Symbolische Stufen hinauf in die Götterwelt

Ägyptologin Dr. Alexa Rickert erforscht antike Treppenanlagen
"Mondtreppe" an der Decke der Vorhalle des Tempels von Dendara in Ägypten
Symbolik statt Alltagsgegenstand: Die "Mondtreppe" an der Decke der Vorhalle des Tempels von Dendara in Ägypten stammt aus dem 1. Jahrhundert nach Christus.
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Mit Treppen lassen sich Höhenunterschiede bequem und trittsicher überwinden. Der aus Stufen gebildete Auf- und Abgang ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Neben ihrem praktischen Nutzen haben Treppenanlagen aber auch Symbolcharakter. In der Epoche der Antike, also von etwa 3.500 vor Christus bis etwa 600 nach Christus, sind damit zahlreiche Rituale und Feste wie Götterprozessionen verbunden. Dr. Alexa Rickert, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ägyptologie und Koptologie der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, und Sophie Schlosser vom Friedrich-Mielke-Institut für Scalalogie der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg erforschen antike Treppenanlagen, um herauszufinden, wie die Menschen vom Alten Orient über Ägypten bis hin zum späten Römischen Reich Treppen nutzten und wie sie diese wahrnahmen.

"Treppen sind mehr als ein Instrument für die Überwindung von Höhenunterschieden", betont Alexa Rickert. "Die ‚Mondtreppe‘ aus dem ägyptischen Tempel von Dendara ist ein Beispiel dafür. Deren Stufen stehen für je einen Tag vom Beginn des Mondmonats bis zum Vollmond." Auch die sogenannte Zikkurat im Alten Orient hat eine bestimmte Bedeutung. Der gestufte Tempelturm in Mesopotamien kann als Verbindung zwischen der Götter- und Menschenwelt gesehen werden. "Eine Treppe ist außerdem eine repräsentative Anlage mit einer bestimmten Ausrichtung in der Architektur. Die Stufen können künstlerisch gestaltet sein. Dies war beispielsweise im asiatischen Raum häufig der Fall", ergänzt Sophie Schlosser. "Mensch und Treppe sind unmittelbar miteinander verbunden. Wir können anhand der Abnutzungspuren unter anderem ablesen, wo die Menschen entlanggelaufen sind und welchen Blick sie dabei auf ihre Umgebung hatten." Auch die Ausgestaltung der Stufen lässt Rückschlüsse zu: Für eine einfachere Nutzung der Treppen haben die Stufen im griechischen Palast von Knossos zum Beispiel eine Höhe von lediglich 14 Zentimetern und nicht wie in Deutschland heute üblich von 17 bis 18 Zentimetern. Der Transport von Menschen auf Sänften war dadurch einfacher.

Unterstützt von der "VolkswagenStiftung", die das Symposium mit rund 21.000 Euro fördert, haben die beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen 20 Expertinnen und Experten aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den USA, England, Österreich, Schweden und den Niederlanden eingeladen, die vom 20. bis 22. Oktober in Hannover zusammenkommen werden, um antike Treppenanlagen erstmalig disziplin- und quellenübergreifend zu beleuchten. Die bislang nebeneinanderstehenden Einzelstudien stammen aus den archäologischen Fächern, Architekturwissenschaften und Philologien. Wichtige Quellen sind – neben den Bauwerken selbst – Abbildungen von Treppen und historische Texte, die ihre Nutzung beschreiben. So wird beispielsweise in den späten Tempeln des Alten Ägypten der König beim Besteigen von Stufen vor dem Schrein einer Gottheit gezeigt. Die Kulthandlung wird in den Beischriften als "Heraustreten zur Treppe" bezeichnet und kommentiert. Als weiteres Beispiel kann das Werk des römischen Ingenieurs und Architekturtheoretikers Vitruv genannt werden. Er macht in seinen zehn Büchern über die Architektur Vorgaben für Stufenmaße von Tempeltreppen, ebenso wie für die Interkolumnien, mit der erklärten Absicht, dass ein gemeinsames Empor- und Hindurchschreiten möglich sei.

Welche Rolle spielten Treppen für die Menschen in den jeweiligen Kulturen? Wie wurde zwischen Treppen, Rampen und Leitern in den betreffenden Sprachen unterschieden? Existierten kulturübergreifende Deutungsmuster bei der Form, Verwendung und Symbolik der Treppen? Diese und weitere Fragen sollen nun fächerübergreifend diskutiert werden. "Wir wollen die Erforschung der Treppen, die als eigene Forschungsrichtung den Namen ‚Scalalogie‘ trägt, um einen entscheidenden Schritt vorantreiben", erläutert Alexa Rickert.

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Friedrich-Mielke-Institut für Scalalogie der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg