Podcast "On a Tangent"

Voices of Mathematics Münster
© MM/Melina Aggelidakis

Herzlich willkommen bei "On A Tangent", dem Podcast, der die Geschichten hinter der Mathematik erzählt. In jeder Episode treffen wir junge Mathematiker:innen von Mathematics Münster und tauchen ein in ihre Forschung, ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft. Wir erforschen die vielfältigen Formen, die mathematische Forschung annehmen kann, die frühen Erinnerungen, die Menschen zur Mathematik geführt haben, und bemühen uns darum, die Stimmen besser zu verstehen, die die mathematische Gemeinschaft von heute prägen. Die Interviews sind in englischer Sprache, aber jede Folge wird auch ins Deutsche transkribiert.

Die Podcast-Folgen sind auf dieser Webseite, auf Podigee und auf den gängingen Podcast-Plattformen, wie Spotify, Apple Podcast oder Deezer zu finden.

Jeden letzten Montag im Monat veröffentlichen wir eine neue Folge.

Über den Host: Simone ist Doktorand im Bereich Modelltheorie und gelegentlicher Wissenschaftskommunikator. Er mag alles, was mit Geschichten und Fiktion zu tun hat.

Episode 5: Wie eine erfinderische Person zur Mathematik findet, mit Rin Ray

Gastgeber Simone Ramello mit Rin Ray.
Gastgeber Simone Ramello mit Rin Ray.
© Imke Franzmeier

In dieser Folge von „On A Tangent“ spricht Simone mit Rin Ray, Postdoc in der Topologie. Wir erfahren, wie eine erfinderische Person zur Mathematik kommt und wie man Brücken zwischen grundlegenden mathematischen Fragen in verschiedenen Bereichen baut.

Link zu Rins Webseite

  • Transkription (auf Deutsch)

    Simone: Moin! Willkommen bei „On a Tangent“, dem Podcast, bei dem die Hauptfiguren die Stimmen hinter der Mathematik sind. Mein Name ist Simone und in jeder Folge interviewe ich andere Mathematiker:innen aus Münster, um ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft zu entdecken. In dieser Folge treffe ich Rin, ein:e Postdoktorand:in in der Topologie, und erfahre, wie eine Erfinder:in zur Mathematiker:in wird. Ich hoffe, euch gefällt die Folge. (...) Vielen Dank, dass du dabei bist. Willkommen.

    Rin: Hallo.

    Simone: Also, lass uns mit der Vergangenheit beginnen. Lass uns mit deiner frühesten Erinnerung an Mathematik anfangen. Wann ist dir Mathematik zum ersten Mal begegnet?

    Rin: Ich glaube, das erste Mal... ich habe da so drei mögliche Erinnerungen. Die erste ist, dass meine Mutter viel Schmuck hatte, und eine der Sachen, mit der sie mich beschäftigt hielt, war, die Knoten im Schmuck zu lösen. Also wahrscheinlich ist das meine früheste Erinnerung: Knoten in Schuhbändern oder Schmuck lösen und ähnliches. Außerdem ist mein Vater professioneller Restaurator für Antiquitäten und hat eine komplette Holzwerkstatt, und oft kamen Leute mit völlig zerbrochenen und zersplitterten Möbelstücken zu uns, die wir sorgfältig wieder zusammengeklebt haben. Daran erinnere ich mich auch. Aber meine erste Mathe-Erinnerung, bei der ich dachte: "Oh, da ist etwas,“ und ich wusste, dass es Mathe heißt, war, als ich das Fach Analysis belegte. Ich erinnere mich, dass ich etwas über Riemannsche Summen gelernt habe. Das hört sich wirklich albern an, aber ich erinnere mich, dass ich, als ich über Riemannsche Summen lernte, das Gefühl hatte, dass ich, als ich jünger war und mich im Unterricht langweilte, manchmal Linien in die Luft zeichnete und dann im Geiste Dinge aus dem Raum unter die Linien stapelte. Und ich dachte: Oh mein Gott. Sie haben das, was ich in meinem Kopf mache, in ein winziges Paket gepackt. Und wie auch immer jemand anderes darüber denkt, er kann es auf diese Weise auspacken. Und ich dachte mir: Das ist wirklich cool, dass man das so verpacken kann, denn es ist eine riesige Menge an Werkzeugen und Informationen in diesem wirklich kleinen symbolischen Rahmen. Und das war das erste Mal, dass ich dachte, ooh.

    Simone: Ist das etwas, von dem ich mehr in meinem Leben sehen möchte?

    Rin: Ja, genau. Ich mochte diese Fähigkeit, über eine Sache auf viele verschiedene Arten zu sprechen, in einer Art einheitlicher Sprache, denke ich.

    Simone: Und glaubst du, dass diese drei Erfahrungen, die du erwähnt hast, irgendwie eine Vorahnung dessen waren, was du später in der Mathematik machen würdest, oder eher nicht?

    Rin: Nein. Ich meine, ich denke schon, dass ich ein ziemlich visuell denkender Mensch bin, aber ich glaube nicht, dass sie unbedingt auf den Bereich der Mathematik hinwiesen, in dem ich schließlich arbeitete.

    Simone: Wo wir gerade dabei sind, was machst du eigentlich in Mathe?

    Rin: Ja. Also, ähm, ich arbeite an einer Art Kombination aus vielen verschiedenen Bereichen, aber hauptsächlich beschäftige ich mich mit arithmetischer Geometrie, Homotopietheorie, Darstellungstheorie, Zahlentheorie, denke ich.

    Simone: Und wie erklärst du das Leuten auf Partys? Ich meine, wenn sie fragen.

    Rin: Natürlich. Wenn mich jemand fragt, was ich mache, sage ich als Erstes, dass ich gerne über Formen und Zahlen nachdenke. Ähm, und wenn sie mehr als das fragen, dann sage ich, nun, ich studiere die Art und Weise, wie Karten zwischen höherdimensionalen Sphären mit dem Zählen von Punkten auf Kurven zusammenhängen.

    Simone: Sphären können wir uns also vorstellen, Kurven können wir uns mehr oder weniger vorstellen.

    Rin: Ja. Und Zählen. Die Leute wissen ungefähr, was das ist.

    Simone: Ja.

    Rin: Richtig. Und das ist wie, ja, ich kämpfe manchmal, aber das tun wir alle.

    Simone: Es ist immer eine demütigende Erfahrung, nicht wahr? Wenn du der oder die Mathematiker:in im Raum bist und man erwartet von dir, dass du... „kannst du bitte die Rechnung im Restaurant ausrechnen“ und …Nun, nein, das kann ich nicht. Ich meine, ich könnte schreiben, ich meine, mit etwas Zeit, aber nicht das. Das ist definitiv nicht das, was ich als meine Fähigkeiten betrachte.

    Rin: Ah, ja. Es ist sehr anders als die Art von alltäglicher Mathematik, die wir normalerweise machen. Obwohl ich im Laufe der Jahre ein paar dieser Momente hatte, in denen ich tatsächlich Mathematik mache, weißt du, eine 5x5-Matrix berechne oder eine Reihe von Zahlen miteinander vergleiche und versuche, einen gemeinsamen Faktor zu finden. Und dann denke ich: Das ist das, was die Leute denken, was Mathematiker:innen tun. Und genau das mache ich gerade tatsächlich.

    Simone: Ganz genau. Und das ist es, was Mathematiker:innen oft schwerfällt. Ich meine, die hochdimensionalen Sphären sind in Ordnung. Es ist die Matrix der ganzen Zahlen, die wir irgendwie nicht unbedingt begreifen.

    Rin: Richtig, ich meine, das ist eher eine geschulte Fähigkeit in der ICM-Gemeinde, oder sorry, ICM ist das falsche Wort. Wie heißt denn der Wettbewerb?

    Simone: Du meinst die IMO (Internationale Mathematik Olympiade)? Hast du am Wettbewerb teilgenommen?

    Rin: Ich war kein:e IMO-Wettkämpfer:in, aber ich glaube, dass IMO-Wettkämpfer tendenziell besser in diesen Arten von schnellen Berechnungen sind als der durchschnittliche Mathematiker oder die durchschnittliche Mathematikerin.

    Simone: Ja, ich glaube, man glaubt oft, wenn man ein guter IMO-Wettkämpfer ist, dann bedeutet das, dass man viel Spaß an mathematischer Forschung hat, aber ich glaube nicht, dass es da eine große Korrelation gibt.

    Rin: Nein, es verbrennt eine Menge Mathematiker:innen. Aber ich glaube, dass die IMO ziemlich gut darin ist, Beweismethoden effektiv zu lehren. Als ich mich schließlich entschloss, beruflich in die Mathematik einzusteigen, hatte ich damit zu kämpfen, dass ich noch nie einen Beweis geschrieben hatte, und ich benutzte ein Buch für IMO-Studierende, um zu lernen, wie man die Grundlagen des Beweisschreibens beherrscht.

    Simone: Wie bist Du also zur Mathematik gekommen? Und wie bist du zu dem gekommen, was du heute machst?

    Rin: Ich habe einen etwas verworrenen Weg in die Mathematik genommen. Ich habe in der Robotik und im Ingenieurwesen gearbeitet… Eigentlich begann es sogar noch früher. Als ich an der Uni war, wusste ich wirklich nicht so recht, was ich machen wollte. Und dann habe ich schließlich diesen Analysis-Kurs belegt. Das hat mich richtig begeistert. Ich wollte reine Mathematik machen. Zu der Zeit wurde ich von einem ausgebrannten Postdoc betreut, und er meinte: „Rin, du willst eigentlich keine Mathematik machen, du kannst Leuten tatsächlich helfen.“ Und ich dachte, okay, also habe ich mich eine Zeit lang mit Robotik und Plasmaphysik beschäftigt. Dann bekam ich ein Stipendium, um Erfinder:in zu werden, und das habe ich eine Weile gemacht, und ich habe Mathematik als Hobby betrieben...

    Simone: Ich muss das kurz ein bisschen zurückspulen. Erfinder:in, im Sinne von… denn irgendwie habe ich vielleicht das Bild eines Erfinders wie Archimedes in den Mickey-Mouse-Comics im Kopf, jemand, der den ganzen Tag im Labor ist und tatsächlich Dinge baut. Ist das wirklich so?

    Rin: Ja, also ich denke, das lief so ab: Ich war auf einer Party, bei der derjenige, der hinter dem Teal Fellowship steht, Peter Teal, Treffen mit den Stipendiaten hatte. Wir hatten einen Fragebogen, der offen war, und jeder konnte ihm Fragen stellen. Zu der Zeit hatte ich eine:n Freund:in, die/der ein:e reine:r Wissenschaftler:in war und in vielerlei Hinsicht Schwierigkeiten hatte. Und jemand, der damals Hedgefonds-Manager war, aber vorher theoretische:r Physiker:in gewesen war, Eric Weinstein, kam auf mich zu und sagte: „Oh, du bist eine Teal-Stipendiatin für reine Wissenschaften, warum habe ich dich noch nie getroffen?“ Und ich sagte: „Nun, weil ich Ingenieurwissenschaftler bin.“ Und er meinte: „Erzähl mir von einigen Dingen, die dich interessieren.“ Und das war einen Tag, bevor ich mit meinem „Monat Mathematik“ anfangen wollte.

    Simone: "Einen Monat."

    Rin: Ja, einen Monat... acht Jahre.

    Simone: Äh, und es werden immer mehr.

    Rin: Und es werden immer mehr. Ja, also habe ich ihn verschiedene Dinge gefragt, und er meinte, „weißt du, hast du schon mal vom Atiyah-Singer-Index-Theorem gehört?“ Und ich sagte: "Nein, das ist ein guter Anfang. Schauen wir es uns an.“ Und ich dachte: Verdammt, das ist wirklich cool, weißt du? Und das war einer meiner Einstiegspunkte in die Mathematik. Und eine der Methoden, mit denen ich immer noch lerne, und die Art, wie ich damals lernte, war, dass ich eine Arbeit, die ich interessant fand, ausdruckte, alle Wörter, die ich nicht kannte ‒ und das waren die meisten - umkringelte und dann John Baez und dieses Wort nachschlug und einfach jeden Beitrag las, den er zu diesem Thema schrieb.

    Simone: Und zu den meisten Wörtern konntest du etwas finden?

    Rin: Ja, tatsächlich konnte ich durch dieses Vorgehen genug lernen, indem ich mich für etwa drei Monate in ein Zimmer eingeschlossen und das gemacht habe, um genug Wissen zu erwerben, um an Vorlesungen an der nahegelegenen Universität Berkeley teilzunehmen, da ich zu der Zeit in San Francisco lebte. Also begann ich, hinten in den Vorlesungen zu sitzen. Und irgendwann kam ich in Eric Weinsteins Mentoring an einen Punkt, an dem er erkannte, dass ich tatsächlich mit einem echten Mathematiker sprechen musste. Edward Frenkel, der auch mit dem Teal Fellowship verbunden war und Professor in Berkeley ist, begann sich wöchentlich mit mir zu treffen. Und irgendwann erreichte ich in seinem Mentoring einen Punkt, an dem er sagte, die Fragen, die ich ihm stellte, seien etwas zu topologisch, als dass er sie verstehen könnte. Also stellte er mich Leuten in der mathematischen Welt vor. Und ich traf sie auch, indem ich einfach zu den Vorlesungen erschien und Fragen stellte.

    Simone: Also bist du durch diesen wiederholten Prozess, an die Grenzen des Wissens von jemandem zu stoßen und dann zur nächsten Person zu gehen, letztendlich in deinem Fachgebiet gelandet?

    Rin: Ja. Und ich denke, das ist immer noch meine Art, Mathematik zu machen. Etwas, das ich wirklich an meinem Postdoc an der Uni Münster schätze, ist, dass ich denke, dass ich am besten lerne, indem ich das tue. Wenn ich mehr über ein Thema erfahren möchte, kann ich dorthin fliegen, wo es ist, oder mit dem Zug hinfahren, mit der Person eine Woche oder einen Monat sprechen, wie lange auch immer, und dann zum nächsten Ort gehen oder aufschreiben, was ich gelernt habe, und dann zum nächsten Ort gehen.

    Simone: Und denkst du, dass es irgendeine Verbindung zwischen deinem Hintergrund als Erfinder:in und deinem Alltag als Mathematiker:in gibt? Ich möchte jetzt nicht auf das Thema eingehen, ob Mathematik erschaffen oder entdeckt wird ...

    Rin: Nein, das ist mir egal.

    Simone: Und das würde, weißt du, unendlich viele Stunden dauern. Also lass uns das nicht vertiefen. Aber irgendwie diese Idee, Ideen fließen zu lassen und etwas Neues zu schaffen. Glaubst du, dass das zumindest irgendwo verborgen immer da war?

    Rin: Ja, ich denke, ich wusste schon immer, dass ich eine forschende Person irgendeiner Art sein wollte, oder vielleicht auch schöpfend, und vorzugsweise beides. Und das hat sicherlich meine Entwicklung als wissen- und kunstschaffende Person, in allen Bereichen meines Lebens beeinflusst.

    Simone: Was würdest du gerne sehen, was in diesem, sagen wir mal, Rest dieses „einen Monats Mathematik“, den du seit acht Jahren und etwas mehr machst, passiert? Was wäre eine Antwort auf eine Frage, die du gerne sehen würdest?

