Ideenlabor

In der Welt der Wissenschaft gibt es Ideen, die weit über das Gewöhnliche hinausgehen – Ideen, die konventionelle Denkmuster herausfordern, neue Horizonte eröffnen und den Weg für bahnbrechende Entdeckungen ebnen. Diese Ideen erscheinen allerdings oft zu risikoreich oder unkonventionell, um sie unmittelbar in gängigen Förderformaten weiterverfolgen zu können. Um solche Vorhaben an der Universität Münster anzustoßen und zu befördern, wurde die strategische Förderlinie „Ideenlabor“ ins Leben gerufen.

Die Wissenschaftler*innen der Förderkohorte 2024 verfolgen herausragend innovative und risikoreiche Projektideen in Forschung, Lehre und Transfer. Dadurch treiben sie den akademischen Diskurs in ihren Fachdisziplinen und weit darüber hinaus voran.

  • Dr. Dombovski im Labor
    © Alexander Dombosvki

    Natural Protein-Based Sweeteners: Making it Profitable 

    Süß schmeckende Proteine stellen eine gesündere und kalorienarme Alternative zu herkömmlichem Haushaltszucker dar und können in Lebensmitteln als Süßstoffe verwendet werden. Gegenüber Haushaltszucker haben solche Proteine den Vorteil, dass sie einen sehr geringen Brennwert haben und weder kariogen, noch diabetogen sind. Als Beispiel eines süß schmeckenden Proteins sei Thaumatin aus Thaumatococcus daniellii genannt, das schon seit 1996 in der EU als Lebensmittelzusatzstoff unter der Nummer E 957 zugelassen ist. Allerdings ist die Herstellung süß schmeckender Proteine – im Vergleich zu niedermolekularen Süßstoffen, wie z.B. Saccharin – verhältnismäßig aufwendig. Die Proteine können entweder durch Extraktion aus Pflanzenmaterial isoliert oder als rekombinante Proteine biotechnologisch hergestellt werden. Bei der Extraktion sind Beschaffung ausreichender Mengen des Pflanzenmaterials und eine geringe Produktausbeute die limitierenden Faktoren. Biotechnologische Methoden für die Herstellung rekombinanter, süß schmeckender Proteine stellen eine Alternative zur klassischen Extraktion dar, allerdings ist man dabei auf aufwändige Proteinreinigungsverfahren angewiesen, um das Protein in einer akzeptablen Reinheit zu erhalten und vollständig von dem gentechnisch veränderten Organismus abzutrennen. In diesem Projekt soll ein neuartiges biotechnologisches Herstellungsverfahren für süß schmeckende Proteine etabliert werden, bei dem aufwändige Proteinreinigungsverfahren umgangen werden und die Herstellung der Proteine kostengünstiger ist, als bei bestehenden Verfahren.

    Dr. Alexander Dombovski (Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie)

  • Verena Raker
    © Verena Raker
    Lucas Lamparter
    © Lucas Lamparter

    Fixing the "Percutaneous Device Dilemma" Using Biologically Functionalized Titanium Implants

    Eine zentrale Funktionen unserer Haut besteht darin, eine wirksame Barriere zwischen dem Inneren des Körpers und Pathogenen in der Umwelt wie Viren und Bakterien aufrechtzuerhalten. Besonders faszinierend ist dabei die Fähigkeit der Haut nach einer Verletzung diese Barriere eigenständig wieder herzustellen. Dabei bewegen sich Hautzellen, die ihre direkten Nachbarn verloren haben, in Richtung der Wundstelle, bis sie neue Nachbarn finden. Mit diesen verbinden sie sich und stellen so die Barriere wieder her.

    Es gibt es allerdings Situationen, in denen eine Unterbrechung dieser Hautbarriere aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Dies ist beispielsweise bei transkutane Magensonden, Insulinpumpen, zentralvenöse Katheter oder im Knochen verankerten Beinprothesen der Fall. Hier ist ein Durchtritt durch die Haut notwendig, bedeutet aber gleichzeitig, dass die Hautbarriere unvollständig ist und somit die ständige Gefahr einer Infektion besteht. Ein wahrhaftiges Dilemma, das als das Perkutane Device Dilemma bekannt ist.

    Das Ziel dieses Projekts ist es, einen innovativen Ansatz zur Bewältigung dieses Dilemmas zu entwickeln. Durch eine spezielle Oberflächenbeschichtung soll den umgebenden Hautzellen vorgespielt werden, dass es sich bei dem Implantat um eine benachbarte Zelle handelt. Die Hautzellen sollen so stimuliert werden, am Implantat anzuwachsen und somit eine intakte Hautbarriere wiederherzustellen. Wir beschichten im Labor der Hautklinik Titanoberflächen mit Adhäsionsmolekülen und testen diese dann in Zellkulturen und Hautmodellen auf Zugfestigkeit und Stabilität. Hier kommen unsere biophysikalischen und Haut-immunologischen Kompetenzen zusammen.

