Gewalt – Bedrohung – Krieg

Georg Friedrich Händels Judas Maccabaeus

Vortragsreihe mit Konzert im Händel-Jahr 2009

News Judas Maccabaeus

Peter Paul Rubens, „Der Triumph des Judas Makkabäus" (1635) [bpk / RMN / Nantes, Musée des Beaux Arts / Gérard Blot]

Für die Verschränkung von Religion und Politik im Oratorium stellen Georg Friedrich Händels englische Israel-Oratorien höchst prominente und im Kontext der Clusterthematik passgenaue Beispiele dar. Diese Kompositionen greifen auf den in England seit dem 16. Jahrhundert in politischen Schriften und Dichtungen aller Art verwendeten Topos der Identifikation der Briten mit dem biblischen Volk Israel zurück. Sie können dergestalt auf vorzügliche Weise als Exponenten jener Form von Inszenierung (Forschungsfeld B) gelten, die auf künstlerischer Ebene der jeweiligen lebensweltlichen Gegenwart als Analyse- und Kommentierungsinstanz gegenüberstehen.

Insbesondere das 1746 nach einer Textvorlage von Thomas Morell komponierte Oratorium Judas Maccabaeus – welches durch seinen Bezug zum Jakobitenaufstand einen unmittelbaren Bezug zu Händels politischer Gegenwart aufweist – ist ein pointiertes Beispiel, anhand dessen sich die politische Dimension der in einer Gattung geistlicher Musik verarbeiteten biblischen Texte illustrieren lässt. Darüber hinaus kann durch die verhandelte Kriegs- und Gewaltthematik die Betrachtung von Judas Maccabaeus als fruchtbringendes Beispiel eines Untersuchungsgegenstandes des Forschungsfeldes D (Gewalt) gelten.

Der genaueren Untersuchung dieser im Rahmen des Oratorienschaffens Händels zentralen Komposition widmet sich eine Vortragsreihe im Oktober und November 2009. Den Abschluss der Vortragsreihe bildet die Aufführung von Händels Oratorium Judas Maccabaeus am 15. November 2009 durch den Münsteraner Kammerchor Canticum novum, das Norddeutsche Barockorchester sowie international renommierte Solisten.

Vortragsreihe

Jeweils donnerstags / 18 c.t. / Festsaal des Liudgerhauses (Überwasserkirchplatz 3, Münster)
22. Oktober Dominik Höink, Jürgen Heidrich und Johannes Schnocks

Einführung: Religion und Politik in den Oratorien Händels sowie Vortrag "Vom frommen Rebellen zum gottgefälligen Heerführer – Judas und der Makkabäeraufstand in der Bibel und bei Händel"

29. Oktober Iris Fleßenkämper Judas Maccabaeus – ein Held in der Krise. Zur gesellschaftspolitischen (In-)Stabilität Großbritanniens im 18. Jahrhundert
5. November Gabriele Müller-Oberhäuser "A Valiant Jewish Commander": Morells Libretto des Judas Maccabaeus im Kontext der englischen Literatur
12. November Jürgen Heidrich „…full as well in point of invention…“: Händels Oratorium Judas Maccabaeus (HWV 63) und sein Gattungskontext

Konzert

Sonntag, 15. November 2009, 17:00 Uhr, Mutterhauskirche der Franziskanerinnen, Hohenzollernring 72, 48145 Münster

Mitwirkende:

  • Emma Kirkby, Sopran
  • Catherine King, Mezzosopran
  • Daniel Johannsen, Tenor
  • Stefan Zenkl, Bass
  • Norddeutsches Barockorchester
  • canticum novum,
    Leitung: Michael Schmutte

