(B2-18) Conversio, oder: Du musst Dein Leben ändern. Figurationen – Szenen – Medien

Unter ‚Konversion‘ versteht man ‚Bekehrung‘ oder den ‚Übertritt von einer Konfession zur anderen‘. Die christliche Urszene bildet das sog. Damaskuserlebnis des Saulus. In Apg. 9, 3-4 heißt es: „Und als er auf dem Wege war und nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;/ und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Auch wenn der Namenswechsel von Saulus zu Paulus in der Bibel nicht mit der Bekehrung vor Damaskus in Verbindung gebracht wird, indiziert er in der volkstümlichen Wahrnehmung die radikale Erneuerung des Saulus durch die Offenbarung Christi. Spätere Bekehrungsszenen sind ähnlich gestaltet, zu denken ist an die Bekehrung des Augustinus im Garten von Mailand, wie er sie in den Confessiones schildert: Der mit sich ringende Augustinus hört aus dem Nachbargarten die Stimme eines Kindes, die immer wieder „Tolle, lege!“ sagt, „Nimm und lies“. Beim Vernehmen dieser Stimme erinnert sich Augustinus an die Bekehrung des heiligen Antonius, der sich bei der Lesung des Schriftworts plötzlich persönlich angesprochen fühlte, und greift, diesem Vorbild folgend, seinerseits zur Heiligen Schrift: „Ich griff sie auf, öffnete und las stillschweigend den ersten Abschnitt, der mir in die Augen fiel […]. Kaum hatte ich den Satz beendet, durchströmte mein Herz das Licht der Gewißheit.“

Noch im Pietismus werden Bekehrungen nach dem Vorbild und in Überbietung des Paulus und des Augustinus gestaltet. Thomas Luckmann hat darauf hingewiesen, dass Konvertiten sich an kommunikativen Modellen von Konversionserfahrungen orientieren, d. h. dass in der Beschreibung von Konversionserlebnissen immer auch gesellschaftlich-kulturelle Narrative, Werthaltungen und Deutungsmuster aufgerufen werden. Das Projekt analysiert in einem ersten Teil Bekehrungsszenen insbesondere im Hinblick auf ihre sprachlich-rhetorische Figuration und die in ihnen zum Einsatz kommenden Medien wie Licht, Stimme, Schrift etc. Der Stimme Gottes, ihrer Ambiguität zwischen Außen und Innen, ihrer möglichen Nichteindeutigkeit, ihrem Changieren zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung sowie ihren medialen Extensionen gilt dabei hervorgehobene Aufmerksamkeit. In einem zweiten Teil wird nach dem Fortleben des conversio-Moments in biographischen und autobiographischen Texten seit dem 18. Jahrhundert gefragt. Im Fokus stehen die (medialen) Transformationen, die sie im Prozess ihrer Säkularisierung durchlaufen. Die Frage nach der Eindeutigkeit der ‚Wende‘ bzw. nach dem möglicherweise von Ambiguität geprägten Verhältnis zwischen dem ‚Vorher‘ und dem ‚Nachher‘, nach actio und passio, aber auch politische Funktionalisierungen der conversio spielen eine zentrale systematische Rolle. Die Frage wird verfolgt, ob es in modernen Lebensläufen noch solche „einschneidende[n] Veränderung[en] der Wirklichkeitsauffassung“ (Luckmann) gibt und inwiefern diese Wendepunkte des Lebens etwas Transzendentes bewahren (vgl. Rilke, Sloterdijk). In einem dritten Teil werden aktuelle Konversionsberichte im Hinblick auf die Szenen der Entscheidung, ihre Medialität sowie ihre Eindeutigkeits-  beziehungsweise Mehrdeutigkeitsstrukturen untersucht.