    PD rer. nat. Verena K. Raker (UKM - Klinik für Hautkrankheiten)
    Lucas Lamparter (Institut für Medizinische Physik und Biophysik)

  • Carsten Wegscheider
    © Carsten Wegscheider

    Mapping (Anti-)Globalization Attitudes (MAGA): An Exploratory Geo-Coded Survey Analysis 

    Globalisierungskritische Einstellungen wie die Skepsis gegenüber dem Freihandel, die Ablehnung von Einwanderung oder der Widerstand gegen die Übertragung nationaler Souveränität an supranationale Organisationen gelten als wichtige Triebkräfte aktueller politischer Entwicklungen. Neben dem Ergebnis des Brexit-Referendums 2016 und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2018 wird auch der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien wie der Alternative für Deutschland auf globalisierungsfeindliche Haltungen in der Bevölkerung zurückgeführt. Trotz dieser Bedeutung mangelt es bislang an einem validen Messinstrument, mit dem sich die Multidimensionalität von Globalisierungseinstellungen erfassen lässt. Darüber hinaus sind die Auswirkungen lokaler und regionaler Faktoren auf globalisierungskritische Einstellungen noch nicht ausreichend untersucht. Dabei stellt sich jedoch die Frage, inwiefern regionale Merkmale wie Arbeitslosenquoten, mangelnder Zugang zu öffentlichen oder privaten Dienstleistungen, Bevölkerungsabwanderung oder der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund die Einstellungen gegenüber der Globalisierung beeinflussen. Dieses Forschungsprojekt zielt daher darauf ab, ein Umfrageinstrument zu entwickeln, um die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zu den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Dimensionen der Globalisierung zu messen. Des Weiteren werden geographische Unterschiede der Einstellungen mithilfe einer geocodierten Umfrage und unter Berücksichtigung lokaler und regionaler Einflussfaktoren untersucht.

    Dr. Carsten Wegscheider (Institut für Politikwissenschaft)

  • Fotos

    © Thorsten Quandt
    • © Thorsten Quandt
    • © Thorsten Quandt
    • © Thorsten Quandt

    "Was uns wichtig ist: Echtzeitfähige Bildanalyse für Social-Media-Inhalte auf Basis menschlicher Aufmerksamkeitsmechanismen (Akronym: WUWI)" 

    Die Bildanalyse mit Methoden der künstlichen Intelligenz hat oft ein Problem: die Methoden können nur schlecht entscheiden, welche der vielen Objekte in einem analysierten Bild wichtig sind und welche (im aktuellen Kontext) keine große Rolle spielen. Das Projekt versucht eine Komplexitätsreduktion der Bildanalyse durch die Einführung eines Fokus für die algorithmische Analyse. Dieser Fokus soll ähnlich der menschlichen Aufmerksamkeit auf wichtige Aspekte eines betrachteten Bildes funktionieren. Daher untersuchen wir in dem Projekt zuerst die Erfassung menschlicher Fokussierung (durch Eyetracking) und die Übertragung dieses Mechanismus auf die KI-basierte Bildanalyse.

    Zielsetzung unserer Forschung ist es, eine technische Perspektive für die schnelle (vielleicht sogar echtzeitfähige) Analyse von Bildinhalten zu geben. Dies kann beispielsweise in der Analyse von Social Media-Daten und der Detektion von Desinformation eingesetzt werden.

    Prof. Dr. Thorsten Quandt (Institut für Kommunikationswissenschaft)
    Prof. Dr.-Ing. Christian Grimme (Institut für Wirtschaftsinformatik) 

  • Prof. Albiez-Wieck; Historisches Seminar
    © Stefan Klatt

    Mestiz*in als Travelling Concept

    Koloniale rechtliche Kategorisierungen hatten große Auswirkungen auf die Kategorisierten, da sie ihre Rechte und Pflichten in der Gesellschaft festlegten. Gleichzeitig sagen sie viel über das Weltbild und die Ordnungsvorstellungen der Kolonisierer aus. Teilweise bestehen sie bis heute fort. Die Kategorie Mestiz*n existierte in vielen, jedoch nicht in allen europäischen Kolonialreichen. Sie bezeichnete Nachkommen von Europäer*innen und Indigenen, d.h. von Kolonisierern und Kolonisierten. Sie existierte als Kategorie und Begriff im spanischen (mestizo), portugiesischen (mestiço), französischen (métis), italienischen (meticcio), niederländischen (mestizo/mesties) und belgischen (métis/mesties) Kolonialreich sowie in den meisten der sich daraus ergebenden postkolonialen Nationalstaaten aber nicht in anderen Kolonialreichen wie z.B. dem deutschen oder britischen wo etwa Begriffe wie „Mischling“ gebräuchlich waren. Das Projekt fragt nach dem Entstehen, der Übernahme, und Verbreitung der Begriffe Mestiz*in und Mestizisierung in (post)kolonialen Gesellschaften in Afrika, Asien, Amerika und bewusst auch in Europa.

