Teilprojekt C07

Politisches Entscheiden in der sozialistischen Tschechoslowakei

Das Teilprojekt C07 untersuchte am Beispiel der kommunistischen Tschechoslowakei, wie in den staatssozialistischen Ländern des östlichen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg Prozesse des politischen Entscheidens verliefen. Es ging um die konkreten, alltäglichen Modi der Entscheidungsfindung in Staaten mit faktischer Einparteienherrschaft und parallelen staatlichen und parteilichen Strukturen, die von Funktionären der kommunistischen Parteien dominiert wurden. Das Projekt war als eine institutionell-organisatorische Topographie des Entscheidens konzipiert und nahm hierzu verschiedene Organe der politischen Beschlussfassung wie das Politbüro des Zentralkomitees und das Präsidium der Regierung sowie die von beiden Institutionen eingesetzten Kommissionen und den ZK-Apparat in den Blick. Den Schwerpunkt legte es auf das Politbüro als kollektives Macht- und Entscheidungszentrum, in dem verschiedene Modi des Entscheidens zusammenliefen. Diese Prozesse wurden sowohl allgemein als auch exemplarisch an zwei Politikfeldern untersucht: der Atompolitik und dem Bereich Konsum und Versorgung.

Die thematischen Schwerpunkte lagen auf der Frage des Agenda-Settings und dem Verhältnis von formalen Verfahren und informellen Praktiken beim Entscheiden. Darüber hinaus war die Bedeutung von Informationen als Ressource des Entscheidens zu untersuchen. Weiterhin untersuchte das Projekt, ob und wie das Verfahren des Entscheidens dargestellt und inszeniert wurde. Die Modi des Entscheidens unterlagen auch im Sozialismus einem Wandel. Deswegen wurde danach gefragt, wie sich veränderte Rahmenbedingungen und neue technische Möglichkeiten des Sammelns und Auswertens von Informationen im Rahmen der sog. technisch-wissenschaftlichen Revolution konkret auf die Prozesse des Entscheidens auswirkten und wie sich Vorstellungen von Rationalität änderten.

Publikationen

Stefan Lehr

  • Prezidium Central’nogo komiteta KPČ: političeskie rešenija ėpochy ‚normalizaji‘ (1969-1989) [Das ZK-Präsidium der KPTsch: Politisches Entscheiden in der Zeit der ‚Normalisierung‘], in: Neprikosnovennyj zapas. Debaty o politike i kul'ture [Die eiserne Ration: Debatten über Politik und Kultur] 121 (2018), S. 182-193.
  • Volkswirtschaftliches Planen im Staatssozialismus. Die Wirtschaftspläne in der sozialistischen Tschechoslowakei (1945-1989), in: Kulturen des Entscheidens. Narrative – Praktiken – Ressourcen (Kulturen des Entscheidens, 1), hrsg. von Ulrich Pfister, Göttingen 2019, S. 356-370.
  • „Genossen, das geschieht nicht zufällig“. Narrative des politischen Entscheidens in der sozialistischen Tschechoslowakei (1945-1989), in: Semantiken und Narrative des Entscheidens, hrsg. von Philip Hoffmann-Rehnitz, Matthias Pohlig, Susanne Spreckelmeier und Tim Rojek, Göttingen 2019 (zum Druck angenommen).
  • Vom Konsens zur Konfrontation: Politisches Entscheiden und Systemwandel in der Tschechoslowakei von 1945 bis 1948, in: Kolektivní monografie k nedožitým šedesatinám Aleny Míškové, hrsg. von Jiří Hnilica, Luboš Velek und Tamara Nováková, Praha 2019 (zum Druck angenommen).
  • Das Politbüro als Ort des politischen Entscheidens in der sozialistischen Tschechoslowakei in der Zeit der sog. Normalisierung (1969-1989), in: Politisches Entscheiden im Kalten Krieg. Orte, Praktiken und Ressourcen in Ost und West, hrsg. von Stefan Lehr und Thomas Großbölting, Göttingen 2019 (im Druck).