    Rin: Ich war schon immer sehr fasziniert von dem Zusammenspiel zwischen Mannigfaltigkeiten, Topologie, Zahlentheorie und arithmetischer Geometrie. In den letzten Jahren hat sich dieses Feld schnell und wunderschön weiterentwickelt. Es fühlt sich fast so an, als würde jeden Monat ein neues Paper erscheinen, das ein weiteres Puzzleteil in dieses Bild einfügt. Es ist ein breites Thema, dem ich mich widme, aber ich versuche, es zu erklären. Es gibt also irgendwie eine Verbindung zwischen L-Funktionen, dem topologischen Geschlecht und Euler-Charakteristiken und Randbedingungen für topologische Quantenfeldtheorien oder Aussagen ähnlich zu Riemann-Roch, dem Atiyah-Singer-Index-Theorem und so weiter. Es ist wirklich erstaunlich, wie diese Dinge anfangen, sich gegenseitig zu beeinflussen. Zum Beispiel begann es bei mir damit, dass ich sah, dass die Bernoulli-Zahlen überall in der Homotopietheorie und in den Homotopiegruppen von Sphären auftauchten. Mein Ziel war es, mich hinzusetzen und zu fragen: Okay, wir wissen, dass Bernoulli-Zahlen auftauchen, aber welche anderen arithmetischen Invarianten tauchen auf? Welche anderen L-Funktionen, welche Verallgemeinerungen der Bernoulli-Zahlen tauchen auf? Als ich mich damit auseinandersetzte, stellte ich fest, dass wir tatsächlich nicht verstehen, warum die Bernoulli-Zahlen überhaupt auftauchen.

    Simone: Sie tauchen einfach auf.

    Rin: Ja, momentan sind es nur eine Reihe numerischer Zufälle. Gemeinsam mit meinen Kollegen Noah Riggenbach und Andreas Mejia haben wir ein Bild entwickelt, das all die verschiedenen Fälle kategorisiert, in denen die Bernoulli-Zahlen in den Homotopiegruppen von Sphären auftauchen, und es scheint darauf hinzudeuten, dass sie aus einer größeren Struktur stammen. Und das ist schön und in gewisser Weise ein wesentlicher Teil der Perspektive, die wir entwickelt haben: Die Bernoulli-Zahlen erfassen das Gitter von Z, das in den reellen Zahlen liegt. Und man kann fragen… Wenn man zu anderen Gittern verallgemeinert, wie SL(2,Z) oder die symplektische Gruppe über Z oder jede andere diskrete Gruppe, die in einem topologischen Raum lebt, kann man auch nach einer Verallgemeinerung der Zeta-Funktion dort fragen. Man kann fragen, welche Arten von Gaußschen Theoremen man erhält. Bekommt man eine Verallgemeinerung dieser schönen Aussage, die mich bis heute verfolgt, dass die Zeta-Funktion von 1-2g gleich der Euler-Charakteristik des Modulraums von Kurven des Geschlechts g mit einem markierten Punkt ist? Man hat also eine topologische Invariante eines Modulraums, die gleich der Zeta-Funktion der Dimension des Modulraums ist. Und man kann fragen, was passiert, wenn man dort etwas anderes als die Abbildungsklassengruppe einsetzt. Was passiert, wenn man die symplektische Gruppe einsetzt? Was passiert, wenn man SL(n) einsetzt? Bekommt man auf der anderen Seite die Verallgemeinerung der Zeta-Funktion für dieses Gitter? Und das passt in ein anderes Bild. Bekommt man, dass die Orbifold-Euler-Charakteristik von zum Beispiel SL(n) oder Sp(n) gleich einem Produkt von Zeta-Funktionen ist? Aber es gibt keine bekannte Verbindung zwischen dem Fall der Abbildungsklassengruppe, der eine Zeta-Funktion wie eine Zeta-Funktion von 1-2n gibt, und dem Fall der symplektischen Gruppe, der ein Produkt der Zeta-Funktion von -1 bis zur Zeta-Funktion von 1-2n gibt. Und es gibt eine Abbildung von einer dieser Gruppen zur anderen, und es sollte eine Verbindung geben, aber wir wissen nicht, was sie ist. Und vieles von dieser erstaunlichen aktuellen Arbeit, wie zum Beispiel die Arbeit von Amina Abdurrahman und Akshay Venkatesh, bei der sie wirklich in der Lage waren, Reidemeister-Torsion und die Topologie von Knoten zu verwenden, um Dinge über L-Funktionen symplektischer Darstellungen zu beweisen. Und ich habe das Gefühl, dass wir in den letzten Jahren wirklich in der Lage waren, diese beiden Felder vollständig miteinander kommunizieren zu lassen. Diese Analogien werden zu tatsächlichen Beweistechniken, die zu einer Brücke in einer Sprache werden.

    Simone: Keine Heuristiken mehr, sondern tatsächliche ein Rahmen, um Dinge zu verstehen.

    Rin: Aber im Moment braucht dieser Rahmen noch viel Arbeit. Er deutet irgendwie auf diese sehr einfache, schöne globale Struktur hin, die sich in diese beiden Welten spezialisiert: die topologische und die Zeta-Funktions-Welt. Aber derzeit ist es unglaublich schwierig, zwischen diesen beiden Welten zu vermitteln. Ich meine, ihr Paper ist wirklich harte Arbeit. Und auch hier läuft es auf eine Art numerischen Zufall hinaus, den es interessant wäre, zu untersuchen und zu spezifizieren. Es ist auch irgendwie cool, weil man Dinge sehen kann wie, dass die Euler-Charakteristik als eine Art von Dualität dargestellt werden könnte, etwa die Euler-Charakteristik einer Mannigfaltigkeit als das Produkt der Chern-Klasse der Mannigfaltigkeit und der Chern-Klasse des Duals der Mannigfaltigkeit, ausgewertet auf der Fundamentalklasse. Und tatsächlich gibt es in vielen Pfadintegralen, die in Feldtheorien auftauchen, diese bosonischen und fermionischen Auslöschungen, die das Pfadintegral konvergieren lassen. Es scheint eine Verbindung zu einigen der Pfadintegrale zu geben, die in der Stringtheorie auftauchen, wo man nicht nur \(S^1\) in seine Mannigfaltigkeit abbildet, sondern eine andere „world sheet“, zum Beispiel eine Kurve vom Geschlecht \(g\) in die Mannigfaltigkeit. Es scheint, dass diese Pfadintegrale in den Aussagen, zum Beispiel für Kurven vom Geschlecht 1, dazu führen, dass die Riemannsche Zeta-Funktion von -1 als Korrekturfaktor auftaucht, was der Euler-Charakteristik des Modulraums von Kurven des Geschlechts 1 mit einem markierten Punkt entspricht. Und im Moment gibt es keinen Rahmen, der wirklich erklärt, warum das passiert. Ich wiederhole es noch einmal: Irgendwie bildet sich ein Dreieck zwischen L-Funktionen und Zeta-Funktionen, deren Verallgemeinerungen auf andere Gitter, topologische Geschlechter oder Euler-Charakteristiken. Und diese Riemann-Roch-Dualitätsaussagen, die in Randbedingungen invertierbarer topologischer Quantenfeldtheorien auftauchen, und „invertierbar“ ist hier wichtig, weil die Art und Weise, wie es verbunden ist, als etwas und dessen Dualisierungsobjekt auftaucht. Viele der dort auftauchenden Argumente enden in einer Art Fourier-Transformation, die einen Term aufnimmt, ein Maß auf einem Raum, das es ermöglicht, zu konvergieren. Und dieser Renormalisierungsfaktor scheint die Euler-Charakteristik zu sein, die ich in elliptischen Kurven sehe. Ich bin wirklich sehr gespannt, ob wir es schaffen, dieses Bild, das ich entwickelt habe, so zu gestalten, dass es wirklich zeigt, dass die Bernoulli-Zahlen, die wir kennen, spezialisieren. Dass diese Kategorisierung tatsächlich eine Erklärung dafür liefert, warum all die Bernoulli-Zahlen in den Homotopiegruppen von Sphären und auch allgemein in einem solchen kategorischen Rahmen auftauchen, der es uns ermöglicht, im selben Atemzug über symplektische Gruppen und die Abbildungsklassengruppe zu sprechen, ihre Maße und ihre Euler-Charakteristik, die einfach in derselben Welt leben.

    Simone: Das ist wirklich faszinierend. Vielen Dank dafür.

Episode 4: Weddings and Limit Structures, with Rob Sullivan (auf Englisch)

© Rob Sullivan

In dieser Folge von On A Tangent trifft Simone auf Rob Sullivan, einem Postdoc in Kombinatorik und Modelltheorie. Wir erfahren, was Kinder tun, um sich auf langweiligen Hochzeiten zu unterhalten, und warum ultrahomogene Strukturen schwer zu verstehen sind.

Link zu Robs Webseite

 

  • Transkription (auf Deutsch)

    Simone: Willkommen zu "On a Tangent", dem Podcast, in dem die Hauptfiguren die Geschichten hinter der Mathematik sind. Mein Name ist Simone, und in jeder Folge spreche ich mit einem anderen Mathematiker oder einer anderen Mathematikerin aus Münster, um mehr über ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft zu erfahren. In dieser Episode spreche ich mit Rob, einem Postdoc in Kombinatorik und Modelltheorie, über das, was Kinder tun, wenn ihnen bei Hochzeiten sehr langweilig ist, und warum ultrahomogene Strukturen ziemlich schwer zu verstehen sind. Ich hoffe, euch gefällt die Folge. (...) Gut. Hallo Rob. Willkommen. Danke, dass du dabei bist. Erzähle uns doch ein wenig darüber, wer du bist und welche Art von Mathematik dich interessiert. Wie erklärst du das deiner Familie, Freunden oder Menschen auf Partys?

    Rob: Okay. Also, ja. Im Allgemeinen würde ich sagen, dass ich mich schon immer für Kombinatorik interessiert habe, das ist das allgemeine Thema. Und wie erkläre ich das den Leuten? Meistens lüge ich erst einmal und gebe ihnen eine Art milde Fehlrepräsentation dessen, was ich tue. Ich finde es oft besser, den Leuten ein Problem zu geben, mit dem sie spielen können, denn, weißt du, ich könnte ihnen allerlei Begriffe und so weiter nennen. Aber ich denke, das Beste ist, den Leuten eine Aufgabe zu geben, wie zum Beispiel: "Beweisen wir, dass die Ramsey-Zahl drei gleich sechs ist." Natürlich sage ich das nicht direkt so. Besonders wenn man mit jemandem spricht, der wenig mathematischen Hintergrund hat, sage ich: "Also, stellen wir uns vor, wir haben sechs Leute auf einer Party, und ich behaupte, dass es immer drei von ihnen gibt, die sich kennen, oder drei, die sich nicht kennen." Dann sagen die Leute oft zu mir: "Warum interessiert dich das?", was eine sehr interessante Frage ist.

    Simone: Das ist keine leichte Frage.

    Rob: Ja, ja. Aber ich habe darauf oft keine gute Antwort. Doch meistens versuchen die Leute, besonders wenn sie keinen mathematischen Hintergrund haben, das Problem zu definieren. Sie könnten sagen: "Oh, aber Moment mal, Annabel ist Dans Freundin, aber Bella ist Dans Frau. Kennt Bella Dan besser als Annabel?"

    Simone: Richtig. Sie konzentrieren sich dann auf irrelevante Teile des Problems.

    Rob: Ja, genau. Und das ist wirklich interessant, weil man sieht, wie die Leute diesen Prozess der Abstraktion durchlaufen. Wir spielen im Grunde ein kleines Mini-Tutorial. Ich sage also: "Okay, denken wir an Punkte und Linien und dann an Farben. Blau bedeutet 'kennen' und Rot bedeutet 'nicht kennen'." Dann sprechen wir über das Schubfachprinzip und machen kleine Fallbeispiele. Und das ist, denke ich, viel lehrreicher, weil es viel eher dem entspricht, was ich tatsächlich täglich tue, als nur Theoreme oder mein Fachgebiet zu erklären.

    Simone: Es gibt ihnen einen Eindruck davon, was deine Arbeit tatsächlich beinhaltet oder welche Konzepte dahinterstehen.

    Rob: Ja, und mehr als das zeigt es ihnen, warum mir diese Fragen wichtig sind. Denn das Ziel ist es für mich, die Leute davon zu überzeugen, dass diese Fragen, die wir stellen, natürlich sind. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass Mathematik in einer separaten, platonischen, existenziellen Sphäre existiert. Ich möchte die Leute davon überzeugen, dass jeder eine bestimmte Art von Problemen hat, die er zu lösen versucht, und dass wir keine Magie betreiben. Oft haben die Probleme einfach einen bestimmten Charakter.

    Simone: Und Menschen bevorzugen bestimmte Probleme gegenüber anderen, weil diese Denkweise ihnen irgendwie natürlicher erscheint.

    Rob: Ja, oder weil sie in dieser Richtung ausgebildet wurden, genau.

    Simone: Und wie bist du zur Kombinatorik gekommen? Was hat dich zu diesem Thema gebracht? Ich meine, irgendwie hast du schon angedeutet, dass dir das Arbeiten mit konkreten Problemen gefällt, bei denen man vielleicht Dinge zeichnen kann. Das scheint etwas zu sein, was du an deinem Fachgebiet magst.

    Rob: Ja, genau. Und ich denke, es ist etwas, das man Kindern oder Jugendlichen auf eine sehr ansprechende Weise beibringen kann, weil man sie nicht durch eine ganze Reihe von Voraussetzungen führen muss. Man kann sie einfach loslegen lassen, besonders wenn sie Spaß am Problemlösen haben. Für mich war es so, dass ich an Mathematik-Olympiaden teilgenommen habe und so in Großbritannien in diese Sachen involviert war. Ich ging auf eine Schule, die alle Schüler*innen daran teilnehmen ließ. Es gab etwas, das, glaube ich, Kangaroo oder so hieß, eine Art sehr junge Mathematik-Olympiade. Und dann gab es auch die British Junior Maths Olympiad. Wenn man dort eine gute Punktzahl erzielte, bekam man einen „magischen Hogwarts-Brief“ per Post und wurde zu einem Sommercamp eingeladen. Und dort hatte ich sozusagen meinen ersten Kontakt mit der Kombinatorik, würde ich sagen, denn ich glaube nicht, dass ich damals in der Lage war, verschiedene Stile des mathematischen Denkens zu unterscheiden. Es zog mich einfach zu dem hin, was mir am interessantesten erschien, ohne irgendwelche Vorurteile zu haben. Ich erinnere mich, dass es in diesem Sommercamp professionelle Mathematiker gab. Einer von ihnen war Imre Leader aus Cambridge. Ich glaube, es war nach dem Abendessen, als er einen kleinen Beweis des Van der Waerden-Theorems vorstellte. Soll ich das Van der Waerden-Theorem erklären?

    Simone: Warum nicht?

    Rob: Warum nicht. Okay, es geht um die Färbung von natürlichen Zahlen. Angenommen, wir färben die natürlichen Zahlen in zwei Farben, Rot und Blau. Dann besagt das Van der Waerden-Theorem, dass eine der Farben beliebig lange arithmetische Progressionen enthält. Also, wenn ich eine arithmetische Progression der Länge fünf haben möchte, bei der alle Punkte dieselbe Farbe haben, richtig?

    Simone: Okay.

    Rob: Es ist ein großartiges Theorem, das man in einem Sommercamp präsentieren kann, denn was macht man? Es ist im Grunde eine clevere Induktion. Man beginnt mit kleinen Fällen und sagt: Okay, wenn wir drei Zahlen in zwei Farben färben, dann bekommen wir immer zwei Zahlen derselben Farbe, richtig? Ja. Und natürlich bildet das eine arithmetische Progression, weil es trivial ist. Man beginnt also damit als Basisfall und baut es dann auf. Man sagt: Okay, was ist, wenn wir eine arithmetische Progression der Länge drei wollen, bei der alles dieselbe Farbe hat? Und so weiter. Und er hat das wirklich gemacht. Er hatte eine Reihe von Folien und eine Tafel und ließ uns das Theorem gemeinsam als Gruppe beweisen. Ich glaube nicht, dass wir das vollständige Theorem bewiesen haben, aber wir haben genug von den einfacheren Fällen bearbeitet, um zu verstehen, wie es im Allgemeinen funktioniert. Dieses Gefühl des Spielens fand ich sehr faszinierend. Etwas, das mich als Kind sehr eingeschüchtert hat, war die romantische Vorstellung eines Mathematikers aus dem 19. Jahrhundert, die oft in Filmen gezeigt wird: Man sitzt auf einem Berggipfel, ein Blitz schlägt ein, und plötzlich beweist man die Riemannsche Vermutung.

