Gottes Wirtschaftsprinzip -28. So C

Lk 17, 11-19 [+ 2 Kön 5, 14-17]             


I
Einem geistlichen Schriftsteller unserer Tage, dem Kapuzinerpater Anton Rotzetter, entschlüpfte eines Tages ein Wort – er weiß selbst nicht mehr genau, wann –, das zur geflügelten Wendung geworden ist. Der Spruch lautet: „In Jesus Christus hat sich Gott total verausgabt“. Vermutlich ist der Satz deshalb zu einem Selbstläufer geworden, weil er mit geradezu traumhafter Treffsicherheit das erfüllt, worum selbst ein so Großer der Theologie wie Karl Rahner mühselig ringen musste, ohne wirklich je das ersehnte Ziel zu erreichen – nämlich: eine Kurzformel des christlichen Glaubens ins Wort zu bringen. Rahners Formeln bestanden auch immer nur aus einem Satz. Aber sie waren in der Regel eine halbe Druckseite lang. Gut waren sie allemal. Aber der Rattenschwanz der Nebensätze, die mit „weil“ oder „insofern“ oder „indem“ oder „dadurch daß“ begannen, verlangte dem Leser, der Leserin Einiges ab. Wie leicht, wie spielerisch dagegen dieses „In Jesus Christus hat sich Gott total verausgabt.“ Doch bringt das den christlichen Glauben wirklich auf den Punkt?

II
Vielleicht bringt das Wort das Entscheidende des Glaubens sogar besonders gut auf den Punkt. Denn es informiert nicht über etwas, sondern es trifft. Das hat es mit Gleichnissen gemein, und auch das heutige Evangelium hat, obwohl es eine Episode aus dem Leben Jesu erzählt, etwas Gleichnishaftes. Denn es trifft einen schon zu hören, dass da zehn Menschen ihre dringlichste Bitte erfüllt wird, aber nur einer von ihnen, der noch dazu ein Fremder, ein Fernstehender ist, auf die Idee kommt, umzukehren und dafür auch zu danken.

Gleichnisse sind die Grundform der Predigt Jesu in Wort und Tat. Insofern ist das Wort Pater Rotzetters auf ganz natürliche Weise jesusnah. Gleichnisse wiederum sind nichts anderes als ausgefaltete Metaphern: kleine Wortkunstwerke, die Fremdes und Vertrautes so verbinden, dass der Hörer oder Leser durch sie an scheinbar längst Vertrautem unschwer etwas Neues entdeckt. Ungefähr so hat schon der alte Aristoteles gut 300 Jahre vor Christus die Metapher beschrieben. Rotzetters Kurzformel tut genau das: Sie verbindet auf geglückte Weise Vertrautes und Fremdes. Sie bringt Gott mit einem Ausdruck der Haushaltsführung, der Wirtschaft in Zusammenhang. Was dabei jeweils vertraut oder fremd ist, hängt ganz von dem oder der ab, die den Spruch wahrnehmen: Für die einen wird er verblüffend sein, weil er das Grundwort des Glaubens – Gott – mit ökonomischer Rede verbindet. Für die anderen, weil ihnen mitten in ihrem von Tausch und Handeln geprägten Alltagsreden dieses Wort „Gott“ vorkommt. „In Jesus Christus hat sich Gott total verausgabt.“ 

III
Wirtschaftlich ist es alles andere als ein Kompliment, wenn es von jemand heißt, er habe sich total verausgabt. Dann hat dieser jemand nämlich nicht genau kalkuliert, hat Kosten und Nutzen nicht genügend abgewogen, hat sich auf ein riskantes Abenteuer eingelassen. Er hat alles eingesetzt, was ihm zu Gebote stand – und was, wenn das immer noch nicht reichte, um zum Ziel zu kommen? So fragt aus der Sicht dessen, der so handelt, nur eine Krämerseele. „Sich verausgaben“ gehört in den Wortschatz der Leidenschaftlichen. Genau so gehandelt zu haben, glauben Christen und Christinnen von ihrem Gott. Ihrer Überzeugung nach kann man das Christusbekenntnis ungefähr so wiedergeben:

