Altneolithische Mahlsteine im südlichen Niedersachsen (1)


(Jan Graefe M.A.)



Definition "Mahlstein"

Ein Mahlstein setzt sich aus den Gerätebestandteilen "Unterlieger" (unbeweglich) und "Läufer" (beweglich) zusammen (Bauche 1988; Zimmermann 1988, 723-746; Graefe 2004, 26-28). Die primäre Funktion eines Mahlsteins besteht in der Zermahlung von Getreide zu Mehl. Die mahlende Person nimmt eine kniende Haltung vor einem Ende des Unterliegers ein. Der Läufer wird mit beiden Händen auf dem Unterlieger durch eine Vor- und Rückwärtsbewegung des Oberkörpers hin- und her bewegt, wodurch das Getreide zwischen Unterlieger und Läufer zermahlen wird (Abb. 1).

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Abb. 1  Mahlende. Mahlen innerhalb eines bandkeramischen Hauses
(nach Lüning 2003, 125).

Im Zusammenhang mit den Ausgrabungen auf der Aldenhovener Platte (Rheinland) wurden drei Formen von neolithischen Mahlsteinen erarbeitet (Abb.2). Bei der Form 1 ist der Läufer länger als der Unterlieger breit. Aus diesem Grund bilden sich an den Läufer verdickte, unbenutzte Enden heraus. Durch die Mahlvorgänge wird die Form des Unterliegers mit der Zeit im Längsschnitt konkav. Die Querschnitte werden wegen den seitlich überhängenden Partien der Läufer konvex. Bei längerfristigem Gebrauch werden Unterlieger und Läufer also spezifisch geformt, wodurch sich jeweils charakteristische Merkmale beobachten lassen, so daß eine Unterscheidung auch bei stark fragmentierten Mahlsteinen im Normalfall möglich ist (Zimmermann 1988, 723-726; Holtmeyer-Wild 2000, 24-28).

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Abb.2  Mahlsteinformen (modifiziert nach Zimmermann 1988).

Experimentelle Mahlversuche und ethnologische Parallelen ergeben für die benötigte Zeit des Mahlens von einem Kilogramm Mehl auf einem Mahlstein der Form 1 etwa 45 Minuten (Hennig 1966, 73; Gronenborn 1994, 50-52). Als Nutzungsort bandkeramischer Mahlsteine kann der Nordteil der Häuser identifiziert werden (Graefe 2004, 33-34).


Arbeitsgebiet

405 Mahlsteine aus acht ausgewählten linearbandkeramischen Siedlungen des südlichen Niedersachsens wurden untersucht. Es konnten nur Mahlsteine der Form 1 bestimmt werden. Das untersuchte Material ließ sich in die Gerätebestandteile von Mahlsteinen aufgrund der typischen Formen der Seiten und Ränder und eindeutiger Mahlspuren (in Längs- oder Querrichtung) in 76 Unterlieger, 43 Unterlieger, sek. Läufer und 125 Läufer untergliedern. In 161 Fällen war eine Unterscheidung nicht möglich, so daß das Material nur als kleinteiliger Mahlsteinbruch ohne eindeutige Mahlspuren angesprochen werden kann. Bei den Unterliegern wurde beobachtet, daß die Unterseiten meist ebene Flächen aufweisen, Läuferunterseiten sind hingegen tendenziell nicht oder nur grob zugerichtet (Moos 1996; Graefe 2004).
Das verwendete Rohmaterial ließ sich den Sandsteinen des örtlich anstehenden Mittleren Buntsandsteines und den Gesteinen des Harzes zuordnen. Aufgrund der besonderen Eigenschaften der Sandsteine konnten neben der Verwendung von paläozoischen Grauwacken und Breccien, vier Sandstein- Varietäten ("Hann. Münden", "Solling", "Anstehender" und "Volpriehausen"), sowie unbekannte Gesteine nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Verwendung dieser Gesteine wurden allerdings einige Unterschiede festgestellt. Von den bevorzugt als Mahlsteine verwendeten Sandsteinen weist die Varietät "Hann. Münden" die besten Materialeigenschaften hinsichtlich einer bleibenden Rauhigkeit und Härte auf. Dies zeigte sich durch einen geringen Anteil an Pickspuren auf der Mahlfläche. Die geologischen Eigenschaften der vier Sandstein- Varietäten wurden mit den Sandsteinen der Schichtglieder von 160 veröffentlichten Schichtbeschreibungen verglichen, um so das mögliche Herkunftsgebiet der Varietäten zu bestimmen. Dabei konnte das Verbreitungsgebiet des "Hann. Mündener" auf die nähere Umgebung um Hannoversch Münden beschränkt werden (Abb.3).

