Kulturkampf in Münster
Kulturkampf in Münster

Im Mittelalter waren geistliche wie weltliche Macht eng miteinander verwoben und kaum voneinander zu trennen. Die Kirche legitimierte den Herrscher, der Fürst war Schützer des Christentums. Besonders augenfällig wird dieses Verhältnis am Beispiel der geistlichen Territorien, den seit dem 17. Jahrhundert sogenannten Fürstbistümern (z.B. des Fürstbistums Münster), in denen der Bischof gleichzeitig geistlicher und weltlicher Herr in einer Person war. Mit der Reformation im 16. Jahrhundert wurde dieses Verhältnis erstmals in Frage gestellt. Doch bis zur Umsetzung der aufgeklärten Idee einer radikalen Trennung von Staat und Kirche sollte es noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts dauern. Mit der sogenannten Säkularisation in Deutschland 1803 wurden die geistlichen Staaten aufgehoben, Vermögen und Besitzungen der Kirche eingezogen. Die Landkarte war nun geprägt von zahlreichen weltlichen Fürstentümern. Erst mit der Reichsgründung 1871 wurde unter der Führung Preußens, dessen Herrscher evangelisch waren, ein föderaler deutscher Nationalstaat geschaffen, der von Nord- und Ostsee bis zu den Alpen reichte. Aus den Einwohnern der unterschiedlichen Länder mussten nun „Deutsche“ gemacht werden, wodurch sich der staatliche Anspruch auf das Machtmonopol verstärkte. Es galt daher, die traditionell enge gesellschaftliche Identifikation mit der Kirche und ihren öffentlichen Einfluss – vor allem in katholischen Regionen – zu schwächen. Ein Konflikt war somit vorprogrammiert, der als „Kulturkampf“ in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Den Auftakt machte der sogenannte Kanzelparagraph (10. Dezember 1871) als das erste der „Kulturkampfgesetze“, mit dem den Geistlichen bei Gefängnisstrafe und Festungshaft verboten wurde, staatliche Angelegenheiten von der Kanzel zu kommentieren. Am 15. Juni 1872 folgte das Lehrverbot für Mitglieder geistlicher Kongregationen und Orden an öffentlichen Schulen, drei Wochen später wurde der Jesuitenorden im Deutschen Reich aufgehoben. Weitere Gemeinschaften sollten folgen – 1875 sogar alle, die nicht in der Krankenpflege tätig waren. Zum offenen Bruch kam es, als der Staat in die kirchliche Selbstbestimmung eingreifen wollte. Mit den Maigesetzen des Jahres 1873 wollte der Staat Einfluss auf die Ausbildung und Anstellung von Geistlichen nehmen sowie auf die kirchliche Disziplinargwalt. Die katholischen Bischöfe untersagten ihren Pfarrern daraufhin, diesen Vorgaben nachzukommen. 1874 wurde die Zivilehe in Preußen vorgeschrieben, was ab Februar 1875 auch auf das ganze Reich ausgedehnt wurde. Katholische Vereine sollten überwacht werden und schließlich wurden mit dem „Brotkorbgesetz“ staatliche Zahlungen an geistliche Einrichtungen und Personen eingestellt. Leistungen waren an die Anerkennung der staatlichen Regelungen geknüpft. 1875 wurden auch die Priesterseminare in Münster und Paderborn geschlossen sowie die Schulaufsicht verstaatlicht. Gerade im stark katholisch geprägten Münsterland machte sich die preußische Regierung mit diesen Maßnahmen nicht gerade beliebt. Das Kirchenvolk stand größtenteils auf der Seite des Klerus. Mittels Opfergänge der Gläubigen sollten die fehlenden staatlichen Zahlungen ersetzt werden. Der Widerstand der Katholiken war trotz dieser drastischen Maßnahmen erfolgreich, sodass die Regierung ab 1880 einlenken musste und die erlassenen Gesetze abmilderte. Die 1886 (21. Mai) und 1887 (29. April) verabschiedeten Friedensgesetze zwischen der römischen Kurie und dem Deutschen Reich legten den Konflikt schließlich bei.

