Projektleitung
- Apl. Prof. Dr. Dirk Paul Mielke
- Doç. Dr. Belgin Aksoy (Universität Bursa/Türkei)
Ausgangspunkt des Feldforschungsprojekts ist die beeindruckende archäologische Fundstätte von Havuz-Aslantaş, die sich im Becken von Kangal (Provinz Sivas, Türkei), unweit des kleinen Dorfes Havuzköy, befindet. In der wissenschaftlichen Welt ist der Ort durch die Entdeckung einer großen späthethitischen Löwenfigur aus Basalt bekannt, die Hans Henning von der Osten dort 1926 während seines Zentralanatolien-Surveys vorfand und die sich heute im Archäologischen Museum von Ankara befindet. Erst durch einen kurzen Bericht im Rahmen einer Reisebeschreibung aus dem Jahr 1967 wurden erste Informationen über die Ruinen bekannt. Danach ist der Ort zwar immer wieder im Rahmen verschiedener Surveys aufgesucht worden, doch wurden keine neuen Erkenntnisse vorgelegt. Im Jahr 2021 wurde schließlich von den beiden Projektleitern ein Feldforschungsprojekt initiiert, um die Siedlung – bei der es sich ohne Zweifel um einen bedeutenden Zentralort handelte – und ihre Kultur- und Naturlandschaft zunächst durch Oberflächenuntersuchungen umfassend zu erforschen.
Die Geographie des Kangalbeckens wird dabei von dem weithin sichtbaren, 67 km² großen Basaltplateau des Karaseki geprägt. Die Siedlung von Havuz-Aslantaş liegt spektakulär am Rand einer nordwestlichen Einbuchtung des Plateaus, die wahrscheinlich durch reiche Wasserquellen entstanden ist. Schon seit der ersten Kampagne hat sich gezeigt, dass Havuz-Aslantaş nicht die einzige bedeutende archäologische Siedlung auf dem Karaseki ist. Vor allem Humarlı Kalesi und Kırkpınar ragen unter den vielen archäologischen Resten, die sich auf dem Plateau finden, heraus. Doch nicht nur auf der markanten Landschaftsmarke des Karaseki, sondern auch im gesamten Becken von Kangal konnten zahlreiche archäologische Fundstätten erfasst werden, einschließlich einer mysteriösen Mauer auf der Bergkette der Kulmaç-Dağları. Die ganze Region ist durch eine Vielzahl oberirdisch erkennbarer archäologischer Strukturen geprägt, die sich hier dank der bis heute andauernden dünnen Besiedlung erhalten haben. Wissenschaftlich muss die Region als terra incognita betrachtet werden.
Ein wesentliches Ziel des Projekts ist daher eine möglichst umfassende Erforschung dieser vergangenen historischen Landschaft. Von Bedeutung ist dabei, dass ein Großteil der bisher erfassten Fundstellen, wie die Siedlung von Havuz-Aslantaş, in die Eisenzeit (ca. 1180‒330 v. Chr.) datiert, die in Anatolien vor allem von den großen Kulturbereichen Phrygiens in Zentralanatolien, Urartus im Osten und den sogenannten neohethitischen Fürstentümern bzw. syro-anatolischen Stadtstaaten im Südosten geprägt ist. Zwischen diesen Regionen liegt das kaum erforschte Gebiet der heutigen Provinz Sivas, die durch den Flussverlauf des Oberen Kızılırmak geteilt wird. Im nördlichen Teil dieses Gebiets werden die eisenzeitlichen Kaškäer vermutet, während die südlich des Flusslaufes liegenden Bereiche, zu denen auch das Becken von Kangal gehört, mit dem neo-hethitischen Königreich bzw. der Landschaft von Tabal in Verbindung gebracht werden.
Die Methoden, die wir zur Erforschung einsetzen, sind eine ausführliche Dokumentation und Analyse aller bisherigen Forschungen im Arbeitsgebiet, eine Sichtung und Auswertung verfügbarer Luftbilder und Fernerkundungsdaten sowie eine intensive Feldarbeit vor Ort, bei der alle oberirdisch sichtbaren archäologischen Strukturen sowie Funde möglichst umfassend mit modernen Vermessungsgeräten, digitaler Fotografie und einer Foto- und Videodrohne dokumentiert werden. Alle Informationen werden in einem projektspezifischen GIS-System und einer Datenbank gesammelt, auf deren Grundlage dann die finalen Auswertungen erfolgen. Damit hoffen wir, einen Beitrag zur Wiederentdeckung und Bewahrung einer komplexen Natur- und Kulturlandschaft von offensichtlich herausragender historischer Bedeutung zu leisten, die durch eine allmähliche Industrialisierung zunehmend bedroht ist.
Die Kampagnen vor Ort finden jeweils im September eines Jahres statt. Im September 2022 startete das Projekt mit einer ersten kurzen, größtenteils eigenfinanzierten Kampagne. Erst im Folgejahre 2023 konnten durch eine Anschubfinanzierung der Deutschen Orient-Gesellschaft die Feldforschungen intensiviert werden, die eine Vielzahl neuer Erkenntnisse hervorgebracht haben. In den Jahren 2024 und 2025 hat unter anderem die Gerda Henkel Stiftung dankenswerterweise unsere Forschungen unterstützt, wobei die bisherigen Ergebnisse unsere Erwartungen bei weitem übertroffen haben. Auch die Universität Bursa unterstützt das Projekt von Beginn an. Dank der außergewöhnlichen Befundlage und Forschungsmöglichkeiten in dem Arbeitsgebiet hat die Fritz Thyssen Stiftung 2025 das Unterprojekt «Götterblick auf Tabal − Wiederentdeckung einer eisenzeitlichen Kulturlandschaft im Becken von Kangal (Türkei) mittels Fernerkundung» für zwei Jahre mit Sachmitteln und einer Mitarbeiterinnenstelle bewilligt. Das Projekt wird in Kooperation mit dem Labor für Photogrammetrie der Berliner Hochschule für Technik unter Leitung von Prof. Dipl.-Ing. Michael Breuer durchgeführt. Allen UnterstützerInnen und Förderinstitutionen gilt unser großen Dank!