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Abb.3  Lagerstätten. Lage der Lagerstätten in Bezug zu den Siedlungen des Arbeitsgebietes
(nach Graefe 2004, 77).


Die Rohmaterialien für die Sandsteine der Varietäten "Solling", "Anstehender" und "Volpriehausen" können aus Aufschlüssen in unmittelbarer bzw. relativer Nähe (2-30 km Entfernung zu den Siedlungen) stammen. Nur für die Sandsteine der Varietät "Hann. Münden" müssen Entfernungen von bis zu 55 km zurückgelegt worden sein. Die über die Schichtbeschreibungen ermittelten Aufschlüsse des "Hann Mündeners" konnten mit den mittelalterlichen und neuzeitlichen Mühlsteinbrüchen in und um Hannoversch Münden parallelisiert werden.


Dünnschliffuntersuchungen

Die Herkunftsbestimmungen und die Unterteilung in die einzelnen Varietäten der Mahlsteinrohmaterialien konnte mittels Dünnschliffuntersuchungen bestätigt werden. So wurden von einigen Mahlsteinen des Arbeitsgebietes und von Handstücken aus der unmittelbaren Umgebung von Hannoversch Münden Proben entnommen, von denen am Institut für Mineralogie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Dünnschliffe angefertigt und miteinander verglichen wurden (Abb.4). Durch veröffentlichte petrographische Untersuchungen der Gesteine vom Kattenbühl (Steinbruch bei Hannoversch Münden) war zusätzlich eine Überprüfung mit den angefertigten Dünnschliffen möglich (Schneiderhöhn 1978).

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Abb.4   Dünnschliffe. Probe 1: Vergleichsprobe aus Hannoversch Münden; Probe 2: Varietät "Hann. Münden"; Probe 9: Varietät "Solling"; Probe 13: Varietät "Anstehender".

Es zeigt sich, daß die Sandsteine der Varietät "Hann. Münden" hinsichtlich der Korngrößen, Korngrenzen und Kornverteilung vergleichbare Ausprägungen wie die Vergleichsproben aus Hannoversch Münden, sowie die publizierten Untersuchungen zum Steinbruch am Kattenbühl aufweisen. Die Sandsteine der Varietäten "Solling" und "Anstehender" hingegen unterscheiden sich im Dünnschliff deutlich von den Referenzproben.
Den Dünnschliffuntersuchungen zufolge stammt also zumindest ein Teil der als Mahlsteine verwendeten Sandsteine mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aus der unmittelbaren Umgebung von Hannoversch Münden.


