Juni 2023
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Münze des Monats

© Stefan Kötz

Ein authentisches Goldstück der münsterischen Täufer?

Täuferreich zu Münster, König Johann Beuckelsz van Leiden
Goldmünze zu 7 ⅓ Goldgulden, 1534
AV, Gewicht: 23,91 g, Durchmesser 45-47 mm, Stempelstellung 12 Uhr
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 36793 Mz

Ende April 1883 kaufte der Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens Abt. Münster – kurz Altertumsverein genannt – eine Goldmünze des Täuferreichs zu Münster für den immensen Preis von 230 Mark. Mit knapp 24 Gramm wog das Stück etwa zweieinhalb damalige 20-Mark-Goldmünzen zu also insgesamt 50 Goldmark – rechnet man den Goldgehalt eines Goldguldens mit 18 Karat (75% Feingold), enthält das Stück knapp 18 g Feingold, und ein damaliges 20-Markstück wog 7,16 g Gold. Der Sammlerwert überstieg den Materialwert also etwa um das 4,6fache.

Das Stück zeigt die Aufschriften der Täufertaler aus der Königsherrschaft 1534: Die Vorderseite gibt in der Umschrift und den ersten beiden Zeilen der Mitte die biblische Begründung der Glaubenstaufe nach Joh. 3,5: WE NICHT GEBORE(n) IS VTH DE(m) WATE(r) VN(d) GEIST MACH / NICHT INGAEN und ist fortgesetzt in der Umschrift der Kehrseite INT RIKE GODES – EIN KONINCK VPRECHT OVE(r) AL(l). Diese letztere Devise, »Ein König aufgerichtet über alle«, begründete der Prädikant Dionis Vinne bei seinem Verhör im Oktober 1534 mit Bibelstellen der Propheten Jeremias (Kap. 23 [5-6]) und Hesekiel (Kap. 37 [22-24] und 30): »Dar steit klarlick, dat in de lesten tiden ein einich gerechter konninck aver alle up erden hersschen sal«. Am Ende der Rückseitenumschrift stehen die gekreuzten Schwerter aus dem Königssymbol, der von zwei Schwertern, dem geistlichen und dem weltlichen durchbohrten Weltkugel als Anspruch »dat he hersschen sal aver de gantzen Werelt« (D. Vinne). Im Zentrum der Rückseite steht das in den Text THO MVNS / TER umgesetzte dreiteilige Stadtwappen (Gold-Rot-Silber), umgeben von dem Schlachtruf EIN GODT EIN GELOVE EIN DOEPE, ein Zitat aus dem Epheserbrief 4,5, darüber die Jahreszahl 1534. Der zentrale Spruch auf der Vorderseite zitiert aus dem Johannesevangelium DAT WORT IS FLEISCH GEWORDEN VN WANET IN VNS (Joh. 1,14): in der Täufergemeinde realisiere sich das Wort, die göttliche Weissagung; die Gemeinde sei das Realität gewordene Gotteswort. Es ist eine legitimierende Antwort auf das Gottesgnadentum der Fürsten.

Anbieter der Münze war ein Herr Nicolay, Leutnant im 57. Infanterie-Regiment in Wesel. Der damalige Münzwart des Altertumsvereins, Werner Wippo (1821–1892), kannte aber dies und ein zweites angebotenes Stück, einen in der Sammlung schon vorhandenen ›3 ¼-Dukat‹ des Fürstbischofs Christoph Bernhard (reg. 1650–1678): »Die Münzen sind schon vor Jahren in meinen Händen gewesen. Eigenthümer war Justizrath Weidenhöver von Warendorf. Der jetzige Leutnant Nicolay ist Schwiegersohn von obigem, und wird durch Erbschaft in dessen Besitz gelangt sein«.

