1871–2021: 150 Jahre nach der Publikation der antisemitischen Schrift „Der Talmudjude“ von August Rohling

Diese Seite dokumentiert und infomiert über die Aktivitäten der Katholisch-Theologischen Fakultät aus Anlass des 150. Jahrestages der Publikation der antisemitischen Schrift „Der Talmudjude“ von August Rohling. Die Fakultät begreift die Publikations‑ und Lehrtätigkeit von August Rohling als bis heute belastenden Teil ihrer Vergangenheit. Im Jubiläumsjahr 2021 „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ startet sie daher eine breit angelegte wissenschaftliche Initiative zur Beschäftigung mit ihrem ehemaligen Professor.

Pressemitteilung
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Katholischer Antisemitismus in Münster

Die Katholisch-Theologische Fakultät stellt sich einem belastenden Teil ihrer Geschichte

Vor 150 Jahren erschien die katholische antisemitische Hetzschrift „Der Talmudjude“ (1871), die bis in die Zeit des Holocausts eine verheerende Wirkungsgeschichte entfalten sollte. Verfasser war der Münsteraner Priester und Alttestamentler August Rohling (1839–1931), der gerade als außerordentlicher Professor an die damalige Königliche Akademie in Münster berufen worden war. Die Katholisch-Theologische Fakultät begreift die Publikations‑ und Lehrtätigkeit von August Rohling als bis heute belastenden Teil ihrer Vergangenheit. Die Abwehr jeder Form von Antisemitismus ist für sie eine Selbstverständlichkeit und natürlich in den Lehrveranstaltungen fest verankert.

Rohlings „Talmudjude“ war ein durch und durch antisemitisches Pamphlet, das über weite Strecken ein Plagiat älterer antijüdischer Texte darstellt und sich auf den jüdischen Talmud völlig sinnentstellend bezieht. Rohling stilisiert sich als Kenner des Talmuds, war aber nachweislich nicht in der Lage, darin zu lesen. Seine Hetzschrift riss Talmudpassagen aus ihrem Kontext, verkehrte sie in ihr Gegenteil und verbreitete damit abstruse Verschwörungstheorien, wie: Der Talmud lehre die Weltherrschaft des Judentums und verlange von den Juden Christen zu bestehlen, zu betrügen und sogar zu töten und nicht zuletzt christliche Frauen zu vergewaltigen. Diese verzerrten Aussagen des Talmuds seien die Lehre, nach der alle Juden leben würden.

Der „Talmudjude“ avancierte zu einem unrühmlichen „Bestseller“ eines Mitglieds der Vorgängerinstitution der Fakultät: Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde er in hoher Auflage gedruckt und in unzählige Sprachen übersetzt. Insbesondere in katholischen Kreisen fand das Pamphlet eine weite Verbreitung und hatte sogar Auswirkungen auf die antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten und die Schoah. Das judenfeindliche Hetzblatt „Der Stürmer“ griff immer wieder auf Rohlings Zerrbilder zurück. Im Zuge eines neuen Antisemitismus finden Nachdrucke von „Der Talmudjude“ im Internet auch heute noch Verbreitung.

Die Katholisch-Theologische Fakultät der WWU Münster nimmt die Karwoche zum Anlass, sich diesem schwierigen Thema zu stellen. Im Jubiläumsjahr 2021 „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ startet sie eine breit angelegte wissenschaftliche Initiative zur Beschäftigung mit ihrem ehemaligen Professor. Die Öffentlichkeit soll in diesen Prozess immer wieder einbezogen werden. Eine erste Abendveranstaltung ist für den 4. November 2021 in Kooperation mit dem Franz Hitze Haus, der Katholischen Akademie des Bistums Münster, und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster bereits geplant. Die Fakultät will dadurch ihren Beitrag zur Anti-Antisemitismus-Bildung leisten im Sinne Adornos, der formuliert hatte: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“

