Neue Forschungen zum ältesten Neolithikum im Münsterland

Der jungsteinzeitliche Siedlungsplatz Nottuln-Uphoven zwischen Mittel-,Jung- und Spätneolithikum


(Gemeinschaftsprojekt: Abteilung für Ur- und frühgeschichtliche Archäologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster [Prof. Dr. Albrecht Jockenhövel] und LWL - Archäologie für Westfalen, Außenstelle Münster [Dr. Christoph Grünewald], gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn; Projektdurchführung: Christian Groer M.A.)



Der Übergang von aneignenden Wirtschaftssystemen spätmesolithischer Jäger- und Sammlergesellschaften zu produzierenden Wirtschaftsweisen stellt kulturhistorisch den wohl wichtigsten und folgenreichsten Umbruch in der Menschheitsgeschichte dar. Für das Gebiet der nordwestdeutschen Tiefebene ist dieser Prozess jedoch bestenfalls schemenhaft zu überblicken. Während Ackerbauern und Viehzüchter im zentralen Mitteleuropa mit seinen fruchtbaren Lößgebieten bereits seit dem 6. Jahrtausend v. Chr. (Zeit der Linearbandkeramischen Kultur) ansässig waren, setzt sich nördlich der neolithischen Altsiedelgebiete mittlerweile immer stärker das Bild von einem Gürtel spätmesolithischer bis protoneolithischer Gemeinschaften zusammen, die bis in das 4. Jahrtausend v. Chr. die nordeuropäischen Tiefebenen von Frankreich über die Niederlande bis nach Nordpolen und das Baltikum prägten (Abb.1).

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Abb. 1: Wichtige Fundplätze im Neolithisierungsprozess Nordwestdeutschlands
und
umliegender Gebiete.


Nach derzeitigem  Forschungsstand bestand eine „Neolithic Frontier" über längere Zeit. In diesem räumlichen und zeitlichen Kontext spielen vollneolithische Kulturgruppen wie Rössen, Bischheim oder Michelsberg eine wichtige Rolle. Insbesondere Westfalen nahm aufgrund seiner geographischen Lage wahrscheinlich eine zentrale Bedeutung bei der Neolithisierung des Norddeutschen Tieflands ein, bildete die Region doch langfristig eine Art Schnittstelle zwischen einer mesolithischen und einer neolithischen Lebenskonzeption. Die seit 1983 bekannte, befestigte Siedlung, das sog. Erdwerk von Nottuln-Uphoven muss hierbei ein wichtiger Knotenpunkt gewesen sein.
In den Baumbergen, an einem Südhang über dem Fluss Stever gelegen, nutzten die Siedler eine Insel fruchtbaren Lößbodens in einer sonst eher durch Sandböden geprägten Region. Von hier aus waren es weniger als 30 km zu den altneolithischen Siedlungen der Hellwegzone im Süden, und ca. 80 km zur bekannten Fundstelle von Hüde I am Dümmer im Norden.
In den Jahren 1983 und 1984 legte J. Eckert vom Amt für Bodendenkmalpflege Münster einen archäologischen Schnitt an, welcher sich über die gesamte Länge des Hanges zog (Abb. 2, A). In diesem kamen Befunde von Pfosten, Gruben, mehrerer Palisadengräbchen und eines über 7 m breiten und 1,70 m tiefen Sohlgrabens zu Tage. Eine Grube ergab Keramik der Bischheimer Gruppe (45./44. Jh. v. Chr.). Der Graben der Befestigungsanlage enthielt Scherben der Michelsberger Kultur (MK III; um 4000 v. Chr.) an der Sohle, und im oberen Bereich Funde der Trichterbecher West-Gruppe aus dem Mittleren bis Späten Havelte (Phasen Brindley 6/7; um 2800 v. Chr.). Weiterhin wurden diverse Feuersteinwerkzeuge gefunden, von denen eine beträchtliche Anzahl aus westlichem Importflint gemacht war.