Gott liegt mehr als an allem anderen am Vertrauen seiner Geschöpfe, dass er es gut meint mit ihnen. Gegen das Misstrauen, ihnen könnte etwas vorenthalten sein, schenkt er ihnen „Beweise“ seiner Vertrauenswürdigkeit – „Beweise“ in dem Sinn, in denen es Beweise zwischen Liebenden gibt, also Zeichen, die der Adressat nicht missverstehen kann, es sei denn, er hätte sich innerlich schon längst verabschiedet. Den unerhörtesten dieser Glaubwürdigkeitsbeweise erblicken Christinnen und Christen in der Menschwerdung Gottes. Gott will um der Menschen willen nicht mehr Gott sein (wie Karl Rahner einmal formulierte), wird darum um des Menschen willen ein Mensch, um uns sozusagen in Augenhöhe zu begegnen. Dieses „Du auf Du“ will uns etwas Entscheidendes von Gott verstehen helfen: Was dieser Jesus sagte, was er tat, was er litt, wie er war – so ist Gott selbst. Dieser Mensch als leibhafte Metapher, als Übersetzung des unbegreiflichen Gottes ins Medium des Menschlichen. Der gekreuzigte Nazarener als das Siegel des alttestamentlichen Spitzennamens Gottes, der dem Mose am brennenden Dornbusch geschenkt wird: Ich bin der Ich-bin-da-für-euch. So sehr da, dass ich mich blutig schlagen, mich zerreißen lasse, mich hinauswerfen lasse aus eurer Welt. Glaubt ihr jetzt, dass es mir um euch geht? Glaubt ihr jetzt, dass ich eures Vertrauens würdig bin? Mehr kann ich nicht mehr tun, als mich zu nichts machen, vernichten zu lassen und gerade darin da zu sein für euch. Eine riskante Rechnung, jemanden nicht durch Tadel oder Strafe, sondern durch Güte zu bestürzen. Denn was, wenn diese Rechnung nicht aufgeht? Aufregend zu sehen, dass schon der erste große Theologe der griechischen Kirche, Origenes, Ende des 2., Anfang des 3. Jahrhunderts erste Züge einer Theologie des Wartens entwickelt – nota bene: eine Theologie des Wartens Gottes darauf, dass sich auch die Letzte und der Letzte bekehren, weil erst dann das Fest der wiedergefundenen verlorenen Töchter und Söhne ohne Wermutstropfen gefeiert werden könne. Dieses Warten Gottes ist so etwas wie das Unterste seiner Selbstentäußerung, die Rechnung, die er für seine riskante Haushaltsführung in Kauf nehmen muss. Insofern gilt wirklich: „In Jesus Christus hat sich Gott total verausgabt.“ Und die Geschichte aus dem Evangelium von heute ist so etwas wie eine konkrete Bebilderung eben dieser in Jesus bis zum Grunde offenbar gewordenen Wesensart Gottes. Denn im Grund zeigen uns diese paar Verse einen wartenden Jesus.

