Germanistik im Beruf (Blog)

Aktuell - Wintersemester 18/19

Thema "Lektorat"

  • Definitionen "Lektorat"

    Von Timea Wanko

    Lektorat: Abteilung im Verlag, in der Manuskripte gesichtet und bearbeitet werden. Neben der Arbeit am Text und mit den Autor*innen gehören auch die Programmplanung und Verlagsverhandlungen zum Berufsfeld.

    Redaktion: Erweitertes Tätigkeitsfeld, das nicht nur die Arbeit als Lektor*in beinhaltet, sondern auch die Entwicklung eines Buchprojekts und das Mitwirken in der Layout- und Marketingabteilung. Die Vermittlung des Buches an den Buchhandel und an die Leser*innen ist ebenfalls Teil des Berufs.

    Freies Lektorat: Selbstständiges, freiberufliches Arbeiten, das das Suchen von Buchprojekten sowie die Arbeit mit Werk und Autor*in umfasst. Das freie Lektorat befasst sich im Gegensatz zum Verlagslektorat nicht mit einem Buchprogramm, Genrebeschränkungen sowie verlagsinternen Regelungen.

    Weitere Informationen gibt es im "Leitfaden Freies Lektorat" vom Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL). Ein Exemplar steht in der ULB zur Verfügung.

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    Workshop "Lektorat"

    "Ein Traumjob, aber nicht für jeden"

    Von Hannes Busch und Kolja Poldner

    Für den Workshop zum Thema Lektorat waren zwei Gäste eingeladen, die über ihren Arbeitsalltag berichteten: Julia Ditschke, freie Lektorin, und Stephanie Kratz, festangestellte Verlagslektorin bei Kiepenheuer & Witsch. Aus ihren unterschiedlichen Perspektiven ergab sich ein vielseitiges Bild dieses Berufsfeldes.

    Julia Ditschke kennt sich in der Buchbranche gut aus. Denn neben ihrer Tätigkeit als freie Lektorin arbeitet sie auch als Autorin, Ghostwriterin sowie Projektmanagerin. In der Vergangenheit hat sie sogar einen eigenen Verlag gegründet und geleitet. Ihren Arbeitsalltag beschreibt Ditschke als “oft nicht planbar”, weswegen Flexibilität vonnöten sei: „Um fristgerecht fertig zu werden, müssen auch schon mal Nachtschichten sein." Ditschke dient dabei als Vermittlerin zwischen Verlag und Autor, mit denen sie in ständigem Austausch steht. Sehr wichtig für freie Lektor*innen ist Networking, da sie sich ihre Kunden selber suchen müssen.

    Stephanie Kratz hingegen ist als festangestellte Lektorin stärker an der Initiation und Organisation von Buchprojekten beteiligt. “Wir sind die Programmmacher.” Nur 20 Prozent des Berufs sind Textarbeit. In die restliche Zeit fällt das Sichten von Manuskripten, die Betreuung von Autor*innen, Pressearbeit und die Vermittlung zwischen den Abteilungen. “Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren”, bringt Kratz ihre Tätigkeit auf den Punkt. Überstunden gehören auch im Verlag zum Alltag. Die machen manchmal sogar Spaß: “Man muss auch mal mit ‘nem Autor bis um fünf Uhr morgens Whisky trinken können.”

    “Eine Reise voller verschlungener Pfade”

    Über die wichtigsten Kompetenzen, die ein*e Lektor*in mitbringen sollte, sind sich die Gäste einig. Es braucht vor allem Sorgfalt im Umgang mit Texten - den Blick fürs Detail. Ein übertriebener Perfektionismus kann dabei zu Zeitproblemen führen. “Is’ mir egal! Ich lass’ das jetzt so”, lautet das Motto, mit dem sich jede*r Lektor*in früher oder später anfreunden sollte. Aber auch Empathie und Diplomatie im Umgang mit Autor*innen sind gefragt, schließlich investieren jene viel Herzblut in ihre Texte. „Konfliktfähigkeit ist wichtig, weil man als Vermittlerin schon mal in die Schussbahn geraten kann“, meint Ditschke und betont: “Als freie Lektorin ist man seine eigene Chefin. Selbständigkeit funktioniert nur mit Selbstdisziplin und Organisationstalent.” Wer für einen Verlag auf Autor*innensuche geht, muss laut Stephanie Kratz ein Gespür für das Zeitgeschehen haben. Das bedeutet: fernsehen, soziale Medien verfolgen und Zeitung lesen. Ohne vielseitige Interessen werde man sonst keine Ideen für erfolgreiche Bücher entwickeln können.

    “Wer Lektorin werden will, muss sich auf eine Reise voller verschlungener Pfade einstellen.” Den einen Weg zu diesem Ziel gibt es nicht, sind sich Julia Ditschke und Stephanie Kratz einig. Ein Germanistik-Studium sei in jedem Fall ein guter erster Schritt. Für die Bewerbung auf das unerlässliche Volontariat braucht man in der Regel einen Master-Abschluss. Um erste Erfahrungen zu sammeln, empfiehlt es sich, zunächst Praktika und Fortbildungen zu machen. Gerade kleinere Verlage ermöglichen dafür einen unkomplizierten Einstieg. Für freie Lektor*innen ist es wichtig, mit einer gehörigen Portion Eigeninitiative an Verlage heranzutreten, um für sich und die eigene Arbeit zu werben. Wenn man hingegen eine Festanstellung im Lektorat anstrebt, kann sich der Umweg über eine Mitarbeit in anderen Verlagsabteilungen durchaus lohnen. Auf diese Weise hat man bereits einen Fuß in der Tür und somit größere Chancen, in das Lektorat zu wechseln. Gegenüber der Belletristik bietet das Sachbuchlektorat bessere Aussichten auf eine erfolgreiche Bewerbung für Volontariate und Praktika.

    Die Leidenschaft der beiden Lektorinnen für ihren Beruf war im Workshop spürbar. Gemeinsam mit Autor*innen Bücher zu verwirklichen, sei ein regelrechter “Traumjob - wenn auch nicht für jeden”, resümierte Kratz. “Obwohl meine Arbeit nicht selten stressig ist”, stimmte Ditschke ihrer Kollegin zu, “ist sie gleichzeitig wahnsinnig schön.”

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    Portrait Sabine Frilling

    Zwischen Wissenschaft und Kreativität

    Von Laura Kindler

    Kindheitstraum Lektor*in? – Nicht für Sabine Frilling. Ihr Interesse für dieses Berufsfeld entwickelte sich erst später. Zunächst studierte Frilling Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaft in Münster mit anschließender sprachwissenschaftlicher Promotion. Darauf folgten sechs Jahre Arbeit als wissenschaftliche Assistentin in der Sprachdidaktik an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Dort traf sie auf Kolleg*innen, die als Herausgeber*innen oder Autor*innen im Schulbuchsektor tätig waren. Das weckte Frillings Interesse für das Verlagswesen.

    Mit dem Flugzeug zum Vorstellungsgespräch

    Zu der Zeit suchte der Moritz Diesterweg Verlag in Frankfurt am Main eine Redakteurin für ein neues Schulbuch. Frilling nutzte die Gunst der Stunde, bewarb sich und wurde zum Vorstellungsgespräch sogar eingeflogen. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, erzählt sie lachend. Schließlich bekam sie die Stelle – ohne jemals ein Praktikum in einem Verlag oder gar ein Volontariat absolviert zu haben.

    Wie kam Frilling trotzdem an den Job? Sie stellte in ihrer Bewerbung drei wesentliche Faktoren heraus: zum ersten ihr Fachwissen in den Bereichen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik, zum zweiten die praktische Schulerfahrung, die sie während ihrer Tätigkeit an der Universität Kiel sammelte. Dort begleitete sie Student*innen bei ihren Schulpraktika. Zum dritten redigierte Frilling bereits während ihres Studiums in Münster als studentische und wissenschaftliche Hilfskraft Manuskripte. In dieser Zeit gab sie zudem mit drei Kommiliton*innen einen Kongressband heraus, sodass sie weitere Erfahrungen im Lektorieren und Redigieren von Texten sammeln konnte. „Ich glaube, dass ich diesen Job im Verlag bekommen habe, weil ich wissenschaftlich sowohl in der Linguistik als auch in der Sprachdidaktik gearbeitet habe. Ich habe nicht nur studiert, sondern eben auch publiziert. So jemanden brauchten die, um das Projekt fachlich auf Linie zu halten.“

    Vielfältige Fähigkeiten benötigt

    Die Arbeit im Verlag war vielfältig. Frillings Aufgaben gingen dabei weit über die klassischer Lektor*innen hinaus. Sie war vielmehr als Redakteurin tätig, was in ihrem Fall bedeutete, dass sie wie eine Managerin das gesamte Projekt steuerte und das Schulbuch mitentwickelte. „Ich habe die Arbeit unglaublich gern gemacht, weil es eben nicht nur Wissenschaft war oder Arbeit am Text. Eine Seite visuell ansprechend zu gestalten, ist eine kreative Arbeit, bei der etwas Schönes entsteht“.

    Dabei sieht Frilling neben den grundlegenden Fähigkeiten als Redakteur*in und als Lektor*in vor allem Führungsstärke als notwendige Voraussetzung in diesem Berufsfeld. „Man braucht Autorität, denn man wirkt in einem Bereich, in dem Projekte abgewickelt werden, bei denen an den unterschiedlichsten Stellen die unterschiedlichsten Leute beteiligt sind.“ Sie betont in diesem Zusammenhang, dass soziale Fähigkeiten nicht zu unterschätzen seien. Es erfordere viel Verhandlungsgeschick, um mit den verschiedenen Akteur*innen wie unter anderem Herausgeber*innen, Autor*innen und Illustrator*innen zusammenzuarbeiten und auch einmal Kompromisse zu finden:  „Man ist als Redakteurin der punching ball, weil man die Stelle in dem Spinnennetz ist, an der alle Fäden zusammenlaufen. Deshalb bekommt man bei Problemen alles ab.“ Besonders einprägsam waren für Frilling die Autorenkonferenzen, bei denen es manchmal auch Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten gab. „Die Arbeit mit einem Autorenteam ist grundsätzlich inspirierend, unter Umständen aber auch eine Herausforderung“, sagt sie.  Ein Stressfaktor ist dabei unter anderem der Zeitdruck, dem Redakteur*innen und Lektor*innen durch Abgabefristen ausgesetzt sind: „Man arbeitet sehr nach der Uhr“, berichtet Frilling, „denn wenn man das Projekt nicht rechtzeitig fertig bekommt, bricht der Umsatz gewaltig ein.“

    Trotz der stressigen und nervenaufreibenden Zeit schwärmt sie von ihrer Tätigkeit im Verlag. „Oft dachte ich mir: Wie kann das sein, dass ich diese herrliche Arbeit machen darf und auch noch Geld dafür bekomme?” Nach all den Jahren als Studentin und Wissenschaftlerin empfand sie die kreative Arbeit als Redakteurin als „kolossal erholsam“.

