Sabine Reichert
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Bischofsstadt / Kathedralstadt

Als Bischofs- bzw. Kathedralstädte werden jene Städte bezeichnet, die sich um einen Bischofssitz herum entwickelt haben. Die sog. „Kathedra“, der bischöfliche Stuhl, war dabei namengebend für die Kathedrale als Bischofskirche. Diese wird oftmals auch als Dom bezeichnet – ein Begriff, der sich von lat. „domus“ („Haus“) ableitet. Kathedrale und Dom werden oftmals synonym verwendet, wobei der Titel Dom fälschlicherweise auch besonders herausragende Kirchen bezeichnet, die aber niemals als Bischofssitz fungierten (z.B. „Ludgerus-Dom“ in Billerbeck, „Sauerländer Dom“ in Attendorn).

Erste Bischofssitze waren im deutschsprachigen Gebiet bereits im 3. und 4. Jh. errichtet worden; die ersten sind in den großen römischen Städten wie Trier, Mainz und Köln belegt. Diese spätantiken „civitates“ hatten im Kontext früher Stadtentwicklung einen deutlichen Vorteil: sie überstanden die Wirren der Völkerwanderungszeit mit einer gewissen Bevölkerungskontinuität, und die vorhandenen Infrastrukturen begünstigten die städtische Entwicklung. Die antiken Großbauten dienten sowohl als Steinbruch als auch als Bauuntergrund, wie die hochmittelalterliche Überformung der Trierer Porta Nigra durch eine Stiftskirche eindrucksvoll belegt. Allerdings erreichten in vielen Fällen die früh- und hochmittelalterlichen Bischofsstädte weder die räumliche Ausdehnung noch die römerzeitliche Bevölkerungsdichte. So lassen sich etwa in Mainz bis ins Spätmittelalter landwirtschaftlich genutzte Flächen innerhalb des weitergenutzten römerzeitlichen Mauerrings belegen.

Die Kathedrale als Bischofskirche bildete den kirchenrechtlichen Mittelpunkt des Bistums und wurde entsprechend ihrem Rang möglichst aufwendig gestaltet. Die in ihr zelebrierenden Kleriker waren in einer religiösen Gemeinschaft, dem Domkapitel, organisiert. Bei seinen Mitgliedern handelte es sich nicht um Mönche, sondern um Kanoniker (Stiftsherren), die ihr Auskommen aus ansehnlichen Pfründen bestritten. Lebten sie im Frühmittelalter noch gemeinschaftlich („vita communis“), umgaben ihre individuellen Stiftskurien ab dem Hochmittelalter ringförmig den Bereich des Domes und prägten damit seine Erscheinung im Stadtbild. Die topographische Karte der Stadt Münster verdeutlicht die Entwicklung der Kathedralstadt, wie wir sie auch in vielen anderen Städten finden. Im Zentrum, bis heute noch im Stadtbild zu erkennen, lag die abgeschlossene und häufig bewehrte Domburg. Die Bischofskirche wurde flankiert vom Domfriedhof, eventuell einer Pfarrkirche oder kleineren Kapellen sowie den Stiftskurien bzw. weiteren Residenzgebäuden. Um den Dombereich herum lagen Märkte und Handwerkersiedlungen, aus denen sich die eigentliche Stadt entwickelte. Zunächst feierten die Angehörigen des Bischofshofes, die Domkleriker und die Bewohner der sie umgebenden Siedlung die Messen gemeinsam im Dom – die Kleriker im Chor und die Laien an einem Pfarraltar, wenn es nicht bereits eine eigene Pfarrkirche gab. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte der Siedlungen wurden weitere Pfarreien mit eigenen Friedhöfen eingerichtet. Im Falle Münsters wurden von der Lambertikirche Ende des 12. Jhs. insgesamt vier Pfarreien abgepfarrt und neue Pfarrkirchen errichtet: St. Liudgeri, St. Aegidii, St. Servatii und St. Martini. Solche großen Bauprojekte – der Münsteraner Dom wurde ebenfalls in dieser Zeit erneuert und vergrößert – sind charakteristisch für die hochmittelalterlichen Bischofsstädte. Die fortschreitende Territorialisierung und die bischöfliche Machtkonsolidierung im Reich führten zu einer Zentrierung auf die jeweiligen Bischofssitze und zu deren systematischem Ausbau. Die Anlage der neuen Kirchengebäude folgte oftmals einer besonderen Symbolik, die sich auch im erwähnten Münsteraner Beispiel wiederfinden lässt. Verbindet man gedanklich St. Martini im Norden und St. Ludgeri im Süden der Stadt bzw. das Stift Überwasser mit St. Servatii, zeigt sich die Gestaltung der Sakraltopographie in Form eines Kreuzes, in dessen Mittelpunkt die Kathedrale steht. Die zahlreichen Kirchen und Kapellen wurden auch in den Städten mit einer Fülle von Reliquien ausgestattet und unter besonderen Schutz der Heiligen gestellt. An den hohen Festtagen trug man die prächtigen Reliquienschätze des Domes gemeinsam mit denen der anderen geistlichen Institutionen in feierlichen Prozessionen durch die Straßen der Stadt.

