„Es ist immer wieder zu Rückfällen gekommen“

Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff zu Gewalt und Friedfertigkeit in Christentum, Judentum und Islam

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Prof. Dr. Gerd Althoff

© Julia Holtkötter

„Religion und Gewalt“ ist das Thema der nächsten öffentlichen Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Vorträge beleuchten „Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“. 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen im Sommersemester verschiedene Epochen und Religionen in den Blick. Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff, der zusammen mit der Neuhistorikerin Prof. Dr. Silke Hensel die Reihe organisiert hat, äußert sich im Interview darüber, wie die monotheistischen Religionen zur Gewalt stehen und ob sie aus ihrer Geschichte gelernt haben.

Herr Professor Althoff, in der Ringvorlesung geht es um das Verhältnis des Monotheismus zur Gewalt. Fördert der Glaube an einen einzigen Gott Gewalt?

Darüber diskutiert die Wissenschaft intensiv. Wir sind sehr froh, dass wir mit dem Ägyptologen und Religionswissenschaftler Jan Assmann einen Hauptvertreter dieser These für die Ringvorlesung gewonnen haben. Er argumentiert, dass mit dem Monotheismus die Frage auftaucht, wie mit den anderen Göttern umzugehen sei. Und da gilt das Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Der Glaube an den einen Gott schuf oder verstärkte Unterscheidungen wie Freund und Feind, wahr und falsch, richtig und unrichtig. Das führte auch dazu, dass es verstärkt zu Gewalt gegen Anhänger anderer Religionen kam. Jan Assmann ist auch widersprochen worden, aber seine Argumente sind nicht aus dem Feld geschlagen, ich würde sie durchaus unterstützen.


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Plakat der Ringvorlesung

Haben die monotheistischen Religionen denn aus den 3.000 Jahren ihrer Geschichte gelernt?

Wenn man auf das 20. Jahrhundert schaut, wird man das nicht unbedingt sagen können. Auch christliche Kirchen haben sich an Gewalt beteiligt oder sie zumindest nicht verhindert. Der Religionswissenschaftler Dr. Gianmaria Zamagni und der Historiker Dr. Stephan Ruderer, zwei junge Kollegen aus dem Exzellenzcluster, bringen dafür in der Ringvorlesung Beispiele; sie sprechen über die Rolle der katholischen Kirche während des Spanischen Bürgerkriegs und in südamerikanischen Militärdiktaturen. Es scheint allerdings so, dass das Christentum seine gewalttätigsten Phasen hinter sich hat und die Kirchen in der Regel nicht mehr aktiv zur Gewalt antreiben. So wird der evangelische Theologe Prof. Dr. Hans-Richard Reuter zeigen, wie sich die Kriegswahrnehmung im deutschen Protestantismus in den vergangenen hundert Jahren gewandelt hat. Doch wir stehen nicht am Ende der Geschichte, und es ist immer wieder zu Rückfällen gekommen. Die Gefahr, dass das Christentum zur Rechtfertigung von Gewalt instrumentalisiert wird, besteht weiter. Auch in anderen Religionen stehen heute oft friedfertige und fundamentalistisch-gewaltnahe Richtungen nebeneinander.

Ist Religion also nach wie vor eine wichtige Ursache von gewaltsamen Konflikten?

Man muss sehr genau hinschauen, wo die eigentlichen Gründe für Gewalt liegen. Häufig wurden und werden Konflikte in allen Regionen religiös und ethnisch verbrämt, weil dadurch wirkungsvoll zur Gewalt motiviert werden kann. Auf diese Weise lassen sich materielle Interessen und Machtinteressen überdecken. Weltliche Machthaber haben das Christentum – wie andere Religionen auch – immer wieder für ihre Zwecke instrumentalisiert.

Hat es die Geschichte des Christentums geprägt, dass Jesus Christus Friedfertigkeit gepredigt hat?