    Sprungbrett für Neues

    Die Zeit beim Diesterweg-Verlag war der Grundstein für ihren weiteren Berufsweg. „Der Job war das Sprungbrett für das, was folgte.  Eine Tätigkeit qualifiziert immer für die nächste“, erklärt Frilling. Nach der Arbeit im Verlag war sie als Redakteurin für die sprachwissenschaftliche Fachzeitschrift Muttersprache tätig. Darauf folgte eine Stelle in einer PR Agentur.

    Seit 2010 ist Frilling wieder zurück an der Universität Münster. Nun nicht mehr als Studentin, sondern als Lehrkraft für besondere Aufgaben in den Abteilungen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Frilling betont, dass ihr Lebensweg keineswegs linear und einfach verlief. Doch letztlich blickt sie zufrieden auf die Vergangenheit zurück: „Ich habe alle meine Jobs gern gemacht!“

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    Portrait Anke Jarling

    Eine Frau mit vielfältigem Lebenslauf

    Von Svea Triesch

    Fast jede*r Germanistik-Student*in der WWU hat schon einmal bei Anke Jarling an die Bürotür geklopft. Als Studienfachberaterin und -koordinatorin hilft sie hier seit acht Jahren Studierenden bei Problemen rund um die Organisation ihres germanistischen Uni-Alltags. Wenige wissen, dass sie sich nicht immer um Nachmeldungen und Stundenpläne gekümmert hat, sondern viele Jahre als freie Lektorin für verschiedene Verlage gearbeitet hat.

    Begonnen hat Anke Jarlings Werdegang mit dem Studium in Münster und Rostock, das sie mit dem Magistra-Diplom in Deutscher Philologie, Soziologie und Philosophie abschloss. Da sie während ihres Studiums Praxiserfahrungen vermisste, arbeitete sie nebenher als studentische Hilfskraft beim (heute nicht mehr existenten) Votum Verlag in Münster. “Ich hätte nicht gedacht, dass sich aus dem Verpacken von Büchern ein Volontariat ergeben würde”, sagt Jarling und ergänzt, dass Letzteres ein “Sprungbrett für zukünftige Jobs” gewesen sei. So bekam sie erst die Möglichkeit, alle Tätigkeitsbereiche des Fachbuchverlags kennen zu lernen. Anschließend arbeitete Anke Jarling für den rechtswissenschaftlichen Lexis-Nexis Verlag im Bereich der Text-Digitalisierung und als freie Lektorin bei der Frankfurter Verlagsgruppe GmbH, einem Zusammenschluss von Selbstpublikations-Verlagen, sowie in der Kommunikationsagentur für digitales Marketing "Cynapsis interactive" in Münster.

    "Sie müssen frech sein"

    “Je diverser die Bereiche, in denen man Arbeitserfahrung sammelt, desto vielseitiger sind die Angebote, die man erhält”, sagt Jarling. Manchmal helfen einem bei der Arbeitssuche Soft Skills oder andere Fähigkeiten, die man selbst zu wenig beachtet. Einmal verhalfen ihr sogar spezielle Softwarekenntnisse zu einem Jobangebot. Oft kämen neue berufliche Wege durch Zufall zustande, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sei. Oder wenn man die richtigen Leute kennen lerne - wie in fast allen Branchen ist auch im Literaturbetrieb Networking die Schlüsselkompetenz zum Erfolg. "Sie müssen frech sein", rät Jarling augenzwinkernd.

    Ähnlich wie im festangestellten Verlagslektorat werden auch freie Lektor*innen eher schlecht bezahlt. Aus diesem Grund sei man auf eine*n gut verdienende*n Partner*in angewiesen, um eine Familie ernähren zu können." Finanzielle Sicherheit habe man als freiberufliche*r Lektor*in nicht - ohne Projektangebote keine Bezahlung. Um ihre berufsbedingten Unsicherheiten finanziell auffangen und krankenversichert sein zu können, hat Anke Jarling neben ihrer projektbezogenen Textarbeit in der wissenschaftlichen Forschung gearbeitet.

    Mit Fleiß und Kontakten

    “Die perfekte Fachkombination im Studium gibt es nicht.  Selbst aus Nebenfächern gewonnenes Spezialwissen qualifiziert für die Arbeit mit wissenschaftlichen Texten. Entscheidend ist am Ende jedoch der Spaß an den Inhalten und die daraus resultierenden guten Noten!” Das Studium hat ihr vor allem geholfen, Texte sicher und akribisch zu redigieren. Auch an verschiedenen Projekten gleichzeitig zu arbeiten, fiel Jarling leicht. 

    Doch wie kommt man als freie*r Lektor*in überhaupt an Aufträge? Neben der bereits erwähnten und unerlässlichen Pflege von Kontakten sollte man jeden Tag Internet und Fachzeitungen nach Anzeigen durchforsten. "Man muss gründlich und schnell arbeiten und Angeboten so schnell wie möglich zusagen. Mir ist es auch schon passiert, dass Aufträge bereits nach fünf Minuten vergeben waren.” Flexibilität und Mobilität sowie die Bereitschaft am Wochenende zu arbeiten, werden vorausgesetzt: "Es gibt immer jemand anderen, der deine Arbeit erledigen kann.”

    Nachdem der Cornelia Goethe Verlag sein Lektorat in ausländische Agenturen verlagert und Jarling immer weniger Aufträge erhalten hatte, arbeitete sie zwei Jahre als freiberufliche Dozentin und Bewerbungscoach bei dem Bildungsinstitut Münster e. V. und der GEBA mbH. Seit 2010 ist Anke Jarling im Studienbüro des Germanistischen Instituts tätig.

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    Portrait Julia Ditschke

    Das freie Lektorat – eine Reise, die nie zu Ende ist

    Von Katharina Reinecke

    Lektorin, Autorin, Projektmanagerin und Ghostwriterin: Julia Ditschkes Tätigkeitsfelder sind vielfältig. Viele Studierende der Germanistik lockt vor allem das Lektorat. Doch gerade das freiberufliche Lektorieren erfordert Leidenschaft und Durchhaltevermögen, um bei den Stolpersteinen auf diesem Berufsweg nicht ins Straucheln zu geraten.

    Ditschkes beruflicher Werdegang beginnt mit einer Ausbildung zur Verlagskauffrau. Der Wunsch, vermehrt mit Texten statt kaufmännisch zu arbeiten, bringt sie anschließend zum Studium der Germanistik, Kommunikations- und Kulturwissenschaften an die WWU. Parallel dazu arbeitet sie als freie Mitarbeiterin in den Redaktionen der Rheinischen Post und der Westfälischen Nachrichten. Parallel zum Studium absolviert sie Praktika in Lektoraten von Verlagen. Nach Abschluss des Studiums (M.A.) folgt ein einjähriger Aufenthalt in Südamerika samt Praktikum am Goethe-Institut Conceptión in Chile.

    Von der Reiselust zum Reisebuchverlag

    „Manchmal handle ich blauäugig. Dann mache ich erst und anschließend denke ich nach“, gibt Ditschke zu. Die Begeisterung fürs Reisen und für Bücher gleichermaßen inspiriert sie nämlich 2007 zur Gründung des Goldfinch Verlags – ein Verlag speziell für Großbritannien-Reiseführer. Nun ist sie für alle Abteilungen selbst verantwortlich: Programmplanung, Autorenbetreuung, Lektorat, Vertrieb, Marketing, Pressearbeit und Herstellung. Für die Einstellung von Personal fehlen die finanziellen Mittel. Daher ist sie wieder mehr mit kaufmännischen Tätigkeiten beschäftigt als mit der Arbeit am Text. Unzufrieden mit der Situation entschließt sie sich 2010, den Verlag zu verkaufen. Er besteht heute in anderer Form, und hin und wieder lektoriert Julia Ditschke sogar ein Manuskript für ihn.

    Was sind die Aufgaben einer freien Lektorin? Im Kern ist es die Textredaktion, manchmal, gehört auch das Projektmanagement dazu. Textredaktion und Ghostwriting können dabei mitunter fließend ineinander übergehen. Das Projektmanagement für Verlage umfasst neben der reinen Arbeit am Text vielfältige Aufgaben: die Autor*innenakquise, die Begleitung der Buchkonzeption, die Satzbetreuung bis hin zur Drucklegung und häufig auch das Verfassen von Marketingtexten. Man arbeitet meistens von zu Hause aus, dabei ist die Büroorganisation besonders wichtig: „Man braucht Sitzfleisch und muss gut mit sich selbst alleine sein können". Lektor*innen arbeiten oft unter Druck, weil Abgabetermine eingehalten werden müssen. Da fallen auch schon mal Nachtschichten an.

    „Kontakte, Kontakte, Kontakte!“

    Ditschke arbeitet nicht nur mit fremden Texten, sondern schreibt auch eigene Bücher. So sind bereits drei Frauenunterhaltungsromane von ihr veröffentlicht worden. Erschienen sind sie unter dem Pseudonym Julia Kaufhold. Die Titel: „Löffelchenliebe“ (2013), „Sex and the Dorf“ (2015) und „All die schönen Tage“ (2018). „Wer weiß, was ich sonst noch ausprobiere. Die Reise geht in jedem Fall weiter“, sagt Ditschke.

    Wenn man Lektor*in werden möchte, kann es hilfreich sein, in verschiedene Bereiche der Verlagsarbeit reinzuschnuppern, allein um die Kommunikationsfähigkeit zu fördern. Ditschke rät, unbedingt Praktika zu absolvieren, durchaus auch in kleinen Verlagen, denn dort ist es für Praktikant*innen oft eher möglich, selbst zu lektorieren. Auf diesem Wege sammelt man auch erste Referenzen. Ein guter Anfang ist es auch, Gutachten zu schreiben, also im Auftrag eines Verlags einen fremdsprachigen Text zu lesen, ihn zusammenzufassen und eine Empfehlung auszusprechen, ob er sich für die Veröffentlichung auf dem deutschen Markt eignet. Sie macht deutlich: „Es geht immer um Kontakte, Kontakte, Kontakte und darum, dranzubleiben. Außerdem ist kollegialer Austausch und Netzwerken für Freie unerlässlich“.

    „Is’ mir egal, ich lass das jetzt so“

    „Nach dem Studium hat sich niemand mehr für meinen Lebenslauf interessiert. Viel wichtiger sind Referenzen und Soft Skills", sagt Ditschke. Zu diesen gehören Sorgfalt, der Blick fürs Detail und Feingefühl: „Man darf nicht über die Stimme eines Autors hinwegwalzen." Deshalb sollte ein*e Lektor*in ein hohes Maß an Empathie und Diplomatie besitzen, um einfühlsam für Textlösungen argumentieren und sachlich mit Konflikten umgehen zu können. Zwar ist ein gesunder Perfektionismus wichtig, jedoch sollte man auch loslassen können. „Beim Lektorieren von Texten kann man endlos weitermachen. Es gibt immer etwas, was man noch verbessern kann." Um sich in solchen Situationen selbst zu stoppen, trägt sie dann ihr selbsternanntes Lektorats-T-Shirt mit der augenzwinkernden Aufschrift: „Is’ mir egal, ich lass das jetzt so".