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Abb. 2: Grabungsflächen der archäologischen Untersuchungen 1983/84 (A)
und 2007/2008 (B)


Ausgehend von diesen viel versprechenden Ergebnissen nahm die Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ab dem Jahr 2000 die Untersuchungen an dem Fundplatz wieder auf. Nach systematischen Prospektionen (siehe Beitrag Köhn) und einer geomagnetischen Komplettkartierung des Ackers in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geophysik der WWU-Münster konnte 2007 nach über 20 Jahren mit dem Projekt „Neolithisierungsprozesse in Nordwestdeutschland – Tradition, Innovation und Adaption zwischen 6000 und 3500 v. Chr.“  in Zusammenarbeit mit dem LWL-Archäologie für Westfalen an die alten Forschungen angeknüpft werden. Gefördert wurden die Ausgrabungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Jahre 2007 und 2008.
Die erste Kampagne, die im Sommer 2007 stattfand, erwies sich als außerordentlich erfolgreich. Dabei wurde zunächst westlich des alten Schnitts im Verlauf  des Sohlgrabens des Erdwerks eine Torsituation von 6 – 7 m Breite festgestellt und komplett ausgegraben (Abb. 2, B). Die flankierenden Grabenköpfe enthielten erwartungsgemäß Fundmaterial der jungneolithischen Michelsberger Kultur. Ein Teil der Scherben konnte zu mehreren Vorratsgefäßen mit Schlickauftrag und Fingertupfenzier am Rand, sowie Bechern zusammengefügt werden (Abb. 3, oben). Geräte aus Feuerstein wie Kratzer, Beile und Pfeilspitzen liegen ebenfalls vor (Abb. 4: 2, 7 – 10), darunter auch Exemplare aus importiertem Maas- und Rijckholtflint. Ein Fundhorizont der Trichterbecherkultur war in diesem Bereich des Grabens – im Gegensatz zur Befundsituation Mitte der 80er Jahre im Osten der Ackerfläche – nicht mehr festzustellen. Eine die archäologischen Forschungen begleitende bodenkundliche Untersuchung der Hanglage ergab, dass der Boden im Westen des Flurstücks weitaus stärker von Erosion betroffen war, als im Osten, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Erhaltung der neolithischen Siedlungsspuren.
Als großer Erfolg sind die Befunde von Siedlungsgruben unmittelbar nördlich und südlich des Grabens zu bewerten. Sie enthielten reichlich Keramik der mittelneolithischen Rössener Kultur (Abb. 3, unten), die vom Fundplatz bisher lediglich durch den Lesefund einer einzelnen Scherbe bekannt war, und kulturspezifisches Feuersteingerät (Abb. 4: 3 – 6). Die Gruben stellen die frühesten derzeit bekannten neolithischen Siedlungsspuren des Münsterlandes dar.

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Abb. 3: Auswahl neolithischer Keramik aus der Grabungskampagne 2007.
Oben: Scherben von Vorratsgefäßen und Becher der Michelsberger Kultur;
unten: Verzierte Schüsseln der Rössener Kultur.

Die Grabungskampagne 2008 bestätigte im Wesentlichen die Ergebnisse von 2007. Es konnten wieder Rössener Befunde freigelegt werden, darunter eine Pfostengrube, welche durch die spätere jungneolithische Grabenanlage des Erdwerks der Michelsberger Kultur geschnitten war. Auch der Graben wurde in diesem Jahr wieder an mehreren Stellen untersucht. In der Nähe der Schnittstelle mit der Rössener Pfostengrube wurde in seinem Verlauf ein enger Durchlass festgestellt, wo im westlichen Grabenkopf ein Findling zutage kam. Dieser war durch die jungsteinzeitlichen Erdarbeiten zum Teil freigelegt, allerdings nicht bewegt worden. Im unmittelbaren Umkreis des Steins lag neolithische Keramik in einer für den Grabenbefund ungewöhnlich hohen Konzentration. Ebenso kam dort eine etwa 17 cm lange Klinge aus Rijckholtflint zum Vorschein (Abb. 4: 1). An einer anderen Stelle wurde der Graben direkt im Anschluss an die alte Grabung J. Eckerts (1983/1984) geschnitten. Dort konnte - neben Funden der Michelsberger Kultur an der Sohle -  die im oberen Teil der Verfüllung aufliegende, fundreiche Kulturschicht der spätneolithischen Trichterbecher-Gruppe erfasst werden, welche bisher nur aus der Altgrabung bekannt war, und die in den westlicheren Abschnitten des Erdwerkgrabens fehlt.