    **

    Simone: Vielleicht in einem schrecklich kleinen Büro, eingeschlossen für acht Jahre, und dann kommt man mit der Lösung ...

    Rob: Genau. Und das wird oft romantisiert. Wenn man sich Hollywood-Filme ansieht, lieben die Leute immer die Geschichte von Andrew Wiles, wo niemand wusste, was er sieben Jahre lang gemacht hat, und so weiter. Das hat mir immer Angst gemacht, weil ich mich gefragt habe, ob ich gut genug bin, um so etwas zu machen. Ich finde, das ist ein sehr beängstigendes Klischee.

    Simone: Ich glaube, wir haben das schon in einer früheren Episode besprochen. Es ist irgendwie keine übliche Lebensweise, und man denkt, okay, das werde ich nicht tun. Das ist nicht natürlich für mich.

    Rob: Ja.

    Simone: Und dann fragt man sich, bedeutet das, dass ich kein Mathematiker sein kann?

    Rob: Ja, und das überschneidet sich mit vielen wirklich beunruhigenden Vorstellungen, denke ich, über persönlichen Wert und Dinge wie Urheberschaft, wo man sein Fähnchen aufstellen und sagen muss: „Ich habe das gemacht.“ Was ich sagen möchte, ist, dass mir dieses Theorem präsentiert wurde, ein Theorem mit großem T, und es trägt den Namen Van der Waerden und stammt aus dem Jahr 1929. Ich dachte: Oh, er muss ein Genie gewesen sein. Und dann wurde uns gezeigt, dass man mit kleinen Fällen spielt, Muster erkennt und verallgemeinert. Das fand ich großartig, denn das ist es, was ich machen wollte. Es ist ein wenig paradox, weil kombinatorische Beweise oft eine Art Geistesblitz-Idee erfordern oder zumindest oft so dargestellt werden, oder?

    Simone: Ja. Irgendwie hatte ich oft das Gefühl, wenn Kombinatorik ins Spiel kam. Ich beschäftige mich selbst mit Modelltheorie, und da gibt es immer einen Moment, in dem man ein bisschen Kombinatorik machen muss, selbst wenn man sehr algebraische Modelltheorie betreibt. Dann kommen die Leute mit einer Idee, als ob sie vom Himmel gefallen wäre: „Hier ist, was du tun solltest, hier ist die Menge, die du betrachten solltest, hier ist die Schranke, die tatsächlich existiert.“ Und man denkt sich: Okay, wie hast du das herausgefunden? Es ist nicht klar, aber ich denke, wenn man viele kleine Fälle durchgeht, kann man heuristisch anfangen zu raten, wie das allgemeine Bild aussehen könnte. Das ist eines der guten Dinge, die man in der Kombinatorik tun kann, was man vielleicht anderswo nicht tun kann, weil konkrete Beispiele bei anderen Fragen möglicherweise nicht existieren.

    Rob: Ja, es gibt da ein Paradoxon. Einerseits mag ich die Kombinatorik, weil sie zugänglich ist und man damit spielen kann. Aber gleichzeitig ist viel von der Kultur darum herum irgendwie ...

    Simone: Wundersam.

    **

    Rob: Ja, wundersam. Ich hatte eine großartige Idee, und dann veröffentliche ich ein Papier, das eine Seite lang ist und ein seit langem bestehendes Problem löst.

    Simone: Und man hat es quasi in einem Traum gesehen, dass die Schranke log, log, log, log zehnmal und dann, aber nicht elf, sondern zehn genug sind.

    Rob: Und ich denke, wenn man noch sehr jung ist, ist diese Kombination aus der Tatsache, dass man damit spielen kann, aber auch, weil Menschen sehr widersprüchlich sind. Kombinatorik hat große Persönlichkeiten wie Erdos mit seiner sehr bunten Biografien hervorgebracht. Und ich denke, das ist etwas, das, wenn man damit in Kontakt kommt, sehr anziehend sein kann. In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, hieß es, dass Kombinatorik wichtig ist, weil sie schwierig ist. Und ich glaube, es gab diese Idee, dass sie einen wirklich herausfordert, weil man nicht einfach kommen kann, ein Lehrbuch gelesen hat und dann besser an dem Problem arbeiten kann als jemand anderes. Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich stimmt.

    Simone: Ja, irgendwie fühlt es sich ein bisschen wie ein Klischee an, aber es scheint doch wahr zu sein, oder? Dass in einer gewissen stereotypischen Weise das getestet wird, was hier ist. Und das ist wieder eine problematische Vorstellung. Aber es geht um die Klugheit, weil nicht viel Theorie dahintersteckt. Man kann nicht unbedingt besser Bescheid wissen als andere.

    Rob: Ich meine, es ist nicht wahr, oder?

    Simone: Es ist natürlich nicht wahr.

    Rob: Aber wenn man sich lange mit dieser Art von Problem beschäftigt hat, baut man ein kleines Kompendium an Problemlösungsstrategien auf, und es ist klar, dass Erfahrung und Wissen eine Rolle spielen.

    Simone: Ja, aber irgendwie ist es wahr, dass Kombinatorik stereotypisch als das Feld angesehen wird, in dem die wirklich cleveren Leute vielleicht einfach hineingehen, ein Problem lösen und wieder rausgehen können. Weil man nichts anderes braucht außer einer cleveren Intuition. Und natürlich ist das falsch, oder? Aber es gibt dieses Klischee, und ich kann verstehen, warum es attraktiv ist, weil es wirklich prüft. Es ist ein bisschen wie „Street Smart“ versus „Book Smart“ in gewisser Weise.

    Rob: Ja, das ist eigentlich eine sehr gute Art, es auszudrücken. Ich mochte immer diese Idee, dass ich da sitze und einen Kaffee trinke und ein anderer Mathematiker kommt und fragt, woran ich arbeite. Und ich sage, na ja, und skizziere es einfach, weil ich nicht sagen muss: „Ah, kennst du eine abelsche Varietät?“ Ja. Ich denke, da gibt es ein grundlegendes Paradoxon in Bezug auf meine Anziehung zu dem Fach und in Bezug darauf, wie das Fach allgemein wahrgenommen wird. Nach meinem Hintergrund mit den Olympiaden, ging ich nach Cambridge, und das war ein Ort, an dem es viele... Ich weiß nicht. Es ist schwierig, weil niemand jemals wirklich da sitzt und sagt: Oh, dieses Fach ist hier wichtig, und dieses Fach ist anderswo wichtiger. Und niemand, weil es unglaublich unhöflich sein kann gegenüber den Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, so etwas zu sagen. Aber ja, es gab das Gefühl, dass Kombinatorik aufregend und unterhaltsam ist.

    Simone: Und wenn überhaupt, dann wahrscheinlich, weil es in Cambridge viele Kombinatoriker gab oder immer noch gibt.

    **

    Rob: Viele von ihnen sind jetzt nach Oxford gegangen, aber zu der Zeit, als ich dort war, gab es große Namen in der arithmetischen Kombinatorik, die viele aufregende Dinge gemacht haben, so etwa Ende der 2000er, Anfang der 2010er Jahre. Sie haben Kurse in Graphentheorie und Funktionalanalysis unterrichtet und auf Masterebene Dinge kombiniert, und oft sind diese Leute auch sehr gute Dozenten und Präsentatoren.

    Simone: Ja, das schafft natürlich spannende Felder. Nicht nur cool im Sinne von „populär, dieses Fach zu machen“, sondern man wird auch natürlich hineingezogen. Wenn die Dozenten sehr gut sind und es viele spannende Kurse und Seminare gibt, wird man natürlich mit mehr Ergebnissen und Enthusiasmus konfrontiert.

    Rob: Ja, genau.

    Simone: Okay, gehen wir ein bisschen weiter zurück, noch weiter als deine Olympiaden. Was sind deine frühesten...

    Rob: Olympiacs? Olympioniken.

    Simone: Was habe ich gesagt? Olympiaden?

    Rob: Mathletes.

    Simone: Ja. „Mathletes“. Einige Leute nennen sich selbst "Mathletes", glaube ich. Gehen wir also noch weiter zurück. Was ist deine früheste Erinnerung daran, etwas Mathematisches zu tun, was natürlich als das definiert ist, was du damals als mathematisch empfunden hast?

    Rob: Wir sollten wahrscheinlich zwischen meiner frühesten Erinnerung und der frühesten Wahrnehmung meiner Mutter von meiner Mathematik unterscheiden.

    Simone: Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe fast keine Erinnerungen an die Zeit von meiner Geburt bis etwa zum Alter von zehn Jahren oder so. Ich könnte also damals unendlich viele Dinge getan haben.

    Rob: Meine Mutter erzählt mir immer, dass ich, als ich im „pram“ saß...

    Simone: Pram?

    Rob: Oh ja, im Buggy, glaube ich, nennt man das in den USA. Ich komme ursprünglich aus Australien, und da viele Städte in Australien in dieser sehr weitläufigen Art gebaut wurden, gibt es oft diese Art von amerikanischen Rastersystemen. Es ist also ganz normal, dass deine Hausnummer so etwas wie 1152 ist. Meine Mutter erzählt mir immer, dass ich, als ich im Kinderwagen war, auf eine Nummer gezeigt und gefragt habe: „Mum, was ist das für eine Nummer?“ Und sie sagte dann 217, und ich sagte: „Wow“.

    Simone: Ja, Kinder zeigen auf Dinge und fragen, aber du hattest eine besondere Faszination für Zahlen.

    **

    Rob: Tatsächlich glaube ich nicht, dass mein ursprüngliches Interesse an Mathematik so groß war... Ich war eher an Computern und Codes interessiert. Ich erinnere mich, dass ich immer versuchte, Nachrichten zu kodieren, zum Beispiel mit diesen Caesar-Verschiebungs-Ziffern, wo man anstelle von A ein B schreibt und anstelle von B ein C.

    Simone: Also diese, von denen behauptet wird, dass Caesar sie tatsächlich verwendet hat, um Informationen zu übermitteln.

    Rob: Um Nachrichten während Kriegszeiten zu senden. Genau. Ich versuchte, mein eigenes Alphabet zu erfinden, und warum, weiß Gott. Es gab etwas, das mein Vater immer tat, was ich sehr beeindruckend fand, aber ich glaube nicht, dass er es absichtlich tat. Er war sehr gut darin, nicht zu wissen, was altersgerecht war.

    Simone: Mal sehen, wohin das führt.

    Rob: Ja. Wir hatten einen Computer, einen Computer zu Hause. Und in den frühen 90ern war das noch nicht selbstverständlich. Mein Vater war Ingenieur, ist es immer noch, denke ich. Wir hatten also einen Computer zu Hause, und eines Tages, ich kann mich nicht erinnern, wo wir waren, denke ich, dass es eine Art Flohmarkt war, wo Leute Dinge aus dem Kofferraum ihrer Autos verkaufen, Dinge, die sie loswerden wollen. Und er kaufte ein Buch und sagte: „Oh, das klingt interessant, Robert, möchtest du das nicht machen?“ Es hieß „QBasic for Dummies“

    Simone: Okay. Ich habe irgendwie erwartet, dass das in eine Art Marquis de Sade-Situation geht.

    Rob: Du kannst das rausschneiden. Also, er kaufte dieses Buch für mich, „QBasic for Dummies“. Und was passiert? Ich muss eine Schleife programmieren, und der Computerbildschirm druckt alle Zahlen von 1 bis 100 aus. Und das war damals, als nicht alles auf Windows lief, sondern auf MS-DOS. Man konnte also Dinge tun, wie den Hintergrund des Terminals auf Pink ändern, natürlich.

    Simone: Ja.

    Rob: Und das war erstaunlich.

    Simone: Ja, natürlich, natürlich. Ich meine, wenn man nur das Terminal hat.

    Rob: Ja. Und ich liebte es. Das andere war, dass ich als Kind, ganz anders als heute, sehr, sehr früh aufwachte, so um 5 Uhr morgens, und auf das Bett meiner Eltern sprang.

    Simone: Was sie sicher geliebt haben.

    Rob: Ja. Und so erreichten wir schließlich einen Kompromiss, der darin bestand, dass ich, wenn ich früh aufwachte, unbeaufsichtigt an den Computer gehen durfte.

    Simone: Ja. Wie alt warst du da?

    Rob: Oh, so vier oder fünf.

    Simone: Ich verstehe. Du konntest kaum lesen.

    Rob: Ich weiß es nicht. Also, ich habe definitiv das Gefühl, dass ich Lesen über den Computer oder über Programmierung gelernt habe, eher als... Ich habe natürlich auch viele Bücher gelesen. Und ich habe früher oft da gesessen, und die Familienkatze kam dann immer zu mir und legte sich neben mich, neben den Computer. Ich habe mit fünf Jahren an diesen Programmierübungen herumexperimentiert. Und ich habe auch Computerspiele gespielt, aber so bin ich ursprünglich darauf gekommen. Oh, ich habe eine viel bessere Antwort. Mir ist gerade plötzlich etwas eingefallen. (...) Ich war mit vier auf einer Hochzeit. Ich bin auf dieser Hochzeit, und mir ist total langweilig. Weißt du, weil ich vier Jahre alt bin. Ich bin auf einer Hochzeit. Weißt du, wie Hochzeiten für Kinder sind?

    Simone: Man darf nicht herumlaufen.

    Rob: Ja, genau.

    Simone: Man muss ruhig sitzen.

    Rob: Bei Hochzeiten sind normalerweise keine Kinder, weil die Leute keine Kinder zu Hochzeiten mitbringen, weil sie zu viel Lärm machen, oder? Also, mein Vater war Ingenieur, und seine Idee, mich zu unterhalten, weil wir beide sehr gelangweilt waren, war mir das Zählen im Binärsystem beizubringen.

    Simone: Verstehe. Okay.

    Rob: Und ich konnte bereits zählen, ich glaube, ich konnte schon über zehn zählen. Und er sagte, oh, na ja, es gibt noch eine andere Art zu zählen. Und dann haben wir halt jeden Finger auf und ab bewegt. Und dann, kannst du zwischen ihnen umrechnen? Und ich erinnere mich, dass es mir unmöglich schwierig vorkam und ich überhaupt nichts verstand, aber es erschien mir sehr interessant.

    Simone: Ja. Genug über die Vergangenheit. Was ist mit der Zukunft? Was ist ein großes Problem in deinem Bereich, das du gerne gelöst sehen würdest? Natürlich nicht unbedingt von dir selbst, obwohl man natürlich hoffen kann, aber eher unwahrscheinlich. Aber nein, welches Theorem würdest du gerne bewiesen sehen, oder welche Frage würdest du gerne beantwortet sehen, oder vielleicht noch mehr. Also, ein Konzept, das du für besonders erforschenswert hältst und so weiter.

    Rob: Ja, ich tendiere eher dazu, in Begriffen von... Ich habe oft das Gefühl, dass wir einfach in einem Meer völliger Unwissenheit schwimmen.

    Simone: Sozusagen im tiefen Ozean. Wir können nichts sehen.

