Erziehungswissenschaft Lehr.Lern.Labore

Diagnose und Individuelle Förderung

Ein Lehr-Lern-Labor im Teilprojekt "Lehr-Lern-Labore" der Qualitätsoffensive Lehrerbildung der Universität Münster

Grundstruktur des Lehr-Lern-Labors 
Das Lehr-Lern-Labor „Diagnose und Individuelle Förderung“ im Institut für Erziehungswissen-schaft ist eine Lern- und Forschungswerkstatt, in der Professionalisierungsprozesse von (angehenden) Lehrpersonen im Hinblick auf das Thema „Dealing with Diversity“ unterstützt und begleitet werden.
Im Mittelpunkt steht das Verstehen unterschiedlicher Praxen schulischen Umgangs mit Vielfalt und damit verbunden ein exemplarisches, komplexitätsreduziertes Gestalten von diversitätssensiblen Lehr-Lern-Situationen. Das Prinzip des Forschenden Lernens nimmt dabei einen zentralen Stellenwert ein.
Das Lehr-Lern-Labor weist eine hybride Grundstruktur auf: Es ist sowohl als physischer Ort in der Universität als auch als hochschuldidaktisches Prinzip konzeptualisiert. Dabei durchdrin-gen sich beide Grundpfeiler, gehen aber nicht ineinander auf.

Das Lehr-Lern-Labor als physischer Ort
Bereits vorhandene Räume im Institut für Erziehungswissenschaft werden als Lernumgebung ausgebaut, in der vielfältige Auseinandersetzungsprozesse mit dem Thema „Diagnose und Individuelle Förderung“ stattfinden und unterstützt werden können. Für Studierende, Lehrende und Lehrpersonen aus der schulischen Praxis wird eine Präsenzbibliothek mit themenbe-zogener Grundlagenliteratur sowie eine Sammlung unterschiedlicher Test- und Diagnosever-fahren aufgebaut. Ausgewählte Unterrichtsmaterialien ergänzen das Angebot.
Darüber hinaus versteht sich das Lehr-Lern-Labor als Ort der Beratung von Studierenden und Lehrpersonen aus der Praxis, die sich mit Aspekten von Diagnose und Individueller Förderung beschäftigen. Das Lehr-Lern-Labor richtet sich in seiner Angebotsstruktur aber nicht nur an Studierende und Lehrer*innen, sondern auch an Wissenschaftler*innen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen zum schulischen Umgang mit Vielfalt arbeiten. Multiperspektivischer und interdisziplinärer Austausch soll ermöglicht und gefördert werden.

Das Lehr-Lern-Labor als hochschuldidaktisches Prinzip
Unter dem Dach des Lehr-Lern-Labors versammeln sich unterschiedliche hochschuldidakti-sche Formate, die Zugänge zum Verstehen und Gestalten des schulischen Umgangs mit Vielfalt eröffnen. Neben bereits etablierten Seminarformaten zur diagnosebasierten individuellen Förderung im Kontext selbstregulierten und forschenden Lernens im Rahmen des Forschungspraktikums zum Forder-Förder-Projekt in der Arbeitseinheit von Prof. Dr. Christian Fischer (Link) wird momentan ein zweisemestriges Seminar entwickelt und erprobt:

Schulischen Umgang mit Vielfalt verstehen und gestalten
Ausgangspunkt für das zweisemestrige Seminar mit dem Titel „Schulischen Umgang mit Viel-falt verstehen und gestalten“ ist die in ausgewählten Kooperationsklassen anzutreffende Unterrichtswirklichkeit. Diese wird in einem ersten Schritt systematisch reflektiert und erst in einem zweiten Schritt durch die Entwicklung möglicher Handlungsalternativen pragma-tisch gewendet.
Mit Blick auf den schulpädagogischen Diskurs hinsichtlich des Umgangs mit Heterogenität und Inklusion kann davon ausgegangen werden, dass es angesichts der strukturellen Komplexität und Widersprüchlichkeit des heterogenitätssensiblen pädagogischen Handelns in der Institution Schule nicht den „einen richtigen“ Weg im Umgang mit Heterogenität geben wird. Vielmehr scheint es im Sinne einer „reflexiven Inklusion“ (Budde & Hummrich, 2015) primär darum zu gehen, die Studierenden zunächst durch einen reflexiven Zugang hinsichtlich der Komplexität der Herausforderungen auch unter Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven (vgl. Walgenbach, 2014) zu sensibilisieren. Die gemeinsame perspektiventriangulierende Analyse der erhobenen Daten in Form einer Forschungswerkstatt ist zentraler Bestandteil des Konzepts und zielt auch auf die professionstheoretisch relevante „Reflexivität zweiter Ordnung“ (Feindt, 2007). Im Anschluss an die Analyse der beobachteten Prozesse im Klassenzimmer (vgl. de Boer & Reh, 2012) wird der Blick auf alternative Handlungsmöglichkeiten gerichtet. Mit Bezug auf das professionstheoretisch relevante Konzept der Praxisforschung (Altrichter, Feindt & Zehetmeier, 2014) erarbeiten Studierende im Austausch mit den Lehrpersonen der Kooperationsklassen Optionen für die Weiterentwicklung der jeweils konkreten pä-dagogischen Praxis. Diese werden von den Studierenden praktisch erprobt.

Heterogenitätsdimensionen
Im Arbeitsprozess wird keine primordiale Fokussierung bestimmter Heterogenitätsdimensio-nen vorgenommen, sondern in Absprache mit den beteiligten Lehrpersonen der Blick fokussiert. Begabung, Benachteiligung und Beeinträchtigung sowie die damit verbundenen rekursiven Konstruktionsprozesse von Differenz bilden dabei die Bandbreite der möglichen Heterogenitätsdimensionen. Wie oben bereits ausgeführt geht es dabei auch im reflexive und intersektionale Perspektiven, die das Zusammenspiel von „Dramatisierung und Entdramatisierung“ von Differenzkategorien bearbeitbar macht (vgl. Budde & Hummrich, 2015; Walgenbach, 2014).

Begleitforschung
Die begleitende Forschung zu diesem hochschuldidaktischen Format bezieht sich auf die Frage, welche reflexiven Auseinandersetzungsprozesse im Rahmen des Lehr-Lern-Labores ermöglicht werden. Grundlage zur Bearbeitung dieser Frage ist zum einen die Analyse der von den Studierenden erhobenen Beobachtungsdaten. Diese werden vor allem daraufhin in den Blick genommen, welche Beobachtungs- und Verstehensprozesse bei den Studierenden rekonstruiert werden können. Diese Perspektive ist gleichermaßen Ausgangspunkt für die Anregung von Reflexionsprozessen, die auf die Wahrnehmung und Herstellung von Differenz ausgerichtet sind. Darüber hinaus werden mit den beteiligten Studierenden nach Abschluss der Arbeit im Lehr-Lern-Labor Gruppendiskussionen durchgeführt. Anhand der Dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2014) geht es in diesem Zusammenhang um die Rekonstruktion der studentischen Akteursperspektive einschließlich zentraler Orientierungen und damit verbundener Rekontextualisierungsprozesse.

 

Literatur
Altrichter, H., Feindt, A. & Zehetmeier, S. (2014). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht: Aktionsforschung. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (2. überarbeitete & erweiterte Auflage) (S. 285-307). Münster: Waxmann.
Bohnsack, R. (2014). Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich (UTB).
Budde, J. & Hummrich, M. (2015). Intersektionalität und reflexive Inklusion. Sonderpädagogische Förderung heute, 60(2), 165-175.
de Boer, H. & Reh, S. (Hrsg.) (2012). Beobachtung in der Schule – Beobachten lernen. Wiesbaden: Springer VS.
Feindt, A. (2007). Studentische Forschung im Lehramtsstudium. Eine fallrekonstruktive Untersuchung studienbiografischer Verläufe und studentischer Forschungspraxen. Opladen/ Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich.
Walgenbach, K. (2014). Heterogenität, Intersektionalität, Diversity in der Erziehungswissenschaft. Opladen/ Toronto: UTB/ Budrich Verlag.