Die deutsche Hyperinflation. Nichts als Nullen
Landesbank der Provinz Westfalen, 1 Billion Mark 1923 (geprägt 1924), Menden, Prägeanstalt Kissing
Bronze, geprägt; Gew. 81,25 g, Dm. 60,0 mm
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 45646 Mz
© Stefan Kötz
1 Billion Mark – so unvorstellbar diese 1 mit 12 Nullen klingt, so war damit das Ende der Fahnenstange während der deutschen Hyperinflation 1922/1923 doch noch nicht erreicht. 100 Billionen Mark ist der höchste Nennwert, der am 26. Oktober 1923 jemals auf einen deutschen Geldschein gedruckt wurde; nach Ende der Inflation Mitte November 1923 waren dies immerhin noch 100 Goldmark im Gegenwert von 23,81 Dollar. Werte im Billiarden- oder gar Trillionen-Bereich gab es dagegen nur auf Scherz-Geld, Flugblättern in Gestalt von Reichsbanknoten, die etwa mit »Reichswanknote« betitelt waren. Deren von Sarkasmus und Galgenhumor getränkte Texte spiegeln treffend, dass diese Werte durchaus im Bereich des damals Vorstellbaren lagen. Die 1 Billion Mark auf dem vorliegenden Stück »NOTGELD DER PROVINZ WESTFALEN« mit der Jahreszahl »1923« allerdings ist der höchste Nennwert, der jemals auf eine deutsche Münze geprägt wurde.
Eine Münze? Eher eine Medaille, denn das Gepräge wurde erst im Januar 1924 hergestellt – zur Erinnerung an den wohl größten Währungscrash aller Zeiten, deutschland-, europa- und weltweit. Herausgeber war die Landesbank der Provinz Westfalen in Münster; diese hatte von Oktober 1921 bis Oktober 1923 in mehreren Phasen eine umfangreiche Serie Münznotgeld von 50 Pfennig bis 50 Millionen Mark emittiert. Den posthumen Abschluss sollte dann das riesige 1-Billion-Mark-Stück bilden, 11.113 Exemplare in Neusilber echtversilbert, verkauft in Pappschachteln für 2,50 Mark. 500 Exemplare wurden in Tombak echtvergoldet gefertigt, die in gefütterten Etuis vom Landeshauptmann der Provinz Westfalen verliehen wurden; das vorliegende Stück in Bronze ist eine extrem seltene Materialvariante.
Alle Notgeldmünzen der Provinz Westfalen zeigen auf der Vorderseite das Westfalenross und fast alle auf der Rückseite im Kopfprofil den »MINISTER VOM STEIN 1757–1831«, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, apostrophiert als »DEUTSCHLANDS FÜHRER IN SCHWERER ZEIT«. Medailleur war Rudolf Bosselt (1871–1938), eine nationale Kapazität, der hier ein Kunstwerk ersten Ranges geschaffen hat. Der Ausgabegrund lag in einer politisch brenzligen Situation: Wegen Differenzen über die Reparationsleistungen besetzten französische und belgische Truppen am 8. März 1921 Teile des rheinischen Ruhrgebiets. Befürchtet wurde, dass sich dies auf das ganze Ruhrgebiet ausdehnen und Westfalen somit in zwei politisch wie wirtschaftlich getrennte Teile zerfallen könnte. Die Landesbank beschloss daraufhin, in und für ganz Westfalen gültige, einheitliche Notgeldmünzen auszugeben.
Als Motiv wählte man neben dem Westfalenross mit dem Freiherrn vom Stein ein weiteres westfälisches, ja deutsches Identifikationssymbol. Preußischer Staatsmann durch und durch, hatte er vor und nach seiner allseits bekannten Berliner Zeit zwei langjährige Wirk- und Lebensphasen in Westfalen aufzuweisen. Nach dem verlustreichen Frieden von Tilsit im Juli 1807 an die Spitze der Berliner Regierung berufen, schuf er mit den von ihm eingeleiteten und von Karl August von Hardenberg (1750–1822) vollendeten Reformen die Basis für den Wiederaufstieg Preußens nach der Schmach gegen Napoleon. Und er war ein erklärter Feind Frankreichs – in den Worten der Landesbank »[…] für die Bevölkerung ein ermutigendes Hoffnungszeichen, für die Franzosen aber ein warnendes Menetekel, dass der Geist des Freiherrn vom Stein in der westfälischen Bevölkerung weiterlebt«. Das Notgeld war also von vornherein nicht als Umlaufgeld, sondern als medaillenartige Verkaufsobjekte für die breite Masse gedacht. Der Erfolg war so groß, dass man die Stein-Serie im Frühjahr 1923 kurzzeitig durch eine kleine Reihe mit dem Brustbild der Annette Freiin von Droste zu Hülshoff (1797–1848), apostrophiert als »WESTFALENS DICHTERIN«, ergänzte.
