
Byzantinische Gutscheine zur Versorgung!
Schon aus der Antike sind unzählige paramonetäre Objekte aus Ton und Metall (Blei, Kupfer) bekannt. Diese dienten als Gutscheine für eine Leistung oder der Kontrolle (etwa bei dem Eintritt in den Hippodrom oder in andere Etablissements). Eine weitere Funktion nehmen solche Marken oder tesserae in der Versorgung der Bevölkerung ein. Seit der römischen Kaiserzeit wurden Arme und Bedürftige von zentraler Stelle aber auch von vermögenden Wohltäter:innen unterstützt. Der spätantike Kirchenschriftsteller Ioannes Chrysostomos (um 400) merkt an, dass ein Zehntel der Bevölkerung auf eine solche Unterstützung angewiesen war, um überleben zu können.
In den mittelgriechischen Quellen findet man den Terminus ptocheion oder ptochotropheion, welcher mit „Armenhaus“ zu übersetzen ist. Derartige Einrichtungen, zu denen auch die nosokomeia (Hospitäler) und orphanotropheia (Waisenhäuser) zu zählen sind, zeigen, dass es ein soziales, christlich definiertes Bewusstsein für die Unterstützung Bedürftiger gegeben hat. Zu den Tugenden der Kaiserfamilie (und der Aristokratie) gehörte die Philanthropia, worunter die Sorge für alle im Herrschaftsgebiet lebenden Menschen verstanden wurde. Seit Kaiser Konstantinos I. gehören die Wohltätigkeit und Großzügigkeit in das imperiale Standardrepertoire, wie dies etwa der Chronist Ioannes Malalas (6. Jh. n. Chr.) formuliert:
„Der göttlichste Konstantin aber ließ, als sein Konsulat zu Ende ging, in Konstantinopel als Geschenk für die Byzantiner Abschnitte von Rohren (Anm.: damit sind tesserae gemeint, M.G.) unter die Menge werfen, die als Bezugsnachweis für immerwährende tägliche Brotrationen galten; diese Brote nannte er Palastbrote, weil diese im Palast ausgegeben wurden. Für jedes Brot setzte er Rationen von Wein, Fleisch und Gewandung fest; er zweigte die Ausgaben hierfür von seiner Privatschatulle ab und hieß die Zuwendungen ‚bürgerliche‘.“ (Übersetzung Ioannes Malalas S. 322 (XIII cap. 9) Übersetzung: Ioannes Malalas, Thurn 2009, S. 334–335)
Ebenfalls aus dem sechsten Jahrhundert stammt die Nachricht, dass Bedürftige „Gutscheine“ kalamia, eigentlich „Hälmchen“) gegen Brot eintauschen konnten. In der Vita des Patriarchen Antonios II. Kauleas (893–901) ist schließlich davon die Rede, dass Arme normalerweise von kirchlicher Stelle mit Brot und Getreide unterstützt wurden. Auch am kaiserlichen Hof kam es nach wie vor regelmäßig zu Verteilungen von Gütern. So wurden am sechsten Tag nach der Geburt Christi der Patriarch und sein Gefolge in den Palast eingeladen, und dort an einem Bankett teilzunehmen. Mit dabei waren 216 Mönche, die tesserae (sphragidia) erhalten hatten. Am Ende des Bankettes bekam jeder Mönch eine Goldmünze gegen Rückgabe einer tessera.
Einige tesserae, welche weder einen Schnurkanal noch eine münzähnliche (↑↓) Stempelstellung aufweisen, sind bislang publiziert worden. Das älteste Beispiel stammt aus dem siebten Jahrhundert. Das Bleistück trägt die Legende Διακονίας τῶν Βήρου (diakonias ton Beru). Die Stiftung stand unter der Patronanz der Theotokos und hatte ihren Namen von Verus, möglicherweise einem patricius während der Regierungszeit des Konstantinos I. Es existieren auch Exemplare, die auf eine zeitliche Organisation bzw. monatliche Kontingentierung (von irgendwelchen Gütern) hinweisen (μηνὸς Ἰουνίου; menos Iuniu, „des Monats Juni“). Angaben zu Regelungen der Verteilung von Speisen sind in den klösterlichen Typika verzeichnet. Auch Frauen betätigten sich als Wohltäterinnen. Kaiserin Eudokia (1059–1071) und die sebaste Maria ließen solche Marken ausgeben (z.B.: τροφὴ πενήτων τῆς σεβάστης Μαρίας, „Nahrung für die Armen von der sebaste Maria“).
Die Eparchen von Konstantinopel, gleichsam die Oberbürgermeister der Metropole, kümmerten sich ebenso um die Bevölkerung in wohltätiger Weise, wie dieses Exemplar zeigt. Die Eparchen waren für die Kontrolle des Marktes, für die Einhaltung des Rechts innerhalb der Stadtmauern und die Versorgung der urbanen Bevölkerung verantwortlich.
Man kann den Namenszug der Person lesen: Λέων ἔπαρχος ὁ Ἱκανᾶτος („Leon eparchos, Hikanatos“). Anzumerken ist hierbei, dass der angeführte Familienname vor dem 11. Jahrhundert eine Eliteabteilung der kaiserlichen Garden bezeichnete.
Die Erforschung paramonetärer Transaktionen im oströmischen Reich steht erst am Anfang.
(Michael Grünbart)
Literatur
- S. Bendall – J. W. Nesbitt, A „poor“ token from the reign of Constantine V, Byzantion 60, 1990, S. 432–435
- D. Constantelos, Byzantine philanthropy and social welfare, New Brunswick, NJ 1968, S. 257–258
- M. Grünbart, Macht und Präsenz der Buchstaben im byzantinischen Reich, Zugänge zu den historischen Hilfswissenschaften des östlichen Mittelmeerraumes, Berlin 2021, S. 75–78
- E. Krengel – P. Speck, ΚΑΛΑΜΩΝ ΣΥΝΤΟΜΙΑ: Zu griechischen Bezeichnungen für tesserae, Rheinisches Museum für Philologie 134, 1991, S. 196–202
- V. Laurent, Le corpus des sceaux de l’Empire Byzantin. Tome 2: L’ administration centrale, Paris 1981, Nr. 1037
- J. Nesbitt, Byzantine copper tokens, Studies in Byzantine Sigillography [1], 1987, S. 67–75
- M. Overbeck, Römische Bleimarken in der Staatlichen Münzsammlung München. Eine Quelle zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Roms, München 1995
- A. G.C. Savvides, A prosopographical note on the Hikanatoi of Byzantium: from military term to family surname, Byzantine and Modern Greek Studies 25, 2001, S. 221–229