiligte sich an der Vorbereitung des im unmittelbaren Vorfeld der Tagung stattfindenden Studierenden- und Promovierendenkolloquiums, bei dem in diesem Jahr kritische Positionen zum Thema Sterbehilfe diskutiert wurden. Die Teilnehmenden arbeiteten, zunächst unabhängig von persönlichen Überzeugungen, Argumente für und wider verschiedene Formen der Sterbehilfe heraus. Dabei nahmen sie sowohl auf religiös begründete Kritik an praktizierter Sterbehilfe Bezug, die sich auf das zentrale Argument des Lebens als Geschenk Gottes stützt, als auch auf mögliche befürwortende Argumente zur Sterbehilfe, die im Einzelfall die göttliche Barmherzigkeit im Angesicht des Leids eines Menschen betonen. Dem gegenübergestellt wurden mögliche religionskritische Perspektiven auf die Verbindlichkeit unterschiedlicher theologischer Positionierungen zu ethischen Dilemmata im Bereich der Naturwissenschaften, sowie Erwiderungen auf derartige Kritiken.

In dem durch Prof. Dr. Ebrahim Moosa von der University of Notre Dame (Indiana, USA) gehaltenen Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Critique, Dissent and Blasphemy. An Islamic Perspective“ kamen insbesondere verschiedene weltpolitische Ereignisse, sowie die Verfasstheit politischer Systeme zur Sprache, die den Umgang mit Religionskritik und Blasphemie in der islamisch geprägten Welt von der Zeit der islamischen Offenbarung bis heute beeinflussen. Im Austausch mit Prof. Dr. Moosa war seitens der Teilnehmenden insbesondere dessen Sicht auf die Möglichkeit und Umsetzbarkeit innerreligiöser Kritik an historisch gewachsenen Mentalitäten und Traditionen gefragt. Prof. Moosa zeigte hier die Notwendigkeit einer ernsthaften und tiefgründigen Beschäftigung mit traditioneller religiöser Gelehrsamkeit auf, die die Voraussetzung für eine aufrichtige Kritik und für ein erfolgreiches Weiter- oder auch Neudenken derselben darstelle.

Als Impuls für die weitere Tagung erarbeitete Prof. Dr. Joachim Valentin von der Universität Frankfurt im Hauptvortrag eine theologische Perspektive auf philosophische Kritik. Er führte aus, dass sich Kultur- und Sozialkritik bereits durch die altisraelischen Propheten, sowie durch Jesus zu einem integralen Bestandteil religiösen Lebens entwickelte. Theologie sei weiter eng mit Philosophie verbunden, was sich in den monotheistischen Religionen besonders deutlich im Mittelalter zeigte. Schließlich lehnte Prof. Dr. Valentin ein religionsfeindliches Verständnis von Aufklärung ab. In der deutschen Geistesgeschichte könne Aufklärung vielmehr als „innerchristliches Selbstgespräch über die Möglichkeiten einer Religionsphilosophie nach der neuzeitlichen Entwicklung von Demokratie und Naturwissenschaft“ gedeutet werden. Das Pendant zu diesem Beitrag stellte der zweite Hauptvortrag von Dr. Michael Blume von der Universität Köln dar, der zur „Kritik der Kritik“ sprach, und dabei an das in Fragen der Religionskritik vielfach als Kriterium für kritikfähige Religionen herangezogene Thema der Aufklärung anknüpfte. Unterstützt durch empirische Untersuchungen zu muslimischen Weltbildern und Verständnissen von Religion entkräftete er essentialistische Verständnisse von der Kritik(un)fähigkeit religiöser, sowie nicht religiös lebender Menschen.

Während Prof. Dr. Khorchide (ZIT Münster) in der Abschlussdiskussion die besondere Verantwortung der universitären Einrichtungen für Islamische Theologie in Deutschland zu einer selbstkritischen Vermittlung von Bildung betonte, wirkte unser Kollege Dr. Amir Dziri in der Tagungsvorbereitung und fungierte unter anderem als Moderator in einem Workshop zur Institutionenkritik. Hier diskutierten Dr. Silvia Horsch von der Universität Osnabrück und JProf Dr. Edward Fröhling SAC von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar über die historische Entstehung religiöser Institutionalisierungen und Autoritätsverständnisse. Besonderes Augenmerk wurde dabei zum einen auf Geschlechterverständnisse und deren Bedeutung für das Selbstverständnis religiöser Gemeinschaften und zum anderen auf innerreligiöse Auseinandersetzungen bezüglich Kritiken an Inhalten der Religion und an deren institutioneller Verfasstheit gelegt.

Insbesondere der gleichberechtigte Austausch zwischen Studierenden und Wissenschaftlern, sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Workshops ist eine der Besonderheiten des Theologischen Forums Christentum-Islam. So bot beispielsweise das Offene Forum, in dem aktuelle Forschungsvorhaben und Projekte zum Thema Religionskritik oder zum christlich-islamischen Dialog vorgestellt wurden, Gelegenheit zum Gespräch. Auch abseits der formalen Veranstaltungen wurden unter Studierenden, Promovierenden und Dozierenden der verschiedenen Standorte für Islamische Theologie, als auch der christlichen Theologien und der Philosophie, sowie verwandter Fächer unterschiedliche Perspektiven auf Religion und Kritik angeregt diskutiert.