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„Wissenschaft ist gut, wenn sie auch kreativ ist.“

Im Labor mit Prof. Volker Gerke / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Prof. Dr. Volker Gerke, Co-Sprecher des Exzellenzcluster "Cells in Motion" und Direktor am Zentrum für Molekularbiologie der Entzündung (ZMBE)

Herr Prof. Gerke, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Im Zentrum meines wissenschaftlichen Interesses stehen zelluläre Membranen und die Fragen: Wie sind sie aufgebaut und wie können sie so vielfältige Prozesse wie Zellformveränderungen, Zellbewegungen und vor allem den Membrantransport in den Zellen steuern? Letzteres untersuchen wir bei der sogenannten Exozytose, also der Verschmelzung intrazellulärer Vesikel mit der Zellmembran, die zur Freisetzung von Stoffen nach außen führt. Dies ist besonders relevant in den Endothelzellen, einer Zellschicht, die alle Blutgefäße auskleidet. Endothelzellen besitzen sogenannte Weibel-Palade-Körperchen, kurz WPB, die durch die oben angesprochene Exozytose ihre Inhaltsstoffe abgeben und so viele Prozesse im Blutgefäß regulieren. Ohne die WPB-Exozytose würden sich Wunden niemals schließen und Entzündungen nicht reguliert ablaufen. Normalerweise fließen Blutplättchen und Immunzellen durch das Blut, ohne an der Gefäßwand, also den Endothelzellen, haften zu bleiben. Ist das Blutgefäß aber verletzt, zum Beispiel auf Grund eines Schnitts, oder liegt eine lokale Entzündung im Gewebe vor, verändern Endothelzellen ihre Oberfläche, indem WPB in ihnen gespeicherte Adhäsionsproteine durch Exozytose freisetzen. Erst durch Wechselwirkung mit diesen Adhäsionsproteinen bleiben Immunzellen und Blutplättchen am Endothel haften, können ihre lokale Aufgabe übernehmen und eine Wunde verschließen oder eine Entzündungsreaktion einleiten. Meine Arbeitsgruppe fragt sich: Wie sind WPB aufgebaut? Wie entstehen sie? Und vor allem: Wie funktionieren sie? Wenn wir das verstehen, können wir den Wundverschluss und auch lokale Entzündungsreaktionen stimulieren oder unterdrücken und dies eventuell auch bei bestimmten Erkrankungen ausnutzen.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Forschung und wissenschaftliche Fragen begeistern mich. Es ist ungeheuer spannend, neue Zusammenhänge zu entdecken und so das Forschungsgebiet weiter zu bringen. Die Wissenschaft hat immer schon mein Leben geprägt und auch häufig für einen Tapetenwechsel gesorgt. Ich habe in Hannover Biochemie studiert, habe dann in einer fantastischen Gruppe am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie geforscht. Danach ging es an die Yale Universität in die USA. Ich hatte schon immer den Drang, ins Ausland zu gehen. Das erweitert den Horizont als Wissenschaftler ungemein. Danach ging es zurück nach Göttingen, wo ich meine erste Juniorgruppe etablierte, im Jahr 1994 dann weiter nach Münster. Seitdem forsche ich hier. Allerdings konnte ich zwischendurch auch längere Forschungsaufenthalte an anderen Orten einschieben. So habe ich in Seattle und Portland geforscht, um neue Ideen zu verfolgen und neue Methoden zu erlernen. Solche Auslandssemester bringen mich gleichzeitig wieder an die Wurzeln der Forschung zurück. Als Gruppenleiter analysiere und interpretiere ich vor allem Daten meiner Mitarbeiter. Wenn ich im Ausland forsche, experimentiere ich wieder selbst.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Das ist die optische Mikroskopie. Sie lässt sich so vielfältig einsetzen. Wegen der breiten Entwicklung ist man methodisch und technisch nicht fixiert.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?

Glücksmomente habe ich am häufigsten, wenn Mitarbeiter mir neue spannende Daten zeigen, wir die Ergebnisse und Modelle im Licht dieser Daten diskutieren. Solche Momente gab und gibt es immer wieder. Es ist schwer, einzelne Höhepunkte heraus zu greifen.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Frust gehört zum Wissenschaftsalltag. 60 bis 70 Prozent aller Experimente verlaufen im Sand. Das sage ich auch immer wieder meinen Mitarbeitern. Wer damit nicht klarkommt, sollte nicht zwingend in der Wissenschaft arbeiten wollen. Besonders ärgerlich ist es, wenn man viel Zeit und Arbeit in eine Idee investiert hat und kurz vor Projektende Ergebnisse zur gleichen Fragestellung von anderen publiziert werden. Dann ist der Reiz des Neuen für die wissenschaftliche Welt verloren, obwohl die Ergebnisse nicht minder wichtig und interessant sind.

Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?

Es gibt so viele Fragen. Jede einzelne große Frage ist viel zu komplex, um sie lapidar beantworten zu können. Es gibt keine Weltformel.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Ich hoffe sehr, dass meine Wissenschaft kreativ ist. Ob das der Fall ist, müssen andere beurteilen. Wissenschaft ist nur gut, wenn sie auch kreativ ist. Nur so entwickelt man neue Ansätze, spielt mit Methoden, kombiniert sie und findet Antworten.