© Bonnie Plitzkat

Manuskript des Muḫtaṣar al-maʿānī

Objekt des Monats Februar/März 2021

Inv.-Nr.:                                   Hs. 3
Umfang / Format:                 373 Seiten / 23,5 cm x 19,5 cm x 2,7 cm
Material:                                 Papier, Leder
Stil:                                          Andalusī
Illumination:                          keine
Kalligraph:                             ʿAlī Ibn Muḥammad Ibn Muḥammad
Datierung:                              1277 n. H. / 1860-61 n. Chr.
Provenienz:                            vermutlich ca. 1905 in Fes von Prof. Hubert Grimme erworben, Schenkung

Voller arabischer Titel:  Šarḥ al-muḫtaṣar ʿalā talḫīṣ al-miftāḥ li-Ǧalāl ad-Dīn al-Qazwīni (Kompakte Erläuterung der Zusammenfassung des 'Schlüssels der Wissenschaften'), kurz: Muḫtaṣar al-maʿānī

Das Buch ist eine Abschrift des "Šarḥ Talḫīṣ al-Miftāḥ" des Saʿd ad-Dīn at-Taftāzānī (722-792 n. H. /1322-1390 n. Chr.), einer Einführung in die arabische Rhetorik, die zur Grundausbildung in den Medresen von Marokko bis zum indischen Raum verwendet wurde. At-Taftāzānī selbst wirkte im Osten des persischen Kulturraums, schrieb aber, wie alle Gelehrten der islamischen Wissenschaften seiner Zeit auf Arabisch. Das Lehrbuch wurde auch unter dem Titel „Muḫtaṣar al-maʿānī“ bekannt und ist ein Superkommentar zum  „Schlüssel der Wissenschaften“ des vermutlich ebenfalls persischen as-Sakkākī (555-626/1160-1229), einem der meistkommentierten säkularen Werke der Menschheitsgeschichte. Das Kolophon verrät uns, dass die Handschrift 1277 n. H./1860 n. Chr. in der marokkanischen Stadt Fes von einem Schreiber namens ʿAlī Ibn Muḥammad angefertigt wurde, genauer gesagt in der Madrasa der Kupferschmiede. Deren Räume gehören inzwischen zur Qarawiyyīn-Universität. Vermutlich erwarb der Gründer des Orientalischen Seminars in Münster, Professor Hubert Grimme das Buch ca. 1905 auf einer Forschungsreise.
Da es sich um eine sprachwissenschaftliche Handschrift handelt, ist sie schlicht gehalten. Das Buch ist von einem roten Ledereinband eingeschlagen, den auf der Vorderseite eine blaue Rosette ziert. Durch eine umschlagbare Klappe kann der Einband den empfindlichen Inhalt umfassend schützen. Der Schriftstil des Manuskripts ist typisch für die Region des Maghreb. Man erkennt dies unter anderem an den markanten, halbkreisförmigen Unterschwüngen der Buchstaben lām, ṣād und nūn. Auch die Orthographie unterscheidet sich vom heutigen Standard. Die maghrebinische Rechtschreibung kann man vor allem an der Punktierung der Buchstaben fāʾ und qāf erkennen: Statt des standardmäßigen Punktes darüber hat das fāʾ einen Punkt darunter, während das qāf wie das standardmäßige fāʾ punktiert wird. Am Rand und zwischen den Zeilen des Haupttextes befinden sich Kommentare, die der Kopist oder ein Leser eingefügt hat, um grammatische und inhaltliche Schwierigkeiten zu erklären und bestimmte Thesen zu kontextualisieren. Manche der Randbemerkungen verweisen auf den Rhetorikdiskurs der Zeit, der sich seit at-Taftāzānī weiterentwickelte. Außerdem finden sich Korrekturen, die mit dem Buchstaben ḫaʾ für „ḫaṭaʾ“, also „Fehler“ markiert sind.
Im Haupttext kommentiert at-Taftāzānī einen anderen Klassiker der Rhetorik, Ḫaṭīb Dimašq al-Qazwīnī, der ebenfalls aus Persien stammte. Die kommentierten Stellen sind in roter Tinte geschrieben, sodass man beide Texte gut auseinanderhalten kann. Auch das Werk at-Taftāzānīs ist bis heute Objekt zahlreicher weiterer Kommentare aus verschiedenen Winkeln der islamisch geprägten Welt, von Pakistan über die Levante bis nach Marokko, wo diese Kopie angefertigt wurde.

-Johannes Jakob Ruhstorfer