

Bereits seit 1970 werden in Einzelvorträgen münsteraner und auswärtiger Gelehrter und Nachwuchswissenschaftler Probleme vergleichender Städtegeschichte diskutiert. Bislang fand das Kolloquium alle zwei Wochen statt.
Seit dem Wintersemester 2021/2022 wird dieses Kolloquium in einem neuen Format angeboten. In drei Workshops, die jeweils freitags von 14 bis 18:30 Uhr stattfinden, sollen einzelne Themenfelder fokussiert und intensiv besprochen werden. Wir hoffen, mit diesem Format die Diskussion und Vernetzung untereinander anzuregen, um persönliche Kontakte knüpfen und gemeinsam neue Ideen entwickeln zu können. Speziell möchten wir das Format „Junge Städteforschung“ etablieren, dessen Ziel es ist, neue Forschungsgenerationen für die Städtegeschichte zu begeistern und zu fördern.
Die früheren Veranstaltungen finden Sie als PDF-Versionen zum Download in unserem Archiv.
Aufzeichnungen der Kolloquiumsvorträge ab dem Sommersemester 2021 finden Sie auf dem YouTube-Kanal des IStG.
Freitags-Kolloquium im Sommersemester 2023
Freitag, 14. April 2023 „Junge Städteforschung“
Felix Lennart Rösch (Lübeck), Die Archäologie des mittelalterlichen Marktplatzes. Zur Genese eines urbanen Erfolgsmodells
Der zentrale Marktplatz zählt zu den ikonischen Bestandteilen der mittelalterlichen Stadt. Neben Kirchturmsilhouette und Stadtbefestigung ist er ein prägendes Element, dass sich bis heute in der Topographie vieler europäischer Städte wiederfindet. Trotz vieler Einzeluntersuchungen fehlt es bislang an übergreifenden Studien zum Thema, sodass die Beschaffenheit und Organisation insbesondere von frühen Marktplätzen sowie Handels- und Kommunikationspraktiken noch vielfach im Dunkeln liegen. Im Vortrag wird die Frage nach der Entwicklung verschiedener Marktplatztypen behandelt, spezifische Infrastrukturen vorgestellt und (archäologischen) Methoden und Kriterien, mit denen ein Marktplatz identifiziert werden kann, wenn weder Schriftquellen noch frühe Stadtgrundrisse vorliegen, zur Diskussion gestellt.
Claudia Lemmes (Tübingen), Auf Spurensuche in Schrift und Sediment. Die Akteure des Textilgewerbes und ihre Handlungsspielräume in Waldsee im 17. Jahrhundert
In diesem Vortrag wird eine wirtschaftshistorische Dissertation vorgestellt, bei der die Handlungsspielräume der Akteure der Textilproduktion und des Handels der oberschwäbischen Landstadt Waldsee im 17. Jahrhunderts in den Blick genommen werden. Die Arbeit entsteht im Rahmen des interdisziplinären DFG-Projekt Bad Waldsee, bei dem mittelalterliche bis frühneuzeitliche Mensch-Umwelt-Beziehungen anhand von Schrift- und Umweltarchiven in Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaften untersucht werden.
Linus Rügge (Basel), Die Stadt Luzern und 'das Grüne': Eine Geschichte urbaner Natur im 20. Jahrhundert
Während wir Landschaften als Orte der Natur wahrnehmen, sehen wir in Städten umgekehrt Orte der Kultur. Diese Wahrnehmung hat eine Geschichte. Mit der Stadt Luzern untersuche ich eine spezifische Konstellation in dieser Geschichte: Luzern stützte sein Wachstum ab den 1830er Jahren hauptsächlich auf den Tourismus. Hauptattraktion der Stadt war ihre Einbettung in die sie umgebende Landschaft: See, Hügel, Berge. Tourist:innen suchten gerade kein urbanes Erlebnis, sondern die Nähe zur Natur. Wie beeinflusste dies Entwicklung, Planung und Bau der Stadt, die trotz allem eine Stadt war und sich auch als solche verstand? Wie versuchte man Natur und Stadt unter einen Hut zu bringen und wie waren diese Naturen der Stadt verfasst?
Freitag, 28. April „Krieg – Alter – Hunger. Der Umgang mit existenziellen Gefährdungen als Thema der transkulturell vergleichenden Stadtforschung"
Im Mittelpunkt des Workshops am 28. April 2023, der in Zusammenarbeit mit dem seit 2021 existierenden Forschungsnetzwerk MURN (Münster Urban Reseach Network) veranstaltet wird, stehen Gefährdungen als Thema einer transkulturell vergleichenden Stadtforschung. Anhand von drei Problemfeldern - Krieg, Alter und Hunger - wird der Frage nachgegangen, wie städtische Gesellschaften in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten mit solchen existientiellen Gefährdungen umgingen. Dabei soll diskutiert werden, welches Potential die Auseinandersetzung mit diesem Thema für eine interdisziplinäre und transkulturell vergleichende Stadtforschung und Stadtgeschichte besitzt. Die drei Beiträge sind als Co-Referate geplant, bei denen europäische und außereuropäische sowie unterschiedliche disziplinäre Perspektiven jeweils miteinander ins Gespräch gebracht werden.