Nachdem es den Bischöfen im 10. und 11. Jh. gelungen war, auch die weltlichen Grafenrechte in den civitates zu erlangen, wurden sie zu den eigentlichen Gerichts- und Stadtherren. Im 12. Jh. erwarben sie häufig auch die Hoch- und Blutgerichtsbarkeit (Würzburg 1167, Münster 1168). Die kirchlichen Immunitäten waren innerhalb der Städte steuerlich und rechtlich privilegierte Enklaven. In der Regel bildeten Bürgerstadt und sog. Domfreiheit noch keine urbane Einheit und auch geistliche und städtische Gerichtsbarkeit existierten nebeneinander („privilegium fori“ der Kleriker).
Seit dem 12. Jh. formierte sich zunehmend eine Bürgergemeinde, und die Vertreter der städtischen Gemeinschaft übernahmen gemeinsam mit den alteingesessenen Familien der bischöflichen Dienstmannen (Ministerialen) die politische Führungsrolle. Die Laien erlangten zunehmend Einfluss auf die Verwaltung der Stadt und drängten damit die Ansprüche des Bischofs, der bis dahin weltlicher und geistlicher Herrschaftsträger gewesen war, vermehrt zurück. Als äußere Zeichen einer selbstbewussten Bürgergemeinde entstanden Rathäuser und weitere kommunale Gebäude wie beispielsweise Trinkstuben oder Kaufhäuser. Die Emanzipationsbestrebungen gegen den bischöflichen Stadtherrn im 12. und 13. Jh. führten in den meisten Städten zu offenen Konflikten, die allerdings unterschiedlich großes Ausmaß annehmen konnten. Viele Bischofsstädte konnten sich im Spätmittelalter schließlich von ihrem bischöflichen Stadtherrn lösen und verstanden sich fortan als Freie Städte (neben den rheinischen Bischofsstädten u.a. Regensburg, Basel, Metz, Toul, Cambrai, Verdun, Besançon). Andere Städte hingegen verloren letztlich das Ringen um ihre Unabhängigkeit und blieben bischöfliche Residenzstadt (Mainz 1462, Münster 1661).

Die Bezeichnungen Bischofsstadt und Kathedralstadt werden häufig synonym verwendet, wobei gerade in der älteren Literatur der Begriff der Bischofsstadt zu überwiegen scheint. Das mag für das Hochmittelalter, als die Bischöfe in diesen frühen urbanen Gemeinschaften präsent waren und „ihre“ Städte repräsentativ ausbauten, noch gelten. Im Spätmittelalter allerdings hatten die meisten Bischöfe ihre Residenz an andere Orte des jeweiligen Herrschaftsbereiches verlagert, die Domherren hatten ihr gemeinsames Leben aufgegeben und waren durchaus an verschiedenen Stiften gleichzeitig bepfründet, und auch die Stadtgemeinde hatte sich längst gegenüber ihrem bischöflichen Stadtherrn emanzipiert. Die Bezeichnung Bischofsstadt impliziert daher einen Besitzanspruch des Bischofs auf die Stadt, der nicht mehr gegeben sein musste. Daher beschreibt der Begriff Kathedralstadt neutraler das grundlegende Charakteristikum dieses Stadttyps: den Sitz der bischöflichen Kathedra und der damit zusammenhängenden Strukturen.

Sabine Reichert (1.9.2014)


URL zur Zitation

http://www.staedtegeschichte.de/einfuehrung/stadttypen/bischofsstadt_kathedralstadt.html

Literaturhinweise

 

 

  • Ennen, Edith: Bischof und mittelalterliche Stadt. Die Entwicklung in Oberitalien, Frankreich und Deutschland, in: Stadt und Bischof, hg. v. Bernhard Kirchgässner/Wolfram Baer (Stadt in der Geschichte 14), Sigmaringen 1988, S. 29–42.
  • Escher, Monika/Hirschmann, Frank G. (Hg.): Die urbanen Zentren des hohen und späteren Mittelalters. Vergleichende Untersuchungen zu Städten und Städtelandschaften im Westen des Reiches und in Ostfrankreich (Trierer Historische Forschungen 50,1–3) 3 Bde., Trier 2005.
  • Fischer, Ulrich: Stadtgestalt im Zeichen der Eroberung. Englische Kathedralstädte in frühnormannischer Zeit (1066-1135), Köln/Weimar/Wien 2009.
  • Hirschmann, Frank G.: Die Anfänge des Städtewesens in Mitteleuropa. Die Bischofssitze des Reiches bis ins 12. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 59, 1–3), 3 Bde., Stuttgart 2012.
  • Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Wien [u.a] 2012.
  • Grieme, Uwe/Kruppa, Nathalie/Pätzold, Stefan (Hg.): Bischof und Bürger. Herrschaftsbeziehungen in den Kathedralstädten des Hoch-und Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 206), Göttingen 2004.
  • Petri, Franz (Hg.): Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Köln/Wien 1976.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.