Über Jahrhunderte war Antisemitismus in der katholischen Kirche und Theologie weit verbreitet. Selbst die Liturgie des Karfreitags war durchtränkt von kirchlicher Judenfeindlichkeit: Bis in die 1950er Jahre hinein wurde in ihren großen Karfreitagsfürbitten für die Konversion der „treulosen Juden“ zum Christentum gebetet. Erst das Zweite Vatikanische Konzil vollzog mit seiner Erklärung in „Nostra aetate 4“ einen Paradigmenwechsel in der Verhältnisbestimmung der Kirche zum Judentum: Jüdische Menschen sind nicht treulos, verblendet, verworfen oder verflucht, sondern von Gott erwählt und geliebt. Gottes Bund mit dem Volk Israel ist unaufgelöst. In Zeiten, in denen antisemitische Stimmen wieder zunehmen, ist es für katholische Theologinnen und Theologen angesichts der eigenen Geschichte unverzichtbar, diese mit Argumenten in Schranken zu weisen. Die Katholisch-Theologische Fakultät ist bereit, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Im Namen der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster und der Arbeitsgruppe (Dr. Matthias Daufratshofer, Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M.A., Prof. Dr. Norbert Köster, Prof. Dr. Clemens Leonhard, Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf)

Prof. Dr. Johannes Schnocks, Dekan

Die Pressemittelung vom Gründonnerstag, 1. April 2021, zum Download.

Presse und Rundfunk

 

Veranstaltung

August Rohling und der „Talmudjude“ – Katholischer Antisemitismus in Münster
4. November 2021 | 18:30–21 Uhr | Akademie Franz Hitze Haus (Kardinal-von-Galen-Ring 50)

Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theologischen Fakultät, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusanmenarbeit Münster e. V. und der Akademie Franz Hitze Haus statt.

Weitere Informationen finden Sie im Flyer zur Veranstaltung.

 

Biogramm von August Rohling

© Bistumsarchiv Münster

15.02.1839: Geburt in Neuenkirchen bei Rheine, Progymnasium Rheine und Gymnasium Paulinum Münster

1858/63: Theologische Studien an der Akademie Münster

21.05.1863: Priesterweihe

1863/65: Erzieher im Haus des Grafen Mérode in Brüssel und Paris

1865: Kaplan in Rheinberg, Kreis Moers und Lic. Theol. an der Akademie Münster

Habilitation für Altes und Neues Testament

1866: Vikar St. Martini (Münster) und Privatdozent für alttestamentliche Exegese an der Akademie Münster

Promotion in absentia in Jena zum Dr. phil.

1867: Repetitor am Priesterseminar Münster

1871: „Der Talmudjude. Zur Beherzigung für Juden und Christen aller Stände“ (Das Vorwort datiert auf Juni 1871)

1871: Ehrenpromotion (01.08.) und außerordentlicher Professor für Exegese an der Akademie Münster
[Zur Beurteilung der Ehrenpromotionen an der Fakultät und der Ehrenpromotion Rohlings siehe auch die Ausführungen von Prof.'in Dr. Marie-Theres Wacker]

1874/75: Professor für Moraltheologie am Priesterseminar S. Francis of Sales in Milwaukee

1875: Italienreise, dann Repetent für deutsche Sprache am kath. Univ.-College in Kensington/London

1876: Ordentlicher Professor für alttestamentliche Exegese in Prag (Karls-Universität)

1881: Franz Delitzschs Replik „Rohlings Talmudjude beleuchtet“ (Rohlings Antwort: „Franz Delitzsch und die Judenfrage: antwortlich beleuchtet“)

1892: Kanonikus an der Stiftskirche Prag

1894: „Der Zukunftsstaat. Ein Trostbüchlein

1895: Suspendierung

1897: Römische Indizierung der chiliastischen Schrift „Der Zukunftsstaat

1898: „Ein unechtes Indexdekret gegen meine Schrift: ‚Der Zukunftstaat‘

1899: Wegen kirchlicher Zensurierung vom Lehramt zurückgetreten / Emeritierung, lebte seitdem in Förz, Freistadt/Oberösterreich u. Salzburg

23.01.1931: Tod in Salzburg


Quellen: Eduard Hegel, Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster 1773–1964, Bd. 2, Münster 1971, 120f; Elke Kimmel: Rohling, August. In: Handbuch des Antisemitismus, Bd 2/2, Berlin 2009, 692f.