Melting Pot Ostmitteleuropa

Podiumsdiskussion thematisierte Geschichte, Religion und Literatur einer vielfältigen Region
Am 5. Juni 2025 veranstaltete das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ eine Podiumsdiskussion mit dem Ziel, die jahrhundertealte Geschichte Ostmitteleuropas mit ihrer Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Unter dem Thema „Gesellschaftliche Pluralität und rechtliche Vielfalt in Ostmitteleuropa: Perspektiven zurück und nach vorn“ moderierte EViR-Direktorin Prof. Dr. Ulrike Ludwig das Gespräch. Sie betonte die Notwendigkeit, die Geschichte Europas aus neuen Perspektiven zu betrachten. Ostmitteleuropa als „Melting Pot“ mit einer langen Tradition des Zusammenlebens vieler sozialer und religiöser Gruppe biete eine spannende Grundlage.
Die Frühneuzeit-Historikerin PD Dr. Iryna Klymenko (Lviv) erinnerte daran, dass Begriffe wie Diversität und Toleranz erst in der Moderne entstanden und für die Vormoderne neue Modelle notwendig seien. Sie wies auf die ethnische, religiöse und rechtliche Vielfalt in Städten wie Lviv hin. Jedoch seien Gruppen wie Polen, Ukrainer, Armenier oder Juden keinesfalls rechtlich gleichgestellt gewesen: „Durch Recht schuf man Ungleichheit.“
Die Theologin Prof. Dr. Regina Elsner (Münster) beleuchtete die religiöse Pluralität Ostmitteleuropas als Kontaktzone zwischen byzantinischem und lateinischem Christentum. Lokale konfessionelle Identitäten bildeten sich hier stets in Abgrenzung zu anderen. Das Zusammenleben war dabei auch von Repressionen seitens der jeweils herrschenden Konfession geprägt.
Die Slawistin Prof. Dr. Irina Wutsdorff (Münster) thematisierte die literarische Dimension, insbesondere am Beispiel Böhmens und der Rekatholisierung nach der Schlacht am Weißen Berg von 1620. Sie und Elsner diskutierten die Rolle von Sprache und Konfession als Identitätsmarker, besonders im Zusammenhang mit der Herrschaft des Russländischen und Habsburgischen Reiches.
Die Expertinnen waren sich einig, dass historische Tiefenschärfe auch für aktuelle Debatten unerlässlich ist. Wutsdorff wies darauf hin, dass die ukrainische Gesellschaft gegenwärtig einen inklusiveren Nationsbegriff entwickelt, der unterschiedliche Gruppen einbezieht. Elsner forderte, die Vielfalt der Geschichte ernst zu nehmen, um gegen Manipulationen und Vereinfachungen wie den imperialen Anspruch Moskaus zu argumentieren. Klymenko appellierte am Schluss dafür, auch die deutsche Erinnerungskultur kritisch zu hinterfragen, deren Blick für die Vielfalt Ostmitteleuropas zu lange durch eine Konzentration auf Russland verstellt gewesen sei. Das Ziel, die Geschichte der Region mit ihrer Gegenwart und Zukunft zu verknüpfen, wurde am Ende einer ebenso anregenden wie lehrreichen Diskussion jedenfalls erreicht.
Sehen Sie sich die Aufzeichnung der Veranstaltung an:

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