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    Interview Julia Ditschke

    Das freie Lektorat als Gemischtwarenhandel

    Von Laura-Kristin Vormann

    Welche Genres beanspruchen die meiste Zeit?
    Julia Ditschke: Das kann man nicht verallgemeinern. Das kommt immer auf die Qualität des Textes an. Allerdings ist es so, dass deutschsprachige Originalausgaben deutlich mehr Zeit beanspruchen als Übersetzungen. Bei originalen Erstausgaben geht es beim Lektorieren noch um die Grundstruktur und die Dramaturgie des Textes. Bei Übersetzungen aus dem Englischen wird das in der Regel bereits vom englischen Lektorat bearbeitet. Zudem spielt der Textumfang natürlich eine Rolle. 

    An wie vielen Projekten arbeiten Sie denn gleichzeitig?
    Ditschke: Das variiert zwischen eins und fünf.

    Wie gehen Roman-Autor*innen damit um, wenn Sie beispielsweise Figuren streichen?
    Ditschke: Das ist natürlich ein harter Eingriff. Es gibt Autor*innen, die möchten alles so lassen, wie es ist. Es gilt dann, gut zu begründen, warum das Buch nach der Änderung besser ist. Meistens gelingt es mir, auch objektiv nachvollziehbar zu argumentieren und die Autor*innen dazu zu bewegen, mitzugehen … manchmal zähneknirschend (lacht).

    Wenn man wie Sie sämtliche Bereiche eines Verlags kennengelernt hat – verändert das die Zusammenarbeit?
    Ditschke: Es war sehr interessant für mich, erstmals auf der anderen Seite zu sitzen und selbst als Autorin lektoriert zu werden. Und gesagt zu bekommen – das ist jetzt wirklich nicht übertrieben: „Schreib die 400 Seiten bitte noch mal ganz neu“ (lacht). Bei der Kritik ging es um Dramaturgie, nicht um Sprache. Es war für mich unfassbar, wie betriebsblind ich bei meinem eigenen Text bin. Da ich alle Abteilungen in einem Verlag kenne, informiere ich mich natürlich darüber, was sie im Hinblick auf mein Buch tun. Ich möchte darüber Bescheid wissen, wie das Buch vermarktet wird. Die Verlage sind derlei Rückfragen von anderen Autoren nicht immer gewohnt; für mich sind solche Informationen jedoch wichtig. 

    Hat das Lektorieren zahlreicher Manuskripte Ihre Arbeit als Autorin beeinflusst? 
    Ditschke: Das ist ein wechselseitiges Verhältnis. Seitdem ich selbst schreibe, habe ich ein viel besseres Verständnis für die Probleme von Autor*innen. Es ist gar nicht so einfach, einen runden Plot hinzubekommen. Ich habe durch das eigene Schreiben ganz andere Strategien entwickelt, die ich den Autor*innen mitgeben kann. Und andersherum: Immer wenn ich schreibe, lektoriere ich schon. Das kann ich einfach nicht lassen. Dadurch brauche ich viel länger für zehn Seiten als andere Autor*innen.

    Wie versuchen Sie das zu ändern?
    Ditschke: Ich mache momentan beim „NaNoWriMo“ mit, dem National Novel Writing Month. International schließen sich tausende Autoren über die Website nanowrimo.org zusammen und verpflichten sich dazu, im November 50.000 Wörter zu schreiben. Das sind über 200 Seiten. Diese enorme Menge ist natürlich nicht machbar, wenn die innere Lektorin allzu präsent ist. Um das bewusst abzuschalten, habe ich mich dort angemeldet – und bin an meine Grenzen gestoßen. Ich musste meinen Perfektionismus ganz oft ignorieren. Letztendlich habe ich das nicht geschafft. Bei 35.000 Wörtern bin ich hängen geblieben. Aber das ist für mich für mich schon unheimlich viel in einem Monat. 

    Wie ist Schwangerschaft und Elternzeit vereinbar mit dem Beruf als freie Lektorin?
    Ditschke: Das war gar nicht so leicht. Ich hatte vorgehabt, mich ein Jahr lang komplett rauszunehmen. Meinen Kunden habe ich Bescheid gegeben, dass ich in dieser Zeit keine Aufträge annehme und mich melde, sobald ich wieder einsatzbereit bin. Ich hatte keine Angst, dass ich nach der Elternzeit keine Aufträge mehr bekomme. Alle hatten Verständnis. Es war vielmehr so, dass ich selber nicht von dem Thema ablassen konnte. Schließlich fielen der Verkauf meines erstens Romans an einen Verlag und die Geburt meines Sohnes in denselben Zeitraum. Da das Lektorat anstand, musste ich relativ viel mit dem Verlag kommunizieren und hatte dadurch den Finger wieder in der Branche (lacht). Das hat es mir wirklich schwer gemacht, loszulassen

    Wie haben Sie angefangen zu lektorieren?
    Ditschke: Ein wichtiger Punkt war, dass ich den Goldfinch Verlag für Reiseführer gegründet hatte. Dadurch konnte ich ganz anders bei Verlagen anklopfen, auf meinen Verlag hinweisen und den Wunsch äußern, auch bei anderen Reisebuchverlagen lektorieren zu wollen. So bin ich ins Lektorieren reingerutscht. Und Reiseberichte sind dann ja auch nicht mehr so weit weg von der Belletristik.

    Welche Rolle spielten die Angebote des Verbands der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) oder der Bücherfrauen?
    Ditschke: Die von den Bücherfrauen organisierten Stammtische spielten tatsächlich auch eine wichtige Rolle. Da habe ich viele andere freie Lektor*innen kennengelernt und wertvolle Tipps erhalten. Und die Bücherfrauen bieten in mehreren Städten ein sogenanntes Mentoring an. Dort kann man sich melden, wenn man in ein Berufsfeld im Verlagswesen rein möchte, und wird dann als Mentee einer Mentorin zugeordnet, die diesen Beruf bereits ausübt. Mit dieser trifft man sich dann circa sechsmal innerhalb eines Jahres und erhält zusätzlich Aufgaben, die man bearbeitet. Außerdem gibt es noch ein Fest, auf dem alle Mentorinnen und Mentees zusammenkommen. Durch dieses Programm habe ich mit einer Sachbuchlektorin zusammengefunden, mit der ich parallel an ihren Texten gearbeitet habe. Schlussendlich hat sie mir sogar Aufträge weitergegeben. Das war toll.

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    Wieso haben Sie den Reisebuchbereich eigentlich verlassen?
    Ditschke: Irgendwann war ich das Reiseführerlektorat leid. Natürlich klingt “Reisebuch” irgendwie schön – gleichzeitig ist das Genre sehr formal aufgebaut. Man muss die ganze Zeit die engen Vorgaben beachten und sehr viel im Internet recherchieren. Sind alle Telefonnummern und Öffnungszeiten korrekt? Existieren alle Hotels, Bars, Restaurants etc. noch?

    Haben Sie Lieblingsgenres, die Sie besonders gerne lektorieren?
    Ditschke: Ich könnte mich nicht für eine Seite – Sachbuch oder Belletristik – entscheiden. Mir gefällt die Mischung. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Studierenden raten soll, sich zu spezialisieren. Ich habe Kolleginnen, die beispielsweise nur Krimis oder nur Kinderbücher lektorieren. Das hat sicherlich Vorteile. Ich bin eher eine Gemischtwarenhändlerin (lacht). Ich kann mich in sämtliche Themen einarbeiten. Ganz nach dem Prinzip learning by doing; irgendwie wird’s schon gehen. Und das tut es dann auch. 

    Unter Ihrem Pseudonym „Julia Kaufhold“ sind Bücher mit Titeln wie “Sex and the Dorf” oder “Löffelchenliebe” erschienen. Bedienen Sie in diesen Romanen Gender-Klischees?
    Ditschke: Meine ersten beiden Romane sind dem Genre Chick-Lit zuzuordnen. Dazu gehören beispielsweise Romane wie “Bridget Jones”. Im weitesten Sinne handelt es sich also um Romantic Comedy. Da sitzt man als Autor*in natürlich immer zwischen den Stühlen: Man bedient diese Klischees einerseits und spielt andererseits aber auch damit. Die Klischees haben mich dann aber doch gestört, weshalb ich in meinem dritten Roman zumindest versucht habe, manche Dinge umzudrehen. Der gehört allerdings auch nicht mehr zur Chick-Lit. Es geht zwar immer noch um Liebe, aber es ist etwas ernster geworden. Meine Heldin ist Unfallchirurgin und verdient das Geld, während der Mann Fotograf ist, also eher der Künstlertyp. Das wurde damals tatsächlich von einem Verlag abgelehnt, der sagte: „Wir verlegen das Buch nur dann, wenn die Heldin Krankenschwester ist.“ Ein großer Publikumsverlag sagte: „Wir veröffentlichen keine Frauenunterhaltung, in der Frauen Akademikerinnen sind.“ Da soll immer etwas mitschwingen wie bei “Fifty Shades of Grey” – das Mädchen und der reiche, schöne Mann. Das ein bisschen zu unterlaufen, soweit es in dem Genre eben geht, macht mir schon Spaß. 

    Wie wird man als Autor*in bezahlt?
    Ditschke:
     Man erhält einen sogenannten Vorschuss. Ich persönlich hatte dabei das große Glück, dass die Verlage in meinen Manuskripten immer ein gewisses Potenzial gesehen haben. Das hat sich leider nicht immer bestätigt. Ob ein Roman erfolgreich wird, hängt dabei manchmal weniger von der Qualität ab als davon, in welchen Titel der Verlag letztendlich Geld fürs Marketing reinsteckt. Dadurch liegt der Roman dann bei Thalia auf dem Tisch. Denn welche Bücher dort liegen, entscheidet nicht der Buchhandel, sondern welcher Verlag mehr zahlt. Dieser Titel hat dann natürlich viel bessere Chancen, ein Bestseller zu werden. Der Effekt des Marketings ist allerdings nicht vorauszusehen, sonst könnte man Bestseller ja planen. Es gibt auch Fälle, in denen ein Verlag ein Buch ganz billig eingekauft hat, das dann plötzlich zum Mega-Bestseller wird. Das ist dann natürlich der Lottogewinn für einen Verlag. Und wenn das nächstes Buch wieder bei diesem Verlag erscheinen soll, hat man als Autor*in natürlich allerbeste Verhandlungsmöglichkeiten.

    Was muss man bei Verlagen vorweisen, wenn man sich um Aufträge bewirbt?
    Ditschke: Wirklich wichtig für freie Lektor*innen sind Referenzen: eine Liste von Texten, die man bereits lektoriert hat. Es ist wichtig für den Verlag zu sehen, dass man schon Erfahrung mitbringt. Deshalb ist es ganz am Anfang schwierig. Da muss man die eigenen Netzwerke nutzen. Wenn man ein Praktikum bei einem Verlag absolviert hat, sollte man danach durch Gutachten und Korrektorate mit dem entsprechenden Verlag verbunden bleiben. Möglicherweise kann man im Praktikum selbst schon erste Referenzen sammeln. Hinterher fragt kein Verlag mehr danach, was man studiert hat. Es sei denn, man hat beispielsweise Romanistik studiert und möchte Übersetzungen aus dem Italienischen ins Deutsche lektorieren. Da hat man dann meistens gute Chancen.