Jesus Christus forderte in der Tat, das Schwert in die Scheide zu stecken und dem Gegner auch die andere Wange hinzuhalten. Doch das Christentum hatte unterschiedliche Phasen, und seine Vertreter sprachen oft nicht mit einer Stimme. Die frühe Kirche war geradezu pazifistisch, und auch später gab es immer wieder Strömungen, die an dieses Urchristentum anknüpften. In anderen Zeiten wurde Gewalt unter bestimmten Umständen erlaubt. So formulierte der Kirchenvater Augustinus eine Theorie des gerechten Krieges, als die Germanen plündernd in das römische Reich einfielen. Und in einigen Phasen verfolgte die Kirche selbst Häretiker, Ungehorsame und Andersgläubige. Das ging, etwa in den Kreuzzügen, bis zum „heiligen Krieg“. Wer dabei tötete oder getötet wurde, dem stellte die Kirche geistliche Belohnung in Aussicht, das ewige Leben.

Wie sieht es denn mit dem Judentum und dem Islam aus?

Dazu wird es in der Ringvorlesung ebenfalls spannende Vorträge geben. Im Zentrum steht zwar das Christentum, vergleichend werden aber auch antike Religionen, Judentum und Islam behandelt. Der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller geht auf die vielfältigen Konzepte des Dschihads ein, Juniorprofessorin Dr. Regina Grundmann berichtet als Judaistin über jüdisch-christliche Zwangsdisputationen.

Kann das Alte Testament eher zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht werden als das Neue?

Im Alten Testament ist Gott selbst ziemlich gewalttätig. Er zürnt über Völker, die ihn nicht ehren und er gibt Vernichtungsbefehle, die auch Frauen, Kinder und Säuglinge einschließen. Daher stand im Christentum meist das Alte Testament im Vordergrund, wenn Gewalt gerechtfertigt werden sollte. Beispiele dafür wird der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Arnold Angenendt in seinem Vortrag „Gottesfrevel und Gotteszorn als Quellen der Religionsgewalt“ bringen. Das Neue Testament enthält zwar, vor allem in der Apokalypse, ebenfalls gewaltfördernde Aussagen. Im Wesentlichen geht es in den Texten aber um Friedfertigkeit, Nächstenliebe und sogar Feindesliebe: „Selig sind die, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen“, heißt es in der Bergpredigt.

Haben die christlichen Herrscher denn immer nach dieser Vorgabe gehandelt?

Nein, manchmal deuteten sie solche Textstellen sogar vollkommen anders. „Selig sind die, die Verfolgung ausüben um der Gerechtigkeit willen“, soll Gregor VII. gesagt haben, einer der wichtigsten Päpste des Mittelalters. Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf wird in unserer Reihe zeigen, dass auch in Kirchenliedern viel von Gewalt die Rede war. In unterschiedlichen Konstellationen wurden mit unterschiedlichen Aussagen des Alten und Neuen Testaments mal extreme Friedfertigkeit, Märtyrertum und Gewaltlosigkeit begründet, mal Gewalt im Dienste oder sogar im Auftrag von Kirche und Religion.

Warum behandelt der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ diese Fragen in einer öffentlichen Ringvorlesung?

Unser Ziel ist es, den Zuhörern der Ringvorlesung geschichtliche Wandlungen vor Augen zu führen, Argumente zu liefern und wichtige gesellschaftliche Fragen mit ihnen zu diskutieren, dafür nehmen wir uns nach jedem Vortrag Zeit. Diesmal beteiligen sich besonders viele jüngere Wissenschaftler an der Ringvorlesung. Zu Wort kommen wieder Vertreter ganz unterschiedlicher Disziplinen, die verschiedene Religionen und Epochen beleuchten: Geschichtswissenschaftler, Germanisten, Theologen, Judaisten sowie Religions- und Islamwissenschaftler. Diese Vielfalt hat bei den Zuhörern in den vergangenen Jahren Interesse gefunden. Vielleicht können wir einige Menschen nachdenklich machen oder sogar einen Lernprozess auslösen. Das ist uns wichtig, wir wollen Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm betreiben, wir haben eine Bringschuld gegenüber der Öffentlichkeit.

Interview: Holger Arning