Spektakulär für den Kulturkampf in Münster und im Münsterland war die Verhaftung des münsterischen Bischofs Johann Bernhard Brinkmann (1813–1889), der gebürtig aus Everswinkel stammte und in der Kreisstadt Warendorf vom 18. März bis 27. April 1875 gefangen gesetzt wurde. Dieser symbolkräftige Akt stieß auf große Empörung bei der münsterländischen Bevölkerung. Die Freilassung des führenden Kirchenvertreters und seine Rückkehr nach Münster wurden triumphal gefeiert. Der Bischof begab sich allerdings anschließend ins niederländische Exil (bis 1884), um weiteren staatlichen Druckmitteln zu entgehen. Vorausgegangen war der Verhaftung eine Pfändung des bischöflichen Mobiliars, weil das regionale Kirchenoberhaupt sich weigerte, gegen ihn verhängte Bußgelder zu begleichen. Die beschlagnahmte mobile Habe wurde anschließend versteigert. Allerdings hatten sich die Münsteraner abgestimmt und ersteigerten alle Gegenstände, die sie anschließend in Form eines Siegeszuges zurück zum bischöflichen Palais brachten.

Doch auch im alltäglichen münsterischen Stadtleben, das in nicht unbedeutendem Maße von der katholischen Konfession – 90 Prozent der Einwohner gehörten dieser an – geprägt wurde, spiegelte sich der Konflikt wider. Politik und Gesellschaft, Schule und Familie orientierten sich stark an den Dogmen der katholischen Kirche. Der Kulturkampf in Münster wurde daher nicht von einzelnen Personen oder Gruppierungen bestritten, sondern von einem Großteil der Bürgerschaft und der Geistlichkeit. 1872 verließen unter großer Anteilnahme die letzten Jesuiten die Stadt. Nach dem Kloster Marienthal folgten 1875 auch Ausweisungsbefehle für zahlreiche andere Orden, Kongregationen und Gesellschaften wie zum Beispiel das Kapuziner-, Franziskaner- und Klarissenkloster. Verschont blieben lediglich die Clemensschwestern und Franziskanerinnen, weil sich diese der Krankenpflege widmeten. Auch das städtische Presse- und Vereinswesen wurde streng überwacht. Davon waren der „Münsterische Anzeiger“ und der „Westfälische Merkur“ sowie der „Westfälische Bauernverein“, der „Mainzer Katholikenverein“, der „Löwenclub“, der „Civilclub“ sowie der katholische Verein „Eintracht“ betroffen. In den Schulen wurden die katholischen Gottesdiente stark eingeschränkt. Besonders trafen die Münsteraner aber die staatlichen Auflagen, die die Teilnahme an der Großen Prozession beeinträchtigten. Die Schülerinnen und Schüler sollten 1876 durch verpflichtenden Unterricht am Prozessionstag ausgeschlossen werden. Allerdings fehlte die Mehrheit der Kinder an diesem Tag im Unterricht. Dieser „Akt organisierten bürgerlichen Ungehorsams“ (L. Krull) hatte Auseinandersetzungen zwischen den Eltern und den Behörden zur Folge. Anhand der Veränderungen im Rahmen der Großen Prozession lässt sich der Verlauf des Kulturkampfes nachverfolgen. Zunächst verweigerte 1872 der Oberpräsident von Westfalen, Friedrich von Kühlwetter (1809–1882), die Teilnahme an der Prozession. Im selben Jahr musste man auch das Fehlen der Jesuiten verschmerzen, da deren Teilnahme wegen des Jesuitengesetzes unmöglich wurde. Ab dem Jahre 1874 nahm die philosophische Fakultät nicht mehr teil, weil die protestantischen Professoren mittlerweile die Mehrheit bildeten. 1875 gingen letztmals die Franziskaner und Kapuziner mit, bevor seit 1876 nicht nur die zahlreichen Ordensleute, sondern auch der Bischof auf Grund seines Exils fernblieben.

Literatur

  • Wilhelm Damberg, Moderne und Milieu. 1802–1998, Münster 1998 (Geschichte des Bistums Münster 5), S. 109–146.
  • Horst Gründer, „Krieg bis aufs Messer“ – Kirche, Kirchenvolk und Kulturkampf (1872–1887), in: Geschichte der Stadt Münster, hrsg. v. Franz-Josef Jakobi, 3 Bde., Münster 1993, Bd. 2, S. 131–165.
  • Lena Krull, Prozessionen in Preußen. Katholisches Leben in Berlin, Breslau, Essen und Münster im 19. Jahrhundert, Würzburg 2013 (Religion und Politik 5).