    Haben Ihre Kontakte Ihnen dabei geholfen, einen Verlag für die eigenen Bücher zu finden?
    Ditschke: Es ist heutzutage nicht mehr so, dass Autor*innen sich selbst an einen Verlag wenden. Das passiert natürlich auch, aber diese Texte landen dann auf dem Stapel der „unverlangt eingesandten Manuskripte“ und da liegen sie oft lange herum. Darum bewirbt man sich als Autor*in besser bei einer Literaturagentur, die das entsprechende Genre Verlagen gegenüber anbietet. Es ist von Agentur zu Agentur unterschiedlich, wie viele Seiten bei der Bewerbung gefordert werden. Es können 30 oder 60 sein; einige Agenturen verlangen allerdings auch den ganzen Roman. Der Verlag weiß: Was von der Agentur kommt, sollten wir uns wenigstens mal anschauen. Ich hatte das Glück, relativ schnell eine Agentur zu finden, die meine Manuskripte auch recht zügig verkaufen konnte.

    Sie haben auch bei einer solchen Agentur gearbeitet?
    Ditschke: Ja, genau. Die Agentur hat Drehbuchautor*innen an Filmproduktionen vermittelt. Also im Grunde genommen der gleiche Vorgang, wie Literaturagenturen Sachbuch- oder Romanautor*innen an Verlage vermitteln.

    Inwiefern hat Ihnen das bei der Bewerbung geholfen? 
    Ditschke: Für mich war es im Hinblick auf die Bewerbung bei Literaturagenturen schon gut zu wissen, wie es da läuft. Ich fühle mich generell sicherer, wenn ich den Kosmos schon kenne, in dem ich mich bewegen möchte.

    Sind Praktika und Seminare neben dem Studium unentbehrlich, wenn man Lektor*in werden möchte?
    Ditschke: Ich weiß nicht, ob ein Besuch von Seminaren neben dem Studium notwendig ist. Ich gehe mal von dem Fall aus, dass man neben dem Studium bereits ein oder zwei Praktika absolviert hat und in einem kleinen Verlag vielleicht sogar die Möglichkeit gehabt hat, mit zu lektorieren. Dadurch hat man dann bereits eine Referenz. Nach einem solchen Praktikum ist der Besuch eines einschlägigen Seminars, etwa bei der Akademie der Deutschen Medien, vielleicht eher sinnvoll.

    Empfehlen Sie, anfangs ein Praktikum in einem großen oder in einem kleinen Verlag?
    Ditschke: Es hat beides Vor- und Nachteile. In einem großen Verlag würde man wahrscheinlich ein reines Lektoratspraktikum machen. In einem kleinen kann man in allen Bereichen mitarbeiten, man wird von Anfang an voll mit einbezogen. Bei großen Verlagen hingegen kann es vielleicht schon mal vorkommen, dass Aufgaben auf einen abgeschoben werden, die einen nicht weiterbringen. Deshalb finde ich es ratsam, sowohl bei einem großen als auch bei einem kleinen Verlag ein Praktikum zu machen, um sich einen Überblick zu verschaffen. 

    Was ist Ihnen am freien Lektorat besonders wichtig?
    Ditschke: Ich finde es wichtig, dass man das freie Lektorat nicht als minderwertig ansieht. Man darf nicht denken, nur weil man es nicht zur Festanstellung geschafft hat, muss ich mich jetzt wohl als freie*r Lektor*in durchschlagen. Man muss für sich selbst entscheiden, was besser zu einem passt. Ich bin der Überzeugung, dass man mit vollem Herzen dabei sein kann und sagen kann: „Ja, ich will freie Lektorin werden.“

  • Portrait Stephanie Kratz

    Von Maren Becker

    Portrait folgt.

  • Interview Stephanie Kratz

    Von Annika Heuser

    Interview folgt.

Sommersemester 2018

Thema "Literaturvermittlung im Literaturbetrieb"

Bei diesem Thema geht es um die Frage, wie Bücher ihre Leser*innen und Autor*innen ihr Publikum finden.


  • Definitionen "Literaturvermittlung"

    Von Robin Siegmund

    Literaturbetrieb:
    Das Feld, in dem mit Literatur in vielfältiger Form umgegangen wird. Unter anderem gehören zum Literaturbetrieb Bestsellerlisten, Kritiken, Lesungen und die Verbreitung von Literatur.

    Literaturvermittlung:
    Alle Institutionen, Personen und Prozesse, die mit literarischen Prozessen zugange sind. Zusätzlich zu allen Aspekten des Literaturbetriebes ist hier die Literaturdidaktik ebenfalls ein Teil des Begriffs. Anders beschrieben ist Literaturvermittlung das Tätigkeitsfeld auf dem sich professionelle Leser bewegen.

    Literaturhaus: Literaturhäuser, oder auch Literaturbüros sind literarische Zentren in denen Begegnungen mit Autor*innen, Kritiker*innen und Verlagen stattfinden können. Meist befinden sie sich in Denkmalgeschützten Gebäuden. In NRW sind beispielsweise in Bonn, Oberhausen und Köln Literaturhäuser verortet.

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    Workshop "Literaturvermittlung"

    Wie man sich seine eigene Nische sucht

    Von Svenja Krause

    Was kommt eigentlich nach dem Studium? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Aber Perspektiven. Diese zeigt Dr. Jürgen Gunia seit über 20 Semestern in der Reihe „Germanistik im Beruf” am Beispiel unterschiedlicher Tätigkeitsfelder auf. Im Sommersemester 2018 haben Germanistik-Studierende der BA- und MA-Studiengänge einen Workshop mit Vorträgen von Herbert Knorr und Stefanie Ericke-Keidtel besuchen können. Das Thema diesmal war “Literaturbetrieb und Literaturvermittlung”.

    Als erstes stellte Herbert Knorr seinen Berufsalltag vor. Er ist Manager des Literaturbüros Unna e.V., ein Treffpunkt nicht nur für Literaturliebhaber*innen, sondern auch für angehende Schriftsteller*innen, kreative Kinder und Jugendliche. Besonders stolz ist Knorr auf das von ihm initiierte Krimifestival „Mord am Hellweg“ - Europas größtes Krimifestival. Der erfahrene Literaturvermittler und Schriftsteller nannte auch wichtige Kompetenzen, die Volontär*innen ins Literaturbüro mitbringen sollten: Kontaktfreudigkeit, Organisations- und Planungstalent, insbesondere aber Networking.

    Darum ging es auch im Vortrag von Stefanie Ericke-Keidtel. Die selbstständige Literaturvermittlerin und Kulturmanagerin arbeitet seit Februar für das Junge Literaturhaus in Berlin, ist Pressefrau für den mairisch Verlag und organisiert mehrere große Literatur-Events wie das “Harbour Front Festival” in Hamburg. Spezialisiert hat sich Ericke-Keidtel auf die Literaturvermittlung mit Kindern und Jugendlichen. Um bereits den ganz Kleinen den ersten Kontakt mit Literatur zu ermöglichen, rief sie mit Kolleg*innen das Projekt “Buchstart” ins Leben. Eltern von Kleinkindern bekommen bei ihrem ersten Pflichtbesuch in Hamburger Kinderarztpraxen eine “Buchstart”-Tasche mit verschiedenen Broschüren und einem Buch geschenkt. Zehn Jahre läuft das Projekt nun schon mit großem Erfolg.

    Mit Herzblut dabei

    Begeisterung, Engagement und Passion für ihre täglichen Aufgaben machten die Vorträge Ericke-Keidtels und Knorrs sehr kurzweilig. Durch ihre privaten Einblicke und genauen Ausführungen kam es anschließend schnell zu einem intensiven Austausch, in dem auch die beiden Gäste selbst miteinander ins Gespräch kamen. Beide waren sich einig, dass man im Bereich der Literaturvermittlung sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten hat und seine eigene Nische finden kann. Der Einstieg gelingt allerdings nur, wenn man bereits Praxiserfahrungen gemacht hat. Deshalb raten beide zu Praktika.

    In den abschließenden Interviews erzählten beide Gäste von allgemeiner Zufriedenheit mit dem Beruf, Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und dem “linearen Schein gebrochener Lebensläufe”. Während des Workshops wurden erste Kontakte geschaffen, Tipps gegeben und Mut gemacht. Fazit: Die Berufsperspektiven im Literaturbetrieb und in der Literaturvermittlung sind vielfältig und es besteht Bedarf nach passionierten Leuten mit guten Ideen.

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    Portrait Christof Hamann

    Aus Möglichkeiten entstehen Möglichkeiten entstehen Möglichkeiten

    Von Luisa Bier

    Professor*in und Schriftsteller*in – das beschreibt sicherlich die Idealvorstellung vieler Geisteswissenschaftler*innen abseits des Lehramts. Christof Hamann ist beides und war bereit, im Rahmen der Veranstaltung “Germanistik im Beruf” über seinen Werdegang zu erzählen: über Selbstdarstellung, Resignation und die Notwendigkeit dranzubleiben.

    Wenn man Christof Hamann etwas fragt, antwortet er äußerst bedacht. Jedes Wort ist wohlüberlegt und nahezu druckreif. Aber man merkt, wenn ihn etwas bewegt. Dann holen seine Arme weit aus. Dann ist er mittendrin. Bei dem Thema Literaturvermittlung zum Beispiel: “Es gehört Begeisterung dazu, um Literatur vermitteln zu können. Die Lehre - auch in der Schule - finde ich toll. Aber Originalität und auch ein bisschen Genie - das kann man nicht beibringen.”

    Seit 2013 lehrt Hamann an der Uni Köln. Studiert hat er Germanistik, Philosophie, Soziologie und Geschichte. “Geschichte nur ein bisschen”, korrigiert er lachend. Dann folgten Promotion, Habilitation, der Antritt seiner Professur. Darüber hinaus wurde sein erster Roman “Seegfrörne” veröffentlicht und dann ein zweiter und dann noch ein paar mehr. Als Autor und als Wissenschaftler hat er zahlreiche Stipendien und Preise erhalten. Immer mit einem Ziel: weiter schreiben zu können. Ob für die Uni oder für sich selbst, ist dabei fast egal.

    Auslandsaufenthalte als Schreibimpuls

    Ist wissenschaftliches und kreatives Schreiben denn wirklich miteinander vereinbar? “Kann, muss aber nicht. In meinem Falle hoffe ich, dass der kreative Einfluss die Literaturwissenschaft interessanter und weniger trocken macht”, sagt er und lacht. Freiburg, Berlin, Dortmund, Köln, Basel, Luxemburg, Warschau, New York ... – in diesen Städten hat Hamann gelebt, gearbeitet, geschrieben: “Meine Auslandsaufenthalte und Projekte, die ich wegen der Wissenschaft machen darf, geben mir wiederum Anstoß für das literarische Schreiben.”

    Ob als Professor oder Autor - Hamann sieht sich stets als Literaturvermittler. Am Institut für Deutsche Sprache und Literatur hat er die Literaturzeitschrift “Schliff” initiiert, die etablierte Wissenschaftler*innen, bekannte Autor*innen und auch Studierende zusammenbringt – eine Riesenmöglichkeit für Studierende, Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Dazu rät er immer wieder. Denn: nur Möglichkeiten eröffnen Möglichkeiten.

    Das hat er selbst auch beherzigt. Im Literaturbetrieb hat er alles schon mal durchlaufen: Praktikum im Literaturhaus, freier Mitarbeiter für lokale und überregionale Tageszeitungen, Moderation, Mitglied in Literaturjurys, Lektorat und Lehraufträge für mehr oder weniger oder gar kein Geld. “Klar ist das unfair, aber das gehört dazu. Bei der Literatur muss man erstmal kleine Schritte gehen. Man sollte sich aber nicht entmutigen lassen.” Mit dieser Einstellung hat er einiges gelernt. Zum Beispiel, was die Branche über junge Autor*innen denkt, dass man Literaturagent*innen niemals im Voraus bezahlen darf und dass bei einem 600-Seiten-Werk mindestens 100 Seiten gekürzt werden. Vor allem: Wer schreiben will, muss einfach anfangen zu schreiben - aber in Ruhe: “Es ist für mich unbegreiflich, wie man jedes halbe Jahr ein Buch veröffentlichen kann. Jedes einzelne ist mühsam. Früher dachte ich, es würde irgendwann leichter. Aber es fällt jedes Mal gleich schwer.”

    Früh aufstehen und schreiben

    Disziplin ist gefragt. Jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen und sich auf das Schreiben fokussieren. Hamann sagt über sich selbst, dass er sehr langsam und auch planlos schreibe. Vom Geschriebenen verwirft er dann wieder einiges. “Die Hauptsache ist dranbleiben. Das kann auch davorsitzen und nicht schreiben bedeuten. Oder kürzen und verwerfen. Kein Urlaub. Keine Pause. Nicht ausschlafen”, sagt Hamann und es scheint so, als würde das Schreiben ihm sogar fehlen.

    Wie bringt er seine Bücher dann unter die Leute? Dazu lächelt er nur müde. “Das Wichtigste ist Selbstvermarktung.” Ihn kostet das genauso viel Überwindung wie die meisten Menschen. Das kann auch schon mal unangenehm werden. Wie damals, als er nach einer Lesung mit ein paar Blättern seiner Gedichte an einen deutschen Lyriker herantrat, um ihn zu fragen, ob er die mal lesen wolle. Nein, er habe Rückenprobleme und könne deshalb nichts mehr tragen, soll dieser geantwortet haben.

    Wenn man es denn geschafft hat, einen Roman zu veröffentlichen, muss man sich noch der Kritik am Werk stellen. Wie geht man damit um? Will man sich da nicht manchmal einfach verkriechen? “Ja, natürlich gibt es Verrisse, da kommt man nicht drumherum. Das muss man eben schlucken und dann geht es weiter. Entweder lernt man, damit umzugehen oder man hört auf. Auch an der Uni wird man kritisiert. Die Literaturwissenschaft hilft jedoch, weil die Kritik oft netter ist.”

    Wie schafft Hamann es neben dem Vollzeitjob als Professor, den Auslandsaufenthalten, dem Vernetzen und dem Schreiben auch noch ein Privatleben zu führen? “Meine Frau ist Künstlerin. Sie ist eine Wissenschaftlerin und Kreative. Unsere Wohnung ist ihr Atelier. Manchmal haben wir gemeinsame Projekte, beispielsweise beim Schliff. Aber sonst ist sie in eigene Projekte involviert. Anders geht es auch nicht. Wenn sie immer Freizeit machen wollte und ausgehen... Nein, das geht nicht”, erklärt Hamann schmunzelnd und dabei wirkt er sehr zufrieden.

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    Interview Herbert Knorr

    Manchmal lohnt es sich zu stolpern

    Von Lena Marie Brinkmann

    Herbert Knorr ist Leiter des Westfälischen Literaturbüros in Unna. Neben zahlreichen Veröffentlichungen von Sachbüchern, Satiren und Kurzkrimis leitet der mittlerweile 66-Jährige auch das größte internationale Krimifestival Europas „Mord am Hellweg”. Der promovierte Literaturwissenschaftler sprach am Rande des Workshops zu der Übung „Germanistik im Beruf” mit Lena Marie Brinkmann über Arthur Schnitzler, das Literaturbüro, aber auch über seine Kultur-Pommesbude und seine Fußball-Leidenschaft.

    Herr Knorr, auf Ihrer Website zitieren Sie Kafka: „Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt, stolpern zu machen, als begangen zu werden.“ Welche Bedeutung haben diese Worte für Sie?
    Herbert Knorr: Man kann permanent auf seinem Weg über etwas stolpern. Insofern hat dieses Zitat viel mit meinem Lebensweg zu tun. Man versucht, achtsam zu sein und dennoch können Dinge geschehen, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hätte. Aber: Das ist auch gut! Damals nach der Promotion wäre ich zum Beispiel gerne an der Universität geblieben, aber ich musste andere Abzweigungen nehmen. Das sind Wege, die man bis dato gar nicht kannte. Das sind, um bei Kafka zu bleiben, die Seile, die einen zum Stolpern bringen und mit denen man nicht gerechnet hat und mit denen man auch gar nicht rechnen konnte. Und das ist – muss ich im Nachhinein sagen – sogar besser.

    Über welche Seile sind Sie auf Ihrem Weg gestolpert?
    Knorr: Bei mir gab es mehrere Seile. Ich habe damals meinen Bank-Beruf und eine Sparkassen-Karriere aufgegeben. An dieser Stelle meines Weges habe ich mir selbst das Seil gespannt, da wollte ich stolpern und etwas Neues auf mich zukommen lassen. Es ist ein großes Wagnis, wenn man einen Beruf hat und schon Geld verdient, dann aber eine Abzweigung nimmt, ohne genau zu wissen, was man machen will. Schließlich habe ich studiert und nach dem zweiten Staatsexamen festgestellt, dass ich nicht Lehrer werden will. Da hatte ich wieder selbst ein Seil gespannt oder mir eine Hürde in den Weg gelegt – ohne überhaupt zu wissen, was aus mir werden soll.

    Profitieren Sie heute noch von dieser ersten Berufsausbildung zum Bankkaufmann?
    Knorr: Ja, ganz gewiss. Der Büroalltag besteht zu meinem Leidwesen nur wenig aus Textlektüre, vieles ist Organisation und Planung. In der Position als Leiter des Westfälischen Literaturbüros und in der Intendanz der Festivals muss ich bereit sein, Geld auszugeben. Klug auszugeben! Ich muss viele Verträge abschließen und im Blick haben, zum Beispiel mit Verlagen. Aber auch in der Planung und der Akquise von Drittmitteln hilft der frühere Beruf. Von Marketingausgaben bis zu Fahrtkosten müssen verschiedene Positionen einkalkuliert werden. Ein Überblick über den gegenwärtigen Markt ist notwendig.

    Ihr Studium (Germanistik und Geschichte in Duisburg) haben Sie mit 1,0 abgeschlossen. Waren Sie ein Streber?
    Knorr: Nö. Meine ältere Schwester konnte an einem Nachmittag Schillers „Das Lied von der Glocke” auswendig lernen. Das habe ich nicht durchgehalten. Ich war zunächst auf einer Realschule und habe das Abitur dann mit 24 Jahren nach dem Bankkaufmann-Job auf einem Tageskolleg nachgeholt. Dafür bekam man zu der Zeit volles BaföG, um Studenten an die Universitäten zu locken. Auf dem Kolleg habe ich ebenfalls vor allem das gemacht, was mit Freude bereitete. Sprachen waren eher das Ding meiner Schwester, denn die konnte sehr gut auswendig lernen.

    Und was konnten Sie sehr gut?
    Knorr: Ich habe lieber Texte und Gedichte geschrieben. Am Kolleg und später an der Uni waren Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften eher meins. Die Mitschüler am Tageskolleg kamen ebenfalls aus der Arbeitswelt, und durch diese Erfahrungen hatten wir alle den Ehrgeiz, unser Abitur nachzuholen. Auch an der Universität gehörten ich und die anderen Kollegiaten, wir etwas älteren Studenten, zu denen mit sehr guten Leistungen. Wir hatten durch unseren Arbeitsweltbezug ganz andere Erfahrungen und vor allem konkrete Ziele und damit einen ganz anderen Ehrgeiz, als diejenigen, die direkt von der Schule an die Uni gingen. Im dritten Semester hat mir ein Professor nach einer Hausarbeit nahegelegt, für seine wissenschaftliche Literaturzeitschrift daraus einen Aufsatz zu machen. Das war dann meine erste Veröffentlichung. Dann kam eine zweite, eine dritte und dann wollte ich promovieren. Aber ein Streber war ich trotzdem nicht: Ich bin zum Beispiel überhaupt nicht zu jeder Veranstaltung gegangen, man hat da viel aussuchen können und Scheine haben wir uns mitunter auf abenteuerlichen Wegen besorgt.

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    War Ihr Berufsziel vor dem Studium das Lehramt? Oder doch das Theater?
    Knorr: Ich hatte an Theatern hospitiert und wollte Theaterwissenschaften studieren, aber es gab nur zwei Städte, die dafür in Frage kamen: Hamburg und Köln. Da habe ich mich jeweils vor Ort informiert, aber die waren derart überlaufen... Ich habe mich dann für Germanistik entschieden. Im Nachhinein kann man sagen: Daran ist zu sehen, dass ich gar nicht in die Schule wollte. Von Vornherein nicht. Schließlich habe ich mir mein Ziel einfach offengelassen und daran geglaubt, dass schon irgendetwas kommen wird. Heute würde ich das nicht mehr so machen. Wenn ich heute die jüngeren Leute sehe, ist da so viel mehr Sicherheit im Spiel bei den Bachelor-Generationen. Und wenn man dann so eine Traum-Kombination studiert wie Geschichte und Germanistik, mit der man alles machen kann – oder gar nichts... Ich wusste damals nur: Ich will auf keinen Fall Lehrer werden und ich promoviere jetzt und was danach kommen würde, war offen.

    Sie haben zu Arthur Schnitzler promoviert. Wollten Sie nach der Promotion Professor werden?
    Knorr: Ja, wenn ich an der Universität eine Stelle bekommen hätte und der Mittelbau damals nicht reduziert worden wäre, hätte ich auch habilitiert. Aber es ging Ende der 80er und Anfang der 90er eben nicht.

    Wie ging es weiter, als Sie nicht an der Universität bleiben konnten?
    Knorr: Es gab Niederlagen. Bestimmte Jobs, die ich haben wollte, aber nicht bekam. Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen habe ich mich mehrere Jahre über Wasser gehalten. Und mit Arbeitslosengeld dazwischen. Das ging damals ganz gut, weil die gut bezahlt waren. Eine langfristige Perspektive boten die Maßnahmen jedoch nicht. Ich hätte zum Beispiel kein Haus kaufen können, wollte ich auch gar nicht. Andererseits haben mir die Stellen erste Erfahrungen im Literaturmanagement verschafft, was dann später – unverhofft – hilfreich war.

