Fred Kaspar
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Kurstadt & Kurort

Bis heute werden Kurorte und -städte nicht als eigenständige urbane Entwicklungen mit spezifischen stadtbaugeschichtlichen Erscheinungen wahrgenommen. Über Jahrhunderte gehörten Kurorte – v.a. in den Sommermonaten – für weite Bevölkerungskreise zu den entscheidenden Reisezielen, die ihr Wirtschafts- und Kulturleben auf die besondere Nutzung ausrichteten und somit eigenständige (städte)bauliche Strukturen entfalteten, die am ehesten noch mit Wallfahrts- oder Messeorten vergleichbar sind.
Die „Kurstadt“ mit einer klar abgrenzbaren Definition gibt es nicht, obwohl sich der um besondere Heilquellen etablierte Kurbetrieb durchaus begünstigend auf die Entstehung urbaner Strukturen bzw. auf Stadtentwicklungsprozesse auswirken konnte.

Die Nutzung von Quellwasser zu Kur- und Heilzwecken ist seit frühgeschichtlichen Zeiten zu belegen, etwa durch keltische Quellfunde in Pyrmont oder römische Funde in Tönisstein und Bath. Sie blieb über die römische Zeit mit ihren großen Bäderkomplexen hinaus üblich (archäologisch z.B. für Badenweiler und Baden/Schweiz nachgewiesen). Mittelpunkt der Kur und des gesamten Kurortes waren daher bis in das 19. Jh. die meist mit einem Auffindungsmythos belegten besonderen Quellen, denen Heilkraft zugesprochen wurde. So wird die Hauptquelle in Pyrmont bis heute als „Hylliger Born“ (schon vor 1370 als „sacer fons“) bezeichnet.
Neben nur kurzzeitig auf Grund von Wundergeschichten genutzten Quellen waren es vor allem die heißen und warmen Quellen, deren Wasser für Badekuren Verwendung fand. Da man bis weit in die Neuzeit die zu geselligen Gemeinschaftsbädern eingerichteten Badebecken unmittelbar über oder neben dem Quellaustritt anlegen musste, wurden Heilquellen zum funktionalen Zentrum einer Badestadt, um die sich in enger Gruppe die Badeherbergen scharten. Sichtbar ist diese Struktur bis heute in Teilen noch in Baden-Baden oder Badenweiler, am deutlichsten allerdings in Baden/Schweiz mit dem „heißen Stein“ (als Abdeckung der stärksten Quelle) auf dem Kurplatz, den umgebenden Badehotels und der Befestigung, die diesen eigenständigen, außerhalb der Stadt Baden liegenden Badeort umschließt. Erst im Laufe der Neuzeit verlagerte sich das Badeleben zunächst auf kleinere Becken innerhalb der Herbergen: Seit dem 18. Jh. wurde das Baden in Einzelwannen üblich, wozu man größere private oder öffentliche Badehäuser schuf. Verbunden mit diesen Prozessen waren weitreichende städtebauliche Veränderungen, die den Großteil der älteren Badeorte überformten und die vielen Neugründungen der Neuzeit von vornherein prägten.
Die Orte für Trinkkuren und die kalten Bäder nahmen hingegen bis um 1800 eine andere Entwicklung. Hier nutzte man außerhalb der Siedlungen liegende Mineral- oder eisenhaltige Quellen. Da sie lediglich für die Kuranwendung aufgesucht wurden, war die Struktur dieser Orte zunächst kaum von dem Kurgeschehen bestimmt. Man beschränkte sich auf die Bereitstellung von Unterkünften und Gastwirtschaften, so dass der sog. „Kurhalter“ in solchen Orten ein weit verbreitetes Nebengewerbe der städtischen Mittel- und Oberschicht war. Die Bäder wurden zumeist in privaten Haushaltungen verabreicht, wozu man das Wasser mühsam heranfuhr (z.B. in Kissingen oder Wildungen). Bei fern von Städten hervortretenden Heilquellen entstanden seit dem Mittelalter auch einzeln gelegene Badeherbergen mit Bädern, Trink- und Wandelhallen im Erdgeschoss und Unterkünften in den Obergeschossen. Entsprechende Anlagen wurden vielfach als Wildbad bezeichnet. Hieraus entwickelte sich bis zum späten 17. Jh. der spezifische, noch bis weit in das 20. Jh. übliche Bautyp der Badeherberge (später Badelogierhaus), eine wesentliche Wurzel bei der Entwicklung der Hotels seit der ersten Hälfte des 19. Jhs.

