Dezember 2020
Dezember 2020

Münze des Monats

Bleitetarteron aus der Regierungszeit Alexios I. (1092) (Sammlung M.G. 1.224.522; 3,70g; DOC 4, 32.1) Av.
© M. Grünbart
Bleitetarteron aus der Regierungszeit Alexios I. (1092) (Sammlung M.G. 1.224.522; 3,70g; DOC 4, 32.1) Rv.
© M. Grünbart

Byzantinische Emissionen in Blei und ein Fallbeispiel aus dem Jahr 1092

"Blei ist eigentlich kein Münzmetall". So urteilte Robert Göbl (1919–1997), der Doyen der numismatischen Forschung in Österreich, noch in seiner mehrbändigen Einführung zur antiken Geldgeschichte. Trotzdem kam Blei im Laufe der Geschichte öfters die Rolle eines Prägemetalls zu: Jetons, Marken, tesserae und geldähnliche Stücke bezeugen seinen festen Platz in alltäglichen pekuniären und paramonetären Transaktionen. Die wissenschaftliche Erschließung solcher Prägungen und ihre Interpretation machte in den letzten Jahrzehnten Fortschritte.
Blei (Pb) weist einen niedrigen Schmelzpunkt auf (327° C) und zeichnet sich durch leichte Verarbeitungsmöglichkeiten aus. Zudem ist der Stoff ein an vielen Orten verhüttetes Metall gewesen. Blei korrodiert zwar wie andere unedle Metalle, doch kann man nicht davon ausgehen, dass Objekte aus Blei einfach im Erdboden verschwinden (so Weiser 1985). Auch die vielen tausend erhalten gebliebenen Bleisiegel sprechen eine andere Sprache: Bleiobjekte können die Jahrhunderte ziemlich unbeschadet überdauern; man denke in diesem Zusammenhang an römische und frühbyzantinische Wasserleitungsrohre, deren Korrosionsschäden sich gering halten. Was sich jedoch als ein wesentlicher Nachteil gegenüber anderen Münzmetallen wie Gold, Silber oder Kupfer erweist, ist die Weichheit des Materials: Ein Stück Blei, das durch viele Hände geht, wird schneller abgegriffen und erleidet rascher Deformationen. Da die ikonographischen Darstellungen und Zeichen auf den kleinen Bleiobjekten oft nicht mehr zu dechiffrieren sind, werden sie im Münzhandel regelmäßig nicht erkannt und als Bleisiegel oder Schrötlinge kategorisiert. Gegen diese Interpretation spricht zudem, dass sie keine Fadenkanäle (für die Siegelschnur) aufweisen. Ein weiteres einfaches Unterscheidungsmerkmal ist, dass man die Bleisiegel um eine senkrechte Achse drehen muss, um die Avers- und Reversseite richtig zu sehen; bei den hier diskutierten Bleiprägungen hingegen verhält es sich wie bei byzantinischen Münzen (horizontale Drehachse).
Blei (und auch Zinn) hatten ihren festen Sitz in der Geldgeschichte spätestens seit der römischen Kaiserzeit. Dieser Umstand wurde gesetzlich indirekt fixiert. In den Digestae des Kaisers Iustinianos heißt es (aus dem Jahre 533): "Idem (Ulpianus) libro octavo de officio proconsulis. Lege Cornelia cavetur, ut, qui in aurum vitii quid addiderit, qui argenteos nummos adultennos flavent, falsi crimine teneri (sic). (1) Eadem poena adficitur etiam is, qui, cum prohihere tale quid posset, non prohibuit. (2) Eadem lege exprimitur, ne quis nummos stagneos plumbeos emere vendere dolo malo vellet "(Digestae LXVIII 19.9).
«Derselbe (Ulpianus) (schrieb) im achten Buch über das Amt des Proconsuls: In der lex Cornelia wird Vorsorge getroffen, dass wer in das Gold etwas Unedles hinzugibt und wer falsche silberne Münzen giesst, den Tatbestand der Fälschung erfüllt. (1) Den gleichen Tatbestand erfüllt auch derjenige, der in der Lage wäre, das zu verhindern, es aber nicht tut. (2) In demselben Gesetz steht, dass niemand Münzen aus Zinn oder Blei in betrügerischer Absicht kaufen oder verkaufen darf. (Übers. nach Weiser 1983)»
Explizit verboten war also der Einsatz der Metalle in böser Absicht: Blei erwies sich nämlich als ideal zur Münzfälschung (und -imitation). Es wird aber zugleich deutlich, dass Zahlungsmittel aus diesen Materialien hergestellt und akzeptiert waren.
Aus dem 6. und 7. Jahrhundert sind zahlreiche Bleimünzen bekannt, welche kleine Werte verkörpern und die alltägliche Notwendigkeit für Kleingeld ('small change') widerspiegeln. Cécile Morrisson publizierte bleierne Dekanummia (nummion ist die kleinste Einheit, sozusagen der Einser, dekanummion dementsprechend 10 Einser) aus ostmediterranen Münzstätten. Wie flexibel das Münzsystem auf regionale Bedürfnisse eingehen konnte, zeigen Exemplare aus Antiocheia am Orontes. Aus der Gegend stammen Bleimünzen (aus der frühbyzantinischen Zeit), welche Β und Γ aufgeprägt haben, also den Wert von 2 bzw. 3 nummia (in griechischen Zahlzeichen) darstellen (Weiser 1985).
Aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert haben sich münzähnliche Exemplare erhalten, zu denen auch das Stück des Monats gehört. Im Jahre 1092/1093 tauchen in den Städten Konstantinopel und Thessalonike Prägungen auf, die im Kontext der Münzreform Kaiser Alexios I. (1081-1118) und der Krönung seines Sohnes Ioannes II. (zwischen 1. September und November 1092) zu verstehen sind (DOC IV, 197-199). Bereits mit 5 Jahren wurde Ioannes, der älteste Sohn von Alexios I., zum Kaiser bestimmt; des feierlichen Ereignisses wurde mit besonderen Prägungen gedacht und diente dazu, die öffentliche Wahrnehmung der Dynastie der Komnenen zu fördern. Das hier gezeigte Exemplar gehört zum ersten Typus (DOC IV 32.3) und wurde in Konstantinopel ausgegeben. Es zeigt auf der Vorderseite Christus und den Thronfolger Ioannes (Legende: ΙΣ ΧΣ ΙΩΔΕΣΠΟΤ Ἰησοῦς Χριστός / Ἰω[άννης] δεσπότ[ης] "Jesus Christos / Ioannes despotes [= Herrscher]"), beide das Labaron (Kaiserstandarte) haltend, auf der anderen Seite stehen Alexios und Eirene, die Eltern Ioannes' (Legende: ΑΛΕΞΙΩ ΕΙΡΗΝΗ (Alexios / Eirene). Diese imitieren das Vorbild Konstantinos (den Großen) und sein Mutter Helena, welche seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert verstärkt in der imperialen Ikonographie in Erscheinung treten. Als Münznominale entspricht diese Prägung dem in dieser Zeit gängigen tetarteron, dem Kleingeld aus Bronze. Auch in Thessalonike, der zweiten in dieser Zeit verbliebenen Münzstätte des Reichs, wurde solche Stücke ausgegeben: Dort firmiert der Stadtheilige Demetrios anstelle von Jesus Christos als Patron. Das vorgestellte Exemplar zeigt anschaulich, wie gut Blei die Zeiten überdauern kann und dass es im byzantinischen Reich auch Prägungen zu politischen Anlässen gab.

Michael Grünbart

Literatur:

  • Bucossi, Alessandra/Suarez, Alex R. (Hrsg.), John II Komnenos, Emperor of Byzantium: In the Shadow of Father and Son, London 2016.
  • DOC 4/1 = Catalogue of the Byzantine Coins in the Dumbarton Oaks Collection and in the Whittemore Collection. 4,1. Alexius I to Michael VIII: 1081-1261 ; Pt. 1, Alexius I to Alexius V: 1081-1204, hrsg. von Alfred R. Bellinger and Philip Grierson, Washington, D.C. 1999.
  • Sebastian Foppe, Zur Kulturgeschichte des Bleis, in: Michael Grünbart (Hrsg.), Gold und Blei. Byzantinische Kostbarkeiten aus dem Münsterland, Wien 2012, S. 43-51.
  • Robert Göbl, Antike Numismatik, München 1978, I S. 37.
  • Gheorghe Mănucu-Adameşteanu/Ingrid Poll, Monede de plumb din epoca bizantină (secolele V.VI şi XI-XII) aflate în colecţiile din România. In: I. Cândea/V. Sîrbu/M. Neagu (Hrsg.), Prinos lui Petre Diaconu la 80 de ani, Braila 2004, S. 249-275.
  • Cécile Morrisson, Monnaies en plomb byzantines de la fin du VIe et du debut du VIIIe siècle, in: Rivista italiana di numismatica e scienze affini 83 (1981), S. 119-132.
  • Cécile Morrisson, Les usages monétaires du plus vil des métaux : le plomb, in: Rivista italiana di numismatica e scienze affini vol. 95 (1993), S. 79-101.
  • Pagona Papadopoulou, Monnaies en plomb d'Alexis Ier Comnène dans la collection de la Bibliothèque nationale de France, in: Bulletin de la Société Française de Numismatique 60 (2005), S. 20-25.
  • Wolfram Weiser, Neue byzantinische Kleinmünzen aus Blei, in: Schweizer Münzblätter 35, Heft 137 (1985), S. 13-16.
November 2020
November 2020

Münze des Monats

Twin Peaks


Antike Münzen zeigen nur selten geographische Phänomene in naturgetreuer Form. Gewässer, Berge aber auch menschengeformte Räume wie Städte werden zumeist in anthropomorpher Gestalt als Personifikationen visualisiert. Erst seit dem Späthellenismus werden gelegentlich geographische Phänomene naturgetreu abgebildet. In der römischen Kaiserzeit ist etwa der Mons Argaios auf kappadokischen Münzen allgegenwärtig und in seiner charakteristischen Bergform gut erkennbar.
Eine der beeindruckendsten Darstellungen eines Gebirges auf Münzen findet sich auf Kleinbronzen, die um die Zeitenwende in Armenien geprägt wurden und den kleinen Ararat (3925 m) und den großen Ararat (5137 m) zeigen (Abb. 1).

Abb. 1 © Leu Numismatik AG, Auktion 4, 25. Mai 2019, lot 342
© Leu Numismatik AG

Tigranes IV und Erato (ca. 2 v. Chr.–1 n. Chr.), Prägestätte Artaxata
AE, 18 mm, 5,81 g, 12 h
Av.: Staffelbüste von Tigranes IV. mit armenischer Tiara und Erato n.r.; [b]asileus m[egas Tigranes]
Rv.: Der kleine und der große Ararat; [philokaisar], im Abschnitt: [A]
Leu Numismatik AG, Auktion 4, 25. Mai 2019, lot 342.

Diese Münzen haben auf der Vorderseite die Staffelbüste von König Tigranes IV. mit armenischer Tiara und seiner Schwestergemahlin Erato und auf der Rückseite die Gebirgsformation. Viele der Exemplare sind stark abgegriffen, doch wird auf der Vorderseite Tigranes auf Griechisch als „Großkönig“ (basileus megas) und auf der Rückseite als „Freund des Kaisers“ (philokaisar) bezeichnet. Datiert sind die Münzen auf das Jahr 1 einer neuen Ära. Tigranes IV war zunächst von Parthien unterstützt auf den armenischen Thron gekommen (8–5 v. Chr.), dann aber von seinem von Augustus entsandten Onkel Artavasdes III. (5–ca. 2 v. Chr.) verdrängt worden. Letzterer wurde aber von Tigranes IV. wieder vertrieben und Tigranes IV. wieder König von Armenien und er akzeptierte die römische Oberhoheit. Der achämenidische Titel Großkönig und der Beiname Philokaisar reflektieren die komplexe politische Stellung, und vielleicht deutet auch das klassizistisch beruhigte Porträt des Königs auf seine gute Beziehung zu Augustus hin. Tigranes‘ Herrschaft war kurz, wohl bereits 1 n. Chr. fiel er und auch seine Schwestergemahlin dankte (erstmal – aber das ist eine andere Geschichte) ab.
Hinterlassen haben uns die beiden die Münzen mit der herrlichen Ansicht des großen und des kleinen Ararat. Der Prägeort war unzweifelhaft Artaxata, die Hauptstadt des Reiches in der Ararat-Ebene. Der Ararat ist weithin sichtbar in Armenien, doch gibt es eine solche Ansicht der beiden Berge in der nebeneinanderliegenden Relation nur in Artaxata, wo man von Osten auf die beiden blickt. Dieses Bild ist (sicher ohne Kenntnis der Kleinbronze) ikonisch im modernen Armenien geworden, wie nicht nur das Staatswappen, sondern auch ein Modell aus Schokolade in einer Münsteraner Privatsammlung unterstreicht (Abb. 2).

Abb. 2: Ararat aus Schokolade
© A. Lichtenberger

 

Seit 2018 gräbt die Universität Münster gemeinsam mit der Armenischen Akademie der Wissenschaften in Artaxata, und jeden morgen begrüßen die beiden ewigen Zwillingsgipfel das Grabungsteam zur Arbeit (Abb. 3). Der Berg, auf dem laut Gen 8,4 die Arche Noah gestrandet sein soll, zieht uns auch heute noch in seinen Bann, und das Münzbild, das die beiden charakteristischen Berge von einer spezifischen Stelle aus zeigt, ist eine wahre numismatische Innovation, die nur wenig Nachfolge gefunden hat.

Abb. 3: Das armenisch-deutsche Grabungsprojekt in Artaxata, im Hintergrund das Kloster Khor Virap und der kleine und der große Ararat (2020)
© A. Lichtenberger

Literatur:

F. L. Kovacs, Armenian Coinage in the Classical Period (Lancaster – London 2016), 29 Nr. 180.

Achim Lichtenberge

Oktober 2020
Oktober 2020

Münze des Monats

Amulett-Medaille (sogenannter Pesttaler) Av.
© Museum für Hamburgische Geschichte (Foto: Ralf Wiechmann)
Amulett-Medaille (sogenannter Pesttaler) Rv.
© Museum für Hamburgische Geschichte (Foto: Ralf Wiechmann)

Infektionsschutz mal anders!


Utz Gebhardt, Amulett-Medaille (sogenannter Pesttaler) o. J. (1527–1529), St. Joachimstal
Silber, geprägt; Gew. 30,56 g, Dm. 47 mm (mit Öse 50 mm)
Museum für Hamburgische Geschichte, Inv.-Nr. MK 1959,75-296


„Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider Dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“ – „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Diese beiden Bibelstellen, NVM-RI 21 [6–9] und IOAN-NES+ 3 [14–16], sind die Grundlage für das Verständnis der zwei Seiten des vorliegenden Gepräges. Auf der einen Seite das Kultbild der sogenannten ehernen, also bronzenen Schlange, die sich vielfach um den aufgerichteten Kreuzstab windet. Unten 12 Kniende, die zu der Schlange beten, links vorn vielleicht Moses mit einer Schlange; am Fuß des Kreuzes zwei Tote, von denen eine Schlange aufsteigt. Die zweikreisige Umschrift lautet: DER + HER + SPRA + ZV + MOSE + MAC + DIR + EIN + ERNE + SLANG + VND + RICT + SI + ZVM + ZEIG|EN + AVF + WER + GEPISN + IST + VND + SIET + SI + AN + DER + SOL + LEBEN +. Auf der anderen Seite der Gekreuzigte, bärtig, mit Dornenkrone, großem Wundmal und wehendem Lendentuch, das Kreuz mit reich verzierten Enden, oben die Tafel mit INRI, „Ihesus Nazarenus Rex Iudaeorum“, „Jesus von Nazaret, König der Juden“; unten 14 Kniende, zum Kreuz betend. Die zweikreisige Umschrift lautet: GLEIC + WI + DI + SLANG + SO + MVS + DES + M-ENSEN + SON + ERHOET + WERDEN + VF | DAS + A-L + DI + AN + IN + GLAV-BEN + HABEN + DAS + E-WIC + LEB.

Mit der Pest, dieser hochansteckenden Infektionskrankheit des Bakteriums Yersinia pestis, die hauptsächlich als Beulen- und Lungenpest auftritt und, eigentlich eine Nagetierkrankheit, durch Flöhe auf den Menschen übertragen wird, hat diese Darstellung zunächst gar nichts zu tun. Das Stück gehört in den Kontext der sogenannten erzgebirgischen Prägemedaille, stammt also aus jener montanwirtschaftlichen Boomregion des früheren 16. Jahrhunderts, wo erstmals in großem Stil Großsilbermünzen geprägt wurden, die später den Namen Taler erhielten. Ab ca. 1525 entstanden aus dem vielen Silber in den sächsischen und böhmischen Münzstätten auch münzähnliche Gepräge für den freien Verkauf. Sie sind anfangs meist unsigniert und nicht datiert, tragen jedoch das Zeichen des Münzmeisters, hier Kreuz über Halbmond des Ulrich (Utz) Gebhardt, 1526 bis 1531 Münzmeister in St. Joachimstal (heute Jáchymow/Tschechien). Schnell entwickelte sich daraus die eigentliche erzgebirgische Prägemedaille, selbstständige künstlerische Werke, deren Produktion bis in die 1570er Jahre anhielt.

