„Früher wurden Gegner vergiftet, heute bloßgestellt“

Interview mit Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf zur „Vatileaks“-Affäre

Interview Hubert Wolf

Prof. Dr. Hubert Wolf

Zur „Vatileaks“-Affäre hat sich Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) geäußert. Er gab auch dem Südwestrundfunk und dem Mitteldeutschen Rundfunk Interviews zu dem Thema.

Herr Professor Wolf, wie schwer hat „Vatileaks“ das Ansehen des Vatikan erschüttert?

Die Wirkung ist beträchtlich, ob hinter den Mauern des Kirchenstaats oder nach außen. Die Kurie hat trotz dunkler Flecken in ihrer langen Geschichte immer noch eine Vorbildfunktion. Intrigen in ihren Reihen wirken deshalb umso spektakulärer und sind ein Lieblingsthema der Medien.

Hat es Ähnliches nicht schon früher gegeben?

Schon, aber im modernen Medienzeitalter gewinnen solche Vorgänge ein ganz anderes weltweites Gewicht – die Öffentlichkeit kann viel stärker als Waffe eingesetzt werden. Früher beschränkten sich Intrigen auf die Machtzirkel im Vatikan. Missliebige Personen wurden vielleicht manchmal vergiftet, nun werden sie bloßgestellt. Ein Prototyp von „Vatileaks“ ist wohl der Fall Bafile 1973. Damals schickte der Nuntius in Bonn, Corrado Bafile, eine Empfehlung an das Staatssekretariat, den Limburger Bischof Wilhelm Kempf zum Rücktritt zu zwingen. Bafile passte nicht, dass Kempf den Laien in seinem Bistum erheblich mehr Einfluss geben wollte und für die Priesterweihe verheirateter Männer eintrat.

Ein unbekannter Mitarbeiter des Staatssekretariats empörte sich über Bafiles „sowjetische Methoden“ und schickte eine Kopie des geheimen Schreibens an Kempf, der damit an die Bischofskonferenz ging. So wurde das Ganze öffentlich und warf ein grelles Licht auf die Flügelkämpfe in der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Die Tragweite von „Vatileaks“ dürfte erheblich größer sein, nur die Hintergründe sind noch völlig unklar.

Klar ist nur, dass der päpstliche Kammerdiener kaum ein Alleintäter ist. Natürlich kann es sein, dass jemand dem Papst, seinem Privatsekretär Gänswein oder - das am ehesten - Staatssekretär Bertone schaden will. Vielleicht soll der Einfluss der deutschen Kurialen insgesamt geschwächt werden, der zulasten der traditionell dominierenden Italiener im Vatikan geht. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Zugang zum Papst. Vielleicht geht es auch weniger um Personen, sondern um Inhalte: Manchem geht die Annäherung Benedikts XVI. an die traditionalistische Piusbruderschaft womöglich zu weit - oder nicht weit genug. Letztlich bleibt alles Kaffeesatzleserei, bis es konkrete Ergebnisse gibt.

Das ganze KNA-Interview: „Früher wurden Gegner vergiftet, heute bloßgestellt“ (Prof. Dr. Hubert Wolf, in: Domradio vom 16. Juli 2012)


Radio-Interview: „Machtinteressen und Intrigen – Ein Blick hinter die Kulissen des Vatikans“ (Prof. Dr. Hubert Wolf zu Herrschaftsstrukturen im Vatikan, in: SWR2 „Journal am Mittag“ vom 30. Mai 2012)

Radio-Interview: „Römische Verschwörung gegen deutschen Papst?“ (Prof. Dr. Hubert Wolf zu Herrschaftsstrukturen im Vatikan, in: MDR Figaro „Das Forum am Mittag“ vom 1. Juni 2012)