Die Provenienz aus Warendorf war dem münsterischen Kunsthistoriker Max Geisberg unbewusst, als er das Stück 1907 in seiner bahnbrechenden Studie zu den Münzen und Medaillen der »münsterischen Wiedertäufer« als Kat.-Nr. 19 publizierte (inzwischen darf man nur noch »Täufer« sagen und schreiben, weil das ›W‹-Wort von ihren Gegnern geprägt sei): »Echtheit sehr zweifelhaft, wahrscheinlich nur Nachbildung von [Kat.-Nr.] 17« und damit abqualifizierte. Dass insgesamt dreimal auf der Vorderseite statt eines ›N‹ ein ›H‹ steht, mag dazu beigetragen haben. Tatsächlich sind unter den vielen erhaltenen Prägungen der münsterischen Täufer die wenigsten Originale und viele, die erst später als Kuriositäten für Sammler fabriziert wurden. Die brillante Erhaltung weckt überdies Zweifel – ist es etwa direkt nach der Prägung an Sammler verkauft und mit Vorsicht in Sammlerschatullen verwahrt worden?

Die Herkunft aus Warendorf jedoch lässt aufmerken. Warendorf war eines der Ziele, als der Täuferkönig am 13. Oktober 1534 insgesamt 27 ›Apostel‹ aus dem schwer belagerten Münster in die Nachbarstädte Soest, Coesfeld, Osnabrück und Warendorf, also in alle vier Himmelsrichtungen entsandte, um dort zu missionieren, den Menschen und den Stadträten die Botschaft vom herannahenden Weltende und der Wiederkunft Christi zu verkünden; nur wer seinen Glauben bekenne und die einzig gültige Glaubenstaufe empfange, werde Gottes Strafgericht über die Welt überleben. Die Täufer empfanden die Krise ihrer Zeit – politische Krisen im Reich, der Zerfall der Glaubenseinheit durch die Reformation, die Türkengefahr, Wirtschaftskrisen, Seuchenzüge wie die Pest, den Englischen Schweiß und andere – als Krise der Welt, als Indizien des Gottesgerichts, das auch die Apokalypse des Johannes, das letzte, prophetische Buch des Neuen Testaments ankündet. Sie hatten den Beginn des Gottesgerichts erst auf Dezember 1533, dann auf Ostern 1534 berechnet: Täglich war damit zu rechnen! Wer das heute für lächerlich hält, schaue auf unsere Szenarien des Weltuntergangs durch einen Atomkrieg oder den Klimawandel; beides ja durchaus reale und sogar wissenschaftlich begründete Gefahren. Und biblische Berichte galten als unumstößliche Wahrheiten.

Die ausgesandten Apostel wurden in ihren Zielorten verhaftet, vor die Stadträte geführt, denen sie den Frieden Gottes verkündigen sollten (wohl nach 5. Mose 20,10), und wollten diese den nicht annehmen, sollte die Stadt mit der Stunde versinken wie die Ägypter im Roten Meer (2. Mose 15,4) – so berichtete es der Chronist Heinrich Gresbeck, der die Stadt im Frühjahr 1535 verließ und danach einen ausführlichen Bericht über das Geschehen in der Täuferstadt aufzeichnete. Ein Bericht aus Osnabrück besagt zu den bis zum Zweiten Weltkrieg im Osnabrücker Rathaus verwahrten drei Goldstücken, sechs »Predicanten (hätten) sick up dem Marckede und straten openbar angegeven und geprediget, der thoversicht, deße Statt mit erer Lehre tho vergifften, und des erer angeboden Lehre deße jegenwerthige der goldene pennige tho einer ohrkunde up dem Marckede von sich geschmeten …«. Der Täuferforscher Karl Heinz Kirchhoff stellte 1980 einen Zusammenhang mit dem ›Münzwurf‹ her, mit dem im Mittelalter Rechtsgeschäfte beendet wurden; wahrscheinlicher ist indes ein biblischer Bezug, etwa auf die geweissagte Zerstörung Babels (Jes. 13,1-12) – ein gläubiger Mensch sei wertvoller als Goldstücke, heißt es dort. Und auf den Münzen standen die Bibelsprüche, die die Taufpraxis und den Anspruch auf die Königs- und Weltherrschaft legitimieren sollten.

Kann dieses Goldstück ein Original von 1534 sein? Abgesehen davon, dass die Stadt Warendorf kurz nach dem Eintreffen der Täuferpropheten vom Bischof besetzt wurde und die Goldstücke konfisziert worden sein werden – ausnahmslos? – und vom Bischof seinen Verbündeten als Beleg täuferischer Hybris übersandt wurden, bleibt nur die numismatische Analyse der erhaltenen Stücke.