    Gab es Alternativen in der Zeit nach der universitären Arbeit?
    Knorr: Als ich ein halbes Jahr arbeitslos war, habe ich mit meinem Bruder und einem Freund eine Pommesbude aufgemacht. Der Freund hatte bereits eine ganz gutgehende Pommesbude – wir haben uns nicht gänzlich ohne Erfahrung daran gewagt. Mein Bruder hatte seine Lehrer-Ausbildung in den Fächern Latein und Geschichte beendet und fand 1992 keinen Job. Er hatte auch überlegt, in die neuen Bundesländer zu ziehen. Doch die Buden-Idee versprach das ganz große Geschäft: Wir hatten eine Bude gekauft und komplett renoviert. Zur Einweihung war Norbert Labatzki, ein genialer Gelsenkirchener Musiker und künstlerischer Alleinunterhalter, zu Gast und hat als Dr. Stolzenfels gespielt. Wir sind bei “Prince”, einem ehemaligen Kulturmagazin fürs Ruhrgebiet, sogar Pommesbude des Jahres geworden. Und zwar wollten wir uns als Kultur-Pommesbude in Bottrop Boy etablieren und ab und zu Ausstellungen machen und Lesungen veranstalten. Für die Eröffnung hatten wir eine junge Künstlerin von der Düsseldorfer Kunstakademie eingeladen. Die hat Fastfood-Aktfotografien mit ihrer bejahrten Großmutter gemacht.

    Wie kann man sich das vorstellen?
    Knorr: Omma lag dann im Wohnzimmer auf einem rustikalen Eichenholz-Esstisch auf einem weißen Laken und hatte eine Currywurst samt Soße und Pommes auf dem Bauch. Diese Motive hatten wir in unserer Bude aufgehängt. Zwei Monate später waren wir dann pleite: Viele Menschen waren zwar gekommen, um die Fotografien zu sehen – auch wegen der dazu veröffentlichten Artikel. Doch als wir nach drei Wochen die Bilder abgenommen haben, kam keiner mehr. Die auswärtigen Gäste blieben aus, die aus dem Viertel gingen nicht zu so spinnerten Leuten, die kauften ihre Pommes woanders. Außerdem hatte mein Bruder in der Zwischenzeit einen Job in Krefeld bekommen, sodass wir von heute auf morgen Personal einstellen mussten, was wir nicht bezahlen konnten, da es keinen Umsatz gab. Gewinn schon gar nicht! Das kann man jetzt nach 25 Jahren als nette Anekdote erzählen, wegen des zeitlichen Abstandes. Aber diese Zeit war natürlich mit Ängsten verbunden und der Weg ist nie so linear, wie er jetzt im Nachhinein aussieht, sondern völlig gebrochen – mit vielen Zweifeln und Niederlagen.

    Sehen Sie für jetzige Generationen bessere oder schlechtere Chancen und Arbeitsbedingungen?
    Knorr: Das ist heute sicherlich nicht viel besser, wenn man an die Generation Praktikum denkt, vor zwei, drei Jahren. Heute bekommt man eher befristete Verträge. Ich sehe das an meinem Sohn, der Politikwissenschaften studiert und dann an der Universität gearbeitet hat. Inzwischen arbeitet er in Bonn bei einem Bundestagsabgeordneten. Und das ist auch kein absolut sicherer Job, sondern ein Planen bis zum Ende der jeweiligen Legislaturperiode, wenn überhaupt. Auch in meinem weiteren Umfeld erkenne ich: Für die jüngeren Generationen wird es nicht einfacher. Da kommen oft die erwähnten Stolperseile, die es verhindern, dass man sich häuslich einrichten kann. Mittlerweile scheint es selbstverständlich zu sein, dass man zwischen Städten wie Berlin und Hamburg pendeln muss, dass Familien sich so arrangieren, dass es zwei Fixpunkte gibt. Damals war das, zumindest gefühlt, noch nicht so prekär.

    Seit 1994 sind Sie Leiter des Westfälischen Literaturbüros in Unna. Was sind die Kernaufgaben dieser Einrichtung?
    Knorr: Unsere Arbeit fußt im Wesentlichen auf drei Säulen: Wir beraten zum einen Autoren, indem wir in Zeitschriften („Lit°Form“) über Angebote, Stipendien, Preise und Publikationsnetzwerke informieren. Und über ein paar andere Instrumente verfügen wir auch noch, bis hin zum persönlichen Gespräch. So kann Autoren der berufliche Einstieg und der Kontakt zu Verlagen erleichtert werden. Die zweite Säule besteht in Weiter- oder Fortbildungsangeboten wie zum Beispiel der Ferienakademie für junge Autoren bis 25 Jahren. Die dritte Säule bildet die Organisation von Veranstaltungen wie dem „Mord am Hellweg“-Krimifestival oder anderen Veranstaltungsreihen und Lesungen.

    Sind Sie im Nachhinein froh darüber, dass Sie heute nicht in den universitären Strukturen arbeiten, sondern sich im Literaturbüro selbst Strukturen schaffen?
    Knorr: Natürlich bin ich darüber froh. Muss ich ja auch sein... (lacht). Wieso sollte ich darüber unglücklich sein, wenn es einen wichtigen Teil meines Lebens erfüllt. Das sieht man am besten daran, dass ich eigentlich schon pensioniert bin, aber in den gleichen Funktionen mit gleich großen Zeitaufwand und dem Segen meines Arbeitgebers einfach weiterarbeite. Es ist einfach toll, mitten im Geschehen des Literaturbetriebs zu stehen und Leute aus aller Welt kennenzulernen, vor allem Autoren. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Universität irgendwie auch immer ein Elfenbeinturm war. Ich hätte es damals gerne gemacht, denn die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und auch die Arbeit in der Lehre haben mir gefallen. Aber hätte das damals alles reibungslos funktioniert, hätte ich niemals das kennengelernt, was ich jetzt mache.

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    Wie schaut ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?
    Knorr: Ich gehe mal vom gestrigen Donnerstag aus: Morgens öffne ich nach dem Frühstück zuhause erst einmal unsere Webseiten und schaue mir auch die Statistiken zu deren Aufrufen an. Der nächste Check betrifft die Bürokonten. Zur Sicherheit. Im Büro widme ich mich dann zunächst dem digitalen und dem analogen Postfach. Allein das Checken und Beantworten der Mails kann eine Stunde dauern. Gestern musste ich Verträge unterschreiben u.a. einen Medienkooperationsvertrag mit dem WDR. Dazu brauche ich stets den Überblick über den gesamtwirtschaftlichen Plan für die Projekte. Zwischendurch habe ich Texte quergelesen: Protokolle und Texte für das Festival-Programm „Mord am Hellweg“, die noch in den Druck mussten. Für eine Pressemitteilung habe ich Stichpunkte notiert und mich auf die Teilnahme an einer Jury vorbereitet. Zwischendurch reißen Anrufe immer mal wieder raus. Die Druckerei rief an, weil es Probleme mit dem Auftrag gab. Um sowas kümmert man sich dann außer Plan. Etwas Kleines gegessen habe ich zwischendurch irgendwie auch noch, vor einem Beratungsgespräch mit einer Autorin, die ein Strickbuch verlegen möchte. Das Buch war wirklich gut gemacht! Dann hatten wir noch eine Teambesprechung für das Krimi-Festival. Gegen 18 Uhr bin ich nach Hause gefahren.

    Als was sehen Sie sich beruflich: als Publizist, Autor, Manager, Didaktiker?
    Knorr: Schwierig. Ich bin gespalten. Manager und Autor. Literaturvermittler, der auch schreibt.

    Bringen diese beiden Pole Vorteile und Synergien?
    Knorr: Die Autorenschaft und die Bekanntschaften, die ich auf dem Weg gemacht habe, sind gegenseitig von Nutzen. Ich kenne aus eigener Erfahrung die Produktionsseite um die Künstler herum und ich kenne die Seite des Literaturbetriebes durch die Vermittler- und Veranstalterarbeit. Deshalb verstehe ich beide Seiten, weil ich manchmal auf der jeweils anderen tätig bin und Dinge sehe, die mich erschrecken. Wenn ich als Autor eingeladen bin und wenn ich dann kein Catering bekomme, maximal Nüsse... Dann geht mir schon mal die Hutschnur hoch! Wo ich mich doch bemühe, den Autoren immer gutes Catering zu bestellen. Und umgekehrt gibt es ... Nein, davon erzähle ich nichts, das bleibt Betriebsgeheimnis.

    Kommen Sie bei all den Vermittler-Aufgaben noch selbst zum Schreiben?
    Knorr: Ich schreibe nicht mehr wie früher abends oder nachts, sondern nur noch vormittags vier bis fünf Stunden. Die Nachteulen-Zeiten sind vorbei. Also schaffe ich es wegen meiner Haupttätigkeit eigentlich nur noch am Wochenende, das musste und muss das familiäre Umfeld dann auch mittragen. Aber mein Schreiben ist sowieso eher ein Spielbein. Oder „gutes Taschengeld“. Wie gesagt: Es fehlt mir halt an der Zeit. Statt Romane und Krimis schreibe ich eben Konzepte oder stelle Finanzpläne auf. Aber wissen Sie was? – Selbst das kann sehr befriedigend sein, wenn etwas Gutes für die Literatur, ihre Akteure und vor allem die Autoren dabei herauskommt.

    Seit 2002 findet „Mord am Hellweg“ statt. Wird das Krimi-Genre irgendwann langweilig?
    Knorr: Ich lese mittlerweile weniger Krimis als am Anfang, vor allem, weil ich ja auch selbst welche schreibe, mit Sachbüchern hatte ich angefangen. Erst die Literaturgeschichte, dann sieben Jahre lang „Der Himmel ist unter uns“. Dann bin ich auf meine alte Deutschlehrerin gestoßen, vom Kolleg. Sie ist allerdings nur sechs, sieben Jahre älter als ich. Man kannte sich, zumal ihr Mann an der Universität mein Linguistikprofessor war. Ende der 80er lebten wir uns nach dem Ende meiner Promotion etwas auseinander. Sie studierte Afrikanistik und Orientalistik und war eine Zeit lang in Afrika. Ihr Roman „Splitter im Sand“ landete auf meinem Schreibtisch. 2004 habe ich sie dann eingeladen. Im Gespräch habe ich erzählt, was mich oft an Krimis stört und sie hat mir beigepflichtet. Wir hatten ähnliche Ideen und haben dann beschlossen, dass wir zusammen Krimis schreiben. Aber richtig Gute mit gesellschaftspolitischem Anspruch! Das haben wird dann auch gemacht.

    Diese gemeinsamen Thriller „Hydra“ und „Todenspfad“ sind unter einem Pseudonym erschienen. Wie sind Sie auf den Namen Chris Marten gekommen?
    Knorr: Ganz banal, der Verlag wollte, dass nur ein Name auf dem Cover steht. Wir hatten erst versucht, aus den gemeinsamen Buchstaben unserer Vor- und Nachnamen einen neuen Namen zusammenzusetzen, aber dem Verlag hat nichts davon gefallen. Zu Recht. Und so hat er uns schließlich eine Liste mit fünf Vornamen und fünf Nachnamen gegeben und daraus durften wir dann aussuchen. Chris ist ein geschlechtsneutraler Name und Marten hörte sich einfach gut an. Viele haben das Buch auch gekauft, weil sie dachten, der Sänger Chris Martin hätte es geschrieben. Ist doch toll, oder? Damit erreichten wir eine ganz andere Zielgruppe als gedacht. Würde ich heute aber nicht mehr machen, das mit dem Pseudonym.