    Rob: Ja. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir nur an der Oberfläche kratzen. Und was mache ich? Ein großer Teil meiner Arbeit dreht sich um ultrahomogene Strukturen. Es gibt diese generischen Grenzobjekte, diese generischen abzählbaren Objekte, die als Grenzwerte von endlichen Strukturen resultieren. Der Punkt ist, dass sie aus der Perspektive der Endlichkeit überall gleich aussehen. Und wenn man Argumente über, ich weiß nicht, endliche Graphen führen möchte, kann man sich dieses Grenzobjekt namens Zufallsgraph oder Rado-Graph ansehen. Das Zusammenspiel zwischen ihnen ist sehr interessant. Ich glaube... Wir wissen allgemein nicht viel über ultrahomogene Strukturen, insbesondere über ultrahomogene Strukturen, bei denen alle Relationen binär sind. Wir wissen ein bisschen was, aber ich glaube, im Allgemeinen wissen wir einfach nicht so viel. Und viel von der Intuition geht verloren, wenn man anfängt, ternäre oder allgemein kompliziertere Dinge zu betrachten.

    **

    Simone: Es scheint, dass in der Mathematik viel Wert auf das nächste große Problem gelegt wird, auf das große Problem. Aber natürlich liegt die meiste Arbeit vielleicht eher... unter der Oberfläche. Ja, ich meine, der untere Teil des Eisbergs besteht einfach darin, die Dinge zu verstehen, die wir nicht wissen. Das ist natürlich viel weniger populär, viel weniger schick, zu sagen: „Ich möchte das Wissen über diese Klasse von Objekten erweitern.“ Es ist weniger schick, als zu sagen: „Ich möchte diese große Vermutung beweisen.“

    Rob: Aber ich finde, dieses Denken im Stil der großen Vermutung fühlt sich wieder ein bisschen an wie Hollywood. Es fühlt sich ein bisschen so an, als ob man, wenn man sich Grigory Perelman ansieht, der ja die Fields-Medaille und auch den Millennium-Preis abgelehnt hat, sagen könnte, das hat etwas mit Hollywood zu tun. Ich sage das, weil Simone und ich gerade das Interview pausiert haben, um genau zu überprüfen, welche Preise er abgelehnt hat, weil ich glaube, dass es etwa fünf waren. Und wenn man mit Leuten darüber spricht, gibt es diese allgemeine Vorstellung, dass, na ja, das ist ein bisschen ein komischer Typ, oder?

    Simone: In gewisser Weise ist das eine extreme Sichtweise des Problems.

    Rob: Ja. Ich weiß nicht, wie viele Leute eine Fields-Medaille ablehnen würden, aber wenn man sich ansieht, was er sagt, dann sagt er, na ja, viele dieser Dinge bauten auf den Arbeiten anderer auf, und einiges davon wurde kollaborativ gemacht. Und er mag diesen Gedanken nicht, dass Geld und Ruhm und die ganze Aufmerksamkeit nur auf ihn gerichtet werden und gesagt wird, dass er es gelöst hat.

    Simone: Ja. Es ist diese Vorstellung des untergetauchten Eisbergs, dass letztendlich die meisten von uns in ihrem Leben kein großes Theorem oder eine große Vermutung beweisen werden. Die Idee für mich ist eher, dass jeder von uns einen kleinen Schubs gibt, und dann wird eine Art kritische Masse erreicht, und das große Ding kann bewiesen werden. Ja, aber all das ist nur die Summe aller kleinen Schübe der Menschen.

    Rob: Ja. Und man braucht natürlich die genialen Menschen. Aber wenn man anfängt zu denken, na ja, warum nehmen wir nicht einfach die genialen Menschen und...

    Simone: Sperren wir sie in einen Raum ein?

    Rob: Ja. Und wir brauchen den Rest von ihnen nicht. Die machen ja eigentlich nichts besonders Substantielles. Ich denke, das ist eine völlig falsche Sichtweise.

    Simone: Das ist wahrscheinlich tatsächlich faktisch falsch. Irgendjemand wird vielleicht eine große Intuition haben müssen. Aber ja, selbst diese große Intuition wäre nichts ohne die ganze Arbeit der vorhergehenden Menschen. Ich meine, selbst Newton, der nicht der angenehmste Mensch auf Erden war, hat über das „Stehen auf den Schultern von Riesen“ gesprochen, oder? Ich meine, ja, es war Newton, oder? Vielleicht müssen wir noch einmal pausieren.

    Rob: Es war Newton. Und dieser Drang nach Eigenverantwortung wird manchmal von außen auferlegt und ist nicht unbedingt etwas, das die Menschen wirklich wollen. Ich meine, wir wollen das nicht, und man muss sich fragen, wie viel damit mit der Knappheit an akademischen Stellen zu tun hat.

    Simone: Der Arbeitsmarkt, wie er nun einmal ist. Ein stärkerer Fokus auf, weißt du, wer was bewiesen hat und was genau der Beitrag ist.

    **

    Rob: Was ist wichtiger? Das Was oder die Person, die es bewiesen hat? Ich denke, es ist offensichtlich das Theorem, das wichtiger ist.

    Simone: Und natürlich möchte man der Person Anerkennung zollen. Aber das bedeutet nicht, dass es sich um eine knappe Ressource handelt, die man nicht an mehr Menschen vergeben kann. Ich meine, ich habe immer das Gefühl, dass man Anerkennung nie aufbrauchen kann.

    Rob: Nein, auf jeden Fall nicht.

    Simone: Und irgendwie ist es immer... so fühle ich es, wenn man einem Theorem einen einzelnen Namen gibt. Natürlich hat diese Person das Theorem bewiesen, und es ist eine nützliche Eselsbrücke, um zu wissen, wer ein Theorem bewiesen hat.

    Rob: Ja. Und oft ist es einfach ein kleiner Platzhalter, den man einfügt. Richtig. Einfach, weil man einen Namen dafür braucht, gibt es keinen besseren Weg und so weiter.

    Rob: Aber ja, das ganze Konzept von Eigenverantwortung finde ich sehr... ich meine, schau, wenn du Leute für eine Position auswählst, musst du eine grobe Vorstellung davon haben, was sie bewiesen haben.

    Simone: Aber ich denke, das liegt wirklich nur daran, dass der Markt so wettbewerbsintensiv geworden ist. Bis zu dem Punkt, dass man tatsächlich genau vergleichen muss, welche Beiträge besser sind, gemäß bestimmten Metriken.

    Rob: Richtig. Ich meine, man kann nicht jedem einen Job geben.

    Simone: Ich stimme zu, aber ich bin mir nicht sicher, ob es gesund ist, so stark darauf zu drängen, wie viele Publikationen du hast und wie hoch dein Anteil an diesen Publikationen ist.

    Rob: Ja. Und es ist oft sehr undurchsichtig.

    Simone: Ich meine, ich wüsste nicht, wie hoch mein Anteil an einem bestimmten Papier ist.

    Rob: Auf jeden Fall. Während meiner Doktorarbeit, als ich das erste Mal einen Vortrag über die Ergebnisse meiner Doktorarbeit hielt, kam mein Betreuer nachher zu mir und sagte: „Erstens, du hast in diesem Vortrag keine Theoreme aufgestellt. Du hast einfach alles als These bezeichnet.“

    Simone: Ja, das habe ich auch gemacht. Ich habe das gleiche in meinem ersten Vortrag gemacht. Es kam mir zu viel vor, sie einfach Theoreme zu nennen.

    Rob: Ja. Ja, genau. Und zweitens sagte er zu mir, „hast du tatsächlich einige dieser Theoreme nicht dir selbst zugeschrieben.Und du hast meinen Namen geschrieben.“ Und ich sagte ihm, dass ich das nicht so empfinde, als hätte ich sie bewiesen. Und er sagte, „nun, das hast du,“ und ich habe mich damit wirklich schwer getan, weil es mir immer noch nicht ganz klar war.

    Simone: Aber ich denke, das ist üblich, oder? Ich meine, es ist definitiv nicht so, dass jemand aus dem Nichts mit einem Einzelautorpapier auftaucht und jede einzelne Idee in diesem Papier entwickelt hat. So funktioniert es einfach nicht.

    Rob: Ja. Manchmal ist es tatsächlich so.

    Simone: Manchmal. Gelegentlich. Ja. Aber das ist nicht der Standardweg.

    Rob: Und man kann sich in diesem Zeug wirklich in Knoten verheddern.

    Simone: Auf jeden Fall.

    Rob: Die Lösung ist okay. Wurde das Theorem veröffentlicht? Ja. Werde ich einen Job bekommen? Ja. Und wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist nichts anderes wirklich wichtig, weißt du?

    Simone: Alles klar. Vielen Dank für das nette Gespräch.

Episode 3: Paradoxical Sets and Ice Cream, with Azul Fatalini (auf Englisch)

Gastgeber Simone Ramello im Gespräch mit Azul Fatalini
Gastgeber Simone Ramello mit Azul Fatalini
© MM/vl

In dieser Folge von On A Tangent wird Simone von Azul Fatalini, einer Doktorandin im Bereich der Mengenlehre, begleitet. Wir erfahren, wie das Auswahlaxiom die Universen verändert, in denen es gilt, warum Logik die Mathematik hinter der Mathematik ist und welches der schnellste Weg zum Eis ist.

Link zu Azuls Website

  • Transkription (auf Deutsch)

    Simone: Willkommen bei On a Tangent, dem Podcast, in dem die Geschichten hinter der Mathematik im Mittelpunkt stehen. Mein Name ist Simone und in jeder Folge werde ich von einer anderen Nachwuchsmathematikerin oder Mathematiker aus Münster begleitet, um mehr über ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft zu erfahren. Diese Episode erscheint während des Pride-Monats und ich werde von Azul, einer Doktorandin in der Mengenlehre, begleitet. Wir erfahren, wie das Auswahlaxiom die Universen, in denen es gilt, verändert, warum die Mengenlehre die Mathematik der Mathematik ist und was der schnellste Weg zu einem Eis ist. Ich hoffe, Ihnen gefällt diese Episode. (...) Also, Azul... Willkommen zum Podcast.

    Azul: Hallo. Es ist schön, hier zu sein.

    Simone: Ja. Danke, dass du dabei bist. Wie du weißt, erkunden wir im Podcast die Geschichten unserer Gäste. Und deshalb möchte ich mit deiner Vergangenheit beginnen. Was ist deine früheste Erinnerung an Mathematik?

    Azul: Eigentlich liebe ich diese Frage. Als du mir gesagt hast, dass du diesen Podcast machen würdest, habe ich dich gefragt, welche Art von Fragen du stellen würdest. Und du hast mir dieses Beispiel gegeben, und ich war so froh, weil ich diese Erinnerung habe und mich das noch nie jemand gefragt hat. Und ich wusste es selbst nicht, bis du mich gefragt hast. Ich bin super glücklich, das zu erzählen. Also, die Sache ist die: Als ich ein Kind war, war der Stadtplan meiner Heimatstadt ein Gitter. Und es gibt diesen Hauptplatz im Stadtzentrum, der ein Quadrat ist. Es ist 100m mal 100m groß, aber es hat auch ein Kreuz in der Mitte. Und eine der Dinge, die wir oft mit meiner Mutter gemacht haben, war, von unserem Haus ins Stadtzentrum zu gehen und ein Eis an der Ecke des Platzes zu essen. Und dafür war es am besten, den Platz diagonal zu überqueren, richtig? Und die meisten Blocks in meiner Stadt haben das nicht, es ist nur dieser Teil, den man diagonal überqueren kann. Als ich ein Kind war, habe ich darüber nachgedacht, ob es wirklich besser war. Ich denke, dass ich es sehen konnte, also einfach um mich schauen und sehen könnte, dass es kürzer war, als zwei Blocks von 200m zu gehen. Aber ich wollte immer genau wissen…

    Simone: Wie viel besser.

    Azul: Wie viel besser es war, weil es mir schien, dass es mehr als ein Block war, aber weniger als zwei.

    Simone: Also besser als zwei.

    Azul: Ja, aber nicht so viel besser. Also… wie viel. Und ich war besessen davon und versuchte zu schätzen. Aber es war super schwer.

    Simone: Schneller zum Eis kommen.

    Azul: Natürlich. Wie viel schneller kommen wir zum Eis?

    Simone: Genau.

    Azul: Aber ich versuchte immer, das im Kopf machen. Meine Schätzung war etwa 1,5. Ich kannte nicht einmal Dezimalzahlen, denke ich, zu diesem Zeitpunkt. Aber so wie die Hälfte.

    Simone: Die Hälfte. Ja.

    Azul: Aber ich konnte nie beantworten, ob die Diagonale weniger oder mehr als 1,5 war. Und das war einfach etwas, das ich lange im Kopf hatte.

    Simone: Bis du es viele Jahre später in der Schule plötzlich herausfandst?

    Azul: Ja. Ja, definitiv. Es war viel später, und ich lebte nicht einmal mehr dort. Die Antwort kam zehn Jahre später.

    Simone: Und denkst du irgendwie, dass diese Art von… Nun, dies ist in gewisser Weise ein sehr geometrisches Problem, das dann irgendwie mit dem verbunden ist, was du heutzutage in deiner Forschung machst. Warst du schon immer ein sehr visueller oder geometrischer Denker?

    Azul: Ich würde sagen, ja. Als ich bei einer Mathematik-Olympiade in der Schule war, war meine Lieblingsdisziplin die Geometrie. Also euklidische Geometrie. In dieser Hinsicht, ja. Aber ich würde sagen, ich bin schlecht im visuellen Denken im Sinne von... Es ist sehr schwer für mich, sich Figuren vorzustellen. In diesem Sinne würde ich sagen, nein, aber weil ich mir nicht so viel vorstellen kann, zeichne ich dann Dinge. Ich meine, ich mag es, diesen Mangel an Vorstellungskraft durch das Zeichnen von Diagrammen und Zeichnungen zu kompensieren, um mir selbst zu helfen.

    Simone: Ich habe das Thema schon ein wenig angesprochen: Was machst du heutzutage in der Forschung?

    Azul: Ich studiere Mengenlehre. Das ist der Bereich. Es gehört zur Logik, wie du weißt.

    Simone: Natürlich. Endlich haben wir einen Logiker im Podcast.

    Azul: Ja. Ich meine, es ist einfacher, es dir zu erklären, oder?

    Simone: Natürlich. Aber für unser Publikum...?

    Azul: Ja. Also, ich studiere Probleme, die mit dem Auswahlaxiom und den Teilmengen der reellen Zahlen zusammenhängen. Irgendwie sind die Objekte sehr ähnlich wie normale Mathematik, sagen wir mal. Und es gibt einige geometrische Objekte, die ich untersuche. Aber aus der Perspektive der Theorie, weil die Fragen damit zu tun haben, wie viel Auswahlaxiome man braucht, um diese Objekte zu konstruieren oder nicht, was im Wesentlichen eine mengentheoretische Frage ist.

    Simone: Ja. Und erklärst du das so deinen Freunden, die keine Mathematiker sind? Wenn sie fragen, natürlich.

    Azul: Natürlich nicht. Ich meine, sie wissen nicht, was das Auswahlaxiom ist.

    Simone: Und warum Mengenlehre für die Leute wichtig ist, meine ich.

    Azul: Ich meine, ich bin mir nicht einmal sicher, ob Mathematiker... Ich bin mir nicht sicher, ob Mathematiker generell wissen, warum Mengenlehre wichtig ist, denke ich.

    Simone: Abgesehen davon, dass es das Fundament ist.

    Azul: Genau. Nicht-Mathematikern sage ich normalerweise, dass ich etwas in der Logik mache. Logik ist ein Wort, das die Leute kennen, richtig? Und ich meine, natürlich wissen sie nicht, was mathematische Logik bedeutet, aber es gibt ein Konzept von Logik, eine Idee. Und wenn sie mehr fragen, sage ich, okay, es gibt einen Bereich der Logik die Mengenlehre ist. Die mehr oder weniger die Grundlagen der Mathematik und die Struktur dessen, wie Mathematik funktioniert, untersucht. Es gibt also diese meta-mathematischen Fragen, mit denen sich die Mengenlehre beschäftigt.

