Tagung „Ich weiß nicht, wer wahr sagt, wer lügt“. Fake News und ihre kulturelle Aushandlung im europäischen Mittelalter

Die Diagnose des ‚postfaktischen Zeitalters‘ sowie die Wahrnehmung einer neuartigen Bedrohung durch unkontrollierbare Fake-News sind zentrale Elemente gegenwärtiger gesellschaftlicher Selbstbeschreibung. Sowohl der digitale Medienwandel, der die Emergenz fragmentierter Teilöffentlichkeiten begünstigt, als auch die Expansion eines ‚postmodernen‘ Relativismus wurden dafür verantwortlich gemacht. Doch wie historisch ‚neuartig‘ sind diese Entwicklungen tatsächlich? Auf der Tagung möchten wir aus geschichts- und literaturwissenschaftlicher Perspektive der Frage nachgehen, ob oder inwieweit sich analoge Konstellationen während des europäischen Mittelalters beobachten lassen. Dabei sind zunächst die ganz unterschiedlichen Kommunikationsbedingungen der Zirkulation von (falschen) Nachrichten in Rechnung zu stellen. Wie könnte sich ein der Gegenwart vergleichbarer Fake News-Diskurs in einer Gesellschaft formieren, die viel stärker durch Anwesenheitskommunikation geprägt war? Und war nicht gerade das Mittelalter durch eine statische ‚Ordnung der Dinge‘ und religiöse Gewissheiten bestimmt, die derartige Verunsicherungen verhinderten? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass in Krisensituationen, Konflikten und gesellschaftlichen Umbruchphasen die Aushandlung von ‚(Un-)Wahrheiten‘ spezifische Dynamiken entfalten konnte. Eine Behauptung anzufechten und Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass diese nachweislich ‚falsch‘ sei, konnte dazu dienen, Gegner zu delegitimieren und unter Druck zu setzen, ihrerseits neue Evidenz zu generieren, welche die Zweifler beschwichtigen sollte. Wir wollen daher vorschlagen, Fake News als Phänomene kultureller Aushandlung zu begreifen. Folglich soll es nicht darum gehen, Nachrichten zu identifizieren, die aus heutiger Sicht ‚falsch‘ waren. Vielmehr soll die Frage in den Vordergrund treten, unter welchen Bedingungen Geltungs- und Wahrheitsansprüche in einer Teilöffentlichkeit auf Akzeptanz oder Ablehnung stießen. Besondere Aufmerksamkeit wollen wir dabei sprachlich-rhetorischen Strategien schenken, wie sie in politischen, religiösen und literarischen Texten zur Herstellung von Evidenz für (Schein-)Wahrheiten ebenso wie zu deren Infragestellung zum Einsatz kommen.

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Rubrik
Tagungen und Kongresse
Zeitraum
01.-02.07.2021, 00 Uhr - 18 Uhr
Reihe
Ort
Digitale Veranstaltung in Zoom.
Eintritt
Anmeldung
Anmeldung bis 30.06.2021 unter pia.doering@uni-muenster.de
Veranstalter/
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