    In Krimi-Anthologien erscheinen Kurzgeschichten. Schreiben Sie auch Kurzgeschichten und ist das Genre mit Ihren Zeitfenstern verträglicher?
    Knorr: Ja, ich schreibe auch Krimi-Kurzstorys, aber das mit der Zeitersparnis ist ein Irrtum. Nur weil der Seitenumfang geringer ist, heißt es nicht, dass die Planung und das Schreiben schneller von der Hand gingen. Man muss wie beim umfangreichen Krimi einen guten Plot finden, aber das Ganze viel stärker verdichten. „Schitt häppens“ ist in gewisser Weise auch eine Kurzgeschichtensammlung. Früher hatte ich nämlich mit Kurzgeschichten angefangen, die Textsorte war damals durch den Rundfunk recht populär. Ich hatte dann für die Neuveröffentlichung eine Rahmenhandlung dazu geschrieben, die letztlich aber genauso lang wurde wie die neun Kurzgeschichten. Ganz aktuell habe ich wieder eine Kurzgeschichte geschrieben, einen Weihnachtskrimi. Und noch aktueller werde ich für die Criminale in Aachen nächstes Jahr eine Krimi-Kurzgeschichte schreiben, in der der Aachener Dom und Karl der Große eine Rolle spielen werden.

    Was könnten Sie sich noch wünschen – nach der „Pommesbude des Jahres“? Und abgesehen von der Dauerkarte auf Schalke?
    Knorr: Ja, die Dauerkarte auf Schalke muss natürlich sein. Schließlich bin ich in diesem Stadtteil geboren und aufgewachsen. Da war ich damals übrigens auch in der F-Jugend. Die Meisterschaft wünsche ich mir nicht, ich wünsche mir nur, dass die Jungs so gut und intensiv spielen wie in der letzten Saison. Berufsmäßig: Mein Vertrag im Literaturbüro ist trotz Rentenalter verlängert worden, was will ich mehr. (überlegt) Hmm, was könnte ich mir also wünschen? Ja, zwei Wünsche habe ich noch: Erstens keine Pommesbuden mehr und zweitens – der Wunsch jedes Schreibenden: einen Bestseller. Aber ich wäre auch ohne die Erfüllung des letzten Wunsches immer noch glücklich!

    Was würden Sie Germanistik-Studierenden aus Ihrer Perspektive raten?
    Knorr: Den reinen Germanisten bzw. die reine Germanistin gibt es nicht. Nicht in der außeruniversitären Arbeitswelt. Zweitfächer, z.B. Wirtschaft oder Kulturmanagement, und Praxiserfahrungen sind wichtig. An der Universität habe ich gelernt, wissenschaftlich zu schreiben, in Nebenjobs bei Zeitungen habe ich das journalistische Schreiben kennengelernt und privat habe ich Gedichte und Geschichten, also kreativ, geschrieben. Das sind unterschiedliche Stile und Perspektiven, aber es ist dasselbe Medium: Text. Und alle haben mir für und bei meiner Arbeit genutzt. Sicherlich: Niemand kann alles lesen, aber man kann sinnvoll selektieren. Ich kann daher nur jedem Germanistik-Studierenden raten, sich möglichst breit aufzustellen, sich einen großen Überblick über die historische und Gegenwartsliteratur zu verschaffen also zu lesen, zu lesen, zu lesen!

    Haben Sie Ratschläge für den Übergang in den Beruf?
    Knorr: Man sollte idealerweise schon während des Studiums Praktika auch zum Netzwerken nutzen. Nach dem Studium sind Volontariate oft ein gutes Sprungbrett, aber auch Vertretungsjobs für Elternzeiten etc. sind oft eine Chance, auch wenn sie befristet sind.

    Im Literaturbüro arbeiten auch Volontäre. Wie wählen Sie unter den Bewerbern aus?
    Knorr: Zurzeit sind es drei Volontäre und Volontärinnen. Studiert haben sie Fächer aus den Bereichen Germanistik und Kulturwissenschaften. Uns ist es wichtig, dass der Umgang mit Office Programmen sicher ist und „content management systeme“ zumindest vom Begriff her den Bewerbern etwas sagen. Wichtig für unsere Auswahl sind Erfahrungen, Qualifikationen und Sprachen. Gerne auf Native-Speaker-Niveau (lacht). Im Bewerbungsgespräch ist entscheidend, dass jemand motiviert wirkt, sich eingehend informiert hat und Begeisterung zeigen kann. Auch die Persönlichkeit muss in unser Team passen und es ist genauso wichtig, dass man auch über persönliche Schwächen sprechen kann.

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    Portrait Stefanie Ericke-Keidtel

    Eine Frau, eine Leidenschaft und viele Berufe

    Von Carolin Gleiche

    Lesen begeistert – daran haben auch Menschen wie Stefanie Ericke-Keidtel ihren Anteil: Die gebürtige Hamburgerin veranstaltet Literaturfestivals, ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim mairisch-Verlag und weitet die Angebote für Kinder und Jugendliche im Literaturhaus Berlin aus. Ihren vielseitigen Beruf brachte sie Studierenden der Universität Münster im Rahmen des Workshops “Germanistik im Beruf” näher.

    Ericke-Keidtel hat es geschafft – sie macht ihre Leidenschaft zur täglichen Arbeit. Und das merkt man ihr an – auch wenn der Weg zum Traumjob nicht immer leicht war. Sie hat vieles ausprobiert und ist einige Umwege gegangen, bis sie zufrieden war. So betont sie immer wieder: „Jetzt wirkt es vielleicht so, als wäre das ein gerader Weg gewesen. Aber das war es nicht. Ganz im Gegenteil!“ Während sie erzählt, wirkt es fast so, als sei sie selbst überrascht von ihrem Lebensweg und von den Zufällen, die ihn bislang bestimmten. Auch sie sah sich lange konfrontiert mit dem Problem, das vielen Studierenden bekannt vorkommt: „Im fünften Semester hatte ich einen Durchhänger, fand zwar mein geisteswissenschaftliches Studium toll, sah aber keinen Praxisbezug und dachte, wen interessiert das, was ich hier lerne,  im Berufsleben? Dann habe ich mir ein Semester Zeit für Praktika genommen, um herauszufinden, was ich wirklich will und welche Berufe zu mir und meinen Fähigkeiten passen könnten.“

    Praktikumsodyssee

    Damals absolvierte sie einige Praktika in unterschiedlichen Berufsfeldern, vor allem im Journalismus und PR-Bereich. Am Ende gefiel ihr aber nur eins. Was sie damals frustrierte, sieht sie heute positiv. Denn durch das Reinschnuppern in die verschiedenen Bereiche zeigte sich am Ende, was das Richtige für sie war. „Die Presse- und Veranstaltungsagentur war mein letzter Praktikumsplatz. Von den vorherigen Praktika war ich eher enttäuscht oder fand mich dort zumindest nicht wirklich wieder. Umso glücklicher war ich, dass mir die Pressearbeit und die Betreuung von Verlagen und Autoren bei ‚Pauw & Politicky‘ vom ersten Tag an so unglaublich viel Spaß bereitete.“

    Nach dem Masterabschluss ihres geistes- und kulturwissenschaftlichen Studiums in Hamburg nimmt sie bei ihrer Praktikumsstelle eine Festanstellung an und steht damit seitdem im ständigen Kontakt zu Autor*innen, Verlagen und anderen Literaturvermittler*innen. Hier legt sie auch den Grundstein für einen weiteren wichtigen Bestandteil ihres beruflichen Lebens: das “Lesefest Seiteneinsteiger”. Das für Kinder und Jugendliche ausgerichtete Festival erweckt Literatur zum Leben. An verschiedenen Orten Hamburgs finden Workshops und Veranstaltungen, Lesungen und Aktionen rund um Kinder- und Jugendliteratur statt. Autor*innen und Illustrator*innen aus aller Welt kommen in die Stadt und begeistern das junge Publikum.

    Endlich der Traumjob

    Kinder- und Jugendbücher werden in der folgenden Zeit immer mehr zu Ericke-Keidtels Leidenschaft. Auch bei dem ebenfalls von ihr mitorganisierten Literaturfestival “Harbour Front” in Hamburg ist sie für diesen Bereich zuständig, ebenso wie im Literaturhaus Berlin. Hier findet sie die Sinnhaftigkeit, die sie anfangs im Berufsalltag suchte: „Reich wird man damit eher nicht. Aber man arbeitet mit vielen tollen und netten Menschen für eine tolle Sache. Hier sind alle noch mit Begeisterung dabei!“

    Den Studierenden einen Einblick in einen typischen Arbeitstag zu geben, beschreibt sie als fast unmöglich. Dafür sei er einfach zu vielseitig. Ob Büroarbeit am Schreibtisch, Treffen mit Sponsoren, Pressearbeit für den Verlag oder Betreuung von Autor*innen – all dies und viel mehr fällt in ihren Aufgabenbereich: „Aber ab vier Uhr, wenn die Kinder heimkommen, ist Familienzeit!“

    Ob ihr etwas an ihrem Beruf nicht gefalle? Da muss sie eine Weile überlegen. Schließlich sagt sie: „Das unbeschwerte, ziellose Lesen bleibt auf der Strecke. So geht es wohl allen, die sich hauptberuflich mit Literatur beschäftigen. Aber das ist nur ein kleines Manko. Alles in allem kann ich wirklich sagen: Ja, ich habe meinen Traumjob gefunden!“

  • Interview Stefanie Ericke-Keidtel


    So schön kann die Buch-Branche sein

    Von Christopher Lukman


    Stefanie Ericke-Keidtel ist vielseitig. Die selbstständige PR-Managerin und Literaturvermittlerin macht Öffentlichkeitsarbeit bei “mairisch”, einem Hamburger Indie-Verlag für Romane, Kinder- und Sachbücher, ist u.a. für das Kinder- und Jugendprogramm des “Harbour Front Literaturfestivals” zuständig und arbeitet für den Verein Seiteneinsteiger, der in Hamburg zahlreiche Leseförder-Projekte umsetzt. Seit dem Frühjahr 2018 ist sie auch für das neue Kinder- und Jugendprogramm des Literaturhauses Berlin zuständig. Im Rahmen eines Workshops der Übung “Germanistik im Beruf” zum Thema “Literaturvermittlung” hat Christopher Lukman mit ihr gesprochen.

    Was antworten Sie selbst, wenn Sie nach Ihrer Berufsbezeichnung gefragt werden?
    Stefanie Ericke-Keidtel: Was immer von mir verlangt wird. (lacht) Presse-Frau, Veranstalterin, Event Managerin: Hier im Workshop wurde ich als Literaturvermittlerin eingeladen, so nenne ich mich eigentlich nicht so häufig. Obwohl, doch, beim Standesamt!