    Prof. Dr. Sarah Albiez-Wieck (Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der außereuropäischen Geschichte)

  • Wissenschaftler*innen vor Tafel mit Formeln
    © ITP

    Can Databanks for Advanced Nonlinear Models "Synergize" Modelling Efforts across Fields?

    In unserem Pilotprojekt wollen wir die Anforderungen an eine allgemeine Datenbank für fortgeschrittene (nichtlineare) Modelle und ihre Lösungen spezifizieren und eine entsprechende Grundstruktur entwickeln. Solch eine Datenbank soll einerseits erlauben, die vielen Modelle, Skalierungen und Parameterstudien, die in den verschiedenen Wissenschaften oder sebst bei der Arbeit verschiedener Gruppen auftreten, in einem übergeordneten System zu verorten. Andererseits soll die Struktur ermöglichen, Modelle und resultierende Daten aus verschiedenen Skalierungen beliebig ineinander umzurechnen, und damit Einzeldaten und Lösungsstrukturen (sogenannte Bifurkationsdiagramme) wiederverwendbar für alle zu machen. Dazu muss zuerst gezeigt werden, dass drei von uns identifizierte Hürden überwunden werden können: Vielfalt (i) an nichtlinearen Modellen, (ii) an verwendeten Skalierungen/Parametrisierungen und (iii) an in Publikationen benutzten Darstellungen der numerisch erhaltenen Lösungsstrukturen.

    Prof. Dr. Uwe Thiele (Institut für Theoretische Physik)

  • Christina Jordan
    © Christina Jordan
    Grafik zum Projekt
    © Christina Jordan

    Establishing a Synergistic Partnership for Structural Biology between the University of Münster and the ETH Zürich: Merging BioNMR and Fluorinated Glycochemistry to Expand a New Frontier in Biomedicine

    Heutzutage ruft der Begriff „Krankenhauskeim“ in jedem von uns ein besorgniserregendes Gefühl hervor. Denn wer sich mit einem multiresistenten Keim infiziert, ist gesundheitlich stark gefährdet, da die allermeisten auf dem Markt erhältlichen Antibiotika gegen diese kaum noch wirksam sind. Allein im Jahr 2019 starben rund 7,7 Millionen Menschen weltweit an einer Infektion und für rund die Hälfte davon sind gerade einmal fünf bakterielle Spezies allein verantwortlich (S. Aureus, E. Coli, S. Pneumoniae, K. Pneumonie, P. aeruginosa). Die WHO prognostiziert sogar, dass diese Antibiotikaresistenzen innerhalb der nächsten Jahre weiter rasant zunehmen und schon bald eine der größten globalen Bedrohungen darstellen werden, wenn nicht umgehend nach alternativen Therapieansätzen geforscht wird.

    Diese Problematik betrifft jeden einzelnen von uns und ist damit unsere größte Motivation ideenreiches Denken anzustoßen: wir planen in einem Kooperationsprojekt das bakterielle Infektionsgeschehen auf molekularer Ebene aufzuklären, um auf dieser Grundlage passgenau innovative Wirkstrukturen für Medikamente entwickeln. Dabei konzentrieren wir uns auf spezielle Strukturen aus Kohlenhydraten, die in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle spielen. Die Expertise Kohlenhydrate chemisch gezielt zu modifizieren und dadurch für NMR-Spektroskopie zugänglich zu machen, liegt in der Arbeitsgruppe von Prof. Ryan Gilmour, Professor für Chemische Biologie am Organisch-Chemischen Institut. Durch die Einführung von Fluor in das Kohlenhydrat-Molekül lassen sich wichtige Interaktionen mit bakteriellen Proteinen identifizieren, die an der Ausbreitung und Entstehung von Resistenzen beteiligt sind.

    Für dieses Vorhaben ist die dynamische NMR-Spektroskopie aus dem Bereich der strukturellen Biologie als Technologie entscheidend. Unser Ziel ist es das Potential von Kohlenhydraten in der Medikamentenentwicklung zu nutzen und zu stärken, indem wir eine einzigartige kohlenhydrat-spezifische NMR-Einheit in Münster etablieren. Um dieses Projekt umzusetzen wird Dr. Christina Jordan Expertise im Bereich Bio-NMR Spektroskopie an der international angesehenen ETH Zürich in der Arbeitsgruppe von Dr. Alvar Gossert erwerben und nach Münster transferieren. Wir möchten Fachwissen aus zwei Forschungsrichtungen (Organische Chemie und Strukturelle Biologie) vereinen, um in naher Zukunft die Entwicklung alternativer Medikamente gegen multiresistente Bakterien voranzutreiben.

    Wir sind sehr dankbar für die Förderung durch das Zukunftslabor und die Initiative „Ideenlabor“ der Universität Münster, denn es ermöglicht uns, neue interdisziplinäre Schnittstellen zu identifizieren und zu nutzen und damit erste Grundlagen für die Umsetzung unseres Vorhabens zu legen.

    Dr. Christina Jordan (Organisch-Chemisches Institut)