Philip Hoffmann-Rehnitz / Barbara Winckler: Die Präsenz des Kriegs in der Nachkriegszeit. Städte im Alten Reich nach 1648 und Beirut nach 1990
Der Beitrag geht in kulturvergleichender und transepochaler Weise der Frage nach, inwieweit in Städten (im Alten Reich nach 1648 sowie in Beirut nach 1990) der Krieg und damit verbundene Gefährungen nach dem Ende des Kriegs präsent blieben, in welcher Weise diese, insbesondere in visueller Form, repräsentiert wurden und inwieweit sich darin der besondere, ambivalente Charakter von Nachkriegszeiten als einer Übergangsphase zwischen Krieg und Frieden widerspieglt. Die Funktion und Bedeutung, die hierbei der Stadt bzw. dem Städtischen zukommt, werden dabei in einer doppelten Hinsicht diskutiert: als Referenzobjekt der (Selbst-)Darstellung bzw. als kultureller Repräsentations- und Imaginationsraum wie auch als konkreter lebensweltlicher Erfahrungsraum.
Colin Arnaud / Syrinx von Hees: Das Alter bewältigen (13.-16. Jahrhundert): Orte für eine gefährdete Bevölkerung in Ägypten und Syrien und in Westeuropa
In deutschen, italienischen, syrischen und ägyptischen Städten etablierten sich in der gleichen Zeit zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert eine Reihe unterschiedlicher Institutionen, die direkt oder indirekt der Altersfür- oder -vorsorge dienten. Es scheint, dass Gefährdung durch Altersarmut und -pflegebedürftigkeit in der Stadtbevölkerung besonders brisant war. Wir wollen die unterschiedlichen Einrichtungen und Vertragsmöglichkeiten genauer vorstellen und miteinander vergleichen, um dann auch Unterschiede zu diskutieren: Warum etwa entwickeln sich Leibrenten und Pfründen zur Altersvorsorge in Europa, während in den Städten der Levante Privatstiftungen von großer Bedeutung sind? Welche Rolle spielen dabei Demographie und Migration, Lohnarbeit und Selbständigkeit, religiöse Vorstellungen und Frömmigkeitspraktiken?
Monique Nagel-Angermann / Ulrich Pfister: Stadt und Hunger in der Vormoderne: China und Deutschland im Vergleich
Der Beitrag nimmt mit Hunger/Hungersnöten und Versorgungskrisen eine der wichtigstenexistentiellen Gefährdungen (nicht nur) von vormodernen Städten und den Umgang mit diesen in den Blick. Im ersten Teil zu den chinesischen Städten wird ausgehend von einer kurzen Einführung zum städtischen Krisenmanagement seit dem 10. Jahrhundert das System der staatlichen und privaten Getreidespeicher vorgestellt. Verbunden mit einer kritischen Reflexion der diesbezüglichen Quellen wird die Funktionsweise des Speichersystems für die Versorgung in den Städten während ausgewählter Hungersnöte vom 16. bis 19. Jahrhundert hinterfragt und ein Einblick in den Forschungsdiskurs gegeben. Für die deutschen Städte wird anschließend zunächst gezeigt, wie sich Versorgungskrisen identifizieren lassen, und es werden die Hauptmerkmale von Versorgungskrisen vom 16. zum 19. Jahrhundert dargestellt. Weiter wird eine Übersicht über die gängigen Instrumente der obrigkeitlichen Vorsorge und des Krisenmanagements geboten, wobei die im Unterschied zu China ausgeprägte räumliche und vertikale Zersplitterung des Umgangs mit Versorgungskrisen herausgearbeitet wird. Deren Relevanz wird anhand eines Vergleichs zwischen Bonn und Köln hinsichtlich der Versorgungkrise von 1770/72 und ihrer demographischen Folgen belegt.
