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„Wissenschaft ist kein Selbstzweck“

Im Labor mit Prof. Stephan Ludwig / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Virologe Prof. Dr. Stephan Ludwig ist Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und Direktor des Instituts für Molekulare Virologie an der Universität Münster.
© Uni MS/Peter Grewer

Herr Prof. Ludwig, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

In unserem Institut beschäftigen wir uns mit Viren. Wir sind daran interessiert, wie sie mit Zellen und Organismen interagieren – denn Viren brauchen immer Zellen, die sie bewirten, um sich zu vermehren. Letztendlich wollen wir die molekularen Replikationsmechanismen, also die Vermehrungsmechanismen, von Viren besser verstehen und dadurch möglicherweise Ansätze für neue antivirale Therapien und Medikamente finden. Dabei untersuchen wir insbesondere die Signalwege, die ein Virus aktiviert, wenn es in eine Zelle eintritt. Wenn wir diese Signalwege verstehen, können wir auch begreifen, wie die Zelle antwortet und wie sich das Virus in der Zelle verändert. Momentan sind wir einem bestimmten Signalweg auf der Spur, den unter anderem Grippeviren aktivieren: die klassische MAP-Kinase-Kaskade. Wenn man diese Kaskade durch spezifische Hemmstoffe blockiert, führt das dazu, dass sich das Virus nicht mehr vermehren kann. Unsere Ergebnisse haben schon dazu geführt, dass sich ein kleines Start up-Unternehmen gegründet hat, das untersucht, wie man diese Hemmstoffe, die es für andere Erkrankungen schon gibt, jetzt für Influenza nutzen kann.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Mein persönliches Selbstverständnis als Forscher ist es, wirklich tiefere Erkenntnisse und Wahrheiten zu finden. Wissenschaftler zu sein, ist einfach ein ganz fantastischer Job, da man seine Ideen sofort im Labor umsetzen kann und sich immer am Puls der Zeit bewegt. Gleichzeitig habe ich auch immer im Blick, dass Wissenschaft kein Selbstzweck ist: Es ist mir nicht genug, molekulare Mechanismen zu verstehen, nur um sie zu verstehen. Wir sind gesellschaftlich gefordert, unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse auch zu nutzen, um zum Beispiel neue Therapien oder Impfstoffe zu finden.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?

Mein größtes Ziel ist es, dass man eines Tages ein hochwirksames Medikament in der Apotheke bekommen kann, das auf meinen Ergebnissen aus der Grundlagenforschung basiert. Das sollte natürlich nicht das einzige Ziel sein, auf das man sich konzentriert. Aber es ist schon das Salz in der Suppe, am Ende etwas zu schaffen, das auch Bestand hat. Der Weg dahin ist aber natürlich lang und steinig.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Das sind zum einen die hochauflösenden mikroskopischen Methoden. Weil Viren so extrem klein sind, kann man sie normalerweise nur unter dem Elektronenmikroskop sehen. Durch den Exzellenzcluster und die dadurch entstandenen Kooperationen haben sich unsere Möglichkeiten in der Bildgebung aber extrem erweitert. Über spezielle Färbetechniken und die sogenannte STORM-Mikroskopie – das ist eine spezielle hochauflösende Fluoreszenz-Mikrokopie – können wir jetzt wichtige Strukturen in einer infizierten Zelle sichtbar machen. Darüber hinaus bin ich begeistert von den durchflusszytometrischen Methoden. Sie erlauben es, eine Vielzahl an Markern und Parametern auf und in der Zelle zu messen und sehr schnell den Aktivierungszustand von Zellen nachzuweisen.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Moment, als ich plötzlich wusste: „Da haben wir etwas Wichtiges herausgefunden.“ Das war, als wir durch das Mikroskop schauten und beobachteten, dass bestimmte Wirkstoffe in einer infizierten Zelle zu einer komplett neuen Verteilung von viralen Bestandteilen führen. Bis zu diesem Punkt hatte man noch gar nicht einordnen können, warum diese Wirkstoffe eigentlich die Vermehrung eines Virus hemmen. Als wir unsere Ergebnisse dann in der Zeitschrift „Nature Cell Biology“ veröffentlichen konnten und unsere Studie es sogar aufs Titelblatt schaffte, waren das zwei weitere große Glücksmomente.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Frustmomente gehören zum wissenschaftlichen Alltag dazu. Jeder Standortwechsel beginnt zum Beispiel mit ein paar Frustmomenten – wenn man zum Beispiel in einem neuen Labor die bekannten Technologien aufbaut und plötzlich Dinge nicht klappen, die sonst immer funktioniert haben. Aktuell bin ich außerdem sehr frustriert darüber, dass unser wissenschaftliches Weiterkommen extrem durch immer schärfer werdende und zum Teil nicht nachvollziehbare gesetzliche Auflagen behindert wird – zum Beispiel was unsere Forschung mit Tieren angeht. Wir verbringen häufig mehr Zeit damit, Stellungnahmen oder Anträge zu schreiben als wirklich zu forschen. Das ist schon frustrierend, weil wir ja vorhaben, etwas Positives für die Gesellschaft zu tun. Was nicht bedeutet, dass wir nicht sensibel mit dem Thema Tierversuche umgehen sollten: Ich bin der Meinung, dass jeder Wissenschaftler eine ethisch-moralische Verantwortung hat und sich bei jedem seiner Experimente fragen sollte, ob es wirklich nötig ist oder nicht.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Was im Körper passiert, wenn sich ein Embryo entwickelt ohne vom Immunsystem der Mutter abgestoßen zu werden, ist für mich medizinisch ein unglaubliches Phänomen. Die damit zusammenhängenden Vorgänge sind noch überhaupt nicht in Gänze verstanden. Genauso begeistern mich die Wechselspiele zwischen dem Gehirn und bestimmten Prozessen im Körper: die Gehirn-Darm-Achse oder die Gehirn-Haut-Achse zum Beispiel.

Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?

Wie schaffen es Viren, diese winzigen Dinger, eine Körperzelle derart umzumodeln, dass sie sich dort vervielfältigen und einen Organismus krank machen oder ihn sogar umbringen können? Wir wollen daher umfassend verstehen, wie das Zusammenspiel zwischen den einzelnen „Mitspielern“ aussieht – also zwischen dem Erreger, der Zelle, dem Organismus.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Kunst bedeutet für mich schon alleine, dass man die Dinge schön findet, die man macht – also die eigenen Tätigkeiten per se einen ästhetischen Wert besitzen. Jeder biomedizinische Forscher hat auch ein künstlerisches Verständnis in Zusammenhang mit seinen Experimenten und den dabei entstehenden Bildern und Ergebnissen. Für einen Mathematiker ist es nicht nur wichtig, dass er Beweise aufstellt, sondern gleichzeitig genauso wichtig, dass die entsprechende Formel auch „schön“ ist. Genauso wie ein Chemiker die Ästhetik eines Molekülgitters erkennt und schätzt.