Die Themenpalette ist riesig: Neben Geprägen auf Persönlichkeiten der Reformation und der Region – Sachsen und Böhmen waren Kernländer der Reformation – sind es vor allem Stücke biblisch-religiösen und/oder allegorischen Inhalts. Charakteristisch ist, dass die zwei Seiten der Medaille oft nach Entsprechungen zwischen Neuem und Altem Testament suchten. In auch ikonografischer Analogie zu Christus am Kreuz, zentrales Ereignis des christlichen Glaubens, fand man so die eherne Schlange am Stab – zumal das Johannes-Evangelium diese Verknüpfung selbst hergestellt hat. Die Stelle des 4. Buches Mose spricht dabei in erstaunlicher Klarheit von Krankheiten, die Gott in Form von Schlangen als Strafe über die Israeliten für deren sündhaftes Verhalten brachte. Die Darstel-lung ließ sich somit gut auf Krankheit, Seuchen, Pest beziehen – schon zeitgenössisch wurden sol-che Gepräge deshalb „Pesttaler“ genannt.

Die Pest, durch genetische Forschungen bereits in bronzezeitlichen Kulturen Zentralasiens nachgewiesen – in den dortigen Nagetierpopulationen besteht bis heute ein natürliches Pestreservoir –, trat in geschichtlicher Zeit erstmals im Frühmittelalter in Europa auf. Die sogenannte Justinianische Pest, die zwischen 541/42 und ca. 770 in mehreren Wellen ganz Europa, die Mittelmeerregion und Vorderasien erfasste, ist die erste als Pest belegte Epidemie. Seuchen anderer Art hatte es natürlich immer auch gegeben, etwa 430 bis 426 v. Chr. in Athen oder mehrfach in der römischen Kaiserzeit. Der sogenannte Schwarze Tod aber, die gesamteuropäische Pestwelle der Jahre 1347 bis 1353 – eingeschleppt aus dem Reich der Goldenen Horde –, erreichte ungeahnte Dimensionen. Millionen Menschen aller gesellschaftlichen Schichten starben innerhalb kürzester Zeit und unter qualvollsten Bedingungen, geschätzt ein Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung. Stadt wie Land erlebten, flankiert von Klimaveränderungen, Unwettern, Hungersnöten, tiefgreifende Veränderungen in ihrer sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ja sogar psychologischen Struktur. Symptome waren auch die Judenpogrome, die an vielen Orten Europas jüdisches Leben auf lange Zeit vernichteten, ebenso Flagellanten, Geißler, die dieser Strafe Gottes durch extreme Bußübungen zu begegnen suchten. Seitdem blieb die Pest endemisch, fast überall und fast immer kam es irgendwo in Europa regional zu Ausbrüchen – so auch 1521/22 in den erzgebirgischen Bergstädten Freiberg, Annaberg, Buchholz, Schneeberg und St. Joachimstal. Besonders in Kriegszeiten trat die Pest als Teil der Trias Krieg, Hunger und Krankheit in Erscheinung, doch zogen auch Pocken, Fleckfieber, Cholera, Typhus oder Masern tributfordernd durch die europäische Geschichte. Seit den 1720er Jahren aus Zentraleuropa und mit Moskau 1771 ganz aus Europa verschwunden, gab es in der Welt auch in der zweiten Hälfte des 19. und im früheren 20. Jahrhundert noch Pestpandemien. Und auch heute ist der Erreger, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt, längst nicht besiegt – und er ist ein biologischer Kampfstoff.

In Zeiten, als man vor Entdeckung des Pestbakteriums 1894 der Pest letztlich nur reagierend, etwa durch verbesserte Hygiene, gegenüberstand, mussten sich Vorbeugung und Behandlung naturgemäß im volkstümlichen Bereich abspielen. Alles war recht, neben allerlei Arzneien – am bekanntesten ist der sogenannte Theriak – vor allem Amulette, krafterfüllte Objekte mit abwehrender, stärkender Wirkung. Die „Pesttaler“ waren Universalamulette gegen Krankheit aller Art; die hohe Überlieferungsquote deutet auf die damalige Käuferzahl. Eigentliches Wirkmittel war das Kultbild des Gekreuzigten: Wie die von der Schlange Gebissenen, die, wenn sie die eherne Schlange ansehen, leben werden – noch heute ist die Schlange am Stab, Attribut des griechischen Heilgottes Asklepios, als Äskulap-Stab Symbol der Ärzte und Pharmazeuten –, verleiht der Glaube an Christus das ewige Leben.

Amulettcharakter und Wirksamkeit des vorliegenden „Pesttalers“ aber wurden durch dessen spezifische Materialität nochmals verstärkt. Die äußeren Umschriftkreise sind wie die zentrale Figur Christi vergoldet, zudem wurde eine kunstvolle Öse angesetzt, und oberhalb des Gekreuzigten sitzt ein facettierter roter Stein, wohl ein böhmischer Granat. Im Volksglauben kam den (Edel-)Metallen, Silber, mehr freilich noch Gold, ebenso wie insbesondere den Edelsteinen vielfache astrologisch-magische Kraft zu. Die Öse jedoch machte das Amulett tragbar, an Schnüren oder Kettchen, und es damit erst wirksam, indem die Kraft des Objekts auf dessen Träger übergehen konnte. Das Kompositamulett, ein Schmuckstück zumal im engeren Sinne, ist so ein auch mentalitätsgeschichtlich eindrückliches Zeugnis für den noch lange abergläubischen Umgang mit Krankheit im vormodernen Europa. Und wer weiß: Vielleicht helfen solche Amulette ja auch heute …

Stefan Kötz

Literatur:

  • Pfeiffer, Ludwig / Ruland, Carl: Pestilentia in Nummis. Geschichte der grossen Volkskrankheiten in numismatischen Documenten. Ein Beitrag zur Geschichte der Medicin und der Cultur, Tübingen 1882, S. 72–126
  • Katz, Viktor: Die Erzgebirgische Prägemedaille des XVI. Jahrhunderts, Prag 1932, S. 39–50
  • Matthes, Erich: Pesttaler und Pestmedaillen aus erzgebirgischen Bergstädten (1525–1550), in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Montangeschichte 14 (1963), S. 13–17
  • Bergdolt, Klaus: Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, München 32018
  • Pest! Eine Spurensuche (Ausstellungskatalog LWL-Museum für Archäologie, Herne 2019/20), Darmstadt 2019
  • Kötz, Stefan: Die Pest in Europa. Amulette als Universalheilmittel, in: Haymann, Florian / Kötz, Stefan / Müseler, Wilhelm (Hrsg.): Runde Geschichte. Europa in 99 Münz-Episoden, Oppenheim am Rhein 2020, S. 199–202 [Wiederabdruck]

 

September 2020
September 2020

Münze des Monats

Oettingen Schwarzpfennig
© Jan Keupp

Eine wahrhaft ‚böse‘ Münze! Der Oettinger Schwarzpfennig


Oettingen, Schwarzpfennig (Emmerig Oe-10), 1456-1458, 0,50g
Vs.: Wappenschild Oettingen; Rs.: V zwischen zwei Röslein in Kordelkreis

„Hört gut zu, ich mach Euch kund, / ein jedes Ding ist ungesund, / sofern man zu viel davon macht.“ – so hebt ein Reimpaarspruch des sog. Mysners an, enthalten in einer heute in München aufbewahrten Papierhandschrift des 15. Jahrhunderts (Der Mysner, 32f.). Diese Regel gelte für Musik, Tanz und die Liebe ebenso wie für das Lachen und den Schlaf. In Bezug auf ein einziges Ding aber sei sie unzutreffend: „Das nennt man den Junker Pfennig“. Vom Münzgeld nämlich könne man schwerlich genug bekommen. Verorten lässt sich das Manuskript im Grenzraum zwischen Bayern, Franken und dem nördlichen Württemberg. Konsultiert man zum Wasserzeichen die mittlerweile digital verfügbare Stuttgarter Sammlung Gerhard Piccards, so lässt sich bei aller gebotenen Vorsicht ein zusätzlicher Herkunftshinweis gewinnen: „Öttingen 1457“ lautet ein Karteieintrag zu der in das Papier eingebrachten Traube mit einkonturigem Stiel.
Fast möchte es scheinen, als wären die Verse vorbildhaft für jene Münzpolitik gewesen, die unter der Ägide des Grafen Ulrich von Oettingen-Flochberg in diesen Tagen Gestalt annahm. Bereits im März 1456 hatte er gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm einen Münzmeister bestellt und diesem präzise Instruktionen zur Herstellung von Pfennig- und Hellerstücken erteilt. Diese Ausführungsbestimmungen decken sich exakt mit dem Gepräge des hier vorgestellten Exemplars, denn zum Münzbild der Pfennige heißt es dort: und an dem ain ort sol steen und geschlagen werden der schilt Öting und an dem andern ort ein V und zway roslin (nach: Emmerig, 483). Kombiniert wurde demnach das Oettinger Wappenzeichen (auf Eisenhutfeh ein Herzschild, darüber ein Schragenkreuz) auf dem Avers mit der Initiale des Münzherrn auf dem Revers. Die Berechtigung zur Pfennigprägung war durch ein königliches Münzprivileg des Jahres 1393 zweifellos gegeben, gleichwohl stellte die Neuemission in zweierlei Hinsicht ein Novum dar: Zunächst sah sich der Münzmeister angewiesen, dass er ein schwarcze müncz schlachen sol (…) und die pffenning sollen egget sein (ebd., 482f.). Damit imitierten die Oettinger Stücke die im Herrschaftsbereich der bayerischen Herzöge gängigen sog. Schwarzpfennige in ihrer charakteristischen Farbe und Formgebung. Verwendet wurden rechteckig zugeschnittene und durch vierfachen Hammerschlag ausgerundete Schrötlinge, die zudem durch den Verzicht auf die Technik des Weißsiedens eine dunkle Patina annahmen. Vom optischen Vorbild abweichend wurde freilich der intrinsische Wert der Stücke festgelegt: Er unterschritt mit dem zunächst festgelegten Silberanteil von 5 Lot 1 Quint (328/1000) absichtsvoll den Feingehalt der sechslötigen (375/1000) bayerischen Pfennige. Gemäß der anfänglichen Anweisung an den Münzmeister sollte ein Oettinger Schwarzpfennig demnach bei einem veranschlagten Raugewicht von 0,46g lediglich 0,15g Edelmetall enthalten, während sein bayerisches Pendent einen Silberanteil von 0,19g besaß. Die Grafen versetzten sich auf diese Weise in der Lage, ihr Pfenniggeld günstiger herzustellen als die benachbarten Herrschaften, bzw. dem in die Münzprägung investierten Silber überall dort eine um 27% größere Kaufkraft zu verleihen, wo die Oettinger Münze als der bayerischen gleichwertig akzeptiert wurde. Das Geschäft erwies sich offenbar als so profitabel, dass man den Münzausstoß im Verlauf der Jahre 1456 bis 1458 an zeitweise zwei Prägestätten sukzessive steigerte, nach einer Schätzung Hubert Emmerigs „ergaben sich wöchentliche Prägezahlen von anfangs 37.000 bis zuletzt 364.000 Pfennigen“ (ebd., 484). Entsprechend sank die Qualität des Gepräges: Ob der Massenproduktion wirkt das vorliegende Stück äußerlich wenig ansprechend, auch wenn Münzbild und Vierschlag vergleichsweise gut erkennbar sind.
Doch nicht der Mangel an Ästhetik, die schiere Masse geringwertigen Geldes rief die Obrigkeiten der benachbarten Territorien auf den Plan. Mit den Oettinger Pfennigen ließen sich Waren und Dienstleistungen günstig erwerben, während die Verkäufer das Nachsehen hatten. In der Handelsmetropole Augsburg beobachtete man daher mit Argwohn das Einströmen des fremden Geldes: Item vff mittwochen in der palmwochen hän ich versucht Grauf Vlrich von Oettingen Münz, so notierte ein Augsburger Münzprüfer im April 1457 über seine Untersuchung der fremden Pfennige (Beyschlag, 171). Das bestürzende Ergebnis: Eine erste Probe ergab einen Feingehalt von nur 1 ½ Lot (94/1000), eine zweite von immerhin 4 Lot, 1 Quint (266/1000). Diese Schwankungsbreite mag die Folge eines unzureichend kontrollierten Produktionsprozesses sein, vermutlich verweist sie aber auf eine schleichende Reduzierung des Silberanteils, wie sie der Augsburger Chronist und Handelsherr Burkhard Zink präzise beschreibt: die müntz ward ie lenger ie böser (…). man pracht der müntz so vil, gantze faß voll, und ward die müntz so pös, daß man sie nit mer memen wolt, und verpot man sie auch überall in Schwaben und in Bairn, wann sie was pös. (Zink, 222). Während man in Augsburg zunächst den Kurs des ‚bösen‘ Oettinger Pfennigs gegenüber der eigenen Prägung abwertete und sie schließlich gänzlich aus dem Marktgeschehen verbannte, entschied man sich in den Wittelsbacher Territorien zu einem deutlich offensiveren Vorgehen: Gut dokumentiert sind die Versuche der Herzöge Ludwig IX. von Bayern-Landshut und Albrecht III. von Bayern-München, die gräflichen Münzherrn auf diplomatischem Weg in die Schranken zu weisen. Nach mehreren fruchtlosen Mahnungen verband man sich schließlich vertraglich mit dem Pfälzer Kurfürsten Friedrich dem Siegreichen und dessen Onkel Otto von Pfalz-Mosbach. In einem gemeinsamen Schreiben vom 6. Februar 1458 monierte man abermals, Graf Ulrich habe ettlich Zeitt her auf payrische Varb, und Forme (…) Pfenning und Münße geslagen (…) und uns, und die unsern zu merklichem Schaden bracht und forderten die Einstellung jeglicher Münztätigkeit sowie einen angemessenen Schadensersatz. Würden diese Forderung nicht erfüllt, so hätte man daran kaine Gevallen, und gepuert uns nit zu leydn (Lori, 50). Hinter dieser Formulierung steckte eine ernsthafte Kriegsdrohung, denn am gleichen Tag hatte man sich verpflichtet, mit täglichen Krieg, mit Herzuegen und Herrskraeften gegen die schlechte Münze einzuschreiten (ebd., 55). Für ein konzertiertes Vorgehen gegen die renitenten Oettinger waren bereits konkrete Truppenkontingente veranschlagt worden, insgesamt 1000 Reiter wollten die vier Fürsten ins Feld führen, dazu 2000 Gewappnete zu Fuß und zwei große Pulvergeschütze (Emmerig, 70). Wenig half in dieser Situation das Kompromissangebot Graf Ulrichs, seine Pfennige künftig in grauer statt schwarzer Farbe ausprägen zu lassen. Angesichts der massiven Gewaltdrohung sah er sich schließlich dazu gezwungen, die Münzproduktion einzustellen.
Damit freilich war die Affäre keineswegs zum Abschluss gelangt, jedenfalls nicht aus der Sicht des Augsburgers Burkhard Zink. Dieser weiß zu berichten, dass die noch ungeprägten bösen Öttinger im Folgejahr fässerweise in die Herzogsstadt München überführt wurden, wo sie den dortigen Münzstempel erhielten (Zink, 111). Der Chronist kolportiert hier bei stark gestraffter Ereignisfolge vermutlich ein bloßes Gerücht, behält im Ergebnis indes recht: Angesichts einer aufziehenden militärischen Auseinandersetzung hatte zunächst Herzog Ludwig in Landshut einen dreilötigen Pfennig schlagen lassen, um seine Kriegskasse mit günstigem Münzgeld aufzustocken. Herzog Albrecht protestierte zunächst gegen diese münzpolitische Wende, ließ im Herbst 1459 aber seinerseits einlötige Pfennige in München prägen, die jeweils nurmehr 0,03g Silber enthielten. Entsprechend sank der Kurs der bayerischen Silberpfennige im Verhältnis zum wertstabilen Gulden: „Jetzt sollte jedermann gründlich bedenken, ob dies nicht eine Angelegenheit von bisher unerhörtem Ausmaß war, dass man die Münze zunächst [Anfang 1459] für 7 Münchner Schilling [210 Pfennige] auf einen Gulden (…) geprägt hat, schließlich aber 10 Pfund [2400] Münchner Pfennige für einen Gulden bezahlte“, so notiert Burkhard Zink (ebd. 113). Der intrinsische Wert der kleinen Münzen hatte sich damit innerhalb weniger Monate dramatisch verringert, während die Menge der umlaufenden Pfennige im gleichen Zeitraum im Wortsinn inflationär angewachsen war.
Eine ähnliche Entwicklungsdynamik hatte nahezu zeitgleich das von dynastischen Erbstreitigkeiten erschütterte Österreich erfasst. Auch hier begann man, so berichtet der Chronist Jakob Unrest, „eine böse Münze herzustellen, die Schinderling genannt wurde. Es konnte sie umso leichter prägen, wer viele alte Kupferkessel besaß“ (Unrest, 13). Die Folgen der nahezu den gesamten südostdeutschen Raum erfassenden Münzkrise schildert wiederum eindrücklich Burkhard Zink: „Im ganzen Land gab es derartig viele Münzen, dass keiner sie mehr annehmen mochte und in zahlreichen Städten waren weder Brot, Wein noch andere Lebensmittel käuflich zu erwerben. Das bedeutete für die armen Leute beinahe den Hungertod: Wenn ein armer Mann den ganzen Tag lang für 10 oder 12 Pfennige arbeitete, dann konnte er dafür nicht einmal Brot im Wert eines [alten] Pfennigs kaufen.“ (Zink, 111f.). Diese Angaben werden durch die österreichischen Chronisten vielfach bestätigt: Die Wiener Bäcker etwa hätten 1460 für einen klainen laib Brotes den stolzen Preis von 120, bald sogar von 270 der ‚Schinderlinge‘ verlangt und damit das Zehn- bis Zwanzigfache eines Tageslohns (Rerum Austriacarum historia, 48f.). Gleichzeitig schlug die Stunde der Spekulanten, die mit dem billigen Geld Waren und Lebensmittel aufkauften und außer Landes schafften, wo sie für harte Währung Abnehmer fanden. Wenn die Tuchproduzenten Augsburgs ebenso wie die österreichischen Bauern sich zu Anfang über die steigenden Absatzpreise gefreut hatten, so mussten sie bald schon erkennen, dass gefüllte Kassen keineswegs automatisch Wohlstand bedeuteten: „Am Ende besaßen die Kinder auf den Gassen derart viele Pfennige, dass sie sie einfach fortwarfen“, so kommentiert ein anonymer österreichischer Chronist (ebd. 47).
Vielleicht hätte man in der Grafschaft Oettingen zu Beginn der Münzprägung die Verse der Münchner Handschrift bis zum Ende lesen und beherzigen sollen. Über den ‚Junker Pfennig‘ nämlich heißt es dort weiter: „Wer auf ihn setzt, / bereut es zuletzt! / Der Pfennig ist trügerisch und schlecht, / Lohn gibt er, so wie der Teufel seinem Knecht.“ (Der Mysner, 35). Die negativen Konsequenzen der Schinderlingsinflation für das Gros der Bevölkerung sind trotz der zahlreich überlieferten Klagen kaum zu ermessen: „Krieg, Plünderung und Feuersbrunst konnten das Land nicht so sehr zugrunde richten, wie es die Münze getan hat“, so ließen die zu Göllersdorf versammelten Standesvertreter im Februar 1460 den Kaiser wissen (Zeibig, 193). Gleichwohl konnte die Krise im Jahresverlauf in nahezu allen betroffenen Gebieten durch ein entschlossenes Gegensteuern der Landesherren überwunden werden. Der hier gezeigte Oettinger Schwarzpfennig mag heute stellvertretend für die virulente Versuchung stehen, Geldpolitik einem kurzfristigen fiskalischen Gewinnstreben zu unterwerfen. In seiner unansehnlich ‚bösen‘ Gestalt kann er uns zugleich als deutliche Warnung vor den fatalen sozialen und wirtschaftlichen Folgen währungspolitischer Experimente dienen.