    Simone: Ich sage den Leuten normalerweise, dass wir das machen, was Linguisten für die reale Welt tun. Also, die Leute studieren die Sprache, in der die Menschen kommunizieren, und Logiker studieren die Linguistik der Mathematik.

    Azul: Ja, das könnte sein.

    Simone: In Bezug auf die Finanzierung ist es wahrscheinlich eine ähnliche Parallele.

    Azul: In Bezug auf die Finanzierung?

    Simone: Wir bekommen genauso viel Finanzierung wie die Linguistik-Leute.

    Azul: Ja. Ich bin mir nicht sicher, ich habe keine Ahnung davon.

    Simone: Ja. Aber ich nehme an, es ist nicht viel, wie bei allen Geisteswissenschaften.

    Azul: Ich stimme zu, was du sagst, aber speziell die Mengenlehre mag ich eher als die Mathematik der Mathematik zu vereinfachen. Ich denke, weil man nicht Linguistik benutzt, um die Sprache des realen Lebens zu studieren, es ist wie eine andere Sache, richtig? Linguistik ist anders als die reale Welt oder die gesprochene Sprache. Aber die Theorie selbst ist ein Teil der Mathematik. Und ich denke, das ist eine der schönsten Dinge.

    Simone: Und das verwirrendste.

    Azul: Es ist extrem verwirrend. Aber diese Sache... Ich meine, Mathematik kann Dinge untersuchen, die Dinge der Mathematik sind. Und wenn man das den Leuten sagt, auch wenn sie keine Mathematiker sind, kommt: Wie machst du das?

    Simone: Ja. Und ich erinnere mich an meinen ersten Mengenlehre-Kurs, da gibt es all diese Paradoxien, die daher rühren, dass man eigentlich über Mengenlehre spricht, wenn man die Mengenlehre der Mathematik macht. Ich meine, wenn du die Mathematik der Mathematik machst, studierst du besonders die Mathematik. Du weißt schon...

    Azul: Ja, da gibt es diese Selbstreferenz. Selbstreferenz am Anfang.

    Simone: Ja. Ich meine, es ist verwirrend. Ich meine, es ist auch etwas, das man erforschen kann.

    Azul: Nun, es ist definitiv beides für mich. Die Tatsache, dass es so seltsam ist im Vergleich zu anderen Bereichen, die dieses Merkmal nicht haben, macht es interessanter.

    Simone: Und deine Forschung beschäftigt sich mit, sagen wir mal, normalen mathematischen Objekten, was, wenn ein anderer Mathematiker das zu mir sagen würde, wäre das beleidigend, aber wir können es sagen. Ja. Ich meine, weißt du, weil wenn mir jemand sagt, ah, ja, wir machen die normale Mathematik, du machst die Logik, wäre ich ein bisschen beleidigt. Aber ich kann sagen, weißt du, die natürlichen mathematischen Objekte, die man in der Natur findet, und in der Natur, wie in der Mathematik, ich meine, in der mathematischen Natur. In der mathematischen Natur. Genau. Und man hört oft davon, wie das Auswahlaxiom diese Art von paradoxen Objekten aufbaut. Ist das die Art von Dingen, die dich interessieren?

    Azul: Ja. Also, meine Doktorarbeit heißt paradoxe Mengen und das Auswahlaxiom. Das ist definitiv das Thema. Und ja, ich stimme dem zu, was du über die normale Mathematik und die nicht normale Mathematik sagst.

    Simone: Aber würden paradoxe Mengen als normale mathematische Objekte angesehen werden?

    Azul: Ja, ich denke schon. Ich meine, zum Beispiel gibt es dieses Beispiel, das ich für eines der bekanntesten halte. Ich denke, das ist die Vitali-Menge. Also das Standardbeispiel einer nicht messbaren Menge in den reellen Zahlen. Und das ist, ich meine, das ist Teil des Kurses über reelle Analysis. Das ist einfach etwas, das die meisten Leute irgendwann gesehen haben oder Banach-Tarski, das so berühmt ist. Und nun, einige Leute mögen Banach-Tarski eigentlich nicht, es ist seltsam. Aber zum Beispiel ist die Vitali-Menge wirklich ein Teil des Verständnisses der Maßtheorie.

    Simone: Nein, wir arbeiten nicht im, ... was ist das? Das Solovay-Paradies, wo alle Mengen messbar sind?

    Azul: Ja, genau. Also, ich meine, aber natürlich, wenn man eine theoretische Frage stellt, dann erfüllt das Objekt nicht dieselbe Rolle, als wenn es ist, weil man nicht das Objekt selbst studiert, sondern vielmehr oder in meinem Fall, welche Axiome man braucht, um es zu konstruieren, oder wie konsistent die Existenz dieses Objekts mit einem anderen Axiomensystem oder anderen Objekten ist. Also, auch wenn der Name derselbe ist, wie die Vitali-Menge, dann ist das, was du damit machst, sehr... unterschiedlich, weißt du.

    Simone: Du untersuchst nicht seine Eigenschaften, sondern eher, was seine Existenz über das Universum aussagt, in dem du es findest.

    Azul: Ja, irgendwie. Wo es auf der Karte der Dinge liegt.
    Simone: Und ich weiß, dass man keine Favoriten haben sollte, aber was ist deine Lieblingsparadoxe Menge?

    Azul: Meine Lieblingsparadoxe Menge? Mal sehen. Nun, ich denke, wenn ich eine auswählen müsste, wäre es die, über die ich am meisten nachgedacht habe. Es gibt da diesen Satz in ZFC. Also unter Verwendung des Auswahlaxioms. Dass man R³ partitionieren kann. Also den Raum in Kreise unterteilen, nur mit dem Rand. Und diese Kreise können alle den Radius eins haben. Also haben sie alle den gleichen Radius. Aber trotzdem kann man R³ bedecken.

    Simone: Was, glaube ich, wenn man es das erste Mal hört, wie natürlich klingt, ich kann das tun. Und dann fängt man mental an, Kreise ineinander zu setzen, und kommt sehr schnell zu dem Punkt, an dem man nicht weiß, wo man den nächsten platzieren soll, oder?

    Azul: Genau. Ich meine, man kann immer mehr Kreise hinzufügen, richtig? Weil jeder irgendwie klein im Raum ist. Aber wie würde man am Ende alles dort ausfüllen?

    Simone: Ja.

    Azul: Ja. Stell dir vor, du setzt viele Kreise und es ist dicht in R³. Aber es gibt einen Raum, den du füllen musst. Wenn du zum Beispiel einige isolierte Punkte hast, kannst du es natürlich nicht tun. Selbst wenn du einen vollständigen Kreis hast, aber einige Punkte noch nicht besetzt sind, kannst du keinen Kreis mehr hinzufügen.

    Simone: Das bedeutet also, dass du es von Anfang an falsch gemacht hast?

    Azul: Ja. Ich meine, an einem bestimmten Punkt hast du etwas getan, das es dir nicht erlaubt hat, das Verfahren fortzusetzen. Aber es gibt einen Weg, diesen Prozess so durchzuführen, dass dies nicht passiert. Und das ist ein Satz von ZFC. Du brauchst also wirklich das Auswahlaxiom. Nun, weniger als das, aber eine Form des Auswahlaxioms. Einen Teil des Auswahlaxioms. Ja. Ich denke, das ist mein Favorit. Es ist schön, den Leuten zu erzählen, dass man so etwas studiert.

    Simone: Weil sie es sich vorstellen können.

    Azul: Sie können es sich vorstellen, es ist einfach euklidische Geometrie. Ich kann es sogar meiner Familie erzählen, wenn sie geduldig genug sind, zuzuhören.

    Simone: Ja. Oder zumindest die Bilder anzuschauen.

    Azul: Ja.

    Simone: Und hast du das Gefühl, dass es sich hierbei um eines dieser Probleme in der Zahlentheorie handelt, bei denen die Aussage sehr einfach ist? Aber die Mathematik dahinter ist sehr kompliziert. Ich nehme also an, dass das Problem auf ähnliche Weise sehr einfach dargestellt werden kann. Aber dann ist das Beweisen nicht euklidische Geometrie, tatsächlich.

    Azul: Ja. Also der Beweis dieses Satzes ist nicht, nun, natürlich hat er etwas mit euklidischer Geometrie zu tun, weil das Objekt euklidisch ist. Aber das Hauptwerkzeug ist die Durchführung der transfiniten Induktion über die Mächtigkeit der reellen Zahlen, was auch immer das ist. Aber der Punkt ist, du machst diese Induktion, aber sie ist länger als die natürlichen Zahlen, aber noch mehr. Du machst weiter, nachdem du abzählbar viele Schritte gemacht hast, und dann machst du weiter. Ja. Und dann machst du weiter, bis du die Mächtigkeit der reellen Zahlen erreichst, was die gleiche Mächtigkeit aller Punkte im Raum ist, die du abdecken musst. Also, dieses Werkzeug stammt nicht aus der euklidischen Geometrie. Es ist mengentheoretisch. Also der Beweis der Existenz dieser paradoxen Menge ist bereits mengentheoretisch.

    Simone: Du hast gesagt, du brauchst weniger als das Auswahlaxiom. Also vielleicht etwas wie eine, naja, Anordnung der reellen Zahlen oder abhängige Wahl, was auch immer das für Nicht-Logiker bedeutet. Aber vielleicht in dem Sinne, was wir vorher gesagt haben, aus der Existenz dieses Sets, also wenn man sich ein Universum anschaut, in dem dieses Set existiert. Kann man dann etwas darüber sagen, welche Axiome in diesem Universum wahr sind? Wenn zum Beispiel eine gewisse Menge an Wahl immer noch wahr ist?

    Azul: Genau. Das sind genau die Fragen, über die wir nachgedacht haben, während meiner Doktorarbeit, und im Grunde genommen ist die Antwort nein. Es gibt, ich meine, du könntest dieses Set haben und im Grunde genommen keine Wahl. Ich meine. Das kannst du formalisieren. Zum Beispiel gibt es dieses Konzept der abzählbaren Wahl. Die Wahl abzählbar viele Male treffen. Und wir haben das Ergebnis erhalten, dass es ein Modell der Theorie gibt, in dem du dieses Set hast, also diese Partition des Raums in Einheitskreise, aber du hast nicht einmal die abzählbare Wahl.

    Simone: Und ich schätze, für die Nicht-Logiker oder vielleicht sogar für die Nicht-Mengen-Theoretiker ist die auffällige Idee, ein Modell der Mengenlehre zu erstellen, weil es sich irgendwie anfühlt wie das Erschaffen eines Universums, aber wir sind in einem. Das ist also ein bisschen verwirrend.

    Azul: Natürlich.

    Simone: Wenn man anfängt, philosophisch darüber nachzudenken, könnte man wohl stundenlang darüber reden. Aber ja. Wie baut man ein Universum der Mengenlehre oder ein Modell der Mengenlehre?

    Azul: Ich meine, ich denke, das ist das Ganze, was eine Theorie tut: Modelle der Mengenlehre zu erstellen, die die Dinge erfüllen, die man will. Also, wie baut man ein Modell? Nun, zuerst nimmt man an, dass es eines gibt.

    Simone: Was schon ... ja.

    Azul: Und dann von dort aus, ich meine, es gibt viele Techniken. Eine Möglichkeit, ein Modell zu erstellen, besteht darin, ein kleineres Modell innerhalb des vorhandenen zu erstellen. Also von allen Mengen, die du in deinem Modell hast, nehmen wir nur die definierbaren Mengen, die eine bestimmte Definition haben, und dann bekommst du etwas, das im Prinzip kleiner ist. Es könnte strikt kleiner sein. Es könnte alles sein, je nachdem, was du tust. Aber es gibt auch eine Möglichkeit, größere Modelle zu konstruieren. Okay. Es gibt diese Technik, die "Forcing" genannt wird und es dir ermöglicht, von einem Modell und einigen anderen Elementen ein größeres Modell zu konstruieren als das, mit dem du angefangen hast. Das sind die beiden Methoden, die die Leute anwenden.

    Simone: Ich glaube, ich erinnere mich, dass es in meinem Mengenlehre-Kurs so beschrieben wurde: Also im Modell gibt es Menschen und sie glauben an eine Art von Entität. Sie wissen ungefähr, wie diese Entität aussieht. Sie wissen einige Dinge, weißt du. Wie also in der ersten Stufe einige Eigenschaften kodiert sind, aber dann schaust du in den Himmel und diese Entität existiert nicht. Aber dann in der Ebene darüber existiert die Entität und blickt auf die Menschen herab und hat irgendwie Einfluss auf sie. Es ist ein bisschen wie Religion, was ich nicht weiß. Ich meine, es gibt viele Kardinäle in der Mengenlehre.

    Azul: Ich denke, es ist ein bisschen so. Ich weiß nicht, ob du das kennst. Ist es ein Buch oder ... ich glaube, es ist ein Buch.

    Simone: Die höhere Mengenlehre?

    Azul: Nein, nein. Hat nichts damit zu tun. Okay. Flach irgendwas.

    Simone: Flatlandia.

    Azul: Flatlandia. Ja. Ist es Englisch?

    Simone: Flatland.

    Azul: Vielleicht. Flatland.

    Simone: Ja.

    Azul: Ja, Flatland. Ich kannte es nicht auf Englisch. Entschuldigung. Also in Flatland gibt es diese Menschen, die können nicht ... Nun, habe ich dieses Buch überhaupt gelesen?

    Simone: Ich bin sicher, ich habe es in der Schule gelesen, als ich sehr jung war.

    Azul: Ja, aber. Also der Punkt ist, wenn du in Flatland bist, kannst du keine dreidimensionalen Dinge sehen, oder? Du bist ein Kreis. Ja, oder ein Quadrat oder so. Aber dann ist eine Kugel in Flatland wie ein Kreis, der sich bewegt und unterschiedliche Radien hat. Weil je nach Abschnitt der Kugel der Kreis sich ändert. Also kannst du irgendwie von Flatland aus diese dreidimensionalen Dinge als etwas anderes sehen, das nicht dreidimensional ist. Weil du es nicht kannst, aber du kannst raten, was es irgendwie ist und dir vorstellen, was Dreidimensionalität ist durch alle Abschnitte, zum Beispiel. Und das ist mehr oder weniger, worum es beim Forcing geht. Ja, es ist natürlich eine Vereinfachung. Aber worum es beim Forcing geht. Also vom ursprünglichen Modell aus kannst du dir irgendwie vorstellen, wie das äußere Modell aussehen würde.

    Simone: Und von deiner Forschung, die du heutzutage machst, lass uns vielleicht in die Zukunft blicken. Was ist etwas, das du in den nächsten zehn Jahren bewiesen sehen möchtest, von jemandem? Nicht unbedingt von dir, aber ... welche Fragen möchtest du beantwortet sehen?

    Azul: Ich weiß nicht. Ich denke, ich würde gerne ... also ich habe diese vielleicht Vision darüber, was ich irgendwann in der Zukunft mit Mathematik machen möchte, und das ist, Mengenlehre zu verbinden mit, ja, wie Teilmengen der reellen Zahlen oder Dingen, die wie normale Mathematik jetzt sind.

    Simone: Die du in der Natur findest.

    Azul: …, ich fühle mich nicht wohl damit.

    Simone: Ich glaube, ich sage oft, dass die Modelltheorie Logik auf Objekte anwendet, die in der Natur gefunden werden. Das sage ich normalerweise.