Hintergrund

Drei Monate nach der entscheidenden Schlacht bei Culloden, die das Ende des Jakobitenaufstandes bedeutete, komponierte Georg Friedrich Händel im Juli und August 1746 das Oratorium Judas Maccabaeus als Huldigung auf den siegreich heimgekehrten Duke of Cumberland, unter dessen Führung die königlichen Truppen den jakobitischen Aufstand unter dem katholischen Prinzen Charles Edward niedergeschlagen hatten. Trotz der scheinbaren Eindeutigkeit der Verbindung, lässt die Illustration des Zusammenhangs von Krieg und Gewalt mit geistlich-religiösen Stoffen im Judas Maccabaeus weder eine direkte, simplifizierte Ausdeutung von Händels persönlichen politischen Implikationen zu, noch sollte sie eine Überinterpretation im Sinne einer direkten Einflussnahme des Oratoriums auf tagespolitische Geschehnisse unterstützen (vgl. Hans Joachim Marx und Ruth Smith). Auch greift die Reduktion des politischen Inhaltes auf ein alleiniges Lob des erfolgreichen Heerführers (durch eine unmittelbare Abbildung der realpolitischen Ereignisse um den Duke of Cumberland als Heldenfigur des Oratoriums) zu kurz, lassen sich doch darüber hinaus gänzlich übergeordnete Aspekte der Handlung im Vordergrund sehen: Das Oratorium kann – in der durch die damals übliche Identifikation der Briten mit dem biblischen Volk Israel begründeten Analogie zur alttestamentarischen Textvorlage, deren wesentlicher Kern im Ringen um die eigene kulturelle Identität des Volkes Israel gesehen werden kann – analog im Zusammenhang mit dem Ringen der Engländer um kulturelle Identität stehend betrachtet werden (vgl. Jürgen Schläder ). Danach stehen keine rein machtpolitischen oder territorial begründeten Aspekte bei der Geschichte des Sieges über den jakobitischen Aufstand im Vordergrund, sondern die Engländer begreifen ihr Handeln als offensives Eingreifen, das durch das Bewusstsein und die Selbstbehauptung ihrer Nation, der protestantischen Religion und des geltenden Rechts motiviert und legitimiert ist, und der Abgrenzung gegen die Feinde Englands dient. So spielt der Schlüsselbegriff der Freiheit im Laufe des Oratoriums neben den Parametern nation, religion und laws eine wesentliche Rolle. Als Folge der berühmten Kriegsarie des Judas („Sound an alarm“) und im Zustand größter Bedrohung bricht sich jene „fatale Märtyrergesinnung“ (Jürgen Schläder) Bahn, die den folgenden Chorsatz prägt:
„We hear, we hear the pleasing dreadful call:
And follow thee to conquest; if to fall,
For laws, religion, liberty, we fall.“
(Dominik Höink)

Zur Vortragsreihe:

Die interdisziplinäre Zusammensetzung der Referentengruppe sowie die jeweilige Anbindung der Vortragenden an das Cluster ermöglichen eine vielgestaltige und perspektivenreiche Betrachtung des musikalischen Werkes mit seinen unterschiedlichen Deutungshorizonten:

Den Auftakt der Vortragsreihe zu Judas Maccabaeus bildet ein Vortrag von PD Dr. Johannes Schnocks (Teilprojekt D1) zur Person des Judas sowie zum Makkabäeraufstand in der Bibel und in Händels Oratorium. Daran anschließend wird Dr. Iris Fleßenkämper mit dem Fokus auf den konkreten Kompositionsanlass, den Sieg des englischen Herrscherhauses über die Jakobiten, in den historischen Kontext der Händelvertonung einführen. In einem dritten Schritt soll aus literaturwissenschaftlicher Perspektive – von Prof. Dr. Gabriele Müller-Oberhäuser (Teilprojekt D6) – die Tradition der literarischen Vermittlung der Figur des Judas Maccabaeus und der mit ihm verbundenen Geschichte skizziert werden. Darüber hinaus beleuchtet der Vortrag den unmittelbaren zeitgenössischen literarischen Kontext des Librettos von Thomas Morell. Schließlich rückt in einem abschließenden musikwissenschaftlichen Vortrag die Musik selbst in das Zentrum: Prof. Dr. Jürgen Heidrich wird ausgehend vom Gattungskontext am konkreten Werk die musikalische Verarbeitung der Gewalt- und Kriegsthematik illustrieren.