Jan Keupp

Quellenausgaben:

  • Johann Georg von Lori (Hrsg.), Sammlung des baierischen Münzrechts, Bd. 1, [München 1768].
  • Der Mysner, Junker Pfennig, in: Johannes Bolte, Zehn Gedichte auf den Pfennig, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 48 (1906), S. 13-56, Nr. 6, S. 32-36.
  • Rerum Austriacarum historia ab anno Christi M.CCCC.LIIII. usque ad annum Christi M.CCCC.LXVII, hrsg. von Adrian Rauch, Wien 1794.
  • Jakob Unrest, Österreichische Chronik, hrsg. von Karl Grossmann (MGH SS rer. Germ. N.S. 11), Weimar 1957.
  • Hartmann Joseph Zeibig (Hrsg.), Copey-Buch der gemainen Stat Wienn 1454-1464 (Fontes rerum Austriacarum 2,7), Wien 1853.
  • Burkhard Zink, Chronik, hrsg. von Ferdinand Frensdorff /Matthias Lexer, in: Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg Bd. 2 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 5), Leipzig 1866, S. 1-330.

Literatur:

  • Daniel Eberhardt Beyschlag, Versuch einer Münzgeschichte Augsburgs in dem Mittelalter, Stuttgart/Tübingen 1835.
  • Hansheiner Eichhorn, Der Strukturwandel im Geldumlauf Frankens zwischen 1437 und 1610. Ein Beitrag zur Methodologie der Geldgeschichte (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beiheft 58), Wiesbaden 1973.
  • Hubert Emmerig, Bayerns Münzgeschichte im 15. Jahrhundert. Münzpolitik und Münzprägung der bayerischen Herzogtümer und ihrer Nachbarn von 1390 bis 1470, Bd. 1 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 150), München 2007 [v.a. S. 50-126 zur Schinderlingszeit sowie S. 474-494 zur Oettinger Münzprägung].
  • Richard Gaettens, Inflationen. Das Drama der Geldentwertungen vom Altertum bis zur Gegenwart, München 1955.
  • Carl Hegel, Über Münze und Preise in Augsburg, in: Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg Bd. 2 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 5), Leipzig 1866, S. 421-440.
  • Arnold Luschin von Ebengreuth, Das Münzwesen in Österreich ob und unter der Enns im ausgehenden Mittelalter [2. Teil], in: Jahrbuch für Landeskunde in Niederösterreich, N.F. 15/16 (1916/17), S. 367-462.
  • Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Handschriften aus Cgm 888-4000 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V,6), Wiesbaden 1991, hier: Cgm 1020, S. 62-66.
  • Wasserzeichensammlung Piccard, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand J 340, Nr. 128765 (Stadtarchiv Nördlingen, Missive), aus: https://www.piccard-online.de.
August 2020
August 2020

Münze des Monats

© Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur

Krieg als Mittel der Politik – Der Deutsch-Französische Krieg vor 150 Jahren:

Anonym (Prägeanstalt Drentwett & Peter, Augsburg?)
Populäre Zinnmedaille auf die Schlacht bei Wörth am 6. August 1870
Zinnprägung, Gew. 22,894 g, Dm. 39 mm, Stempelst. 0°
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 46304 Mz
Fotos: Stefan Kötz

Vor hundertfünfzig Jahren, am 19. Juli 1870, erklärte der französische Kaiser Napoleon III. (1808 – 1873, reg. seit 1852) dem Preußenkönig Wilhelm I. (1797–1888) den Krieg, der nach Mobilmachung und Aufmarsch am 2. August begann. Am 6. August fand die Schlacht bei Wörth im nördlichen Elsass statt, in dem die dritte Armee unter dem Oberbefehl des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1831–1888), der 1888 drei Monate lang als Kaiser Friedrich III. regieren sollte, die Armee des Marschalls Patrice de MacMahon (1808–1893) besiegte und zerstreute. Darauf bezieht sich die hier vorgestellte Zinnmedaille, die auf der Vorderseite den preußischen König Wilhelm zeigt, als Sieger lorbeerbekränzt in einem mit der preußischen Königskrone gezierten Oval. Gerahmt von einem Lorbeerkranz ist das Oval vor ein „Tropaion“, also arrangierte Beutewaffen, gestellt, über dem Schriftband „ZU DEUTSCHLANDS EHRE UND RUHM“, das unten mit Eichenblättern gesäumt ist. Die Rückseite nennt in einem Eichenlaubkranz den Anlass: „ZUR / ERINNERUNG / AN DEN SIEG / DER DEUTSCHEN WAFFEN / IN DER SCHLACHT / BEI / WÖRTH / DEN 6. AUGUST 1870 / VERLUST DER FRANZOSEN: / 4000 GEFANGENE / 30 GESCHÜTZE / 6 MITRAILLEUSEN / 2 ADLER“.


Einen Monat später war Napoleon III. gefangen und abgesetzt, genau ein halbes Jahr später, am 18. Januar 1871, wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal des Schlosses Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert, nachdem schon zum 1. Januar 1870 das Deutsche Reich von den im Norddeutschen Bund unter Führung Preußens vereinigten Staaten und den süddeutschen Ländern Baden, Bayern, Hessen und Württemberg gegründet worden war. Heutzutage findet die Erinnerung an die Reichsgründung 65 Jahre nach dem Untergang des Alten Reiches (1806) nur geringe Resonanz. Immerhin widmet das Militärhistorische Museum in Dresden den deutschen „Einigungskriegen“ von 1864 bis 1871 eine große, bis in den Januar 2021 laufende Sonderausstellung.


Die Erinnerung an 1870 lohnt gleichwohl, weil sie Strukturen und Probleme damaliger europäischer Politik offenlegt, die wir heute zwar überwunden glauben, die zu betrachten aber immer noch nützlich ist. Obwohl eigentlich nur punktuell auf ein einzelnes militärisches Ereignis fokussiert, kann die Wörth-Medaille doch zum Verständnis des Geschehens beitragen.


Die Vorderseite beantwortet die „Warum-Frage“ des Krieges: man kämpfte „zu Deutschlands Ehre und Ruhm“. Der Krieg war von heute nichtig scheinenden Prestigefragen ausgelöst worden: bei einer innenpolitischen Krise in Spanien war die Königin ins Exil gegangen. Auf der Suche nach einem neuen spanischen König war Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835–1905) aus der katholischen schwäbischen Nebenlinie des preußischen Königshauses Favorit, was die französische Öffentlichkeit empörte, an deren Spitze sich der Kaiser stellte. Seine innenpolitische Stellung war geschwächt; er erhoffte sich neues Ansehen durch außenpolitische Erfolge – auch so etwas gibt es bis heute. Bis heute handeln Politiker als Vollstrecker einer – zuweilen von ihnen mitgeformten – öffentlichen Meinung.


Als nach dem Verzicht des Prinzen Kaiser Napoleon III. am 13. Juli 1870 von der preußischen Regierung verlangte, nie einen Hohenzollernprinzen auf den spanischen Thron gelangen zu lassen, erhielt er eine glatte Abfuhr. Die Ehre Frankreichs war in den Augen der französischen Öffentlichkeit gekränkt, und das französische Parlament bewilligte am 15. Juli die Gelder für die Mobilmachung der Armee, vier Tage später erklärte Napoleon III. an Preußen den Krieg. Man erwartete einen leichten Sieg wie unter Napoleon I. Die übrigen europäischen Mächte aber erklärten sich für neutral.


Otto von Bismarck (1815–1898), ein konservativer Junker, seit 1862 preußischer Ministerpräsident und seit 1867 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, war nicht unvorbereitet, hatte er doch die preußische Armee im Konflikt mit dem Abgeordnetenhaus verstärkt. Er wollte Preußen zur deutschen Führungsmacht machen und nutzte die in der deutschen Öffentlichkeit ausgeprägte Sehnsucht nach einem Nationalstaat. 1866 hatte Preußen im Deutschen Krieg Österreich besiegt, den 1815 gestifteten Deutschen Bund aufgelöst, das Königreich Hannover sowie Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt annektiert und den Norddeutschen Bund aus allen Staaten nördlich der Mainlinie gegründet, mit einem in geheimer und gleicher Wahl gewählten Parlament. Die süddeutschen Staaten hatten ein Defensivbündnis mit Preußen geschlossen; Oberbefehlshaber sollte im Kriegsfall der preußische König sein.


Wilhelms Kopf auf der Wörth-Medaille ist kopiert von dem preußischen Siegestaler von 1866, der das normale Talerbild, aber den Kopf eben mit dem Lorbeerkranz zeigte! Die Pickelhaube unter dem Bildnisoval trägt den preußischen Adler.


Im Juli 1870 trat nun der Bündnisfall ein: auch die süddeutschen Staaten antworteten mit der Mobilmachung und beriefen die Reservisten ein. Zwei Wochen später hatten sie in der Pfalz an der Grenze ihre Armeekorps versammelt und dem preußischen Kronprinzen unterstellt. Zwei weitere preußische Armeen standen bei Saarbrücken und bei Kaiserslautern. Am 4. August überschritt die dritte, die „deutsche“, überwiegend aus süddeutschen Soldaten gebildete Armee bei Weißenburg/Wissembourg die Grenze, um die „Elsassarmee“ des Marschalls MacMahon anzugreifen und an weiteren Bewegungen zu hindern. Nach verlustreichen Kämpfen zogen sich die Franzosen zurück. Zwei Tage später stieß die 88.000 starke Armee auf die bei Wörth verschanzte rund 45.000 Mann starke Armee MacMahons, die in blutigen Kämpfen zum ungeordneten Rückzug gezwungen wurde. Nach der offiziellen Statistik hatten die Franzosen rund 8.000 Tote und Verwundete – die aber auf der Medaille nicht genannt sind, zumal die deutschen auch 10.642 Tote und Verwundete (von denen viele später auch verstarben) zu beklagen hatten. Die Erinnerung an die Opfer war indes unerwünscht. Stattdessen wird auf der Medaille die Zahl der Gefangenen und der erbeuteten Geschütze und Mitrailleusen (eine Art Maschinengewehre) und zwei „Adler“ als Feldzeichen angegeben. 1854 hatte Napoleon III. diese wieder eingeführt – wie sein Onkel Napoleon I., der nach dem Vorbild der altrömischen Armee, wo jede Legion einen Legionsadler als unbedingt zu verteidigendes Abzeichen geführt hatte, jedem Regiment einen Adler („aigle de drapeau“) verliehen hatte; daneben hatte jede Kompanie eine Fahne. Bei Wörth waren also die Adler von zwei Regimentern erbeutet worden.


Die Beteiligung der süddeutschen Soldaten, eben der „deutschen Waffen“, wie die Medaille es nennt, gibt auch einen Hinweis darauf, dass diese Medaille in Süddeutschland, vermutlich in der Medaillenfabrik Drentwett & Peter in Augsburg entstand. Sie steht am Beginn einer Serie, die auch weitere Siege wie die bei Sedan am 2. September und die Kapitulation der starken Festung Metz am 27. Oktober behandelte; die Vorderseite konnte jeweils unverändert beibehalten werden.


Als die erste preußische Armee am 1. September 1870 die französische Nordarmee eingekesselt hatte, musste diese sich mit ihrem Kaiser an der Spitze kriegsgefangen ergaben. Am 4. September wurde die Republik proklamiert. Die Preußen marschierten weiter auf Paris, dessen Belagerung am 19. September begann und mit der Kapitulation am 28. Januar endete. Am 26. Februar wurde in Versailles ein Vorfrieden geschlossen, am 10. Mai in Frankfurt der endgültige Friedensvertrag unterzeichnet. Mit der Abtretung von Elsass-Lothringen war der nächste Krieg vorprogrammiert – er begann am 3. August 1914.
Dass politische Konflikte militärisch gelöst werden, ist bis heute in aller Welt leider normal, nur nicht mehr in Mitteleuropa, gottlob. Die deutsch-französische Aussöhnung unter Konrad Adenauer (1876 – 1967) und Charles de Gaulle (1890–1970) und die neuen Formen politischer Verflechtung in der NATO und in der EU sichern hier den Frieden. Nur an der Peripherie Europas wird seit dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion immer wieder mit Gewalt Politik gemacht.
Auch die Symbolik der Medaille von 1870 ist veraltet, wird noch verstanden, aber nicht mehr verwendet. Die Bildersprache ist der Antike entlehnt: der „Adler“ als Feldzeichen, der Lorbeerkranz als Zeichen des Siegers und des siegreichen Imperators, das Tropaion aus den eroberten Waffen, der Eichenkranz als Relikt der „corona civica“ der römischen Republik, mit der Verdienste „ob cives servatos“, wegen der Rettung von Bürgern insbesondere in Kriegszeiten belohnt wurden. Als Bürgerkrone meint sie hier die bürgerlichen Wehrpflichtigen, die mit den „deutschen Waffen“ siegreich waren. Diese ganze Bildersprache ist heute weitgehend obsolet – indem nämlich Gewalt als Mittel der Politik völkerrechtlich geächtet und nur zur Verteidigung und Durchsetzung des Rechtes legitim ist. Die öffentliche Ehrung und Anerkennung militärischer Sieger kennt unsere Gesellschaft nicht.