    Azul: Nun, ja, ich habe nicht das Gefühl, dass es in der Natur ist. Also fühle ich mich mit diesem Konzept unwohl. In der Theorie sind die reellen Zahlen zum Beispiel nicht eine reelle Linie. Wenn du einen Mathematiker fragst, stell dir die reellen Zahlen vor, werden sie sich wahrscheinlich eine reelle Linie vorstellen oder vielleicht einfach pi oder so etwas sagen. Aber die Menge der reellen Zahlen, welche Menge der reellen Zahlen? Sie werden eine Linie zeichnen. Und für den Mengenlehrer ist es normalerweise nicht so. Zum Beispiel die Potenzmenge der natürlichen Zahlen oder alle Funktionen von den natürlichen Zahlen zu den natürlichen Zahlen oder solche Dinge. Es gibt mehrere Mengen, die wir alle als die reellen Zahlen betrachten. Sie sind alle zueinander bijektiv. Also für die meisten Fragen ist das dasselbe, wenn du dich zum Beispiel nur um die Mächtigkeit dieser Menge kümmerst, dann sind sie alle gleich. Aber für die Objekte, die ich betrachte, zum Beispiel Kreise im Raum. Du denkst an die reelle Linie. Ich meine, der Raum ist dreimal die reelle Linie. Also musst du die reellen Zahlen als die reelle Linie betrachten, um diese Fragen anzugehen. Also was ich gelöst sehen möchte, sind natürlich die Dinge, die mich interessieren. Was diese abstrakte Idee von theoretischen Fragen betrifft, die sich auf die reellen Zahlen als die reellen Zahlen der Mathematiker beziehen, also die reelle Linie.

    Simone: Mhm. Um eine geometrischere Version der reellen Zahlen zu machen.

    Azul: Ja, aber nicht nur das, ich meine, selbst wenn du zum Beispiel die reellen Zahlen als ein Feld betrachtest, ist es auch etwas, das nicht ... Ich meine, die Potenzmenge der natürlichen Zahlen ist kein Feld.

    Simone: Es ist einfach eine Menge.

    Azul: Ja. Also selbst wenn du mehr algebraische Fragen stellst, hat das auch mit dieser Ansicht zu tun, die ich habe, dass wir dort eine Lücke haben.

    Simone: Okay. Vielen Dank für die Einblicke!

    Azul: Vielen Dank.

    Simone: Wir sehen uns auf dem Flur.

Episode 2: Springs and Memory Alloys, with Mert Bastug (auf Englisch)

Podcast-Host Simone Ramello mit Mert Bastug
Podcast-Host Simone Ramello mit Mert Bastug.
© MM/vl

In dieser Episode von "On A Tangent" wird Simone von Mert Bastug, einem Doktoranden im Bereich der partiellen Differentialgleichungen (PDEs) und der Variationsrechnung, begleitet. Wir sprechen über Merts erste Begegnung mit der Mathematik, wie wir mithilfe von PDEs Materialien verstehen können und wohin sie uns als Nächstes führen könnten.

Link zu Merts Webseite

  • Transkription (auf Deutsch)

    Simone: Willkommen bei "On A Tangent", dem Podcast, in dem die Geschichten hinter der Mathematik die Hauptrollen spielen. Mein Name ist Simone, und in jeder Folge werde ich von anderen Nachwuchsmathematiker:innen aus Münster begleitet, um mehr über ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft zu erfahren. In dieser Episode wird mich Mert, ein Doktorand in partiellen Differentialgleichungen und Variationsrechnung, begleiten, um herauszufinden, was die Mathematik über Formgedächtnislegierungen aussagen kann, warum sie nicht dasselbe wie Matratzen mit Memory-Effekt sind und wie Mathematiker über ihre Arbeit denken. Ich hoffe, Sie genießen die Episode!

    Simone: Hallo. Willkommen und danke, dass du bei uns bist.

    Mert: Hallo. Danke, dass ich hier sein darf.

    Simone: Fangen wir etwas weiter in der Vergangenheit an. Erinnerst du dich an dein allererstes Erlebnis mit Mathematik? Wann kam Mathematik zum ersten Mal in dein Leben?

    Mert: Nun, das erste Mal. Ich meine, ich könnte sicherlich all die Male erwähnen, bei denen ich Zahlen gezeichnet oder gelernt habe zu zählen. Aber ich glaube, der erste Moment, in dem ich bewusst über ein mathematisches Problem nachgedacht habe, war, als mein Vater mir ein einfaches Zählproblem stellte. Aber für mich sah es damals überhaupt nicht einfach aus, weil es sehr große Zahlen betraf. Tatsächlich kann ich das Problem beschreiben. Es ging um eine Anzahl von Pferden, die alle Hufeisen brauchten, und jedes Hufeisen benötigte eine bestimmte Anzahl an Nägeln. Und man sollte die Gesamtzahl der benötigten Nägel berechnen. Die Gesamtzahl ging bis in den Millionenbereich, was ich als Kind im Kindergarten oder vielleicht in der Grundschule überhaupt nicht begreifen konnte.

    Simone: Viele Nullen!

    Mert: Richtig. Irgendwie... Ja, definitiv. Ja. Und ich glaube nicht einmal, dass ich versucht habe, das Problem zu lösen. Für mich definierte schon das, was ein schwieriges mathematisches Problem war, zumindest so weit ich mich erinnern kann.

    Simone: Also, von der ersten Begegnung mit einem schwierigen Mathematikproblem in deiner Kindheit bist du nun dazu gekommen, dich in deinem Leben mit schwierigen Mathematikproblemen zu beschäftigen.

    Mert: Ja, total.

    Simone: Was genau machst du? Wie erklärst du es deinen Freunden? Wie würdest du es dir als Kind erklärt haben?

    Mert: Oh, mir als Kind wäre das sicherlich schwer zu erklären gewesen. Aber ich meine, ich würde wohl ein paar Tricks anwenden. Heutzutage ist es in Ordnung, anderen zu sagen, dass man etwas mit Mathematik macht, auch wenn man es eigentlich nicht tut. Für mich persönlich gehen die Arten von Mathematik, die mich interessieren, letztendlich auf Probleme in der Physik zurück. Also, wenn ich über Mathematik spreche, oder besser gesagt, wenn Leute mich bitten, zu erklären, was ich tue, dann beginne ich mit einer physikalischen Motivation. In meinem Fall geht es um das Verständnis von Materialien. Genauer gesagt, was mit Materialien passiert, wenn man versucht, sie zu biegen oder allgemein zu verformen. Welche Formen sind möglich oder warum biegen sie sich auf eine bestimmte Weise? Oder, wenn sie ihre Form beibehalten, nachdem man sie losgelassen hat, warum passiert das? Ich meine, okay, das sind sicherlich nicht alle Fragen, mit denen ich mich beschäftige, aber ja, wenn ich versuche, den Leuten einen Eindruck davon zu geben, was ich mache, dann rede ich auch gern über andere Dinge.

    Simone: Es ist immer hilfreich, wenn man auf eine physikalische Motivation zurückgreifen kann. Gibt es bestimmte Materialien, mit denen du tatsächlich arbeitest?

    Mert: Ich persönlich nicht. Aber ich weiß, dass verschiedene Leute versuchen, sogenannte Formgedächtnislegierungen zu verstehen.

    Simone: Sind das so etwas wie Matratzen mit Memory-Schaum, also solche, die sich deiner Form anpassen, wenn du darauf liegst?

    Mert: Ich denke, nicht wirklich. Diese sind ein wenig anders als Memory-Schaum-Matratzen. Sie behalten tatsächlich ihre Form bei, vielleicht wenn du sie erhitzt oder sie anderen äußeren Bedingungen aussetzt.

    Simone: Also wie diese Videos auf TikTok von Materialien, die sich in seltsame Formen biegen und dann, wenn man sie erhitzt, wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren?

    Mert: Genau, genau.

    Simone: Das geht vielleicht auf die Zeit vor TikTok zurück, vielleicht auf YouTube in den frühen 2010ern. Das ist die Magie dieser Legierungen. Das ist also die physikalische Motivation. Aber was ist die Mathematik, die du dafür tatsächlich machst? Ich nehme an, du machst keine Experimente.

    Mert: Nein. Ich nicht, aber ich bin sicher, dass es da draußen Leute gibt, die das tun. Der Teil der Mathematik, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, steht im Zusammenhang mit der Variationsrechnung und partiellen Differentialgleichungen. In der Variationsrechnung betrachtet man Minimierungsprobleme. Die Größen, die man minimieren möchte, stammen typischerweise aus geometrischen Überlegungen, aber in meinem Fall auch aus physikalischen Problemen.

    Simone: Also die Materialien, von denen du am Anfang gesprochen hast.

    Mert: Genau. Wenn du dir ein Material ansiehst, dann wird die Form, die dieses Material annehmen möchte, tatsächlich die Form sein, die eine bestimmte Größe minimiert, und dies kann eine Art elastische Energie oder eine andere Art von Energie sein, die man in Betracht ziehen möchte.

    Simone: Der natürliche Zustand dieses Materials ist also derjenige, bei dem diese Energie minimal ist. Ich denke, jeder, der schon einmal mit einer Feder gespielt hat, weiß, dass man die Feder dehnt und eine Spannung spürt, und wenn man sie loslässt, gibt es keine.

    Mert: Ja, richtig. Und auch wenn du eine Kraft auf diese Materialien ausübst, werden sie immer noch versuchen, die Energie so gut wie möglich zu minimieren. Aber jetzt gibt es eine äußere Bedingung, die die angewendete Kraft ist. Bei partiellen Differentialgleichungen betrachtet man wiederum physikalische oder geometrische Modelle von etwas und versucht zu verstehen, wie sich diese Modelle über die Zeit oder den Raum verändern. Diese werden dann durch Gleichungen beschrieben, die Ableitungen beinhalten, daher der Name Differentialgleichung.

    Simone: In diesem Fall denkst du also wieder an Modelle von Materialien und wie sie sich über die Zeit verändern, wenn du ihnen einen Input gibst.

    Mert: Genau. Tatsächlich sind die beiden Bereiche miteinander verbunden, weil sich herausstellt, dass die Minimierung von etwas darauf hinausläuft, eine bestimmte Gleichung zu lösen. Mit anderen Worten, zu jedem Minimierungsproblem kann man, zumindest in den meisten Fällen, eine partielle Differentialgleichung zuordnen. Aber wenn ich Freunden oder meinem früheren Selbst Mathematik erklären wollte, würde ich nicht unbedingt die eigentliche Arbeit erwähnen, die ich mache, sondern ihnen ein Gefühl dafür geben, wie es ist, Mathematik zu betreiben. Deshalb erwähne ich oft auch die Zahlentheorie, weil Zahlen die Objekte sind, mit denen sich jeder mathematisch identifizieren kann. Ich könnte auch berühmte ungelöste Probleme der Zahlentheorie erwähnen, weil es am Ende, egal was man in der Mathematik tut, darum geht, ein Problem zu lösen, das noch nicht gelöst wurde. Und es ist nur die Art des Problems, das sich von Bereich zu Bereich unterscheidet. Aber die treibende Kraft, die darin besteht, etwas zu verstehen, das bisher noch nicht verstanden wurde, ist in jedem Bereich die gleiche, würde ich sagen.

    Simone: Und irgendwie nutzt du die Zahlentheorie als Beispiel. Denkst du, dass Zahlentheorie und das, was du machst, sich dann tatsächlich gleich anfühlen, wenn man sie betreibt? Lass mich erklären. Wenn du täglich Mathematik machst, was ist deine leitende Intuition? Letztes Mal hatten wir Alex, mit einer sehr geometrischen Vorstellung über Dinge. Stellst du dir deine Materialien tatsächlich vor, wie sie sich im Raum entwickeln? Denn zum Beispiel bin ich kein visueller Mathematiker. Es hilft auch nicht, dass mein Bereich überhaupt nicht visuell ist. Andere Bereiche, wie die Allgemeine Relativitätstheorie, ist hingegen sehr visuell. Man kann sich die geometrische Konfiguration vorstellen. Hilft das auch bei deinen Problemen? Denkst du in dieser Weise oder gibt es eine alternative Art, wie Menschen in PDEs oder in der Variationsrechnung über Probleme nachdenken?

    Mert: Nun, ich würde sagen, dass ich auch ein visueller Denker bin. Für mich ist es schwierig, mein visuelles Denken direkt auf Probleme anzuwenden, aber es ist immer hilfreich, eine Skizze dessen zu zeichnen, woran ich arbeite, damit ich etwas habe, woran ich arbeiten kann, auch wenn die Methoden, die ich benötige, um ein Problem zu lösen, nicht unbedingt in der Zeichnung erscheinen. Um deine Frage zu beantworten, ob geometrisches Denken bei der Lösung einer Differentialgleichung hilft oder allgemeiner in den beiden erwähnten Bereichen. Ich würde zuerst sagen, dass ich mich nicht qualifiziert genug fühle, um es zu beantworten, aber mein Eindruck ist, dass in der Analyse die Beweise oft auf geschickten Schätzungen oder Identitäten beruhen, die man erkennen muss, anstatt auf der geometrischen Intuition. Oft ist die Intuition über die Größen, mit denen man tatsächlich arbeitet, oder einige Standardtricks nützlicher.

    Simone: Ich meine, weil ich immer diesen Konflikt habe, wenn ich mit Leuten spreche, die vielleicht Differentialgeometrie oder Analysis machen, wo es viele Schätzungen und Berechnungen gibt. In dem, was ich täglich tue, gibt es keine Berechnungen. Und irgendwie habe ich immer ein wenig Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie sich das anfühlt. Weil es kaum Berechnungen gibt, die man machen kann, um einen Satz zu lösen oder in der Modelltheorie zu beweisen, muss man normalerweise vielleicht ein strukturelles Argument geben oder sich auf einige Standardtricks berufen. Genau, das ist das, was ich versuche zu sagen. Also, irgendwie, was du sagst, ist, dass es eine eher quantitative, vielleicht Intuition gibt, die die Leute haben, anstatt eine geometrische.

    Mert: Genau. Ich meine, ich stelle mir vor, dass sich die Situation tatsächlich ändert, wenn man mehr Erfahrung sammelt, denn wie ich gesagt habe, die Probleme, mit denen man sich befasst, nun ja, zumindest in meinem Fall, stammen aus der Physik. Da spielt vielleicht nicht die geometrische Intuition, aber die physikalische Intuition eine größere Rolle. Sicher, wenn man einen mathematischen Beweis für etwas hat, muss dieser Beweis nicht mit der physischen Welt in Verbindung stehen. Aber es ist in der Regel der Fall, dass der Beweis auf einer gewissen physikalischen Intuition beruht, die der Autor, der Mathematiker, hatte. Und bisher war es für mich mehr oder weniger möglich, ohne die physikalische Intuition zu arbeiten. Aber ich denke, dass für jeden, der in einem angewandten Bereich arbeiten möchte, das eine ziemlich wichtige Fähigkeit ist, die man in seinem Repertoire haben sollte.

    Simone: Und ich denke, dann ist die naheliegendste nächste Frage. Wie bist du überhaupt zu einem angewandten Bereich gekommen? Ich meine, was hat dich dazu gebracht, in der Analysis zu arbeiten, aber nicht nur in der Analysis, sondern angewendet auf konkrete Probleme wie Materialien.

    Mert: Also Analysis war das erste mathematische Fach, das ich lernen wollte. Und das war schon in der High School, als ich darüber nachdachte, was ich an der Universität studieren sollte. Und irgendwie wurde Mathematik für mich die vernünftigste Wahl. Und dann wollte ich, bevor ich überhaupt anfing zu studieren, sehen, ob es mir gefallen würde. Und dann habe ich online recherchiert, was Leute empfehlen, und ich habe dieses eine Buch gefunden, das über Analysis war. Und umso mehr ich in diesem Buch gelesen habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass Analysis für mich voller schöner Ideen und geometrischer Intuition war, zumindest auf dem Niveau, auf dem ich gelernt habe. Und dann, als ich an die Universität kam, wollte ich mich nicht sofort an dieses eine Fach klammern, sondern meine Optionen offen halten. Aber ja, aufgrund eines gewissen Vorsprungs in der Analysis fühlte ich mich wohler damit zu arbeiten. Und letztendlich stellte sich in meinem Fall heraus, dass die Professoren und Dozenten in der Analysis angenehmer waren. Nun ja. Ihre Vorlesungen waren angenehmer zu besuchen. Und ungefähr zur gleichen Zeit begann ich mich auch für die Idee zu interessieren, wie Mathematik auf das wirkliche Leben angewendet werden kann. Denn ab einem bestimmten Zeitpunkt kann der Mathematik-Lehrplan an der Universität ziemlich abstrakt werden. Und ich bemerkte, dass es eine gewisse, belohnende Sinnhaftigkeit gab, die ich fühlte, wenn Mathematik auf ein reales Problem angewendet wurde. Oder zumindest konnte ich es finden. Ich fand es interessanter, mich von einem Problem angezogen zu fühlen, wenn ich wusste, dass es von etwas Physischem herrührte.

