Literaturvermittlung heute – von Spannungsfeldern, Paradoxien und der Frage: Wozu Dichtung in dürftiger Zeit?

Guest Lecture & Workshop with Dr. Lis Hansen
© GSPoL / KSW

Öffentlicher Gastvortrag

Buchhandel, Verlage, Medien, Theater, Literaturhäuser, Bibliotheken, Museen und Archive sowie Bildungseinrichtungen wie Universitäten und Schulen gelten traditionell als zentrale Institutionen der Literaturvermittlung. Doch auch informelle und hybride Formen wirken auf diesem Feld: Poetry Slams in Kneipen, Buchbesprechungen auf BookTok, literarische Zitate als Tattoo, Werbespruch oder als Graffiti im öffentlichen Raum – all dies fordert etablierte Konzepte der Literaturvermittlung heraus und erweitert sie zugleich. Der Vortrag widmet sich daher der Frage, welche kulturellen Praktiken heute als Literaturvermittlung gelten und wie sich diese vom bloßen Umgang mit Literatur unterscheiden lassen.

Ferner wird das gegenwärtige Verhältnis von öffentlicher Literaturvermittlung und Gesellschaft in den Blick genommen. Zum einen vor dem Hintergrund multipler gesellschaftlicher und ökologischer Krisen, der Digitalisierung sowie Krisen des Bildungssystems und zum anderen vor der aktuellen Diagnose einer postautonomen Gegenwartsliteratur. Letztere bezieht sich auf die Beobachtung, dass eine Neuausrichtung der Literatur hin zu einem starken Lebensweltbezug zu verzeichnen sei (Blome 2023; Gefen 2023; Dawidowski 2025). Aus literaturwissenschaftlicher und literaturkritischer Perspektive zeigt sich dabei ein Unbehagen an solch einer Entwicklung der ‚Literatur als Sozialarbeiterin‘ (Steinmayr 2024), welche paradoxerweise für die Vermittlung von Literatur wiederum neue Aufgabenfelder eröffnet. Im Vortrag wird daher insbesondere das Spannungsfeld von Literatur zwischen Lebensweltbezug und Autonomie thematisiert. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus für die Vermittlung literarischer Texte? Wie kann Literaturvermittlung heute aktivierend wirken – im Sinne einer Ermutigung zum Lesen, zur Auseinandersetzung und zur Verstrickung mit fiktionalen Welten und ästhetischer Sprache? Anhand institutioneller wie informeller Praxisbeispiele diskutiert der Vortrag die Möglichkeiten und Grenzen zeitgenössischer Literaturvermittlung – als Korrektiv schulischer literarischer Sozialisation, als Einladung, die Imaginationskraft von literarischer Ästhetik selbst zu erfahren und zu gestalten und als Praxis zur Stärkung individueller wie gesellschaftlicher Resilienz.

Wann? 4. Dezember 2025, 18:15 Uhr
Wo? JO 1 (Johannisstr. 4) 

 

Workshop für Promovierende und Masterstudierende

Promovierende und Masterstudierende haben die Möglichkeit, am folgenden Tag an einem Workshop mit Lis Hansen teilzunehmen, um die skizzierten Themenfelder theoretisch und praktisch zu vertiefen. Ziel ist es, verschiedene Orte, Akteur*innen sowie analoge, digitale, formelle und informelle Formen gegenwärtiger Literaturvermittlung gemeinsam zu untersuchen, anhand von Beispielen zu diskutieren und eigene Zugänge erproben zu können. Im Zusammenspiel von theoretischer Reflexion und praktischen Ansätzen soll zudem die Auseinandersetzung mit der eigenen Perspektive und Position gefördert werden – insbesondere mit Blick auf aktuelle Debatten zu Kanonbildung und machtkritischen Fragestellungen. Vorbereitende Lektüre wird rechtzeitig zur Verfügung gestellt. 

Wann? 5. Dezember 2025, 9-14 Uhr
Wo? ES 203 (Johannisstr. 12-20) 

Die Platzzahl im Workshop ist begrenzt. Die Anmeldung erfolgt über HISLSF (Frist: 28. November 2025).

Biographische Notiz

Dr. Lis Hansen ist Literaturwissenschaftlerin und seit November 2023 als Referentin für kulturelle Bildung mit dem Schwerpunkt Literaturvermittlung im Stabsreferat Kulturelle Bildung der Klassik Stiftung Weimar tätig. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim und hat sich insbesondere mit olfaktorischen Darstellungs- und Vermittlungsformen befasst. Sie wurde an der Graduate School Practices of Literature der Universität Münster mit einer Arbeit zu poetischen Müllszenen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur promoviert.