    In Ihrem kurzen Vortrag wurde bereits deutlich, welche Freude Sie an Ihrer Arbeit haben. Könnten Sie Ihren Arbeitsalltag noch einmal mit drei Wörtern zusammenfassen?

    Ericke-Keidtel: (überlegt) “Vielseitig”. “Abwechslungsreich” – wobei das eigentlich dasselbe ist, also sage ich lieber: “erfüllend”. Und zuletzt noch: “schön”.

    Das sind wirklich ausgezeichnete Antworten! Ich glaube auf diese drei Wörter wäre nicht jeder gekommen.
    Ericke-Keidtel: Ja, das stimmt! Ich bin natürlich auch mal genervt und gestresst, insbesondere zu bestimmten Zeiten der Festival-Arbeit, und leider verdient man auch nicht so viel. Vor allem in der Kinderbuchbranche verdient man oft eigentlich so wenig, dass alle, die dort längerfristig arbeiten, mit purer Leidenschaft dabei sind. Und ich habe generell mit vielen netten und leidenschaftlichen Leuten zu tun. Das macht Spaß.

    Bei mairisch ist die Atmosphäre wahrscheinlich auch viel netter als in der üblichen PR-Maschinerie.
    Ericke-Keidtel: Genau, wir arbeiten auf einem persönlichen Niveau. Der Kontakt zwischen mir und meinen Kollegen ist sowieso freundschaftlich, aber auch mit Autoren und Journalisten arbeiten wir eng zusammen. Wir hatten letztens beispielsweise einen Autor, der normalerweise Drehbücher schreibt und nun erstmals ein Kinderbuch veröffentlichen wollte. Der kam zu uns und fühlte sich nahezu berauscht, weil er so verwundert darüber war, dass alle ihm gegenüber so freundlich waren - der war ganz anderes gewöhnt (lacht). Aber natürlich ist PR-Arbeit immer noch PR-Arbeit. Ich muss auch Rezensionsexemplare an Rezensenten schicken, die ich nicht kenne. Aber weil ich bereits fast 20 Jahre in der Branche bin, habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut, von dem ich profitieren kann.

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    Aber selbst wenn das Arbeitsklima im mairisch-Verlag sehr warm ist, gibt es doch bestimmt auch dort frustrierende oder ärgerliche Momente.
    Ericke-Keidtel: Wenn man Öffentlichkeitsarbeit für einen kleinen Verlag macht, muss man sich darüber im Klaren sein, dass manchmal bei 80% der Arbeit nichts herumkommt. Viele Anfragen werden ignoriert, weil Journalisten heutzutage viel zu tun haben. Man kann sie nicht ständig anrufen, das nervt sonst grundlos. Es gibt eine kleine Chance, dass etwas gelesen wird, deshalb verschickt man die Bücher trotzdem - man sollte sich aber vorher gut überlegen, ob das Buch wirklich zu diesem Rezensenten oder der Rezensentin passt.

    Kommen wir zu Ihrer Tätigkeit als Veranstalterin von Literaturfestivals. Auf wie vielen Festivals sind Sie im Jahr, und wann ist für Sie die stressigste Zeit im Jahr?
    Ericke-Keidtel: In der Organisation bin ich bei zweien beschäftigt, dem “Harbour Front Literaturfestival” und dem “Lesefest Seiteneinsteiger”, bei dem wir allein 200 Veranstaltungen in knapp zehn Tagen veranstalten. Dann habe ich noch viele Eintagesveranstaltungen, von denen manche wie “Hamburgs BuchentdeckerTag” oder “Das Fest der kleinen Wichte” auch wiederum sehr groß sind. Ich gehe privat auch auf das ein oder andere Festival. Die stressigste Zeit im Jahr ist für mich der September und der Oktober, weil die beiden großen Festivals in dieser Zeit stattfinden. Aber auch Mai und Juni sind sehr anstrengend, da muss alles finalisiert werden, was das Programm angeht. Deswegen ist das die erste Hochzeit, die zweite sind die Festivals selbst. Das macht aber viel Spaß: Man ist immer voller Adrenalin, und die Zeit vergeht sehr schnell. Im November fällt man dann häufig in ein Loch. Jetzt habe ich glücklicherweise das Literaturhaus und kann mich auch in dieser Zeit gut beschäftigen. (lacht)

    Bei einer Veranstaltung von so einer Größenordnung klappt wahrscheinlich nicht immer alles so, wie man es gern hätte. Können Sie uns von dem größten Unglück erzählen, das Sie mal erlebt haben? Und wie sind Sie dann damit umgegangen?
    Ericke-Keidtel: Beim letzten Hamburger Lesefest Seiteneinsteiger im Herbst haben wir zum Beispiel viele Veranstaltungen mit Autoren aus Berlin gehabt. Während der Veranstaltung kam der Sturm Xavier, der die komplette Bahnstrecke Hamburg-Berlin über Tage lahmlegte, also kamen viele Autoren einfach nicht mehr weg. Dann mussten wir Hotels finden, aber weil ja so ziemlich jeder in Hamburg feststeckte, waren die meisten Hotels schon voll. Wir haben dann auch noch etwas gefunden. Zwei Autorinnen, die auch betroffen waren, mussten allerdings im selben Zimmer übernachten. Glücklicherweise kannten die sich. In solchen Momenten muss man einen kühlen Kopf bewahren. Solche kleinen Naturkatastrophen gibt es ja häufiger. Wenn sich so etwas anbahnt, hat man hoffentlich die Erfahrung, ruhig zu bleiben und kennt die richtigen Leute, die man um Hilfe bitten kann.

    Weil Sie viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben – wie schätzen Sie das Interesse von jüngeren Leuten an Literatur heutzutage ein?
    Ericke-Keidtel: Darüber könnte ich jetzt viele Stunden reden. Ja, wenige Jugendliche würden vermutlich bei ihren Hobbies an erster Stelle “Lesen” angeben, aber das war schon immer so. Ich glaube, es gibt immer eine bestimmte Gruppe von Kindern, von Menschen, die gerne liest. Heute kommt natürlich die Konkurrenz der anderen Medien dazu. Ich spüre eine gewisse Netflix-Abhängigkeit bei mir selbst, weswegen auch ich weniger lese als damals als Jugendliche. Andererseits können die neueren Medien den Autoren natürlich auch helfen. John Green hat beispielsweise YouTube-Videos mit Millionen Klicks. Der Jugend- und Kinderbuchmarkt ist hierbei wichtig und wächst stetig weiter, das liegt auch an solchen All-Age-Titeln wie denen von Green, an Harry Potter oder Die Tribute von Panem. Ich bin sicher, es wird diese Gruppe an jungen und begeisterten Lesern immer geben, da bin ich total optimistisch, nur wird diese noch umkämpfter als früher sein. Und gleichzeitig zeigen sich große Schwächen in der Lesekompetenz vieler Kinder, das sehe ich als große Aufgabe, auch der Politik, sich diesem Thema noch viel mehr zu widmen.


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    Übernehmen die größer dimensionierten Events vielleicht die Aufgabe, auch der neuen Generation die Freude am Lesen zu vermitteln? Haben wir für Lesungen nicht alle eine schon viel zu niedrige Aufmerksamkeitsschwelle?
    Ericke-Keidtel: Gute Kinderveranstaltungen kriegt man eigentlich immer gefüllt, ab dreizehn oder vierzehn Jahren wird es schwer. Das hat mit der Schule zu tun. Lehrpläne werden durch den Wechsel von G9 auf G8 voller, weswegen die Kinder in Hamburg und Berlin nachmittags bis um vier Unterricht haben. Da würde ich auch nicht mehr auf Lesungen gehen, die ja tatsächlich manchmal ziemlich langweilig sein können. Ich denke, es stimmt, dass die Aufmerksamkeitsschwelle sich bei vielen - übrigens auch Erwachsenen - gesenkt hat und wir deshalb mehr von anderen Medien Gebrauch machen. Lesungen müssen ja nicht immer “Wasserglas-Lesungen” sein, sondern können beispielsweise Musik einbinden oder interaktiv sein. Das ist zwar auch eine Kostenfrage, aber es funktioniert meistens gut. Wir haben letztes Jahr eine Reihe gestartet, bei der u.a. Anna Depenbusch und Hannes Wittmer zu Gast waren, junge Musiker mit ganz poetischen Texten. Die haben gespielt und über ihre Texte gesprochen. Ein grandioser Abend!

    Die vorletzte Frage stelle ich aus persönlichem Anlass. Ich bin jetzt 24, mache erst nächstes Jahr meinen Abschluss, werde danach wahrscheinlich noch ein paar Praktika machen müssen, um dann irgendwann mal in einer fernen Zukunft mit meiner Arbeit wirklich Geld zu verdienen. Ich frag mich, wann ich in der Lage sein werde, mir eine schöne Wohnung mit schönen Möbeln zu leisten. Wann haben Sie das Gefühl bekommen, angemessen bezahlt zu werden und sich ein angenehmes Leben davon finanzieren zu können?
    Ericke-Keidtel: Das dauert wirklich lange. Mir geht es zwar gut, aber ganz zufriedenstellend ist meine finanzielle Lage bis heute nicht. Mein Mann ist Schriftsteller und hat also auch kein festes Einkommen, also ist man etwas nervöser. Ich bin seit 2001 in der Branche, und die ersten Jahre habe ich auch sehr wenig verdient. Da gab es schon mal Momente, in denen ich überlegt habe, zum Beispiel eher PR für ein großes Unternehmen zu machen und dort besser zu verdienen. Andererseits habe ich Flexibilität schätzen gelernt, denn für unsere Kinder da sein zu können, ist mir viel wert. Und die Vielseitigkeit, und auch die Sinnhaftigkeit, die ich jetzt erlebe, ist mit Geld eben auch kaum aufzuwiegen.  Für Ihre Zukunft sage ich: Das wird schon alles werden, wenn Sie diese Arbeit wirklich machen wollen. Jedenfalls trifft auch für den Literaturbetrieb zu, dass es die Gelder oft gibt, nur muss man an sie herankommen. Man muss lernen, die Initiative zu ergreifen und seine Nische zu finden.

    Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, am Workshop teilzunehmen und sich ausfragen zu lassen! Erlauben Sie noch eine Frage: Wohin geht Ihre berufliche Reise noch?

    Ericke-Keidtel: Im Moment hoffe ich, dass es so weiter geht wie bisher. Mir macht die internationale Festivalarbeit viel Spaß, der mairisch Verlag ist toll, die Arbeit in der Leseförderung ist wichtig und spannend. Und im Literaturhaus Berlin kann sich etwas Tolles entwickeln, wir arbeiten daran, dort ein ganz neues Kinder- und Jugendprogramm zu gestalten, und ein jüngeres und breiteres Publikum anzusprechen. Was meine derzeitige Lebenssituation angeht: So wie es jetzt ist, find ich es schön!

  • Rückblick SoSe 2018

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Vergangene Workshops

  • Lektorat (WS 18/19)

  • Literaturvermittlung (SS 18)