Diese Medaille ist ein kommerzielles, preiswert produziertes Produkt, wurde billig und an möglichst viele Menschen verkauft. Aluminium war damals noch ein ganz modernes Metall, dessen Herstellung in größerem Umfang erst um 1860 begonnen hatte. Für eine Medaille, die eigentlich eine Person oder ein Ereignis verewigen und unvergesslich machen und zugleich weitestmöglich verbreitet sein soll, war das Metall insofern geeignet, als es relativ weich und gut verformbar war und die Prägestempel lange hielten, was die Kosten senkte; aber auch ungeeignet, weil die Oberfläche schnell verkratzte. Für populäre Propagandastücke war das beim Kauf erst einmal egal – und der mäßige Erhaltungszustand bezeugt, dass dies Exemplar wohl von Nicht-Numismatikern besessen und nicht sorgfältig in einem Münzschrank verwahrt wurde (für echte Sammler gibt es die Medaille aber auch in Bronze!), sondern in Schubladen oder sonstwo lose abgelegt, berieben und bestoßen. Die nachhaltige Erinnerung ist mit dem billigen und weichen Aluminium nur um den Preis ästhetischer Einbußen zu leisten. Als Propaganda-Medaille zeigt sie, dass die politischen Ideale, die es transportiert, eben auch vergänglich sind.
Gerd Dethlefs

Literatur:

  • Brockhaus‘ Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, 13. Aufl., Bd. 5, Leipzig 1888, S. 187-201, 267.
  • Eberhard Kolb: Der Kriegsausbruch 1870, Göttingen 1970.
  • Paul Arnold / Harald Küthmann / Dirk Steinhilber, Grosser deutscher Münzkatalog von 1800 bis heute, München 1969, hier benutzt 30. Aufl., bearb. von Dieter Faßbender, Regenstauf 2015, S. 316 Nr. 117
  • Krieg Macht Nation. Wie das deutsche Kaiserreich entstand, Ausst.Kat. Militärhistorisches Museum Dresden 2020.
  • Andreas Kilb: Der vergessene Krieg. Pomp und Peinlichkeit: Das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt den deutsch-französischen Waffengang von 1870/71 als Weichenstellung der europäischen Geschichte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 18. Juli 2020, S. 9
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_W%C3%B6rth mit der älteren Literatur.
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Aigle_de_drapeau
Juli 2020
Juli 2020

Münze des Monats

© Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg
© Michael Reid Gallery
© gemeinfrei

Diese Währung ist Tabu – Schneckengeld aus der Südsee

Geld hat viele Erscheinungsformen, von denen Münzen und Scheine uns aus dem Alltag am besten vertraut sind. Tatsächlich treten Währungen in zahllosen Gestalten und Materialien auf. Was eine Gesellschaft als Geld anerkennt, folgt nur bedingt nachvollziehbaren Regeln. Häufig handelt es sich um Objekte mit einem Nutzwert – etwa Lebensmittel, Werkzeuge und Waffen – oder aber um Dinge, die rar oder nur schwer herzustellen sind und sich teilweise auch gerade dadurch auszeichnen, eben keinen Nutzwert zu haben. Viele der uns auf den ersten Blick kurios erscheinenden Geldformen werden nicht nur im Handel, sondern insbesondere auch bei speziellen Gelegenheiten, etwa bestimmten Feierlichkeiten, eingesetzt. Diese Gelder dienen also nicht immer (nur) als das uns vertraute Handelsgeld, sondern haben darüber hinaus auch eine soziale und/oder kultische Dimension. Ein gutes Beispiel für eine solche Währung, die beide Aspekte vereint, ist „Tabu“ (auch: Tambu oder Diwarra), das bei den Tolai, einem auf Neubritannien (Papua-Neuguinea) lebenden Volk, in Gebrauch war und ist.

Um Tabu herzustellen, müssen zunächst im Meer lebende Nassa-Schnecken gesammelt oder mit Netzen aus dem Meer gezogen werden. Die nicht mehr als 75 mm großen Schnecken werden in der Sonne getrocknet, ihre Gehäuse zu etwa fingernagelgroßen Scheibchen geschliffen, manchmal gebleicht und schließlich auf Rattan-Streifen gefädelt. Dabei soll möglichst immer ein kleiner Zwischenraum zwischen den Schneckenscheiben verbleiben, um später das Zählen zu erleichtern. Eine von Fingerspitze zu Fingerspitze zwischen zwei ausgebreiteten Armen reichende Kette wird Pokono oder auch fathom (vom nautischen Längenmaß dt. „Faden“/engl. „fathom“) genannt und besteht aus 300 bis 400 Schnecken. Einst konnte ein Mann während der Fischsaison etwa 50 fathoms verdienen.

Dass Tabu als wertvoll gilt, liegt vor allem daran, dass die Herstellung sehr mühsam und zeitraubend ist. Zudem musste die Produktion früher von einem lokalen Anführer gestattet werden – auf diese Weise wurde einer Überproduktion und damit einhergehender Inflation vorgebeugt. Der lokale Anführer wiederum erlangte seine Position traditionell in erster Linie durch Demonstration seines unternehmerischen Geschicks – das sich darin zeigte, dass er große Mengen Tabu angesammelt hatte. Entsprechend dem mit dem Tabu-Besitz einhergehenden hohen sozialen Status wurden bereits die Kinder zur Sparsamkeit erzogen.

Während kleinere Abschnitte des Geldes für Alltagsgeschäfte genutzt wurden, sparten die Tolai ihre Pokonos, indem sie zwischen 50 und 200 dieser „Fäden“ zu Reifen mit einem Durchmesser von etwa einem Meter banden und mit Blättern umwickelten. Diese Reifen werden als Loloi bezeichnet. Während das „Kleingeld“ zum Einkaufen im Haus – oftmals in dekorativen Kokosnussschalen oder Glasbehältnissen – aufbewahrt wurde, lagerte man die Loloi in dorf- oder familieneigenen Schatzhäusern, die Tag und Nacht bewacht wurden. Nur zu bestimmten Anlässen wurden die Loloi herausgeholt, in feierlichen Prozessionen umhergetragen und an Schaugerüsten aufgehängt. Typische Feierlichkeiten, bei denen dies gemacht wurde, waren Initiationsfeste, Hochzeiten und insbesondere Totenfeiern. Zunächst war eine große Menge gesammelten Tabus die Voraussetzung für ein glückliches Leben nach dem Tod. Wer an seinem Lebensende nicht genügend Schneckengeld vorweisen kann, so die traditionelle Vorstellung, muss im immerwährenden Elend im „Land von IaKupia“ umherirren. Doch auch für die Hinterbliebenen war der Reichtum ihrer Ahnen von Bedeutung: Anlässlich der Totenfeiern wurden die Verstorbenen nämlich inmitten ihrer Ersparnisse aufgebahrt und diese anschließend an die Teilnehmer der Zeremonie verteilt – das konnten 400-500 Menschen sein. Auf diese Weise stellte geerbtes Tabu immer auch eine Verbindung der Lebenden mit den verstorbenen Vorfahren dar. Eine sprachliche Verwandtschaft von „Tabu“ mit „tabu“, dem melanesischen Wort für „heilig“, „unverletzlich“, wird diskutiert.

Darüber hinaus konnte das Schneckengeld als Zeichen besonders großer Anerkennung verschenkt oder als Sühnegabe genutzt werden. Strafen richteten sich nach dem Vergehen: Ehebruch wurde mit 3-5 „Fäden“ veranschlagt, für einen Mord waren 50 zu zahlen. Auch Streitigkeiten zwischen Ortschaften wurden durch den Austausch von Loloi beigelegt. Auf Diebstahl von Tabu stand früher die Todesstrafe, obschon auch dieses Vergehen in der Praxis üblicherweise durch eine hohe Strafzahlung gesühnt wurde.

1884 wurde dieser Teil Neubritanniens vom Deutschen Kaiserreich „in Besitz genommen“ und in Neupommern umbenannt. 1902 wurde Tabu für den Handel mit Europäern durch die deutsche Kolonialregierung verboten. Das „Deutsche Kolonial-Lexikon“ von 1920 erklärt auch wieso: „An wichtigen Bestimmungen, die im Interesse der Eingeborenen erlassen wurden, ist vor allem die Abschaffung des Muschelgeldes zu nennen, dessen Benutzung im Verkehr mit Europäern bereits im Jahre 1902 verboten wurde, um die Eingeborenen dazu zu bringen, daß sie, wenn sie sich von Europäern etwas kaufen wollten, erst durch ordnungsmäßige Arbeit Geld verdienen mußten.“ Diese paternalistische Sichtweise hatte jedoch auch etwas Gutes, denn die modernen Fangmethoden und technischen Möglichkeiten der Europäer hätten vermutlich rasch zu einer Inflation und damit zu einem Verschwinden des Tabus geführt, wenn sie die Schnecken im Handel mit den Tolai hätten einsetzen können. Die Tolai selbst scherten sich wenig um diese Erlässe und nutzten das Schneckengeld weiterhin untereinander.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Gebiet durch ein Mandat des Völkerbundes unter australische Herrschaft. Nach einer wechselhaften Geschichte, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, wurde Papua-Neuguinea, zu dem Neubritannien heute zählt, 1975 unabhängig.


Die Christianisierung seit der Kolonialzeit hat dazu beigetragen, dass viele der traditionellen religiösen Strukturen verloren gegangen sind. Dennoch ist das Schneckengeld noch immer in Gebrauch; dabei tritt der Wert als tatsächliches Handelsgeld heute deutlich hinter seine kultische und kulturelle Bedeutung zurück. Im Alltag ist mittlerweile Kina als offizielle Währung Papua-Neuguineas üblich geworden. Der Name dieses Münz- und Papiergeldes ist vom einheimischen Namen für die Nassa-Schnecken abgeleitet. Doch unabhängig davon gibt es bis heute Zahlungen, die nur oder zumindest bevorzugt in der traditionellen Währung zu leisten sind. Beispielsweise hat der künftige Ehemann Loloi als Brautpreis an die Brauteltern zu übergeben. Diese Gabe darf nicht als „Kauf“ der Frau missdeutet werden; auf diese Weise wurde und wird vielmehr die neue Verbindung dokumentiert. Ähnlich sind auch Sühnegelder nach einem Mord als symbolische Anerkenntnis einer nicht begleichbaren Schuld zu sehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Wiedergutmachungen nach einem Streit und Ehrerweisungen gegenüber den Ahnengeistern den Austausch bzw. die Darbringung von Tabu erfordern können. In diesen Kontexten steht nicht der Handelsgeld-Charakter der Währung im Vordergrund, sondern ihr sozialer oder kultischer Aspekt: Der Austausch von Tabu bildet Beziehungen ab – eine wichtige Funktion des Geldes, die uns fremd erscheint, tatsächlich aber vielen nichtmünzlichen Zahlungsmitteln eigen ist.

Seit 2002 wird Tabu in der Provinz East New Britain als regionale Komplementärwährung gefördert; man kann dort sogar die Einkommenssteuer in Tabu bezahlen. Da das natürliche Vorkommen der Nassa-Schnecken in der Region aufgrund des hohen Bedarfs in der Vergangenheit fast erschöpft ist, wird das moderne Tabu größtenteils von den Salomonen importiert. Bei der „Tolai Exchange Bank“, der weltweit ersten Schneckengeldbank, kann Kina gegen Tabu gewechselt werden, wobei 3 Kina, etwa 1 Euro, einem fathom entsprechen. Auf diese Weise können auch die heutigen Tolai, die keine andere Möglichkeit zur Beschaffung von Schneckengeld mehr haben, Tabu für den Gebrauch bei Riten oder Feierlichkeiten erstehen. Schätzungen zufolge läuft gegenwärtig Tabu im Wert von etwa 2 Millionen Euro um. Gerade in kleineren Dörfern kann man damit auch noch immer Reis, Süßigkeiten und andere Kleinigkeiten bezahlen.

Sind die Schneckenschnüre eines Tages abgenutzt, werden sie nicht achtlos entsorgt, sondern unter den Häusern vergraben – ihre spirituelle Kraft überdauert ihre Zeit als Zahlungsmittel.

Andrea Gropp

Literatur:

  • Arnold Leonard Epstein: Tolai. In: Encyclopedia of World Cultures. USA, 1996. Auf: https://www.encyclopedia.com/humanities/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/tolai (abgerufen am 03.02.2020).
  • Yvonne Gönster: Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt. (Ausstellungsbegleitheft der gleichnamigen Sonderausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert). Velbert, 2017; S. 16f.
  • Horst Kimpel: Traditionelle Zahlungsmittel. Wuppertal 1989; S. 99–105.
  • Krauß: „Deutsch-Neuguinea“. In Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig 1920, Band 1, S. 315 ff. Auf: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/suche_db.php?suchname=Deutsch-Neuguinea (abgerufen am 04.02.2020).
  • Selina Oberpriller/Claudio Sieber: Wo man die Cola mit Muscheln bezahlt. Auf: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/neue-fotografie/muschelgeld-papua-neuguinea-88188 (abgerufen am 03.02.2020).
  • Sigrun Preissing: Tabu – Das Muschelgeld der Tolai in Papua Neuguinea. In: Zeitschrift für Sozialökonomie 160-161/2009; S. 38–40.
  • Hingston Quiggin: A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency. New York/London, 1970; S. 149–155.
  • Ohne Autor: Harte Währung der Südsee. In: GEO 12/2019; S. 22f.
Juni 2020
Juni 2020

Münze des Monats

Münze 1: o.O. (Mardin) 628 (1230-1231), Kupferlegierung, 27 mm, 7,42 g, 9 h
© T. Bauer
Münze 2: o.O. (Mardin) 628 (1230-1231), Kupferlegierung, 31 mm, 10,02 g, 5 h
© T. Bauer

Mardin 1231: Artuq Arslān macht Münzdiplomatie

Münzen der Artuqiden, der Zanginden und anderer anatolischer und mesopotamischer Herrscher des 12. und 13. Jahrhunderts haben früh besondere Aufmerksamkeit westlicher Numismatiker auf sich gezogen, weil sie sich durch ihren Bilderreichtum von den meisten anderen Münzen islamisch geprägter Kulturen (für westliche Beobachter zumeist: „wohltuend“) unterscheiden. Hinzu kommt, dass viele dieser Münzbilder unverkennbar auf antiken Vorbildern aufbauen, bis hin zu identifizierbaren Portraits von Mitgliedern des julisch-claudischen Kaiserhauses. All diese Münzen sind Kupfermünzen, die aber, und auch dies eine Besonderheit, nicht als Kleingeld fungieren, sondern häufig funktional an die Stelle von Silberdirhams treten und sich entsprechend durch für Kupfermünzen untypische Größe und oft auch größere Sorgfalt der Gestaltung auszeichnen. Dies gilt auch für die hier in zwei Exemplaren vorgestellte Artuqidische Münze, deren Bild kein antikes Vorbild hat und die hier auch weniger wegen ihres kunsthistorischen Hintergrunds, sondern wegen ihrer Münzlegende und ihres politischen Hintergrunds betrachtet werden soll.
In dieser Hinsicht zeigt sich nämlich rasch ein zunächst eher unauffälliger Unterschied zu westlichen (antiken und europäischen) Münztraditionen, der sich nicht nur bei den Artuqiden, sondern bei zahlreichen Münzen verschiedenster Dynastien des islamisch geprägten Raumes zeigt. In europäischen Münzen wird so gut wie ausschließlich nur ein einziger Herrscher genannt und/oder portraitiert, allenfalls Familienmitglieder oder offizielle Partner in einem Triumvirat, einer Tetrarchie oder dergleichen. Noch im deutschen Kaiserreich nach 1871 wurde das Reich zwar durch den Reichsadler repräsentiert, aber kein Dynast wäre auf den Gedanken gekommen, neben seinem eigenen Bild auch noch den Kaiser abzubilden oder zu nennen. In islamischen Münztraditionen ist dies bemerkenswert anders. Zunächst blieb es auch in jenen Dynastien, die nicht unmittelbar als Sultane im Namen des Kalifen ihre Herrschaft erlangt hatten, üblich, den Namen des Kalifen auf Münzen zu nennen, auch wenn er weder Einfluss auf die Politik der Dynastie nehmen konnte, noch zur direkten Legitimation des jeweiligen Herrschers in Anspruch genommen worden war. Dann aber finden sich auch immer wieder Namen von Angehörigen anderer Dynastien und anderer Herrschaftsgebiete auf Münzen verzeichnet, auch wenn kein klar definiertes Abhängigkeitsverhältnis zu diesem Herrscher bestand. Münzen boten also offensichtlich die Möglichkeit, Herrscher einer wahrscheinlich stärkeren und mächtigeren Dynastie, sei es nach verlorener Schlacht, sei es, um eine solche zu vermeiden oder aus anderen Gründen der Respektbezeugung, gewissermaßen als „Oberherren“ (was auch immer das im Einzelfall bedeutet hat) anzukennen, ohne dass dies immer auch praktische Folgen wie Tributzahlungen oder militärische Beistandsleistungen haben musste. Die Nennung anderer Herrscher auf Münzen scheint ein nicht zu vernachlässigendes Mittel der Diplomatie gewesen zu sein. Auch als solches erfordert es einige Kompromissbereitschaft des Prägeherrn und eine Zurücknahme seiner Souveränität und seines Egos, die vielen Herrschen Europas wohl als ehrverletzend erschienen wäre. Überhaupt spielen (gelegentlich auch mehrsprachige) „Kompromissmünzen“ im islamisch geprägten Raum generell keine geringe Rolle. Auch die als Münze des Monats Oktober 2017 vorgestellte „Drei-Brüder-Münze“ ist eine solche (diesmal innerdynastische) Kompromissmünze.
Die hier besprochene Münze zeigt zunächst ein sehr selbstbewusst wirkendes Herrscherbild, das die antiken Vorbilder älterer artuqidischer Münzen hinter sich gelassen hat. In eindeutig nahöstlicher Tradition sieht man einen Herrscher frontal auf einem Thron sitzen, also auf einem kursī, einer Plattform auf Füßen (deren vorderes Paar auf Münze 2 zu sehen ist). Zwischen den Füßen des Throns erkennt man die ṭamġā, das Stammeszeichen der Artuqiden. Das die Figur teilweise umgebende Quadrat ist nicht etwa, wie früher angenommen, ein Rahmen, sondern die Plattform des Throns, auf dem der Herrscher mit übergeschlagenen Beinen sitzt und in der linken Hand einen Globus als Herrschaftssymbol hält, während die rechte Hand auf dem Oberschenkel ruht. Details des Schmucks und des Gewands sind vor allem auf Münze 2 gut erkennbar. Die Stellen, an denen die Füße des Throns in die Plattform montiert sind, sind als kleine Ringe angedeutet, von denen bei Münze 1 vier, bei Münze 2 alle sechs erkennbar sind. Auf beiden Seiten des Herrscherhaupts ist ein sechsstrahliger Stern zu sehen. Rechts und links des Herrscherbilds läuft senkrecht eine Legende, von der gleich die Rede sein soll. Rückseitig wird das Zentrum nicht von einem Bild, sondern von einer weiteren Legende eingenommen, die, analog zum Bild der Vorderseite, rechts und links wiederum von einer Legende gerahmt wird.
Liest man die Schrift auf beiden Münzen, zeigt sich auf jeder Münze eine auffällige Irregularität: Auf Münze 1 steht auf Avers ein falscher Text, auf Münze 2 auf findet sich auf beiden Seiten Schrift, die hier nicht hingehört. Auf Münze 2 und allen anderen bisher beschriebenen Münzen dieses Typs steht der Name des Prägeherrn, hier rechts: ٮاصر الدٮں Nāṣiraddīn, links: ارٮٯ ارسلاں Artuq Arslān (bei vielen Münzen ist es andersherum). Es handelt sich also um Nāṣiraddīn Artuq Arslān ibn Īl Ġāzī, al-Malik al-Manṣūr, Fürst der Artuqiden von Mārdīn 597-637/1201-1239. Die Legende der Rückseite lautet bei beiden Münzen:

 
ٮالله
الامام المسٮٮصر
امٮر المومٮٮں
الملك الكامل
محمد
bi-llāḥ
al-Imām al-Mustanṣir
amīr al-muʾminīn
al-Malik al-Kāmil
Muḥammad

Zuoberst also, wie es sich gehört, der Name des Kalifen al-Mustanṣir bi-llāh (die erste Zeile ist hinter der zweiten zu lesen) und sein Titel „Befehlshaber der Gläubigen“. Al-Mustanṣir war der 36. Abbasidenkalif und regierte 623-640/1226-1242. Darunter steht der Name des Ayyubidensultans al-Malik al-Kāmil I. Nāṣiraddīn Muḥammad, der 615-635/1218-1238 an der Macht war. Die Randlegende gibt, wie auf islamischen Münzen üblich, das Prägedatum, also rechts: صرٮ سٮه ٮماں و ḍuriba sanata ṯamān wa- „geprägt im Jahre acht und“. Links würde dann, hier auf beiden Münzen nicht lesbar, aber eindeutig rekonstruierbar, عسرٮں وسٮماٮه ʿišrīn wa-sittmiʾah „sechshundertzwanzig“ stehen. Die Münze ist also im Jahr 628/1230-1231 geprägt. Der Prägeort wird nicht genannt, kann aber nur Mardin sein.
Die Legende der Rückseite ist auf Münze 1 identisch (auch wenn man das Muḥammad der letzten Zeile nicht mehr lesen kann). Recto weist sie allerdings eine frappierende Abweichung auf: Anstelle des Namens des Prägeherrn steht hier am Rand ein zweites Mal das Datum, in gleicher Gestalt und Sorgfalt ausgeführt wir auf der Rückseite. Da man aber keinen Sinn dahinter erkennen kann (der Prägeherr wird überhaupt nicht genannt) und diese Variante auch bislang nirgends sonst bezeugt ist, muss man von einem Fehler des Stempelschneiders ausgehen, der vielleicht die Vorlagen für die Randlegenden durcheinandergebracht hat. Tatsächlich sind in manchen Exemplaren die beiden Seitenlegenden der Vorderseite vertauscht; hier aber die Legende insgesamt.
Noch interessanter sind die Abweichungen auf Münze 2. Die Legende ist zwar genau so, wie sie sein sollte, aber es sind recto links über dem Kopf der Figur und verso schräg links unten Buchstaben zu erkennen, die weder lesbar sind noch zu dieser Münze passen. Tatsächlich handelt es sich bei Münze 2 um eine Überprägung. Eine ältere Münze wurde also mit einem neuen Stempel überprägt und wieder in Umlauf gebracht. Wie meist bei Überprägungen, sind auch hier Reste der Muttermünze erkennbar, genug jedenfalls, um den Typ der ursprünglichen Münze zu erkennen, und jene muss etwa wie die linke der beiden nachstehend abgebildeten ausgesehen haben:

o.O. (Mardin) 623/1226, 27 mm, 6,70 g, 6 h
© T. Bauer
o.O. (Mardin) 626/1229, 30 mm, 10,86 g, 2 h
© T. Bauer

Diese Münze, die hier nicht in derselben Ausführlichkeit besprochen werden soll, zeigt ein Brustbild einer lockenhaarigen Figur mit einem Mantel, der von einer Schleife zusammengehalten wird. Sie ist fünf Jahre vor der besprochenen Münze geprägt worden, zu einer Zeit also, als genau die gleichen Herrscher an der Macht waren. Es wird jedoch nicht der Ayyubide al-Malik al-Kāmil genannt, sondern der Sultan der Rūm-Seldschuken ʿAlāʾaddīn Kayqubāḏ ibn Kayḫusraw (reg. 616-634/1219-1237), und zwar auf der Vorderseite in einem Halbkreis um den Kopf der Büste herum (wegen der Prägeschwäche im oberen Teil sind weder die Locken noch ein Teil der Schrift auf unserem Exemplar erkennbar). Auf der Rückseite steht dann wiederum das Datum sowie im Feld zunächst Name und Titel des Kalifen und darunter, also an protokollarisch letzter Stelle, der Name des Prägeherrn al-Malik al-Manṣūr Artuq.
Drei Jahre lang lässt Artuq Arslān, erstmals in der Geschichte der Artuqiden, sogar Silbermünzen prägen (Prägeort Dunaysir bei Mardin), anders als diese Kopfermünze ganz im Seldschukischen Stil, aber wie diese mit Anerkennung Kayqubāḏs als Oberherrn. Dann wechselt die Loyalität von den Seldschuken zu den Ayyubiden. Sowohl in Silber als auch in Kupfer erscheint jetzt al-Malik al-Kāmil als Oberherr. Für die Kupfermünze greift Artuq auf eine zwanzig Jahre ältere Münze zurück, die den Ayyubiden al-ʿĀdil, den Vater al-Kāmils würdigte. Sie zeigt einen Reiter auf einem Löwen (nach anderer Interpretation: auf einem Leoparden) mit einem Dolch in der linken Hand, der offensichtlich versucht, den Löwen zu töten (vgl. die Abb. rechts). Mit diesem Rückgriff auf die ältere Münze wird nicht nur der Oberherr ausgetauscht, sondern auch das Protokoll verändert, weil nun der Artuqide selbst auf die Vorderseite kommt und der Oberherr erst auf der Rückseite auf dem Band, das die Nennung des Kalifen umgibt, genannt wird.
Vielleicht lässt sich die von Spengler und Sayles (S. 148) aufgeworfene Frage, warum Artuq Arslān so kurze Zeit nach dem „Löwenreiter“ wieder eine neue Münze ausgibt, in dieser Richtung beantworten. In der 628er Münze des „thronenden Türken“ erscheint Artuq wieder allein auf der Vorderseite, ganz prägnant, ohne schmückende Titel, nur mit dem Namen Nāṣiraddīn Artuq Arslān. Name und Titel des Kalifen stehen auf der Rückseite oben, wie es sein muss, der Ayyubide aber an protokollarisch letzter Stelle darunter. Stattdessen betont Artuq Arslān durch die thronende Figur auf höchst repräsentative und unmissverständliche Weise seine eigene Souveränität. In der Literatur ist zwar umstritten, ob die Darstellung den Fürsten selbst repräsentieren soll oder, wie andere Münzen zuvor, astrologisch zu interpretieren ist (so Spengler/Sayles). Letzteres scheint mir unwahrscheinlich, aber auch ersteres wird für alle derartigen Portraits mit guten Gründen (etwa dem Fehlen einer Kopfbedeckung, vgl. Whelan S. 18) abgelehnt. Ich halte es deshalb für plausibel, dass die Figur „not individual rulers but the concept of rule itself” repräsentiert (Whelan S. 18). Auch wenn der thronende Türke nicht als Portrait Artuq Arsalāns intendiert war, ist das Bild doch als Darstellung seiner souveränen Herrschaft in turbulenten Zeichen zu lesen.
Sowohl die 623er Münze als auch die 626er „Löwenreiter“-Münze sind ausgesprochen selten. Erst vom „thronenden Türken“ ist wieder eine größere Zahl heute noch existierender Exemplare bekannt. Bei der „Löwenreiter“-Münze könnte man spekulieren, dass der Grund für die relative Seltenheit der Münze darin liegt, dass sie nur als rasche Übergangslösung in diplomatischer Not konzipiert war und deshalb in geringerer Stückzahl geprägt wurde. Die Seltenheit der 623er Münze könnte wiederum auf der Tatsache beruhen, dass eine größere Anzahl der Exemplare überprägt worden ist. Tatsächlich sind sowohl das hier abgebildete Exemplar der „Löwenreiter“-Münze als auch die zweite Münze des „thronenden Türken“ Überprägungen der 623er Münze. Bei ersterer ist auf der Vorderseite schräg unter dem Kopf der Katze der auf dem Kopf stehende obere Teil der Rückseite der 623er Münze zu erkennen, der den (auf unserem Exemplar nicht lesbaren) Zehner des Datums und den Beginns der Titulatur des Kalifen erkennen lässt, also عسرٮں / الامام / المسٮٮصر, daneben noch den Rest von سىماىه „600“ des senkrecht geschriebenen Datums. Auf der Schriftseite des „Löwenreiters“ hat sich, ironischerweise ausgerechtet dort, wo der neue Oberherr genannt werden sollte, derjenige des alten gehalten, denn noch immer sind Reste dessen Namens (علا الدٮں كٮڡٮاد ʿAlāʾaddīn Kayqubāḏ) deutlich zu lesen. Während mehrere bekannte Münzen der 626er Wiederauflage des „Löwenreiter“-Motivs solche Überprägungen sind (vgl. die Münzen ANS 1917.216.1063, Zeno #148143), ist meines Wissens bislang kein Exemplar des „thronenden Türken“ bekannt, das ebenfalls eine Überprägung der 623er Münze ist. Bei unserer Münze 2 sind auf der Vorderseite vom Namen ʿAlāʾaddīn die Buchstaben ...لا الدٮں der Vorderseite der 623er Münze gut erkennbar. Auf der Rückseite sind links schräg unten noch Reste der rückseitigen Inschrift der überprägten Münze sichtbar.
Die diplomatische Umwendung von Kayqubāḏ zu al-Kāmil, der manch ein Exemplar der 623er Münze zum Opfer gefallen ist, war freilich auch nicht von Dauer. Schon 632/1234-1235 hatte sich die politische und militärische Lage gründlich geändert, und Artuq Arslān wandte sich nach sieben pro-Ayyubidischen Jahren reumütig wieder dem Seldschuken Kayqubāḏ zu. Auf der entsprechenden Münze ist es wieder Kayqubāḏ, der auf der Vorderseite steht, während sich Artuq Arslān mit dem Platz unter der Nennung des Kalifen auf der Rückseite zufriedengibt.

Thomas Bauer


Literatur:

  • Wiliam F. Spengler, Wayne G. Sayles: Turkoman Figural Bronze Coins and Their Iconography. Vol. 1 – The Artuqids. Lodi, Wisconsin 1992, S. 142-151.
  • Estelle J Whelan: The Public Figure. Political Iconography in Medieval Mesopotamia. London 2006, S. 121-129.

 

Mai 2020
Mai 2020

Münze des Monats

© Bernd Thier
© Bernd Thier

Eine Schleppermarke der Zeche Königsgrube in Röhlinghausen

VS: (Abb. Schlägel und Eisen) │ KÖNIGSGRUBEB. WANNE (in einem oben offenen und unten gebundenen stilisierten Eichenlaubkranz) (im Perlkreis im Stabrand)
RS: SCHLEPPERMARKE │ [drei Sterne nebeneinander] (im Perlkreis im Stabrand)
Messing, Ø 24,0 mm, Stärke 2,0 mm, 6,39 g, Wendeprägung / Privatbesitz