    Simone: Es gibt eine natürliche Zufriedenheit, die daraus resultiert, dass man tatsächlich einen Einfluss hat. Ich denke, das ist etwas, mit dem Leute, die sehr theoretische Mathematik machen, ein wenig kämpfen. Sicher kann ich sagen, dass deine Mathematik keinen direkten Einfluss hat. Und es ist sehr verbreitet zu sagen. Alan Turing, der den Computer entwickelt hat. Seine theoretische Mathematik hatte auch keinen Einfluss auf die Welt. Und sieh jetzt, was passiert. Ja, aber ich denke nicht, dass wir Ausnahmen als unsere motivierenden Beispiele verwenden können. Und ich verstehe irgendwie, dass es etwas ist, von dem Alex gesagt hat, dass man sich sehr motivieren kann durch die Tatsache, dass man mit einem konkreten Problem umgeht, das tatsächlich Auswirkungen hat.

    Mert: Aber ich würde eigentlich gerne einen anderen Punkt anführen. Natürlich ist es für mich hilfreich zu wissen, dass das, was ich tue, im realen Leben Auswirkungen haben könnte, sei es für die Entwicklung der Wissenschaft oder wie auch immer man es nennen mag. Aber ich würde sagen, der entscheidende Punkt für mich war, dass ich eine unmittelbarere Möglichkeit habe zu sehen, warum dieses Problem interessant ist. In der algebraischen Geometrie zum Beispiel gibt es Probleme, die viel Hintergrundwissen erfordern, um sie überhaupt zu verstehen. Und ich bin sicher, wenn ich diese Probleme verstehen könnte, würde ich die meisten davon auch interessant finden. Es war nur so, dass der Grad der Komplexität, der notwendig war, um Probleme aus der Analysis zu schätzen, geringer war. Und das soll nicht heißen, dass die Probleme von geringerer Qualität sind.

    Simone: Natürlich nicht. Wie wir schon gesagt haben, oder? Es gibt diese Probleme in der Zahlentheorie, die man einem Kind erklären kann, aber die dann die ganze Arbeit der Welt erfordern, um gelöst zu werden. Richtig. Und irgendwie, in ähnlicher Weise, nur weil man auf physikalische Intuition zurückgreifen kann, bedeutet das nicht, dass das Problem weniger interessant oder weniger wertvoll oder weniger schwierig ist, richtig? Ich meine, ja, natürlich wollen wir in keiner Weise diskriminieren. Was sind deine Hoffnungen für die Zukunft deines Fachgebiets? Was ist etwas, das du wirklich gerne gelöst oder angesprochen sehen würdest?

    Mert: Ich muss zugeben, dass ich noch ziemlich neu in meinem Gebiet bin. Also fühle ich mich auch nicht qualifiziert, ein Problem auszuwählen, das interessant wäre. Jetzt kann ich zum Beispiel sagen, dass, wenn man Materialien im weiteren Sinne als, Dinge betrachtet, die aus Kontinua bestehen, wie vielleicht auch Flüssigkeiten, dann wäre das größte offene Problem im Moment wahrscheinlich das Problem im Zusammenhang mit der Navier-Stokes-Gleichung. Aber nochmal, obwohl dieses Problem ziemlich populär ist, fühle ich mich noch nicht wirklich berufen für das Problem. Ähm, daher ist es schwierig für mich, ein bestimmtes Thema auszuwählen. Aber ich hatte schon immer bestimmte Gedanken über die Zukunft der Mathematik. Man hört oft, dass es keine einheitliche Theorie für partielle Differentialgleichungen gibt und dass jede Gleichung für sich genommen, sehr speziell ist und unterschiedliche Methoden erfordert, um behandelt zu werden. Ich meine, das ist natürlich, wenn man bedenkt, dass es für jedes physikalische System, das man beschreiben kann, eine Differentialgleichung gibt, die vielleicht mit diesem System verbunden ist. Also können wir nicht hoffen, vielleicht eine einheitliche Theorie für das gesamte Feld der partiellen Differentialgleichungen zu finden. Aber das erinnert mich an die Geschichte der Mathematik und daran, wie sich die Infinitesimalrechnung zu einer Zeit entwickelte, als es viele Probleme gab, die alle unterschiedliche Lösungsmethoden erforderten, und wie die Infinitesimalrechnung den Grundstein legte für, nun ja, nicht unbedingt eine einheitliche Behandlung für jedes dieser Probleme, aber zumindest eine Sprache zur Beschreibung. Ich finde es immer aufregend zu denken, was in der Zukunft passieren könnte. Im Bereich der partiellen Differentialgleichungen oder allgemeiner, in der Analysis. Ich finde es immer spannend, darüber nachzudenken, was in der Zukunft passieren könnte. Auf dem Gebiet der partiellen Differentialgleichungen oder allgemeiner in der Analysis wäre ich neugierig auf eine neue Revolution, eine neue Art von Berechnung, die uns zwingt, über die Dinge, die wir bereits kennen, in einem anderen Licht zu denken, aber in einer Weise, die neue Wege der Forschung eröffnet. Natürlich weiß ich nicht, wie das aussehen würde, aber es ist zumindest für mich immer interessant, über die Möglichkeiten nachzudenken, weil wir dazu neigen zu denken, dass das, was wir wissen, der Rand des Wissens ist und die Dinge so bleiben, wie sie sind. Aber oft werden wir von Fortschritten in unserem Wissen überrascht.

    Mert: Danke. Bis dann.

Episode 1: Oranges and Eclipses, with Alex Tullini (auf Englisch)

Alex Tullini und Podcast-Host Simone Ramello.
Alex Tullini und Podcast-Host Simone Ramello.
© MM/vl

In dieser Folge von "On A Tangent" spricht Simone mit Alex Tullini, Doktorand:in im Gebiet der Allgemeinen Relativitätstheorie. Es geht um Alex‘ Reise zur Mathematik, durch Orangenhaine, Sonnenfinsternisse und über die seltsame Ähnlichkeit einer Karriere in der Mathematik und einer Karriere in der Chirurgie.

Link zu Alex' Webseite

  • Transkription (auf Deutsch)

    Simone: Herzlich willkommen bei "On A Tangent", dem Podcast, in dem die Hauptfiguren die Geschichten hinter der Mathematik sind. Ich bin Simone, und in jeder Folge werde ich einen anderen aufstrebenden Mathematiker aus Münster treffen, um ihre Geschichten, ihren Weg zur Mathematik und ihre Hoffnungen für die Zukunft zu erfahren. In dieser Folge werde ich von Alex begleitet, einer Doktorand:in der Allgemeinen Relativitätstheorie, kurz GR, um etwas über Sonnenfinsternisse, kosmische Zensur und Chirurgie zu erfahren. Ich hoffe, die Episode gefällt euch!

    Simone: Hallo, Alex, und willkommen. Vielen Dank, dass du bei uns bist.

    Alex: Hallo, Simone. Es ist wirklich schön, hier zu sein.

    Simone: Du bist also Doktorand:in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Wenn du nach Hause gehst und deine Freunde dich fragen, was machst du? Was sagst du ihnen?

    Alex: Zuerst hole ich tief Luft. Nein, im Ernst, ich denke, als Mathematiker macht es die Allgemeine Relativitätstheorie einfacher, zu erklären, was ich tue, denn es ist einfacher als zu sagen, ich bin Modelltheoretiker und studiere dies und das.

    Simone: Das ist ein persönlicher Angriff auf mich.

    Alex: Ja, schon. Ich meine, es ist etwas anderes, von einem schwarzen Loch zu sprechen, das viel mehr Teil der Popkultur ist. Das hilft mir irgendwie. Es macht mich aber auch traurig, weil ich merke, dass ich ungenau sein muss, damit sie die Botschaft verstehen. Aber okay, was ich ihnen typischerweise sage, ist, dass ich durch Mathematik die Stabilität von Lösungen für Schwarze Löcher nach Einsteins Gleichungen zu untersuchen versuche, und das ist irgendwie leichter zu verstehen, weil die Leute dann denken, oh, Schwarze Löcher, das sind diese Dinge, die mit Mathematik beschrieben werden, und okay, diese Dinge sind schwierig, aber ich kann etwas mit dieser Mathematik machen. Aber es erzeugt in ihrem Kopf normalerweise eine Vorstellung. Dann fragen sie mich als Nächstes, ob ich Experimente mache, was etwas Einzigartiges für Leute in meinem Bereich ist. Ich denke nicht, dass die Leute dich nach Experimenten fragen.

    Simone: Nein, definitiv nicht.

    Alex: Okay, dann muss ich ihnen erklären, dass das, was ich tue, nicht wirklich experimentiert werden kann, sondern eher mit der Frage nach der Kohärenz einer Theorie verbunden ist. Und ich denke, die Botschaft, was ich tue, kommt wirklich bei meiner Familie, meinen Freunden an. Also denke ich, ich bin in einer privilegierten Position.

    Simone: Ich habe einmal eine Nachricht gelesen, ich glaube vielleicht auf Twitter von einem Professor, der sagte "weißt du, jeder lernt in der High School, was ein Schwarzes Loch ist oder was DNA ist. Aber niemand lernt in der High School, was eine Mannigfaltigkeit ist, was vielleicht kniffliger ist, aber es ist irgendwie einfacher, wenn man es mit hübschen Bildern erklären kann.

    Alex: Ja, und das physikalische Phänomen ist vielleicht auch leichter zu verstehen. Ich denke, das Seltsame ist, dass sie nicht realisieren, dass das, was ich tue, immer noch sehr abstrakt ist, und sie denken, dass es in gewisser Weise unterhaltsam ist, was nicht wirklich das ist, was ich durchmache. Es steckt viel mehr Technik dahinter, aber es besteht keine Hoffnung, es wirklich durchzugeben, wirklich ein Bild dieser Art von Technik zu schaffen. Also akzeptiere ich einfach, dass ich Interstellar erwähne und sie damit glücklich und aufgeregt mache.

    Simone: Ein Mainstream-Bezugspunkt dafür ist ein sehr guter Start.

    Alex: Ja. Ich bin fast so gut dran wie ein Physiker. Sagen wir mal, auch wenn ich eigentlich nicht das tue, was sie tun. Ich meine, ich habe nicht die Fähigkeiten, um das zu tun, was sie tun.

    Simone: Also das bist du heute. Lass uns einen Schritt zurückgehen. Was ist der früheste Moment, an den du dich erinnern kannst, wo Mathematik ins Bild kam?

    Alex: Ähm, also ich fürchte, ich könnte für die Allgemeinheit unverständlich sein, wenn ich diese Frage tatsächlich beantworte. Aber ich muss ehrlich sein, Mathematik war schon immer bei mir. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht wirklich verstehen konnte, war es unter all den Dingen, die mir gefielen, mein größtes Interesse. Und die erste Erinnerung daran, die ich habe, die möglicherweise auch nicht zusammenhängt, aber für mich war es ein Moment mathematischen Interesses und Verständnisses, als wir irgendwann auf eine Sonnenfinsternis warteten. Ich war zu Hause bei meiner Mama und meinem Papa, und sie haben mir einfach gesagt, die Sonnenfinsternis wird passieren. Und ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen, was das bedeutete, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie die geometrische Konfiguration aussah, die eine Sonnenfinsternis ermöglichen würde. Und so bat ich meinen Vater, es mir zu erklären, und wir gingen, weißt du, über sein großes Bett, und wir nahmen ein paar Bälle, ich glaube eine Orange und, so etwas wie eine Zitrone. Und mein Vater legte sie auf das Bett und sagte: "Okay, das ist das Sonnensystem, das ist der Mond, das ist die Erde. Und was wir heute erleben werden, geschieht aufgrund dieser geometrischen Konfiguration. Verstanden?" Und für mich war das mein erster Zugang zur Mathematik. Und ich denke, es ist auch in gewisser Weise kohärent mit den Interessen, die ich später hatte, die mehr mit Geometrie verbunden waren.

    Simone: Ich wollte fragen, glaubst du irgendwie, dass das dich zu einem Bereich gebracht hat, in dem vielleicht geometrische Intuition oder die visuelle Vorstellung dessen, was passiert, wichtig ist?

    Alex: Ich weiß nicht, ob es mich dazu gebracht hat. Ich meine, ich sehe es nicht als Ursache, sondern eher als Symptom von etwas, das bereits vorhanden war. Vielleicht habe ich nicht diese Geschichte von einem kleinen Kind, das über Zahlen nachdenkt, aber ich war immer fasziniert von Geometrie, von einer Wahrnehmung von Entfernung, von einfachen Konfigurationen von Objekten im Raum. Und das ist definitiv etwas, das ich auch in den Entscheidungen gesehen habe, die ich später während des Studiums getroffen habe und alles, was mich jetzt hierher geführt hat.

    Simone: Wie bist du also dorthin gekommen, wo du jetzt bist? Wie hast du entschieden, was du tun möchtest?

    Alex: Also, wie gesagt, ich war immer davon angezogen. Es fühlte sich fast an, als wäre es eine Wahl, die von jemand anderem getroffen wurde. Und aus irgendeinem Grund hatte ich immer das Gefühl, dass dies tatsächlich das ist, was ich am meisten mag. Dann mochte ich auch andere Dinge sehr. Ich mochte Philosophie sehr. Ich wollte wirklich in diese Richtung gehen. Ich mochte auch alte Sprachen. Ein Teil von mir wollte Latein und Griechisch studieren.

    Simone: Hast du sie in der Schule gelernt?

    Alex: Ich habe leider nur Latein in der Schule gehabt. Aber ich traf diese Entscheidung, weil ich dachte, okay, wenn ich Mathematik studieren will, und das ist sicher das, was ich am meisten wollte, bevor ich irgendetwas anderes mache, dann glaube ich auch, dass es eine richtige Zeit dafür gibt, denn ich hatte das Gefühl, dass mein Gehirn besser darin wäre, Mathematik in jungen Jahren zu studieren, und dann vielleicht, ähm, andere Dinge in späteren Jahren, als umgekehrt. Und so machte mich das zuversichtlich, dass das, was ich für mich richtig hielt, nämlich Mathematik zu studieren, auch objektiv, in gewisser Weise, die optimalste Wahl war, was langfristige Pläne betrifft. Auch wenn es bedeutete, andere Interessen zu opfern, die ich vielleicht hatte. Und manchmal fragte ich mich, okay, könnte ich etwas anderes versuchen? Und etwas, was vielleicht nicht zusammenhängt, aber woran ich sehr interessiert war: Ich wollte schon immer Chirurg werden, einfach weil es cool ist, okay das klingt komisch, das Innere eines Körpers zu sehen.

    Simone: Es ist auf jeden Fall etwas, das man nicht jeden Tag sieht. Es ist ein bisschen mysteriös.

    Alex: Und auch die Vorstellung, diese Rolle zu haben, in der einige Probleme, die sehr schwer zu lösen sind, vielleicht durch eine Operation gelöst werden können. Und jemand, der, weißt du, jahrelang studiert hat, hat besondere Fähigkeiten. Sie können das für dich tun. Und, ähm, ich habe versucht, mir diese Karriere vorzustellen. Aber dann habe ich realisiert, dass ich den Verlust des mathematischen Wissens zu sehr erleiden würde, während ich den Verlust des, sagen wir mal, chirurgischen Wissens akzeptieren könnte, oder das Wissen, das ich aufgeben musste, denn natürlich gibt es nur eine Sache, die man vernünftigerweise beherrschen kann. Ich meine, es sei denn, man ist besonders begabt oder so.