Das Gewicht der Goldmünzen lag nach Gresbeck bei »VIII oder IX Gulden«, hier sind es 7 ⅓ Goldgulden. Die drei Goldstücke in Osnabrück sollen 20,3 Gramm gewogen haben, waren also mit etwa 6 ¼ Gulden noch leichter; ein Goldstück im Münzkabinett Dresden (G. 14) wiegt 22,33 Gramm, also etwa 6 ⅞ Gulden. Vom Gewicht her könnte es ein Original sein. Ein Goldstück im Kestner-Museum Hannover (24,72 g, also 7,6 Gulden) hat Verfasser 1985 noch irrtümlich für einen Guss gehalten, ebenso ein Goldstück im Münzkabinett Wien, das für diese Studie nicht überprüft werden konnte und mit 27,35 g, also 8,4 Gulden dem bei Gresbeck genannten Gewicht entspricht.

Der saubere Stil mit den erkennbaren Zirkelpunkten und den Hilfslinien orientiert sich an dem Typ G. 17, dessen Buchstaben auch schon mit Punzen in den Stempel geschlagen wurden – wie auch die Typen G. 6/7, die aber aus einem anderen Punzenalphabet stammen. Sollte in Münster noch ein drittes Punzenalphabet in Gebrauch gewesen sein? Die Aussage eines Gefangenen im Dezember 1534, dass man »Tag und Nacht dicke Münzen schlagen« lasse, passt zum Befund, dass es mehrere parallel genutzte Stempelpaare gibt.

Irritierend ist auch, dass die bekannten Silberexemplare Nachgüsse sind, wenn auch sehr gute, und dass in zwei alten Sammlungen, in München und Amsterdam (früher Leiden bzw. Den Haag) Abschläge auf Karton liegen. Das macht aber nur Sinn, wenn es dafür Sammler als Abnehmer gab. Also doch Sammlerfälschungen? Machte man ein Punzenalphabet nur für ein Stempelpaar – oder verwendete man es auch noch für die Stempel anderer Nachprägungen? Und soll sich das Stück in Warendorfer Privatbesitz bis auf den Justizrat Weidenhöver vererbt haben, wenn die ausgeworfenen Stücke obrigkeitlich konfisziert wurden? Bisher überwiegen Fragen und Zweifel.

(Gerd Dethlefs)

 

Literatur

  • C. A. Cornelius, Berichte der Augenzeugen über das münsterische Wiedertäuferreich, Geschichtsquellen des Bistums Münster 2 (Münster 1853, Reprint 1983) S. 112-113 (Bericht des Heinrich Gresbeck), S. 277 (Verhör des Dionis Vinne, Okt. 1534)
  • M. Geisberg, Die münsterschen Wiedertäufer und Aldegrever. Eine ikonographische und numismatische Studie, Studien zur deutschen Kunstgeschichte 76 (Straßburg 1907, Reprint Baden-Baden 1977)
  • G. Dethlefs, Münzen und Medaillen auf die Wiedertäufer zu Münster, in: H. Galen (Hrsg.), Die Wiedertäufer in Münster. Katalog zur Eröffnungsausstellung des Stadtmuseums 1.10.1982 – 27.2.1983 5(Münster 1986) S. 244-294, hier S. und Nr. 14-20
  • G. Dethlefs, Münzen und Medaillen auf die Wiedertäufer in Münster. Eine Nachlese, Der Münzen- und Medaillensammler. Berichte aus allen Gebieten der Münzen- und Medaillenkunde, 29 / Nr. 166, Juli/August 1989, S. 669-678, hier S. 669-672
  • G. Dethlefs, »Gottes Macht ist meine Kraft«. Die Münzen und Medaillen der Wiedertäufer zu Münster, Dresdner Kunstblätter 37, 1993, S. 152-155

 

Archivalie

  • LWL-Archivamt für Westfalen, Best. 802 (Depositum Westfälischer Kunstverein / Westfälischer Provinzialverein für Wissenschaft und Kunst), Nr. 281, Schriftstücke 31.3./22.3./20.4.1883