Wenn in der heutigen Zeit jemand als „Schlepper“ bezeichnet wird, denkt man zunächst unweigerlich an einen Kriminellen, der Menschen bei der illegalen Einreise über eine Grenze hinweg hilft, seien es illegale Flüchtlingen oder Zwangsprostituierte. Von Schlepperorganisationen oder Menschenhändlerringen ist die Rede, der Begriff ist folglich eher negativ belegt. Bildlich gesprochen werden hierbei Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung ins Land „geschleppt“. Vielleicht denkt man aber auch traditionell an die alte Bezeichnung für eine Zugmaschine, einen Trecker oder Traktor (von lateinisch trahere ziehen oder schleppen), einen Sattelschlepper oder ein Schleppschiff, das zum Ziehen und Schieben anderer Schiffe oder Pontons eingesetzt wird.
Schlepper war jedoch ursprünglich die Berufsbezeichnung für jemanden, der mit seiner eigenen Körperkraft Lasten schleppte, also ohne die Hilfe von rollenden Transportbehältnissen. Er war auch kein Träger, der dies im aufrechten Gang erledigen konnte, das Schleppen bedingte meist eine gebückte oder kriechende Körperhaltung. Schon diese Vorstellung lässt erahnen, dass der Beruf körperlich sehr anstrengend und finanziell nicht sehr lohnend war.
Die hier zu behandelnde Schleppermarke der Zeche Königsgrube in Röhlinghausen bei Wanne (Wanne-Eickel), heute Stadt Herne, ist offenbar bisher die einzige Wertmarke im deutschsprachigen Bereich, die in ihrer Aufschrift explizit auf diesen Berufstand im Zusammenhang mit dem Kohlebergbau hinweist. Sie wurde bereits von Lührig / Zimmermann (Nr. 1.5) und offenbar nach diesen auch bei Menzel (Nr. 32771.2) aufgeführt, zusammen mit einer weiteren Variante in fast identischer Machart, angeblich mit einem Durchmesser von 28,5 mm in einem unbekannten Metall, bei der sich die Abbildung von Schlegel und Eisen auf der Rückseite befinden soll. Ein eindeutiger Nachweis dieser Marke steht allerdings noch aus.
In der gleichen Gestaltung der Vorderseite mit dem Eichenlaubkranz sind auch drei Messing-Marken des Consum & Sparvereins zur Zeche Königsgrube bei Wanne in den Wertstufen 2½, 5 und 10 Groschen (Silbergroschen) bekannt, der 1868 gegründet, zweitweise ca. 120 Mitglieder umfasste aber bereits 1880 wieder aufgelöst wurde (Lührig / Zimmermann Nr. 1.1–3 / Frenzel Nr. 1–3 / Menzel Nr. 32771.3–5). Diese Marken ermöglichten den verbilligten Einkauf der Bergleute der Zeche Königsgrube entweder in der werkseigenen Kantine bzw. eher in den vom Verein betriebenen Geschäften, in denen der durch die Großabnahme bestimmter Waren und Lebensmittel erzielte Einkaufsrabatt an die Kunden bzw. „Kumpel“ weitergegeben wurde.
Die Schleppermarke diente jedoch einem anderen Zweck, dürfte aber aus der gleichen Zeit, also vermutlich den 1860er oder frühen 1870er Jahren stammen und möglicherweise in der gleichen – noch unbekannten – Prägeanstalt hergestellt worden sein.
Erste Schürfbohrungen nach Steinkohle wurden im Gebiet von Röhlinghausen bereits in den Jahren 1849 und 1850 durchgeführt und drei sogenannte Mutungen (Anträge auf Abbaurechte) bewilligt, die „Glückauf Anna“, „Glückauf Elise“ und „Glückauf Lina“ genannt wurden und 1855 zum Grubenfeld „Königsgrube“ zusammengefasst wurden. Bereits 1856 wurde von der Magdeburger Bergwerks-AG mit den Teufarbeiten für die Schächte Ernestine (Schacht 1) und Louise (Schacht 2) begonnen, wobei ab 1857 Probleme mit eindringendem Grubenwasser auftraten, die zu Verzögerungen führten, bis leistungsstarke Pumpen installiert werden konnten. 1860 wurde bei einer maximalen Teufe von 222 Metern (-169 m NN) die 2. Sohle erreicht und der Schacht 1 bis zur 1. Sohle (in 170 Metern / -117 m NN) in Betrieb genommen und mit der Kohlenförderung begonnen. Die zunächst geförderten geringen Mengen wurden nur für den Eigenbedarf auf der Zeche verwendet. Erst 1863 wurde mit dem regelmäßigen Abbau und dem Verkauf von Kohle begonnen, was einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Ortschaft Röhlinghausen hatte. Viele Einwohner gaben ihre Tätigkeiten in der Landwirtschaft auf und arbeiteten nun unter Tage. Zahlreiche weitere Arbeiter kamen auch aus entfernten Regionen in das sich immer weiter entwickelnde Bergbaurevier. Die Königsgrube wurde in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut, das Abbaufeld erweitert, die Schächte tiefer geteuft und zwei weitere Schächte angelegt. Auch die Belegschaft und die Fördermengen stiegen stetig an. Während 1858 zunächst nur 170 Bergleute beschäftigt wurden, waren es 1863 schon 427, 1865 dann 560, 1870 bereits 763 und 1875 immerhin 1071 „Kumpel“. Im Jahr 1925 erreicht die Zahl der beschäftigten Bergleute mit 1800 ihren Höchststand.
1923 wurde der Betrieb auf dem Bergwerk wegen der Ruhrbesetzung für einige Zeit eingestellt, der Zweite Weltkrieg führte zwar zu erheblichen Kriegsschäden, trotzdem konnte bereits 1945 wieder mit der Förderung von Kohle begonnen werden. Seit den 1950er Jahren kam es zu deutlichen Veränderungen in der Fördertechnik, dem Transport und der Weiterverarbeitung der Kohle. 1958 erfolgte der Verbund mit der benachbarten Zeche Hannover und 1959 wurde der Förderbetrieb auf der Königsgrube stillgelegt. Die Förderung verlief nun unter Tage zum Tagesbetrieb der Zeche Hannover, auf der Königsgrube wurden die Schächte lediglich noch für die Seilfahrten der Bergleute und den Materialtransport genutzt. 1967 wurde die Zeche vollständig stillgelegt.
Zu Beginn des Abbaus, vermutlich beschränkt auf die ersten Jahre ab etwa 1860, wurden in den zunächst sehr engen Stollen offenbar auch Schlepper eingesetzt. Deren Arbeit bestand darin, die an den Abbaustellen von den Hauern gefüllten meist rechteckigen hölzernen Schlepptröge aus dem waagerecht oder leicht schräg verlaufenden Abbautunneln zum Hauptschacht zu ziehen. Die geförderte Nutzlast in einem solchen Schleppkasten lag bei etwa 100 bis 150 Kilogramm. Während einer Schicht konnte ein Schlepper daher bis zu einer Tonne Kohlen auf einer Streckenlänge von 1000 Metern fördern. Um hierbei den Schlepptrog ziehen zu können wurden daran Lederriemen, das sogenannte Sielzeug, befestigt, das sich der Schlepper über die Schultern legte und dann mit seiner ganzen Körperkraft ziehen konnte. Dabei musste er sich so bewegen, dass der Winkel des Troges zum Erdboden nicht zu spitz wurde und der Trog sich verkeilte. Zur Unterstützung zog er sich mit den Händen am Ausbau vorwärts. Bei stark abfallenden Strecken ließ er den Schlepptrog vor sich her rutschen und bremste diesen ab, indem er sich mit seinem Körpergewicht gegen die Riemen stemmte. Da das Ziehen der Tröge sehr schwer war, waren kräftige Männer erforderlich. Die leeren Schlepptröge wurden dann meistens auf dem Rücken zurück getragen. Vorteilhaft war die Förderung mittels Schlepper in Kohlenbergwerken mit Strebbau, wie offenbar auch auf der Königsgrube. Hier konnten sie die Steinkohlen aus dem Streb bis zur Hauptförderstrecke bringen. Für die Arbeit in den Bergwerken wurden deutlich mehr Schlepper für die Förderung benötigt, als Hauer vor Ort waren. In den preußischen Bergbaurevieren war man aus Mangel an Schleppernachwuchs im 19. Jahrhundert teilweise gezwungen, Hauer als Schlepper einzusetzen und ihnen ihren – deutlich höheren – Hauerlohn zu bezahlen. Später wurden in den Streben auch Grubenpferde und dann eiserne Loren auf Schienen, die von Grubenbahnen gezogen wurden, eingesetzt, so dass der Beruf des Schleppers ausstarb.
Die Bezahlung der Bergleute, die unter Tage arbeiteten und folglich kaum kontrolliert werden konnten, erfolgte damals vielfach im sogenannten Gedinge, also in einer Art Leistungsentlohnung im Akkord. Die Hauer erhielten einen bestimmten Betrag für den Streckenvortrieb mit Schlägel und (Berg-)Eisen, die zusammen zum Symbol für den Bergbau wurden, die Schlepper für die Anzahl transportierten Schleppkörbe. Hierbei wurde oft auch die ganze Arbeitsgruppe nach ihrer gemeinschaftlichen Leistung bezahlt, was oft zu Unstimmigkeiten führte, da die Arbeitsmenge der einzelnen Bergleute durchaus unterschiedlich sein konnte. Das Gedinge wurde auch immer wieder neu verhandelt, z.B. je nach der Beschaffenheit des Flötzes bzw. der Länge und dem Zustand der Strecke. Den Lohn erhielten die Arbeiter folglich erst, wenn die vereinbarte Leistung vollständig erbracht worden war. Daher mussten möglichst objektive Kontrollmechanismen entwickelt werden. Im frühen Erzbergbau wurden daher sogenannte Arbeitszeichen (Zahlzeichen oder Gedinge-Marken) eingeführt: Für eine bestimmte Menge Fördergut wurde dem Bergmann eine entsprechende Marke mit einem vorher festgelegten Wert von einem für die Verteilung zuständigen Vorarbeiter ausgegeben, die dann wöchentlich gegen Bargeld eingelöst werden konnte. Der Wert bzw. die dafür zu erledigende Arbeitsleistung konnte entsprechen immer neu festgelegt werden.
Für den eigentlichen Abtransport des tauben Gesteins sowie des Erzes wurden sogenannte Hundslauf-Zeichen, Hundsschlepper-Marken, Karrenläufer-Marken oder Rollkasten-Zahlzeichen ausgegeben, auf denen allerdings nie diese Bezeichnungen standen. So findet man auf dem zwischen etwa 1660 und 1760 im Oberharz verwendeten oft sogar datierten Marken meist nur die Initialen der Bergwerke oder deren Betreiber bzw. Besitzer und eine Abbildung der Hunde oder Hunte. Dieser ziehend oder schiebend eingesetzte meist rechteckige Förderbehälter, der Kufen oder Räder (Rollkasten) aufwies, unterschied sich deutlich von den einfacheren Schleppkästen. Während im Harz diese Marken ab dem Ende des 18. Jahrhunderts kaum noch verwendet wurden, gab es in Österreich/Ungarn Ende des 19. oder zum Beginn des 20. Jahrhunderts gelegentlich noch Fördermarken, auf denen ein Bergmann mit einer Hunte abgebildet wird. Ansonsten wurde dieses Abrechnungssystem offenbar über mehrere Generationen nicht angewendet, eher es dann wohl – nun im Kohlebergbau im Ruhrgebiet – „wiederentdeckt“ oder neu erfunden wurde, möglicherweise zuerst oder nur einmalig für die Gedinge- bzw. Akkordabrechnungen auf der Königsgrube in Röhlinghausen. Dort erhielten die Schlepper die beschriebene Schleppermarke (eigentlich eine Korb-Marke) für jeden ordnungsgemäß gefüllten und abgelieferten (Schlepp)-Korb von dem für ihn zuständigen Vorarbeiter, die diesem zuvor vom Betriebsbüro vorgezählt übergeben wprden war. Diese Förderungsmarken löste der Schlepper dann wieder gegen Bargeld im Bergwerksbüro ein.
Heute sind nur noch sehr wenige Exemplare dieser ungewöhnlichen, damals vermutlich in sehr großer Zahl verwendeten Marke aus Röblinghausen bekannt, die wahrscheinlich nur zwischen etwa 1857/1860 und 1870 verwendet worden ist, da danach der Einfachheit und der Gleichbehandlung der „Kumpel“ irgendwann die übliche Abrechnung der Arbeit nach Zeitlohn (in Arbeitsschichten) eingeführt wurde. Sie ist somit ein frühes originales Zeugnis aus dem Beginn des Ruhrbergbaus und ein einmaliges numismatisches Objekt aus den Anfängen der Lohnzahlung im Kohlebergbau im Gedinge mittels spezieller Marken. Ob auf anderen Zechen im Ruhrgebiet ebenso verfahren wurde ist unbekannt, zumindest sind bisher keine weiteren gleichartigen Marken aus der Region bekannt geworden. Allerdings könnten auch unbeschriftete (stumme) Marken oder solche mit heute „kryptisch“ erscheinenden abgekürzten Inschriften verwendet worden sein, denen man ihre damalige – allen Beteiligten bekannte – Funktion heute nicht mehr ansehen oder ableiten kann.
Bernd Thier

Literatur:

  • Max Frenzel, Die Consum-Werthmarken des Deutschen Reiches 1850 bis 1922. Eigenverlag. Augsburg 1988, hier S. 79.
  • Wolfgang Hasselmann, Die Consumverein-Werthmarke. Katalog zum Datieren und Bewerten der deutschen Consumvereins-Werthmarken für den Zeitraum 1850–1905, Münster 1981, hier S. 136.
  • Wolfgang Hasselmann, Marken und Zeichen Lexikon, Lexikon für die im deutschsprachigen Raum aus Metall geprägten Marken und Zeichen in 4 Bänden (Manuskript München, November 2001), erschienen nur als PDF auf CD-ROM im Verlag für digitale Publikationen Bogon, Berlin 2007, hier S. 1174.
  • Gustav Heyse, Die Fördermarken des Oberharzes, in: Numismatische Zeitung 11, 1844, S. 176–190.
  • Gustav Heyse, Vermischte Notizen über Münz- und Rentmeister, Jettons und Marken, in: Numismatische Zeitung 15, 1848, S. 165–168.
  • Gustav Heyse, Nachtrag zu den Fördermarken des Oberharzes, in: Numismatische Zeitung 25, 1859, S. 29–30.
  • Gustav Heyse, Bergwerksmarken des westlichen Harzes, in: Beiträge zur Kenntnis des Harzes, seiner Geschichte, Literatur und seines Münzwesens, hg. v. Gustav Heyse, 2. verm. Ausgabe Aschersleben/Leipzig 1874, S. 151–156.
  • Heinrich Lührig / Peter Zimmermann, Wanne-Eickeler Geschichte auf Münzen und Geldscheinen, Herne, 1982, hier S. 19–20.
  • Peter Menzel, Deutschsprachige Notmünzen und Geldersatzmarken im In- und Ausland 1840 bis 2002, digitale Publikation auf CD-ROM, Winfried Bogon-Verlag Berlin 2018, hier S. 5746.
  • Bernhard Prokisch, Die Sammlung von Bergbaugeprägen des Karl Ritter von Ernst. Münzen, Marken, Medaillen, Rechenpfennige und Jetons aus dem 15. bis 20. Jahrhundert, Wien 2016.
  • Zur Zeche Königsgrube: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche_K%C3%B6nigsgrube
  • Zur Arbeitsweise der Schlepper: https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%B6rdermann)
  • Zum Schlepptrog: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlepptrog
  • Zum Gedinge: https://de.wikipedia.org/wiki/Gedinge
April 2020
April 2020

Münze des Monats

Abb. 1 Lincoln Penny, 2019, Vorderseite
© gemeinfrei
Abb. 2 Die Rückseite des ursprünglich Penny, der sog. Wheat Cent (1909-1958)
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Abb. 3 Der 1959 neugestaltete Lincoln Penny (Emission von 1974)
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Abb. 4 Die Sonderserie von Lincoln-Cents 2009
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Abb. 5 Lincoln Cent mit Union Shield, seit 2010 (Emission von 2017)
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Abb. 6 Käuferschlangen bei der Erstausgabe des Lincoln Penny vor dem Sub Treasury Building in New York am 2. August 1909
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Der Lincoln-Penny [Abb. 1]


Das kleinste Nominal der amerikanischen Währung, der Lincoln-Penny, ist tatsächlich eine 1-Cent-Münze, mit der offiziellen Bezeichnung "one-cent piece". Er übernahm seine umgangssprachliche Benennung von seinem Vorgänger, dem Indian Head Penny (oder Cent), geprägt 1859-1909, der wiederum seinen Namen der Bezeichnung der britischen Kleinmünze verdankte, welche noch in den Anfangsjahren der jungen Nation in den Vereinigten Staaten zirkulierte und weiterhin als gesetzliche Währung Gültigkeit besaß.
Der Lincoln Penny spiegelt wie keine andere amerikanische Münze die Geschichte der USA. Sein Design wurde von Präsident Theodore Roosevelt (1901-1909) in Auftrag gegeben, der sich künstlerisch anspruchsvoll gestaltete, zeitgemäße Münzen für sein Land wünschte. 1905 wurde deshalb der amerikanische Künstler Augustus Saint-Gaudens, der bedeutendste Bildhauer der Epoche des amerikanischen Gilded Age, von der United States Mint angestellt, um den Cent und die vier umlaufenden Goldnominale neu zu entwerfen. Zwei seiner Cent-Entwürfe wurden umgesetzt, allerdings für die Goldmünzen: Diese sind mit ihren ansprechenden, jugendstil¬inspirierten Designs noch heute für die laufenden Emissionen des Golden Eagle und des Silver Eagle, die amerikanischen Gold- und Silbermünzen, in Gebrauch und als Anlagemünzen wie auch bei Münzsammlern außerordentlich populär.
Der Tod Saint-Gaudens verhinderte aber die Realisierung seines zentralen Auftrages. Im Januar 1909 wurde so Victor D. Brenner mit der Aufgabe betraut, die häufigste Umlaufmünze zu gestalten: und zwar die Vorderseite zum Gedenken an den 16. Präsidenten der USA (1860-1865) mit einem Porträt Abraham Lincolns (ermordet 1865), dessen 100. Geburtstag 1909 zu begehen war. Erstmals sollte somit statt der Liberty, der Personifikation der Freiheit, wie auf allen vorherigen Prägungen, das Bild eines amerikanischen Präsidenten auf einer Münze erscheinen - eine Vorstellung, die früher von George Washington vehement abgelehnt worden war, da sie unmissverständlich auf monarchische Traditionen verwies: Herrscher ließen seit der griechisch-römischen Antike ihr Porträt auf das Geld ihrer Untertanen prägen. Tatsächlich orientiert sich das Design des Brustbildes Lincolns im Profil nach rechts auf der Cent-Münze unmittelbar an antiken Vorbildern (ähnlich wie das seiner Sitzstatue im Lincoln Memorial in Washington).
Über dem Brustbild erscheint zudem erstmals das Motto IN GOD WE TRUST - Wir vertrauen auf Gott -, eine Entscheidung Präsident Tafts, des Nachfolgers Roosevelts 1909. Die Rückseite [Abb. 2] zeigt die Wertangabe ONE - CENT und darunter die Bezeichnung UNITED STATES OF AMERICA zwischen zwei Ähren (das ursprüngliche Rückseiten-Design), darüber als weiteres Motto E PLURIBUS UNUM, Einheit aus der Vielfalt. Diese sog. Wheat-Rückseite wurde dann 1959, zum 150. Geburtstag Lincolns, abgelöst durch eine Darstellung des Lincoln Memorials, der Gedächtnishalle an der Mall in Washington. Der Cent trägt seither auch den Namen Lincoln Memorial Cent. Die von Frank Gasparro entworfene Rückseite ist übrigens so fein graviert, dass manche Details - erst recht auf länger umgelaufenen Exemplaren - sich mit dem bloßen Auge kaum erkennen lassen: selbst die monumentale Sitzstatue Lincolns tief in der Halle ist zwischen den Säulen noch wiedergegeben [Abb. 3]. Verschiedene geringfügige Modifikationen und Varianten auf den beiden Seiten - Größe des Kopfes und der Büste, Jahreszahlen, Künstlerinitialen, Buchstaben der Prägestätten etc. - im Zuge der Jahrzehnte können an dieser Stelle übergangen werden.
2009 wurde anlässlich des Lincoln Bicentennials eine vier Münzen umfassende Sonderserie mit emblematischen Darstellungen aus dem Lebens Lincolns emittiert [Abb. 4]: die Blockhütte seiner Geburt und Kindheit in Kentucky, der junge Lincoln als Holzfäller beim Eisenbahnbau in Indiana, der sich bei einer Pause mit Lesen weiterbildet, Lincoln als Rechtsanwalt vor dem State Capitol in Illinois zu Beginn seines Berufslebens und schließlich seine Präsidentschaft in Washington, D.C.
2010 sollte dann erneut eine generelle Umgestaltung der Rückseite des Lincoln Penny erfolgen. Die Commission of Fine Arts plädierte für ein Design, das 13 Getreideähren gebündelt zeigte, um so die amerikanische Einheit als eine Nation zu symbolisieren. Als sich allerdings herausstellte, dass ein ähnliches Motiv auf deutschen Münzen der 1920er Jahre bereits abgebildet gewesen war, wurde das Design zurückgezogen. Nun erfolgte eine Empfehlung einer weiteren Kommission für das Motiv eines Union Shield mit dem vertrauten E PLURIBUS UNUM im oberen Register und einer über dem Schild ausgezogenen Schriftrolle mit der Wertbezeichnung ONE CENT [Abb. 5]. Dieses Rückseitendesign wird nunmehr seit einem Jahrzehnt geprägt, doch befinden sich zahllose Lincoln Memorial Cents weiterhin im Umlauf.
Der Lincoln Cent misst seit seiner Einführung 1909 unverändert 19 mm im Durchmesser, seine Zusammensetzung und ihre Veränderungen spiegelt hingegen in einem nicht geringen Maße die Wirtschafts- und Kriegsgeschichte der USA im 20. Jahrhundert. Wie sein Vorgänger, der Indian Head Cent, wurde der Lincoln Cent aus einer Legierung von 95 % Kupfer und 5 % Zinn und Zink hergestellt. Sein Gewicht betrug 3,11g. Der Eintritt der USA 1941 in den 2. Weltkrieg ließ Kupfer und Zinn als kriegswichtige Metalle jedoch knapp werden, die Produktion des Cent deshalb 1942 drastisch zurückgefahren. Unverzügliche Experimente mit verschiedenen, auch nichtmetallischen Prägematerialien führten zur Entscheidung - und einem entsprechenden Beschluss des Kongresses am 18.12.1942 -, für drei Jahre verzinkte Stahlmünzen zu produzieren. Allerdings korrodiert diese Verbindung bei Feuchtigkeit, zudem waren die Ränder der Münzen unverzinkt belassen worden. Es kam zu massiven Beschwerden, zumal die graue Färbung der "steelies" sie mit dem Dime (10 Cent) verwechslungsanfällig machten. 1944 erklärte das Schatzamt, u.a. alte Patronenhülsen, die eine nahezu identische Legierung mit dem Vorkriegsmünzmetall aufwiesen, nun für die Ausprägung von Cent zu verwenden. Allerdings ist umstritten, in welchem Umfang dies tatsächlich geschah und ob es sich hier nicht um eine symbolische Maßnahme handelte. 1946 kehrte man dann zur alten Legierung zurück und die Stahlmünzen wurden sukzessive aus dem Verkehr gezogen, ohne dies aber offiziell bekannt zu geben: Es sollte verhindert werden, dass die Münzen gehortet wurden.
Der in den 1970er Jahren drastisch steigende Kupferpreis, mit dem der Metallwert des Cent den Nominalwert nahezu erreichte, mithin die Produktionskosten signifikant ansteigen ließ, veranlasste Probeprägungen in Aluminium, die aber nicht in Umlauf gebracht wurden. 1982, vor dem Hintergrund eines weiteren Anstiegs des Kupferpreises, wurde dann die Produktion tiefgreifend umgestellt: Ein Münzrohling aus Zink (97,5 %) wurde mit Kupfer (2,5 %) plattiert, womit das Gewicht der Münze bei gleichbleibendem Durchmesser (19,05 mm) und Dicke (1,55 mm) sich auf 2,5 g verringerte. Dennoch erreichten die Herstellungskosten einer Cent-Münze im Jahr 2007 bereits 1,67 Cent, 2011 gar 2,41 Cent. Neuerliche Anläufe, die Zusammensetzung zu ändern, scheiterten aber und ebenso der Versuch, die Kleinmünze ganz abzuschaffen. Immerhin in U.S. Militärbasen in Übersee wurden die Pennies in den 1980er Jahren aufgegeben und alle Transaktionen auf die nächsten fünf Cent auf- oder abgerundet. Eine Gesetzesvorlage im U.S. Congress zur generellen Abschaffung des Cent, die bereits 1987 eingebracht wurde, scheiterte hingegen nach flammenden öffentlichen Protesten kläglich.
Der Lincoln Penny ist, was kaum bekannt ist, die häufigste Münze der Welt, ja der Münzgeschichte überhaupt. 1909 zunächst in einer Auflage von 20 Millionen emittiert - die umgehend vergriffen war und die von Beginn an große Popularität der Münze unterstreicht [Abb. 6] - , erreichte der öffentliche Gesamtumlauf 1917 bereits 1,16 Milliarden Münzen. 1944 wurden erstmals mehr als 1 Milliarde im Jahr geprägt, 1982 gar 16,7 Milliarden. In den letzten Jahren beläuft sich der jährliche Ausstoß der verschiedenen Prägestätten der U.S. Mint auf knapp 10 Milliarden Cent-Münzen. Im Zeitraum von 1909 bis 2019 sind so insgesamt über eine halbe Billion Pennies geprägt worden (ca. 527 Mrd.); der tatsächliche Umlauf heute wird auf 150 bis 250 Milliarden Stück geschätzt. Für die Herstellung dieser immense Menge wurden - bei früher 3,11 g, heute 2,5 g Gewicht der einzelnen Münze - insgesamt 1,5 Millionen Tonnen Metall eingesetzt. Die Stahlkonstruktion des Eiffelturms (7.300 t) ließe sich damit mehr als 200 mal errichten!
Die Faszination des Lincoln Penny und seiner Geschichte(n) lässt sich nicht zuletzt an der großen und aktiven Sammlergemeinde ablesen, die natürlich vor allem in den USA beheimatet ist. Es existieren zahlreiche Guide Books of Lincoln Cents, Kataloge, spezialisierte Sammelalben u.a. Seltene Prägungen und Varianten erzielen auf Auktionen atemberaubend Preise. Unlängst erlöste ein Kupferpenny aus dem Jahr 1943 die Summe von 1,7 Millionen US-Dollar. Während in Canada die Produktion des einheimischen Cent im Jahr 2013 eingestellt wurde, Experten mittelfristig sogar eine Abschaffung der Fünf-Penny-Münze empfahlen, in Finnland die von der Staatsbank geprägte 1-Eurocent-Münze (wie auch die 2-Eurocent-Münze) nie offiziell in den Umlauf gegeben, vielmehr nur an Sammler verkauft wurde, allenthalben aktuell wieder die Abschaffung der beiden kleinen Teilmünzen des Euro diskutiert wird und im Januar die deutschen Regierungsparteien dieses Projekt auf ihre finanzpolitische Agenda hoben, scheint es derzeit kaum vorstellbar, dass den Lincoln Penny, wider die Ratschläge der Finanzexperten, das gleiche Schicksal ereilt: So unbedeutend und hinderlich er für alltägliche Handelsgeschäfte sein mag, so ungemein wichtig ist seine Bedeutung für die amerikanische Identität.