Die umgebende Landschaft wurde erst seit dem 18. Jh. zum integralen Bestandteil der Kurstädte und -orte: Zunächst durch mit Bäumen bepflanzte Promenaden in Richtung der Quellen. Sie erweiterte man ab dem frühen 18. Jh. zunächst zum Promenadenplatz oder „Kurplatz“ und schließlich zum „Kurpark“. Seit dem 19. Jh. wird dieser als zentrales und verbindendes Element der urbanen Strukturen verstanden. Erst zu dieser Zeit wurde auch das komplexe räumliche und funktionale Gefüge aus Gebäuden und gestalteter sowie offener Landschaft entwickelt, das heute wesentlich zum Bild eines Kurortes beiträgt.
Die bauliche Erscheinung der Thermalbäder sowie der Trinkbrunnen und Mineralbäder glich sich zunehmend an: Wesentliche Bestandteile sind Hotels, Logierhäuser, Pensionen, Restaurants sowie anzumietende Häuser zur Unterbringung und Versorgung der Gäste (vielfach wegen der ausschließlich sommerlichen Nutzung leicht gebaut und ohne Heizung), Badehäuser, Trinkhallen und Wandelbahnen für die Kurmaßnahmen. Hinzu kommt eine Vielzahl von Versammlungs- und Vergnügungsstätten zur Zerstreuung der Gäste: Kurhaus, Lesesaal, Theater, Konzertsaal und Musikmuschel. Ferner sind die umfangreichen Grünanlagen und Parks mit Alleen, Kaffees und Verkaufsboutiquen zu nennen, Spazier- und Wanderwege in die offene Landschaft hinein, angereichert durch Ausflugsziele wie Naturschönheiten, Aussichtspunkte und Geschichtsdenkmale, aber auch Gasthäuser.

Die um Quellen entstandenen Orte erhielten spezifische Bezeichnungen, wozu zuerst der Begriff „Baden“ als Synonym für die Nutzung der wenigen heißen Quellen gehört (z.B. Baden-Baden , Baden in der Schweiz und bei Wien, Bath, Wiesbaden, Badenweiler). Schon mittelalterliche Namenszusätze wie „Wildbad“ beziehen sich auf die Nutzung der Quellen zu Badezwecken, während „Gesundbrunnen“, „Heilbrunnen“ oder engl. „Wells“ vor allem auf die Trinkkur als weiteres Heilmittel hinweisen. Der ebenfalls häufig vorkommende Bestandteil „-Hall“ im Namen von Kurorten geht auf deren Geschichte vor 1800 als ehemalige Salinenstandorte zurück.
Der Titel „Bad“ wurde Kurorten seit dem späten 19. Jh. als Prädikat auf gesetzlicher Grundlage verliehen und dem Ortsnamen vorangestellt. Voraussetzung dafür war ein bestimmtes Angebot an Therapiemaßnahmen und Kureinrichtungen. In Frankreich fügte man am Ende des Ortsnamens „-le bains“ hinzu, in Polen „zdrój“. „Spa“ ist dagegen ursprünglich der Name eines bedeutenden alten Kurortes im heutigen Belgien und wurde seit dem 19. Jh. in den angelsächsischen Ländern als Kennzeichen vielen Ortsnamen nachgestellt. Weitere gesetzlich geschützte Namenszusätze sind z.B. „Thermalbad“ oder „Luftkurort“. Andere Ortsnamen weisen auf die vor Ort verwendeten Heilmittel hin, nachdem seit dem frühen 19. Jh. medizinischer Fortschritt, aber auch Moden ständig neue Therapien hervorbrachten: Soolbad, Seebad, Moorbad und Radonbad sind Beispiele dafür.