Das, woran das 1-Billion-Mark-Stück erinnert, die Hyperinflation, war grundgelegt in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg. Denn statt Steuern war neben den neun Kriegsanleihen, die 98 Milliarden Mark einbrachten, und Spenden – Stichwort »Gold gab ich für Eisen« – Hauptfinanzierungsmethode des Krieges der unbeschränkte Reichsbankkredit. Also die Möglichkeit zum Anwerfen der Notenpresse, und schon am 4. August 1914 war die erst 1871 eingeführte Goldwährung zu einer manipulierten, d. h. politisch beeinflussbaren, ungedeckten Papierwährung geworden. Die Inflation blieb bis 1918 moderat, der Kaufkraftverlust – bei Kriegsende ca. 50 % der Vorkriegszeit – war aber doch spürbar. Durch die Reparationsleistungen und die Sozialprogramme nach dem Krieg steigerte sie sich bis Juli 1922 zur sogenannten Hyperinflation, der der Staat letztlich macht-, jedoch auch willenlos gegenüberstand. Am 11. Januar 1923 kam es dann zur Besetzung des gesamten Ruhrgebiets; Reichskanzler Wilhelm Cuno (1876–1933) rief zum passiven Widerstand auf, und der vielmonatige Generalstreik gab, weil durch Gelddrucken finanziert, der Währung ab dem Sommer 1923 den Rest. Das Ende kam durch einen Währungsschnitt: Auf Basis des Dollarkurses vom 15./20. November 1923 von 1 Dollar = 4,2 Billionen Papiermark wurde die Währung mithilfe der neu geschaffenen Rentenmark zu 1 Billion Papiermark unter strikter Beschränkung der Geldmenge stabilisiert; am 30. August 1924 folgte die neue Reichsmark mit zumindest einer Teildeckung in Gold und Devisen.
Inflationen sind so alt wie das Geld – bei aller Verschiedenheit sind sie gekennzeichnet durch eine Steigerung der Geldmenge, was zur Abnahme der Kaufkraft und somit zu Teuerung führt. Währungskrisen, Hyperinflationen – insgesamt sind 57 in der Geschichte bekannt –, zogen sich durch die griechische und römische Antike, durch Früh-, Hoch- und Spätmittelalter sowie durch die gesamte Neuzeit, wenn der Gehalt der Münzen an werttragendem Edelmetall bei gleichzeitiger Massenproduktion immer weiter reduziert wurde. Die ersten Papiergeld-Inflationen waren die in Frankreich 1716/1720 mit den Billets des John Law (1671–1729) und erneut 1790/1796 mit den Assignaten der Revolutionszeit. Doch hat der Erste Weltkrieg etwa auch Österreich 1922/1923 eine gewisse Hyperinflation beschert: 1924/1925 wurden 10.000 Papierkronen in einen neuen Schilling umgetauscht. Und blickt man heute auf Europa und die Welt, so gibt es mancherorts teils starke Inflationen (Türkei, Venezuela, Simbabwe) – mit all den volkswirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen.
Die Hyperinflation der frühen Weimarer Republik hat sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt: Wäschekörbe voller Geldscheine; Kinder, die aus Geldscheinen Flugzeuge falten und aus Geldscheinbündeln Türme stapeln; Wände, die mit Geldscheinen kostengünstiger zu tapezieren sind als mit Tapeten. Das Vertrauen in das papierene Nullen-Geld, das kein Zahlungsmittel, Wertmaßstab, Wertaufbewahrungsmittel mehr sein konnte, war dahin – und das tagtäglich aktualisierte Operieren mit Millionen, Milliarden und Billionen ließ jedes Geldgefühl schwinden. Symptome waren einerseits Notgeld: Die Landesbank der Provinz Westfalen druckte als eine von 5.849 Ausgabestellen im Sommer/Herbst 1923 deutschlandweit Notgeld für ca. 1 Trillion Mark – das ist eine 1 mit 18 Nullen. Andererseits die Flucht in Sachwerte und Devisen, ebenso ein Schwarzmarkt mit Ersatzwährungen und Tauschwirtschaft; die ›Raffkes‹ und ›Schieber‹ waren hier die kleinen Profiteure. Millionen Deutsche hat die Inflation all ihres Geldvermögens beraubt, von staatlichen Leistungen Abhängige in den Abgrund gestürzt. Schuldner allerdings auch von all ihren Schulden befreit, v. a. den Staat: Die Kriegsschulden von 164 Milliarden Mark betrugen nach dem Währungsschnitt noch genau 16,4 Pfennig.
(Stefan Kötz)
Literatur
- F. Reißner, Die Notgeldmünzen der Landesbank der Provinz Westfalen, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 24, 1940, S. 122–131
- W. Döll – B. Thier, Notgeld aus der Stadt und von der Landesbank Münster i. W. 1918–1947. Ein Beitrag zur Heimatgeschichte (Münster 1988/89)
- B. Widdig, Culture and Inflation in Weimar Germany (Berkeley 2001)
[Wiederabdruck aus: S. Kötz, Die deutsche Hyperinflation. Nichts als Nullen, in: F. Haymann – S. Kötz – W. Müseler (Hrsg.): Runde Geschichte. Europa in 99 Münz-Episoden (Oppenheim am Rhein 2020) S. 268–271]