Rohmaterialdistribution

Wenn von einer Verteilung mit Rohmaterialien gemäß dem Feuersteinaustauschsystem ausgegangen wird, müßten sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Rohmaterialzusammensetzung und der Größen der Mahlsteine in Inventaren von Siedlungen nahe bei den Lagerstätten und den weiter entfernt liegenden Siedlungen nachweisen lassen. Bei diesem Austauschsystem nehmen einige Siedlungen zentrale Verteilerrollen ein, von denen die Versorgung der umliegenden Siedlungen organisiert wird (Zimmermann 1995). In allen untersuchten Inventaren des Arbeitsgebietes konnten nun Sandsteine der Varietät "Hann. Münden" identifiziert werden, wobei sich die prozentualen Anteile, wie auch die Grundformen und Größen der Mahlsteine nicht signifikant unterscheiden. Die Beschaffung mit Mahlsteinrohmaterialien wurde offensichtlich von den einzelnen Siedlungen selbst durchgeführt (Abb.5). Dieses Distributionsmuster von Mahlsteinen konnte durch die Untersuchungen zur Versorgung der bandkeramischen Siedlung von Erkelenz-Kückhoven, Kreis Heinsberg, (Rheinland) bestätigt werden (Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003).

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Abb.5  Distribution. Gegenüberstellung des Bezugs von Rohmaterialien für Mahlsteine aus siedlungsnahen- und fernen Lagerstätten und dem Austauschsystem für Flintartefakte (nach Kegler-Graiewski / Zimmermann 2003, 34).




Anmerkungen:

(1) Der vorstehende Beitrag fasst die Ergebnisse meiner im WS 2003/2004 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität angenommenen Magisterarbeit zusammen. Das Vorhaben wurde durch ein Stipendium des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz unterstützt. Es sei auf die ausführliche Publikation verwiesen: Graefe 2004.


Literatur:

Bauche 1988: R.-D. Bauche, Gebrauchsspuren an neolithischen Mahlsteinen. Arch. Inf. 11, 1988, 152-155.

Graefe 2004: J. Graefe, Altneolithische Mahlsteine im südlichen Niedersachsen. Jb. RGZM. 51/1, 2004, 26-92.

Gronenborn 1994: D. Gronenborn, Ethnoarchäologische Untersuchungen zur rezenten Herstellung und Nutzung von Mahlsteinen in Nordost Nigeria. In: M. Fansa (Hrsg.), Experimentelle Archäologie 8, 1994, 45-55.

Hennig 1966: E. Hennig, Beobachtungen zum Mahlvorgang an ur- und frühgeschichtlichen Getreidemühlen. EAZ. 7, 1966, 71-87.

Holtmeyer-Wild 2000: V. Holtmeyer-Wild, Vorgeschichtliche Reibsteine aus der Umgebung von Mayen. Vulkanpark- Forschungen 3 (Mainz 2000).

Kegler-Graiewski /Zimmermann 2003: N. Kegler-Graiewski, A. Zimmermann, Exchange systems of stone artefacts in the european neolithic. In: L. Burnez-Lanotte (ed.), Production and Management of Lithic Materials in the European Linearbandkeramik. Gestion matériaux lithiques dans le Rubané européen. BAR International Series 1200 (2003) 31-35.

Lüning 2003: J. Lüning, Grundlagen sesshaften Lebens. In: U. von Freeden, S. von Schnurbein (Hrsg.), Spuren der Jahrtausende (Stuttgart 2003) 110-139.

Moos 1996: U. Moos, Der Siedlungsplatz bei Diemarden: Studien zur Bandkeramik im Landkreis Göttingen (unveröffentlichte Dissertation 1996).

Schneiderhöhn 1978: P. Schneiderhöhn, Beitrag zur Petrographie des "Mühlsteinquarzites" vom Kattenbühl bei Hannoversch Münden. Der Aufschluß. Sonderband 28, 1978, 184-186.

Zimmermann 1988: A. Zimmermann, Steine. In: U. Boelicke, D. v. Brandt, J. Lüning, P. Stehli, A. Zimmermann, Der bandkeramische Siedlungsplatz Langweiler 8, Gemeinde Aldenhoven, Kreis Düren. Beitr. neolith. Besiedlung Aldenhovener Platte III. Rheinische Ausgrabungen 28 (Köln 1988) 569-787.

Zimmermann 1995: A. Zimmermann, Austauschsysteme von Silexartefakten in der Bandkeramik Mitteleuropas. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 26 (Bonn 1995).