    Simone: Oder man hat viel freie Zeit und jemanden zu Hause, der sich um alles kümmert. Also kamst du so zur Mathematik. Aber wie bist du dann zur allgemeinen Relativitätstheorie gekommen? Ich meine, du hast mir gesagt, dass du schon immer geometrisch veranlagt warst.

    Alex: Ja, aber ich würde sagen, dass ich zur GR gekommen bin, weil ich irgendwann meine eigene Reise in die Hand genommen habe. Ich habe in Italien studiert, wo wir, wie du weißt, tendenziell weniger Freiheit haben als in anderen Ländern. Das kann sowohl gut als auch schlecht sein. Es hat mir sicherlich erlaubt, viele verschiedene Mathematikfelder kennenzulernen, was gut war. Aber dann erreichte ich einen Punkt, an dem ich realisierte, dass selbst wenn ich sehr an geometrischen Problemen und bestimmten Arten von Problemen speziell interessiert war, etwas an GR und Schwarzen Löchern war, weil ich natürlich in derselben Welt lebe wie jeder andere. Und wie wir schon gesagt haben, ist GR viel mehr Teil der Popkultur. Und natürlich hat das auch einen Einfluss auf mich. Und irgendwann realisierte ich, okay, vielleicht gefällt es mir. Das ist irgendwie die Basis, weißt du, der Kern, es gefällt mir. Aber es ist auch etwas, das wahrscheinlich einfacher ist, das Interesse aufrechtzuerhalten, weil Mathematik zu studieren schwer ist, oder? Manchmal denkst du, es ist das Äquivalent dazu, in einen dunklen Raum zu gehen. Ähm, und zumindest für mich dachte ich, es wäre eine gute Idee, einem Interesse an etwas nachzugehen, das ich viel leichter erneuern kann. Weil es in gewisser Weise zumindest für mich viel einfacher ist, meine Begeisterung für Schwarze Löcher zu erneuern, als meine Begeisterung für die Homologiegruppen von positiv gekrümmten Mannigfaltigkeiten zu erneuern.

    Simone: Und wie cool ist es auch, Leuten zu sagen "Ich arbeite an Schwarzen Löchern", oder?

    Alex: Ja, genau. Ich meine, lass uns das nicht verbergen. Es gibt, zumindest für mich, einen Einfluss auf meine Entscheidungen, der davon geprägt ist, dass ich gerne die Person bin, die das macht, eher als dass ich es einfach gerne tue. Und natürlich ist es cool. Ich meine, ich denke gerne von mir als jemandem, der dieses Interesse hat, aber irgendwann bist du entweder glücklich und die Professoren und die Leute um dich herum an der Universität, an der du studierst, teilen tatsächlich diese Interessen, oder du musst dir einen Weg bahnen. Und das ist, was ich getan habe. Ich habe es zu einem bestimmten Zeitpunkt gemacht. Ich glaube nicht, dass man es zu jeder Zeit machen kann. Wenn man viel jünger ist, ist es natürlich viel schwieriger. Es wäre sicherlich zu schwer für mich gewesen. Aber es war auch irgendwie natürlich, weil ich an einem Punkt angekommen war, an dem ich das Gefühl hatte, ein vernünftiges Verständnis all der Werkzeuge zu haben, die nötig sind, um dieses Interesse zu verfolgen. Und ich habe realisiert, wer die Leute waren, die mir helfen könnten, in dieses Feld einzusteigen. Und selbst wenn sie nicht an meiner Heimatuniversität waren, habe ich nach Möglichkeiten gesucht, mit diesen Leuten in Kontakt zu treten. Und aus welchen Gründen auch immer haben sich die Dinge wieder gefügt.

    Simone: Wie bei der Sonnenfinsternis.

    Alex: Wie eine Sonnenfinsternis.

    Simone: Die Orange, die Zitrone...

    Alex: Und irgendwie habe ich etwas gemacht, was ich sehr mag, was nicht die einzige Option hier war, möchte ich noch einmal betonen, aber es ist die, auf die ich gesetzt habe.

    Simone: Also bist du zuerst in die Schweiz gezogen und dann hierher.

    Alex: Und dann bin ich hierher gekommen, ja. Weil es einen früheren Studenten eines Professors gab, den ich hatte, der irgendwie zwischen dem lag, was ich vorher gemacht habe, nämlich eine geometrische Analyse und der allgemeinen Relativitätstheorie, die ich jetzt mache. Und diese Person war eine Brücke. Aber am wichtigsten war, dass ich mich von meiner Heimatstadt, die eigentlich nicht meine Heimatstadt, sondern meine Heimatuniversität war, entfernt habe. Das hat mir ermöglicht, andere Leute zu treffen, die auch eine Brücke geschlagen haben. Und, weißt du, meistens, es sei denn, du triffst die Leute, realisierst du nicht einmal, dass bestimmte Forschungsbereiche existieren. Das war bei mir der Fall. Mir war nicht bewusst, dass es möglich war, Schwarze Löcher mit diesem Satz von Fähigkeiten zu untersuchen, den ein Mathematiker hat, was der Satz von Fähigkeiten ist, den ich zur Verfügung habe. Bis ich nach Zürich ging und eine Person traf, die das machte. Also denke ich insgesamt, abgesehen davon, dass man an sich selbst glaubt und für einmal nicht genau das tut, was man tun soll, mehr als das, muss man auch ein bisschen Glück haben, die richtige Person zu treffen, die dir sagt, ja, du kannst das tun. Und dann realisierst du, oh, ich könnte das tun, und dann tust du es. Also es ist eine Reihe von Faktoren und, okay, Glück ist immer ein Faktor.

    Simone: Also, das ist die Gegenwart. Das ist der Grund, warum du es tust. Was für eine Zukunft würdest du gerne sehen? Gibt es einen Satz, den du gerne bewiesen sehen würdest, vielleicht von dir selbst, oder von anderen natürlich, in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren?

    Alex: Unter all den Dingen, die ich mir angeschaut habe, als ich anfing, dieses mathematische Gebiet der allgemeinen Relativitätstheorie zu erkunden, gibt es etwas Spezifisches, das wirklich meine Aufmerksamkeit erregt hat, und das ist etwas, das man die starke kosmische Zensurvermutung nennt.

    Simone: Ein sehr metallischer Name.

    Alex: Ich meine, es ist sehr cool. Es ist sehr leicht zu verkaufen. Und ich meine, sie haben es mir effektiv verkauft. Ja. Ich meine, vernünftigerweise wird das wahrscheinlich hundert Jahre dauern, vielleicht werden sogar mehr benötigt, denn mein Bereich ist im Vergleich zu anderen Bereichen relativ jung, aber im Wesentlichen, was ich daran mag, und ich denke, das ist ein weiterer Beweis dafür, wie viel einfacher ich das, was ich tue, kommunizieren kann im Vergleich zu anderen Leuten. Im Grunde genommen besagt diese Vermutung, dass die Theorie der allgemeinen Relativität deterministisch ist, und du würdest sagen, oh, warum? Warum sollte sie nicht deterministisch sein? Nun, es stellt sich heraus, dass dies nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte, weil, okay, in sehr laienhaften Begriffen, es gibt einige Schwarze-Loch-Lösungen der Einsteinschen Gleichungen, die etwas aufweisen, das als Cauchy-Horizont bezeichnet wird, worauf ich nicht näher eingehen werde, aber im Wesentlichen ist es wie ein geometrischer Ort, an dem die Theorie manchmal nicht in der Lage zu sein scheint, eindeutig vorherzusagen, was einem Beobachter oder einem Objekt passiert, das diesen Horizont passiert. Und diese Vermutung, die ich erwähnt habe, die starke kosmische Zensurvermutung, besagt im Wesentlichen, dass obwohl du Lösungen der Einsteinschen Gleichungen aufschreiben kannst, die dieses Verhalten zeigen, sie nicht generisch sind in dem Sinne, dass wenn du die Anfangsdaten betrachtest, die zu der Lösung führen, und sie störst, dann endest du nicht mehr mit einem Raumzeit oder einer Lösung, die diese Eigenschaft hat.

    Simone: Also irgendwie funktionieren die Lösungen nicht wie erwartet. Wir erwarten doch, dass physikalische Theorien deterministisch funktionieren, oder? Ja, wir geben die Anfangsdaten ein und wir wissen und wir prognostizieren, was passieren wird. Ja. Also die Lösungen, die sich nicht so verhalten, sind nur eine Ausnahme. Sie passieren einfach. Und dann, wenn man sich ein wenig davon entfernt, funktioniert es ganz normal.

    Alex: Ja. Es ist wie beim Versuch, ein Bild auf dem Kopf zu balancieren. Es gibt einen Gleichgewichtspunkt. Idealerweise könntest du es ausbalancieren und an die Wand hängen. Aber du weißt, dass das Bild, sobald du es ein wenig störst, einfach nach unten fallen wird, und es wird sich schließlich entlang des anderen vernünftigen Gleichgewichtspunktes stabilisieren, den du verwenden kannst, um ein Bild an die Wand zu hängen. Und das ist dieselbe Idee. Ich habe auch das Gefühl, dass dies die beste Darstellung dessen ist, was es bedeutet, die allgemeine Relativitätstheorie zu betreiben. Als Mathematiker:in mit den Fähigkeiten einer Mathematiker:in habe ich nicht die Fähigkeit, das zu tun, was die Physiker tun. Aber mit unserem Satz von Fähigkeiten können wir Fragen wie diese untersuchen, die wirklich die Konsistenz der Theorie betreffen. Sie geben wirklich den Worten "Determinismus der allgemeinen Relativitätstheorie" Bedeutung. Und sie tun dies auf eine sehr zuverlässige Weise, denn ich nehme die Gleichungen und versuche rigoros zu beweisen, dass die Theorie deterministisch ist.

    Simone: Und tatsächlich unsere Realität so vorhersagt, wie wir es erwarten.

    Alex: Ja, ja. Das wäre sehr schön. Ich denke, wer auch immer den letzten Stein auf diesen gemeinschaftlichen Aufwand legt, wird sicherlich ein berühmter Mensch sein. Aber ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Ich wäre glücklich, wenn ich meinen Beitrag leisten würde. Aber nicht unbedingt für den Ruhm, den ich gestehe, sicherlich war das für die ersten Jahre meiner Reise in der Mathematik ein Teil der Motivation. Aber dann denke ich, sobald du den Doktortitel erlangt hast, ist das, was ich wirklich für mich will, einen Beitrag leisten und gleichzeitig über eine bestimmte Reihe von Fähigkeiten, Wissen und Verständnis zu verfügen, die es mir ermöglichen, mich mit meinen Kollegen hinzusetzen und ihnen in Gesprächen etwas zu geben, oder? Was ich beneide, sind nicht, sagen wir, die Liste der Auszeichnungen, die Professoren haben oder haben können. Ich meine, zum Teil beneiden wir das alle, oder? Aber was ich im täglichen Leben beneide, ist die Tatsache, dass sie sich in ihrem Fachbereich bewegen können und mit anderen Leuten sprechen können. Sie haben Gespräche, in denen es einen tatsächlichen Austausch zwischen ihnen gibt. Sie müssen nicht einfach nur dasitzen und so viel wie möglich aufnehmen, was man am Anfang einfach tun muss, oder? Irgendwie ist es auch ein notwendiger Schritt, ich meine, um diese Gespräche zu führen, oder? Weil niemand die starke kosmische Zensurvermutung oder irgendeine andere große Vermutung alleine beweisen wird.

    Simone: Mathematik ist notwendigerweise eine kollektive Anstrengung, die wir alle zusammen machen müssen.

    Alex: Und dann müssen wir in der Lage sein, miteinander zu interagieren und zu kommunizieren. Ja, ich habe das Gefühl, dass dies letztendlich das ist, was einem das Gefühl gibt, seinen Platz in der Gemeinschaft wirklich zu besitzen, wenn man erst einmal drinnen ist, wenn man seinen Doktor macht oder Forschung betreibt, oder vielleicht wenn man einfach ein Masterstudent ist, merkt man wirklich, dass es nur darum geht, sich hinzusetzen, nach dem Mittagessen einen Kaffee zu trinken und zur Unterhaltung beizutragen. Es geht nicht um die Liste der Zeugnisse, die man erworben hat. Es kommt wirklich aus der menschlichen Interaktion, etwas, das ich erst entdeckt habe und aus erster Hand erlebt habe, als ich mit meinem Doktor begonnen habe. Und vielleicht ist das etwas, das Professoren und Forscher und alle Verantwortlichen den Studierenden während ihres Studiums vermitteln sollten, um vielleicht die Motivation zu steigern. Denn ich denke, die Leute denken oft an Mathematik als eine sehr einsame Karriere. Es sei denn, man ist vielleicht ganz oben.

    Simone: Ja. Denn wir haben diese Bilder im Kopf, nicht wahr? Wir sehen Filme oder hören Geschichten. Ich meine, von Wiles, der das letzte Theorem von Fermat allein über acht Jahre lang bewiesen hat.

    Alex: Ja, und okay, das kann passieren. Aber eigentlich ist die Mehrheit der Arbeit nicht so, oder? Ich meine, es geht eher darum, wirklich zusammenzusitzen, einen Kaffee zu trinken, darüber zu diskutieren, was los ist. Langsam. Stein für Stein, wie es jeder in seiner generischen Büroarbeit tun würde. Man arbeitet mit Kolleg:innen zusammen, man arbeitet an etwas und man arbeitet zusammen. Wenn überhaupt, sind wir glücklicher, weil wir tatsächlich für uns selbst arbeiten. Und ja, ich denke, das ist das Beste daran. Das ist auch das, was uns vernünftigerweise motiviert, denn man verfolgt diese Karriere nicht blind in der Hoffnung, eines Tages vielleicht eine unglaubliche Anerkennung zu erhalten. Es ist wirklich das tägliche Leben in der Abteilung, das einen antreibt und einem ermöglicht, voranzukommen.

    Simone: Ja, genau. Denn du kannst die Mathematik nicht zwingen zu funktionieren.

    Alex: Nein, manchmal klappt es einfach nicht.

    Simone: Stimmt. Und manchmal kämpfst du unendlich lange mit dem gleichen Problem und bekommst trotzdem keine Ergebnisse, weil das einfach so ist. Also ja, das ist wahr.

    Alex: Ich meine, die Motivation kann kaum aus dem Erfolg kommen, weil du ihn nicht kontrollieren kannst. Du kannst ihn nicht vorhersagen. Du musst einen Weg finden, den Prozess, wenn auch nicht angenehm, weil das vielleicht zu hoch gegriffen ist, zumindest nachhaltig zu gestalten. Du brauchst ein gutes Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Emotionen, sonst kommst du nirgendwo an, weil es einfach gegen die menschliche Natur geht. Und es ist seltsam, dass die Erzählung, die die Menschen von außen erhalten, von Menschen handelt, die irgendwie gegen die menschliche Natur angehen, was wahrscheinlich der Grund ist, warum diejenigen, die in Filmen dargestellt werden, diese Genies oder sehr ungewöhnliche Menschen in gewisser Weise sind. Und ich habe das Gefühl, dass das etwas ist, was sie in den Augen derjenigen, die zuschauen, ungewöhnlich macht. Aber das ist weit entfernt von der Realität des Forschungsbereichs, oder zumindest der Forschungsbereiche, in denen ich mich bewegt habe und die ich durchlaufen habe.

    Simone: Nun, vielen Dank für dieses schöne Gespräch.

    Alex: Bis bald auf dem Flur.