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Abb. 4: Feuersteingerät. 1: große Klinge aus Rijckholt-Silex (Michelsberger Kultur) , 2: spitznackiges Ovalbeil der Michelsberger Kultur, 3 – 5: Pfeilspitzen der Rössener Kultur, 6: Sicheleinsatz der Rössener Kultur, 7 – 8: Pfeilspitzen der Michelsberger Kultur, 9: Spitzklinge der Michelsberger Kultur, 10: Kratzer der Michelsberger Kultur aus Rijckholt-Silex, 11: Pfeilschneider der Trichterbecher Kultur, 12 – 13: retuschiertes  Gerät der Trichterbecher Kultur, 14: wiederverwertete Spitzklinge der Michelsberger Kultur aus Rijckholt-Silex im Befundzusammenhang der Trichterbecher Kultur


Mit Abschluss der Sommerkampagne 2008 sind die Feldforschungen im Rahmen des DFG-Projektes beendet. Es zeigt sich nun, dass bereits mit der Rössener Kultur erstmals die neolithische Lebensweise mit Ackerbau, Viehzucht, Häuserbau und Keramikherstellung ins Münsterland einzog. Die Motiv- und Verzierungswahl an der Rössener Keramik von Nottuln-Uphoven weist starke Parallelen zu den Inventaren gleichzeitiger Fundorte am Hellweg und am Niederrhein auf. Die große stilistische Ähnlichkeit verwundert nicht, lag doch über die Wasserstraße Stever – Lippe – Rhein eine direkte Verbindung zu diesen neolithischen Siedlungskammern vor. Aussagekräftig sind dabei auch die Mahlsteinbruchstücke aus den Rössener Befunden. Sie bestehen im Gegensatz zu den Stücken der späteren Michelsberger Kultur nicht aus lokalem Geschiebegranit, sondern aus Ruhrkarbonsandstein und müssen somit aus dem Ruhr-Lippe-Gebiet nach Nottuln-Uphoven transportiert worden sein. Auch die Ergebnisse der im Kölner Labor für Archäobotanik durchgeführten Analysen entsprechen den Getreidespektren der Rössener Siedlungskammern an Hellweg und Rhein, und ebenso sind die Radiokarbondatierungen vergleichbar. Die älteste neolithische Siedlungsphase von Nottuln-Uphoven kann also sowohl zeitlich als auch räumlich diesem mittelneolithischen Siedlungsgefüge angegliedert werden. Im Gegensatz zu gleichzeitigen protoneolithischen Gruppen wie Ertebølle/Ellerbek oder Hüde/Swifterbant erscheinen die Rössener Fundkomplexe von Nottuln-Uphoven dabei geradezu als rein neolithisch und dem südlichen Vollneolithikum eng verbunden.

Mittlerweile liegen die Ergebnisse in Form einer Dissertation vor:

Ch. Groer, Neolithisierungsprozesse in Nordwestdeutschland. Tradition, Innovation und Adaption zwischen 6000 und 3500 v. Chr. Online-Publikation (Münster 2013). Permalink



Literatur:
J. Eckert, Ein mittel- und jungneolithischer Siedlungsplatz bei Nottuln, Kreis Coesfeld. Bericht über die Ausgrabungen 1983-1984. Ausgr. u. Funde Westfalen-Lippe 4. 1986, 39-63.

Ch. Groer, Neolithisierungsprozesse in Nordwestdeutschland. Tradition, Innovation und Adaption zwischen 6000 und 3500 v. Chr. Online-Publikation (Münster 2013). Permalink

Knoche, B., Die Erdwerke von Soest (Kr. Soest) und Nottuln-Uphoven (Kr. Coesfeld). Münstersche Beiträge zur Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie 3 (Rahden/Westf. 2008).
[Inhaltsangabe Verlag Marie Leidorf GmbH]