Johannes Hahn, Seminar für Alte Geschichte

Literatur:

  • Anderson, S., The Complete Lincoln Cent Encyclopedia. Iola, Wisc.: Krause Publications, 1996
  • Bowers, Q.D., A Guide Book of Lincoln Cents. Atlanta, Ga.: Whitman Publishing, 2008
  • Department of the Treasure/Bureau of the Mint: Domestic and Foreign Coins Manufactured by Mints of the United States 1793-1980
  • www.usmint.gov
März 2020
März 2020

Münze des Monats

© Robert Dylka

Münzstätte Alexandria Troas, AE – 2,09 g – 11 h – 14,4 mm
Vs. Kopf des Apollon nach rechts, lorbeerbekränzt. Rs. ΑΛΕΞ. Apollon Smintheus geht nach rechts, in der vorgestreckten linken Hand hält er einen Bogen mit Pfeil, in der rechten Hand eine Schale, auf dem Rücken hängt ein Köcher. Vor seinen Füßen befindet sich eine Maus; mit dem linken Fuß tritt der Gott der Maus auf den Schwanz.


Münzsammlung des Archäologischen Museums der Universität Münster, Inv. M 5347 https://archaeologie.uni-muenster.de/ikmk/object?id=ID177
Lit. A. R. Bellinger, Troy Supplementary Monograph II. The Coins (1961) S. 81 Nr. A22.


Von Mäusen und Münzen
Der Kampf um Troia gehört zu den bekanntesten Heldenepen der klassischen Antike. Homers Schilderung des Krieges, die Ilias, beginnt mitten im Krieg: Die Stadt wurde schon einige Zeit belagert, doch dann herrschte Kampfpause, bedingt durch eine Seuche im Lager der Griechen. Verursacher dieser Krankheit war Apollon, der den Griechen und speziell Agamemnon wegen der Beleidigung seines Priesters Chryses grollte. Dieser hatte erfolglos versucht, seine Tochter zurückzuerbitten, die Agamemnon als Kriegsbeute für sich reklamierte. Zur Strafe schickte Apollon daher eine „verderbliche Seuche“ (Hom. Ilias 1,11) und schoss todbringende Pfeile wahllos ins Heer der Griechen, Tiere und Menschen erkrankten und starben (Hom. Ilias 1,48-52).
Bei diesem rächenden Gott handelt es sich um Smintheus, Apollon in seiner regionalen Erscheinungsform als „Mäusegott“ (so von Hom. Ilias 1,39 benannt, nach „sminthos“, einem im nordmysischen Dialekt gängigen Begriff für „Maus“, wie Strabon 13,1,64 erläutert: „da sminthoi die Mäuse sind“). Verschiedene Erklärungsversuche, wie Apollon zu diesem in der Troas charakteristischen Beinamen gekommen war, kursieren in der antiken Literatur. Am überzeugendsten scheint die Version in einem Scholion zur Ilias, die auf den ortskundigen Autor Polemon aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert zurückgeht. Demnach war Apollon verärgert über Krinis, einen seiner Priester, und zur Strafe hatte er eine Mäuseplage auf die Äcker geschickt. Erst die uneigennützige Gastfreundschaft des Hirten Ordes konnte den Gott wieder versöhnen „und er vernichtete auf der Stelle die Mäuse mit seinem Bogen“ (Polemon frg. 31). Als diesen Retter von der Mäuseplage kennt ihn somit auch die Ilias.
Sein Heiligtum liegt etwa 50 km von Troja entfernt in Chryse, im heutigen Ort Gülpınar (http://www.geonames.org/8693491/guelpinar-bucagi.html), wo sich Reste seines Tempels aus hellenistischer Zeit bis heute erhalten haben. Zunächst im Umland von Hamaxitos gelegen gehörte das Heiligtum seit der Zusammenlegung mehrerer Städte in der Troas durch den König Antigonos Monophthalmos zur neu gegründeten Stadt Alexandreia Troas. Bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert war Apollon Smintheus dann deren wichtigster Stadtgott, sein extraurbanes Heiligtum ein überregionales Kultzentrum, sein Bild und der lokale Mythos um ihn zierten in verschiedenen Motiven das lokale Münzgeld.
Das spätklassische Kultbild des Smintheus hatte der berühmte Skopas geschaffen (einer der Bildhauer des Mausoleion von Halikarnassos, das zu den sieben Weltwundern der Antike gehörte). Der die Troas durchreisende Strabon beschreibt die Statue und erwähnt ein ungewöhnliches Detail: „Und das Wahrzeichen, das an den Ursprung des Namens erinnert, die Maus, sitzt unter dem Fuß des Kultbildes“ (Strab. 13,1,48). Genau dieses Detail lässt sich auch auf der vorliegenden Bronzemünze ausmachen: Der Gott im langen Gewand hält in der linken Hand Pfeil und Bogen, in der rechten eine Opferschale. Er steht in Schrittstellung, ist also in Bewegung und agierend wieder-gegeben. Mit seinem linken Fuß steht er auf dem Schwarz einer dicken Maus. Größenverhältnis und Proportionen sind nicht realistisch, doch das ist nicht wichtig; entscheidend ist es vielmehr, Gott und Attribut-Tier zu kombinieren, und das in einem eindeutig hierarchischen Verhältnis. Die Unterordnung der Maus zeigt deutlich die Macht des Gottes als „Herr über die Mäuse“ und kennzeichnet ihn auch als Retter aus (Ungeziefer- und Krankheits-)Plagen.
Unsere Münze gehört zu einer Serie verschiedener Bronzenominale; Alfred R. Bellinger, der die Münzprägung von Alexandria erstmals systematisch katalogisiert hat, unterscheidet Ganz-, Halb- und weitere Teilstücke, wobei lediglich die Halbstücke, zu denen auch das Münsteraner Stück zählt, leidlich oft vorkommen. In umfangreichen und regelmäßigen Serien wurden dagegen silberne Tetradrachmen ausgegeben, die ebenfalls das Bild des Gottes zeigen, mit Pfeil und Bogen, Köcher und Opferschale. Zusätzlich weisen sie die Beischrift ΑΠΟΛΛΩΝΟΣ ΣΜΙΝΘΕΩΣ („im Namen des Apollon Smintheus“) auf – dafür fehlt ihnen aber die Maus.
Wie sich die Smintheus-Bronzen mit den viel häufigeren Smintheus-Tetradrachmen zeitlich verhalten, ist umstritten. Alfred Bellinger zählte die Bronzen zu den frühesten Prägungen der Stadt überhaupt und datierte sie in das frühe 3. Jahrhundert (301-281 v. Chr.); er argumentierte mit der Übernahme des Gottes aus dem Typenrepertoire der Stadt Hamaxitos (dort allerdings OHNE Maus!). Andrew Meadows hingegen hält sie wegen der geringeren Dicke der Schrötlinge, der Verwendung eines abgekürzten Ethnikons und der motivischen Nähe zu den Tetradrachmen deutlich für später, er datiert sie ins 2. Jahrhundert.
Zusammen mit anderen apollinischen oder alexandrinischen Motiven findet sich die Maus auch als Gegenstempelmotiv auf späthellenistischen Bronzen von Alexandria Troas, die einen frontalen Apollonkopf auf der Vorder- und eine Kithara auf der Rückseite zeigen; diese Serie wurde massiv mit mehreren Bildern (Lyra, Apollonprofil, Pferdekopf sowie eben auch einer wohlgenährten Maus) gegengestempelt.
In der Kaiserzeit wurden dann verschiedene Momente aus dem Mythos um Smintheus und seine Priester ausführlich auf den städtischen Münzen thematisiert. Nur noch einmal findet sich dabei eine (eindeutig tote) Maus zur Erklärung eines Kontextes: Eine Gastmalszene mit drei beteiligten Personen (RPC IX Nr. 413, https://rpc.ashmus.ox.ac.uk/coins/9/413) zeigt das Moment, als Apollon durch die Gastfreundschaft des Hirten Ordes versöhnt wird und sich unmittelbar darauf der Mäuseplage annimmt, worauf oben im Feld eine mit einem Pfeil erschossene Maus hinweist.
Die Münze des Monats März sieht unspektakulär aus und ihr Erhaltungszustand ist mäßig. Dennoch gibt es kaum ein Exemplar aus dieser seltenen Münzserie, auf dem das Motiv so zentriert ist und das dadurch das Detail der Maus als Attributtier unter Apollons Fuß, das ihn als Smintheus identifiziert, auf die Besonderheit des Kultbildes verweist und seinen Charakter als Retter herausstellt, so klar sichtbar macht wie das Münsteraner Stück.

Katharina Martin


Literatur

  • Strabon 13,1,48 (p. 604C-605C) berichtet über das Heiligtum des Smintheus, sein Kultbild und versucht verschiedene Erklärungen zum Beinamen zu geben; in 13,1,61-64 (p. 612C-613C) bringt er das Heiligtum mit der Überlieferung in der Ilias in Verbindung. Die Passagen sind zitiert nach der Übersetzung von Stefan Radt, Strabons Geographika III. Buch IX-XIII (Göttingen 2004).
  • Homer, Ilias 1,39 nennt Apollon Smintheus als die Krise auslösende Gottheit; zitiert nach der Übertragung von Hans Rupé, Tusculum Bücherei 2(1961, ND 1969). In seinem Ilias-Kommentar dazu bietet Polemon (Polemonis Periegetae Fragmenta, ed. Preller, Fragment XXXI, S. 63) eine etymologische-mythologische Erklärung des Beinamens.
  • A. R. Bellinger, The Coins, Troy Supplementary Monograph 2 (1961) bes. S. 81-82 Nr. A21-24 (Smintheus mit Maus in verschiedenen Nominalen), zu den Münzen mit der massiven Gegenstempelung ebd. S. 96.
  • A. Meadows, The earliest coinage of Alexandria Troas, Numismatic Chronicle 164, 2004, bes. S. 57 zur Spätdatierung der hellenistischen Serie mit Gott und Maus.
  • SNG Özkan Arikantürk (Turkey 9,1) Nr. 79-88 zeigt besonders eindrucksvolle Exemplare der Apollon-Kithara-Serie mit vielen (u.a. Maus-)Gegenstempeln.
  • P. Weiß, Alexandria Troas: Griechische Traditionen und Mythen in einer römischen Colonia, in: E. Schwertheim – H. Wiegartz (Hrsg.), Die Troas. Neue Forschungen zu Neandria und Alexandria Troas II, AMS 22 (Bonn 1996) analysiert bes. S. 165-172 die kaiserzeitlichen Apollonmünzen mithilfe der schriftlichen Überlieferung.
Februar 2020
Februar 2020
© Royal Mint, nachb. L. Hecht
© Royal Mint, nachb. L. Hecht