Fred Kaspar (1.9.2014)

Exkurs: Kurwesen

Der seit dem Mittelalter bekannte Begriff „Kur“ kommt von lat. „curare“ („Sorge tragen“). Er bezieht sich auf die Tätigkeit des Arztes und bedeutet Heilung im weiteren Sinne. Die Kur- und Bademedizin (sog. „Balneologie“) galt bis zum Ende des 19. Jhs. als eine wesentliche und anerkannte Richtung der Medizin.
Bis in das 20. Jh. hatte die Kur den sehr komplexen Sinn, Menschen aus dem Alltag zu führen, sie während des Kuraufenthaltes einerseits geistig zu entlasten, mit neuen Impulsen zu stärken und andererseits mit Hilfe zur Verfügung stehender natürlicher Mittel zu stärken, um so ihre Selbstheilung zu befördern. Neben der Anwendung der örtlichen Heilquellen gehörte daher auch gesellschaftlicher Umgang, Kommunikation mit Fremden, Zerstreuung durch Musik, Literatur und Theater zu den zentralen Kurmitteln. Kurorte waren daher stets Zentren der Kommunikation, verbunden mit der Überwindung regionaler und ständischer Grenzen. Dass eine Kur im engeren Sinn vor allem oder sogar ausschließlich als Heilmaßnahme für ernsthaft kranke Menschen verstanden wird, ist eine Entwicklung des 20. Jhs., ausgelöst durch die Sozialgesetzgebung Bismarcks. Heute werden daher in den bundesdeutschen Gesetzen unter dem Begriff Kur nur noch sehr viel enger „Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation“ verstanden.
Bis in das späte 19. Jh. war die Durchführung einer Kur eine private Angelegenheit, wobei die Auswahl des Kurtortes neben den versprochenen Heilerfolgen wesentlich von den Ansprüchen und finanziellen Möglichkeiten des Kurgastes und der Qualität der gebotenen Infrastruktur abhing. Neben den nach wie vor bekannten, ehemals eher durch die Oberschicht geprägten Kurzentren, bestand eine Vielzahl heute vergessener und aufgegebener Bäder für die ärmere oder ländliche Bevölkerung. Allein in Westfalen gab es neben ungefähr 30 größeren Bädern etwa 120 kleine, vielfach als „Bauernbäder“ bezeichnete Einrichtungen.
Im Jahr 1905 wurden allein in den 216 staatlich anerkannten Quell-Kurorten des Deutschen Reiches insgesamt etwa 670.000 Kurgäste gezählt, und zusammen mit den sog. „Passanten“ (Besucher der Kurorte, die dort nicht kurten) dürften es über eine Million Reisende gewesen sein. Zu dieser Zeit besuchten somit jährlich zwischen 2 % und 5 % der gesamten Bevölkerung einen Kurort. Über Jahrhunderte blieb die möglichst jährliche Reise in einen Kurort (als Badefahrt oder Brunnenzeit bezeichnet) wesentliches Reiseziel, das daher in der Bedeutung für den kulturellen Austausch die „Grand Tour“ von Adeligen bei weitem übertraf.
Das Verbot der Spielbanken 1871 führte in Deutschland zu einer ersten Krise der zuvor stetig gewachsenen Kurorte. Der dadurch bedingten stärkeren Hinwendung auf therapeutische Angebote folgte eine zweite Krise nach 1910, ausgelöst durch die Etablierung neuer Reiseziele und den Ersten Weltkrieg. Den erneuten Aufstieg der Kurorte nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg begünstigte die stetige Weiterentwicklung der Krankenversicherung und der Vorsorge, bis 1996 eine öffentliche Förderung der Kur in Deutschland weitgehend eingestellt wurde.

Fred Kaspar (1.9.2014)


URL zur Zitation

http://www.staedtegeschichte.de/einfuehrung/stadttypen/kurstadt_kurort.html

Literaturhinweise

  • Bothe, Rolf (Hg.): Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984.
  • Fuhs; Burkhard: Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700 – 1900, Hildesheim 1992.
  • Käß, Werner / Käß, Hanna (Hg.): Deutsches Bäderbuch, Stuttgart 2008.
  • Kaufmann, Pius: Gesellschaft im Bad. Die Entwicklung der Badefahrten und der „Naturheilbäder“ im Gebiet der Schweiz und im angrenzenden südwestdeutschen Raum (1300 – 1610), Zürich 2009.
  • Simon, Petra / Behrends, Margrit: Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen Heilbändern 1780 – 1920, München 1988.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.