Freitag, 7. Juli „Münster nach 1648 - Konflikte und Alltag in einer städtischen Gesellschaft im Übergang"
Ulrike Ludwig / Philip Hoffmann-Rehnitz: Begrüßung und Einführung
In der historischen Friedensforschung insbesondere zum Westfälischen Frieden wird bislang der Fokus auf die Frage gerichtet, wie es zu Friedensschlüssen kam und was diese ermöglichte. Dagegen sind diejenigen Vorgänge, die auf einen Friedensschluss folgten, weit weniger in den Blick geraten. Die vier Vorträge, die aus einem von Ulrike Ludwig und Philip Hoffmann-Rehnitz geleiteten studentischen Forschungsprojekt hervorgehen, untersuchen aus einer stadtgeschichtlichen Perspektive die Zeit nach dem Abschluss des Westfälischen Friedens für den Münsteraner Fall und damit für eine Stadt, der durch ihre Funktion als Kongressort bis 1648/49 eine Sonderrolle innerhalb der Städtelandschaft des Reichs zukam. Das Augenmerk wird dabei auf das städtische Binnenleben und damit auf Bereiche der Münsteraner Stadtgeschichte gerichtet, die für die Zeit nach 1648 (aber auch für die Kongresszeit) bislang noch kaum untersucht sind. Ausgangspunkt des Projekts, das in enger Kooperation mit dem Stadtarchiv Münster durchgeführt wird, ist eine Auswertung der Ratsprotokolle als eines seriellen Seismographen städtischer Konfliktlagen. Hieraus sind einzelne thematische Schwerpunkte erwachsen. Diese umfassen die städtische Finanzpolitik (mit einem Fokus auf das Gruetamt), die städtische Policey und Aufwandsgesetzgebung (v. a. zu Hochzeiten) sowie rechtliche Auseinandersetzungen wegen straffällig gewordener Soldaten. Eng verbunden ist das Projekt mit der für September 2023 geplanten und vom IStG mitorganisierten Tagung „Den Frieden gewonnen? Städte nach 1648 im Vergleich“.
Link zur Webseite der Tagung
Simon Müller: Die Münsteraner Stadtratsprotokolle als Fenster in die Nachkriegszeit
Die am 24. Oktober 1648 in den Städten Münster sowie Osnabrück unterzeichneten Westfälischen Friedensverträge versprachen dem Alten Reich und auch ganz Mitteleuropa einen ‚universalen und immerwährenden‘ Friedenszustand. Der Vortrag zeigt anhand der vormaligen Kongressstadt Münster und der dafür untersuchten Stadtratsprotokolle, dass der vermeintlich eingekehrte Friede vom Ratsgremium in der folgenden Zeit bis 1655 als durchaus unsicher wahrgenommen wurde. Der Beitrag eröffnet dabei einen fensterartigen Blick auf verschiedene (militärische) Konfliktherde, welche außerhalb und innerhalb des Stifts Münster nach 1648 auftraten und welche mit teils massiver Besorgnis vom Stadtrat diskutiert wurden. Zusätzlich erklärt der Beitrag die Herangehensweise des studentischen Forschungsprojekts.
Markus Breyer: Durch das Kongressende zum Einkommenstief? Die Münsteraner Gruetamtsrechnungen als Spiegel der städtischen Finanzentwicklung
Das Münsteraner Gruetamt, das ursprünglich das städtische Monopol für den Verkauf von Braumischungen ausübte, entwickelte sich über Jahrhunderte aufgrund der finanziellen Bedeutung dieses Monopols zur wichtigsten Finanzinstitution der Stadt. Anhand des Gruetamts und dessen wichtigster Einnahme, dem Koyt- und Bieraccins, wird diskutiert, wie sich die städtischen Finanzen in der Nachkriegszeit gestalteten, welche Auswirkungen der Friedenskongress auf diese hatte und wie die städtische Politik auf die finanziellen Herausforderungen reagierte.
Kommentar: Christof Jeggle (Wien)
Luca Bröckelmann: „wegen schlechter Zeitung aus Nürnberg“. Münsteraner Hochzeitsverordnungen und städtische Policey zwischen Krieg und Frieden
Bei frühneuzeitlichen Feierregulierungen handelt es sich um eine Form des ordnungspolitischen obrigkeitlichen Handelns, die sich insbesondere durch ihre Flexibilität und Problemorientierung auszeichnete. Folglich können derartige Gesetzgebungen wie auch deren Veränderung Rückschlüsse auf das Problembewusstsein der entsprechenden Obrigkeit ermöglichen. Für Münster sind diese u. a. in Form von Hochzeitsverordnungen und speziell von Hochzeitsfeierverboten überliefert – ein solches überdauerte auch den Westfälischen Friedensschluss. Der Vortrag befragt dieses und andere während des Krieges erlassenen Verbote sowie die Versuche, sie wieder aufzuheben, auf die jeweils damit verbundene Kriegs- bzw. Friedenswahrnehmung insbesondere der städtischen Obrigkeit und auf ihre Funktion als eine Form der Problemkommunikation.
Ralf Bureck: Marodierende Soldaten oder straffällige Bürger? Der Münstersche Rat im Ringen um die lokale Nachkriegsordnung
Für die Übergangszeit vom Dreißigjährigen Krieg zur nachfolgenden Phase des Friedens wird in der Forschung immer wieder die Frage diskutiert, wie es den aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten gelang, sich in die zivile Welt zu reintegrieren und vor welche Herausforderungen dies die zivilen Obrigkeiten stellte. Diese Problematik aufgreifend, analysiert der Vortrag anhand zweier Strafsachen des Münsterschen Ratsgerichts aus den 1650er Jahren, wie die Stadt mittels Rechtsprechung und Strafritualen auf straffällig gewordene (ehemalige) Militärangehörige reagierte und wie der Stadtrat seine Ordnungsgewalt im Zuge dessen (wieder) dar- und herzustellen suchte.
Kommentar: Jutta Nowosadtko (Hamburg)