31. Januar 2020: Die 50 Pence Brexit-Münze


In Zeiten, in denen bargeldloses Bezahlen immer mehr um sich greift, sticht ein aktuelles Beispiel heraus, wie sehr doch Text und Bild auf Münzen auch heute noch identitätsstiftend wirken sollen, wie Münzen wahrgenommen werden und Kontroversen auslösen. Die Münze lebt!
Es geht um die 50 Pence Gedenkmünze, die im Vereinigten Königreich von der Royal Mint zu dem am 31. Januar 2020 vollzogenen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ausgegeben wurde.
Am 23. Juni 2016 hatten die Bürger des Vereinigten Königreichs in einem Referendum über den Brexit abgestimmt und durch ihre Entscheidung dafür den Austrittsprozess angestoßen. Im Oktober 2018 hat der Finanzminister Philip Hammond angekündigt, dass es eine 50 Pence Gedenkmünze geben würde. Da eine solche Münze, die in einer Millionenauflage ausgegeben werden sollte, mit einem gewissen Vorlauf geprägt werden muss, begann man bald, für den anvisierten Austrittstermin am 29. März 2019 Münzen zu produzieren. Weil das Austrittsdatum auf der Münze stand, musste, als eine erste Verschiebung des Brexits erfolgte, die Auflage wieder eingeschmolzen werden, und es begann die Produktion einer neuen Münze für das anvisierte Austrittsdatum zum 31. Oktober 2019. Als auch dieser Termin verschoben wurde, musste auch diese Münze recycelt und die für den neuen Termin am 31. Januar 2020 aktualisierte Münzen geprägt werden. Mit dem nun erfolgten Austritt, konnten die Münzen dann tatsächlich am 31. Januar 2020 in den Umlauf gegeben werden. 50 Pence Gedenkmünzen wurden immer wieder emittiert, die erste memorierte 1973 den Beitritt zur Europäischen Union.
Die 50 Pence Münze hat einen Durchmesser von 27,3 mm, wiegt 8 gr und besteht zu 75 % aus Kupfer und 25 % aus Nickel. Auf der Vorderseite ist – wie auf allen 50 Pence Münzen – der bekrönte Kopf von Königin Elisabeth II. nach rechts abgebildet. Die gemischt lateinisch-englische Legende lautet: ELIZABETH II D(EI) G(RATIA) REG(INA) F(IDEI) D(EFENSATRIX) 50 PENCE 2020. Da es sich um eine Gedenkmünze handelt, wird das Nominal auf der Vorderseite und nicht auf der Rückseite angegeben. Unter dem Kopf der Königin stehen die Initialen des Graveurs der Vorderseite, Jody Clark. Die Königin wird 2020 in ihrem fünften Porträttypus gezeigt. Auf der Rückseite, deren Graveur unbekannt ist, steht die Legende Peace, prosperity and friendship with all nations und im Abschnitt 31 January 2020.
Die Legende der Rückseite spielt mit einem Zitat von Thomas Jefferson, einem der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Der Satz kann daher nicht nur als wohlgemeinter und unschuldiger Wunsch nach Frieden, Wohlstand und Freundschaft mit allen Nationen gelesen werden, sondern auch als Abschluss eines Kampfes um Unabhängigkeit. Ob diese doppelte Lesbarkeit tatsächlich die tief wegen des Brexits gespaltene Gesellschaft im Vereinigten Königreich zusammenbringt, muss allerdings hinterfragt werden. In den sozialen Medien zirkulieren zahlreiche Vorschläge für alternative Brexit-Münzen, welche das Ereignis kritisieren und verspotten.
Um die Legende hat sich Ende Januar eine weitere kuriose Kontroverse entspannt, die von dem Schriftsteller Philip Pullman angestoßen wurde, der beklagte, dass das Oxford Komma fehle. Ein solches Komma kann im Englischen in einer Aufzählung vor dem letzten „and“ gesetzt werden. Das Oxford Komma wird vor allem in formeller und akademischer Sprache aber auch im American English verwendet. Die unterbliebene Setzung des Kommas wird unterschiedlich bewertet. Das Fehlen des Kommas kann als Verfall der Sprache verstanden werden, es kann aber auch eine Absetzung von US-amerikanischer Interpunktion sein. Schließlich darf auch nicht ausgeschlossen werden, dass gar keine besondere Intention hinter dem Weglassen des Kommas steckt. Diese Kontroverse ist ein schönes Beispiel dafür, wie sehr es in der Numismatik auf Details ankommt, aber auch, dass Münzen und ihre Botschaften durchaus eine Ambiguität aufweisen können und bei Betrachterinnen und Betrachtern nicht zwingend eine einheitliche Botschaft ankommt. Insofern ist es methodisch und komparatistisch lehrreich für Numismatikerinnen und Numismatiker die Debatten um die 50 Pence Brexit-Münze zu verfolgen.
Achim Lichtenberger

Literatur

Januar 2020
Januar 2020
© LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum (Foto: Stefan Kötz)
© LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum (Foto: Stefan Kötz)
© LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum (Foto: Stefan Kötz)
© LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum (Foto: Stefan Kötz)

Ist ein Philipp wirklich ein Philipp? Original und Nachprägung

Philippe IV., Kgr. Frankreich, Gros Tournois, 3.94 g, aus dem Fund von Grabstede II, Inv. Nr. 117421Mz + Inv. Nr. 17429Mz.

Das nachantike Münzwesen nördlich der Alpen ist hauptsächlich dadurch geprägt, dass es nur ein einziges Nominal gab, dem allenfalls Teilstücke zur Seite standen. Seit der Zeit der Karolinger war dies der Denarius oder volkssprachlich der Pfennig (englisch penny). Im Einflussbereich des Islam und unter dessen Einfluss auch im Süden Europas war dies anders. Die Notwendigkeit zu Änderungen ergab sich zuerst in Italien, wo zum einen die Wirtschaftsentwicklung im 13.Jahrhundert insgesamt weiter voran geschritten war und zum anderen der Denaro in seinem Edelmetallgehalt sich kontinuierlich soweit von karolingischen Ausgangswerten entfernt hatte, dass Bezahlungen mit einer Münze sinnvoll erschienen, die ein mehrfaches des Standardnominals ausmachte.
Den Anfang machten 1172 Genua zunächst mit dem Vierfachen, dann Venedig 1192 mit Stücken zu 20 denari. Nördlich der Alpen wirkte sich dies aber zuächst nicht aus. Am 24.7.1266 ordnete der französische König Louis IX. die Ausprägung von Münzen im Wert von 12 Deniers an. Im deutschen Sprachgebrauch werden sie meist als Turnose bezeichnet, im französischen als Gros tournois. Es war dies bei einem Normgewicht von 4,1 g die größte und schwerste und mit einem Feingehalt von 958/00 silberreichste Münze, die bis dahin jemals in Frankreich geprägt worden war. Vorbereitend hatte Louis 1262 eine Verordnung erlassen, dass die königlichen Münzen im gesamten Königreich Geltung beanspruchten, während die ebenfalls existierenden Prägungen geistlicher wie weltlicher Fürsten in seinem Herrschaftsgebiet den Münzumlauf ihrer Münzen nur in ihem eigenen Herrschaftsgebiet beanspruchen können sollten. Die Verordnung von 1266 verbot auch die Nachprägung königlicher Münzen und regelte zum Vorteil des königlichen Fiskus den Wechselkurs fremder vorläufig noch akzeptierbarer Münzen. 1270 übernahm sein Nachfolger Philippe III. (1270-1285) diese Münzsorte und auch unter Philippe IV. (1285-1314) wurde sie fortgesetzt.
Bildlich wurde die neue Emission verknüpft mit den schon seit sehr langem bestehenden „Deniers tournois“, die neben dem „Denier parisis“ zu einer Regionalwährung in großen Teilen des unter königlicher Kontrolle stehenden Frankreichs geworden war und auch von Analphabeten erkannt werden konnte. Die eine Seite zeigte eine stark stilisierte Kirche oder Burg, das sogenannte „châtel tounois“, das jetzt bei der größeren Münze von einem Kranz von zwölf Lilien, dem Symbol des französischen Herrscherhauses, umgeben wurde. Die Zahl zwölf bezog sich dabei auf den Wert. Zwölf Deniers, die 1266 sowohl an Silber geringhaltig als auch relativ leicht waren, sollten nämlich einer der neuen Münzen entsprechen. Auch die andere Seite ist von der traditionellen Form der Deniers tournois übernommen. Sie weist ein Kreuz ohne Kugeln in den Winkeln und umher den Namen des aktuellen Königs. Herum setzte man einen weiteren Schriftkreis mit „Benedictum sit nomen Domini nostri Dei Jesu Christi“ (Gesegnet sei der Name unseres Herrn und Gott Jesus Christus). Es war dies eine auch im Kontext liturgischer Gesänge und Handschriften benutzte Ableitung aus Psalm 112, bei der hier „et gloriose virginis matris ejus in eternum et ultra. Amen“ aus Platzgründen ausgelassen wurde. Die Formel wurde als Spruch französischer Königsmünzen beibehalten bis zur französischen Revolution
Es ist davon auszugehen, dass die entsprechende Prägung nicht nur etwa im namengebenden Tours oder in Paris stattfand, sondern in einer Mehrzahl königlicher Münzstätten, wahrscheinlich fünf oder sechs. Allerdings ist es bei derzeitigem Kenntnisstand noch nicht möglich, die der internen Kennzeichnung dienenden kleinen Beizeichen (meist als Trennungszeichen zwischen den Worten) bestimmten Münzstätten zuzuweisen. Eine entsprechende schriftliche Überlieferung ist nicht erhalten. Methodisch bliebe nur der ins Detail gehende Vergleich zwischen Schatzfunden aus Mitteleuropa, England und Südeuropa. Die nur fragmentarisch erhaltenen Abrechnungen über die Münzprägung lassen annehmen, dass mehrere Millionen solcher Münzen geprägt wurden.
Die entsprechenden Münzen verbreiteten sich schnell über weite Teile Europas. Nachgewiesen sind sie in Funden in England, Deutschland, Italien, Spanien und Skandinavien. Ähnlich wie vordem die englischen Sterlinge waren solche Münzen geeignet über lange Strecken die Komplikationen regionaler Währungsgrenzen zu überwinden. Selbst im Nahen Osten sind sie in jüdischen Berichten erwähnt. Aus den islamischen Staaten gibt es auch Fundnachweise, auch wenn diese leider nicht immer sehr genau sind. Allerdings hatten sie im Orient keine entscheidende Bedeutung und wurden sicher vielfach eingeschmolzen und umgeprägt.
Schon unter Philipp III. begannen aber Probleme, die die Grenzen der königlichen Macht im Zahlungsverkehr offenbarten. Der Wechselkurs von 12:1 ließ sich angesichts der weiterhin schleichenden Verschlechterung des Kleingeldes nicht halten. Dort, wo der der König keinen Einfluss auf Wechselkurse ausüben konnte, wurden für eine Turnose mehr als 12 Deniers tournois verlangt. Dies führte dazu, dass in nicht zu unterschätzendem Umfang Turnosen das Herrschaftsgebiet Frankeichs verließen und in benachbarte Gebiete mit einem günstigeren Wechselkurs verließen. Es ist kein Zufall, dass es keinen Schatzfund mit Turnosen aus dem Gebiet des Königreichs Frankreich in seinen Grenzen der 2.Hälfte des 13.Jahrhunderts gibt.
Im Rheinland machen sich die Turnosen aus den Niederlanden kommend seit dem Ausgang des 13.Jahrhunderts bemerkbar. Ein Hinweis darauf sind vereinzelte Stücke in den Schatzfunden von Burgholdinghausen (Kreis Siegen) oder in der niederländischen Twenthe in Haarlo, die beide kurz vor 1300 abgeschlossen wurden. Ein erster vorsichtiger Schritt zur Prägung von Mehrfachnominalen wurde im Erzbistum Köln unter Ezbischof Heinich von Virneburg (1306-1332) mit der Herstellung von sogenannten Großpfennige im Wert von 2 ½ Pfennigen spätestens 1308 gemacht. 1342 begann Heinrichs Nachfolger Walram von Jülich (1332-1349) mit der Prägung von offenkundig von französischen Turnosen inspirierten „Grossi“ in Deutz und später auch in Bonn, die sich aber im Bild doch deutlich unterschieden und somit kaum zu verwechseln waren. Seit etwa 1340 häufen sich auch in Westfalen in der schriftlichen Überlieferung auf „grossi turosenses“, die mehrheitlich mit den Zusätzen „antiqui“ und „regales“, also ältere und königliche Stücke, ergänzt wurden. Offenkundig sollte die Ergänzung andere, weniger vertrauenswürdige Stücke ausschließen. Diese späte Ausbreitung ist verwunderlich, weil die Produktion in Frankreich schon aufgehört hatte und aus dieser Richtung kein Nachschub kommen konnte. In der Mitte des 14.Jahrhunderts erreichten die Turnosen bereits die Nordseeküste. Die älteste Nennung in Bremen ist 1347. Aus dem Hinterland stammen die zwei Turnosen enthaltenden Schatzfunde von Grabhorn-Grabstede (Landkreis Friesland), von denen der 2.Schatzfund etwas älter als der erste ist. Er wurde wohl bald nach 1349 verborgen und besteht neben einigen Osnabrücker Pfennigen mehrheitlich aus Turnosen, von denen nur zwei eine Aufschrift haben, die sie als nichtfranzösisch ausweist.
Bei genauer Betrachtung fällt aber auf, dass es unter den 63 den Namen Philippus tragenden Turnosen zwei Gruppen gibt. Die eine ist leicht abgegriffen und mehr oder wenige am Rande beschnitten, die andere relativ frisch aussehend, aber dennoch nicht den Gewichtsstandard der französischen Vorschriften erreichend. Der Befund ist nicht so einzigartig wie es zunächst den Anschein haben könnte. Mehrere erhaltene deutsche Funde aus der Mitte des 14.Jahrhunderts mit Turnosen enthalten in größerer Zahl anonyme Kopien französischer Turnosen, vornehmlich auf den Namen Philippus. Das Problem ist freilich, dass die Mehrzahl der Funde mit Turnosen nicht mehr vorhanden ist und das bei älteren Beschreibungen in Unkenntnis der Problemstellung, die Turnosen oft gar nicht oder nur pauschal beschrieben und verzeichnet wurden. Selbst bei dem Schatzfund von Helden-Oberveischede, dessen Beschreibung durch Peter Berghaus über lange Jahrzehnte eine von wenigen detaillierten Fundpublikationen war, ist im Nachhinein der genaue Anteil von Kopien nicht mehr feststellbar. Erkennbar sind derartige nichtfranzösische Nachprägungen, die etliche Jahrzehnte später als die Originale entstanden, zum einen an Gewichten und Feingehalten, die sehr deutlich unter der Norm liegen. Zum anderen erreichten bei allen offenkundigen Bemühungen die Stempelschneider der kopierenden Münzstätten nicht den relativ einheitlichen Duktus königlich-französischer Münzstätten. Bei der Münze mit Inv.Nr.12741Mz z.B. ist das h von Philippus zu weit vom senkrechten Stamm des h, so dass das h fast in zwei Teile zerfällt. Besonders schwierig war für die Kopisten der relativ lange Text mit kleinen Buchstaben in der Außenumschrift. Vielfach reichte de verfügbare Platz am Ende nicht, so dass einzelne Buchstaben ausgelassen oder nicht verstanden wurden. Bei unserem Beispiel ist so aus DHI (H für N) DIII geworden. Es würden sich noch mehr Abweichungen aufzählen lassen. Zum anderen ist zu beobachten, dass für die kleinen Lilien zu Vereinfachung der Arbeit Punzen eingesetzt wurden, die auch auf anderen Prägestempeln vorkommen und vielfach Turnosen kombinieren, die chronologisch nicht zusammenpassen. Auch sind Stempelkoppelungen zwischen solchen Imitationen nicht ungewöhnlich. So lassen sich relative geographische Zuordnungen für manche Imitationsgruppen feststellen.
Eine detaillierte Erfassung der vorhandenen typologischen Vielfalt von Turnosen, die zunächst kaum überschaubar scheint, mit Vorschlägen zur chronologischen Einordnung versuchte der Niederländer Cees van Hengel. Sein System wird freilich dadurch erschwert, dass 1997 in Folge drucktechnischer Schwierigkeiten, die typischen Variationen einzelner Buchstabenformen durch Ziffern ersetzt wurden, was heute durchaus keine Schwierigkeit mehr machen würde. Seine Typologie wurde angewandt bei der Bearbeitung des sehr umfangreichen, hinsichtlich der Münzen ausschließlich aus Turnosen bestehenden Schatzfundes von Erfurt. Es zeigte sich dabei, dass der Anteil von nichtfranzösischen Kopien hier miminalst ist. Aus nachvollziehbaren Gründen wird der Schatzfund von Erfurt, der unmittelbar in einem jüdischen Kontext geborgen wurde, mit dem Schwarzen Tod folgenden Pogrom 1348-1349 in Verbindung gebracht. Dabei ist es besonders bemerkenswert, dass in Thüringen sonst französische Turnosen nicht nachgewiesen sind. Umgekehrt ebenso erstaunlich ist das systematische Fehlen solcher Münzen in dem zeitgleichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einem jüdischen Kontext stehenden Schatzfund von Münster-Stadtweinhaus, in dem nur kölnische Turnosen vorhanden waren, während die schriftliche Überlieferung im regionalen Umfeld durchaus die Benutzung von Turnosen schon vor der Mitte des 14.Jahrhunderts bezeugt.
Mit der Einführung von Mehrfachnominalen in den Zahlungsverkehr veränderte sich die Wirtschaft grundlegend. Fortan bestand das Münzwesen aus unterschiedlichen Wertebenen und konnte mitunter auch schwer zu übeschauen sein.
Das Phänomen der Imitation und Kopierung besonders von weit verbreiteten Münzsorten ist nicht auf das 14. Jahrhundert beschränkt. Es reicht durchaus bis in die Antike zurück, wenn man zum Beispiel an die Imitation augusteischer Denare in Germanien oder Indien denken will. Und auch in wesentlich jüngeren Jahrhunderten sind vergleichbare Nachprägungen ohne besondere Kennzeichnung zu vermerken. Gerade bei letzteren können wir sie dank der schriftlichen Überlieferung, die wir für diese Zeiten haben, erkennen. Ohne diese würden wir sie wahrscheinlich für Originale halten. Umgekehrt wissen wir aus archivalischen Quellen, dass der Preußenkönig Friedrich II. in größerem Umfang auch nach dem Frieden von 1763 in Geheimaktion ausländische Münzen nachschlagen ließ, sind aber nicht in der Lage, diese im Bestand erhaltener Münzen zu identifizieren.

Peter Ilisch

Literatur:

  • N.J.Mayhew (Hg.): The gros tournois. Proceedings of the fourteenth Oxford symposium on coinage and monetary history. Oxford 1997
  • Marcus Phillips: The early use and imitation of the gros tournois in the Low Countries. Revue Belge de Numismatique 2014
  • Peter Ilisch: Gros tournois d'imitation frappés en Allemagne du Nord. Revue Numismatique 6e série Bd. 29, 1987, S. 109-117, Tf. X-XI
  • Mario Schlapke: Die Münzen und Barren des Erfurter Schatzfundes und Katalog der Münzen. In: S. Ostritz (Hrsg.), Der Schatzfund. (Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt 3). Langenweißbach.