IV
Dass Jesus ausdrücklich nach den anderen fragt: Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? – Dass er so fragt, das lässt ja deutlich werden, wie wenig ihm der Dank dieses einen als Zeichen von Anstand galt. Im Tun dieses Mannes, das Jesus so wichtig ist, – in der Geste des Niederfallens und dem Dank in der Form des Lobpreises Gottes liegt ganz anderes beschlossen. Deshalb auch spricht Jesus zu diesem einem – und nur zu ihm –, obwohl er schon geheilt ist, das Segenswort: Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen. Der Herr will damit sagen: Selbst der erstaunliche Glaube der neun ist noch nicht das Höchste, solange dieser Glaube nicht zur Erkenntnis der Güte Gottes kommt derart, dass diese Erkenntnis als Dank ins Wort drängt. Erst das Wort Danke macht alles ganz. Gewiss hätte es für die zehn Männer kein Heil geben können ohne Heilung. Aber die Heilung allein – obwohl aus Glauben empfangen – ist noch nicht das Heil. Glauben und Danken zusammen machen es erst aus. Und warum? Weil der Mensch trotz des Glaubens ohne das Danke sagen noch immer bei sich stehen bliebe. Ja, mehr noch: Weil er aufgrund seines Mutes zu glauben das zur Heilung führende Tun im Letzten noch sich selbst als Verdienst zurechnete. Das war ja der große Unterschied zwischen den neun und dem einen: In den Herzen der neun gesellt sich zur Freude über die Heilung im verborgensten Winkel so etwas wie die Gewissheit hinzu, auf das Wunder Heilung, Recht und Anspruch zu haben, weil sie doch gläubig sind – deshalb kommt ihnen das Danken gar nicht in den Sinn. Der eine, der Fremdling, weiß, dass sein Leben Geschenk ist, das sich nur ersehnen, nicht aber einklagen lässt. Im schlichten Danke sagen und im Lobpreis Gottes hat er jene gottverlassene Rückbiegung auf sich selbst zerbrochen. Dadurch wird ihm das ganze Heil zuteil. Das richtet seine Existenz als ganze auf. Darum darf er hören: Steh auf... dein Glaube hat dir geholfen. Im kleinen Wort Danke wird also eine Scheidung vollzogen: Ob einer durch die Gabe hindurch noch den Geber sieht – oder ob er die Gabe selbst, seine Gesundheit, sein Glück, – ob er die zu seinem Gott, will sagen: Götzen, erhebt. Ob einer danke sagt oder nicht danke sagt – auch für die kleinen Dinge, die ihn beglücken, auch für das vermeintlich Selbstverständliche – , darin liegt der Unterschied beschlossen zwischen Gottesdienst und Götzendienst. Deshalb steht die Geschichte vom Danke sagen mitten in Lukas Beschreibung vom Leben im Gottesreich.

V
Vielleicht bedürfen wir heute dieses kleinen Wortes „danke“ mehr denn je, damit wir eingedenk bleiben, dass wir Menschen sind und nicht Götter. Der Syrer Naaman, von dem wir in der ersten Lesung hörten, hat schon recht gehabt mit seinen zwei Säcken Erde aus Gottes Land für den Platz zum Danke sagen. Dieses Zeichen der fremden Erde hat ihn nie vergessen lassen, dass er mit seinem Dasein nicht auf der eigenen Lebensscholle steht, das Heil nicht von eigenen Gnaden erworben hat, – dass vielmehr das Wesentliche ein anderer ihm schenkt.

Ich denke, wir bedürfen genauso solcher Zeichen, die uns das Danken nicht vergessen lassen. Der Samariter aus dem Evangelium hat sich niedergeworfen vor Jesus. So hat er in urmenschlicher Geste zeichenhaft ein Stück von sich selbst, von seiner wiedergewonnenen Lebensfülle niedergelegt vor dem, der sie ihm geschenkt hat – gleichsam als wolle er diese Quelle des Heiles nicht ausschöpfen für sich, damit sie für immer – und das  heißt auch: für alle – fließt. Wer sich reich beschenkt sieht, will – wenn er ein menschliches Herz bewahrt hat – wie von selber sich mitteilen und das heißt im Letzten immer: will teilen. Und so spiegelt er oder sie en miniature etwas vom Wirtschaftsprinzip der Liebe Gottes.

Genau deshalb gibt es in unserer Eucharistiefeier – was ja Danksagung heißt – die Gabenbereitung mit der Opferung: in Zeichen legen wir etwas von Gottes Gaben in seine Hand zurück – im Vertrauen, dass gerade so die Quelle des Heiles nicht nur nicht versiege, sondern im Übermaß fließt. Und wenn Sie bei der Opferung Ihre Gabe ins Körbchen legen, dann wird da deshalb nicht einfach Geld eingesammelt. Vielmehr geben Sie so auch persönlich ein kleines Stück von dem, was Ihnen geschenkt, ein kleines Stück Ihrer selbst wieder dem, dem sie es verdanken. Mag Ihnen das auch noch fremd erscheinen: Auch in dieser prosaischen Geste der sonntäglichen Gabe geschieht Geistliches. In ihr bekennen Sie, dass Sie nicht vom Eigenen leben, sondern vom Beschenkt werden. Und wer wirklich so glaubt, stellt dann auch angstlos das Seine Gott zur Verfügung, damit er daraus sein Reich aufbaue.

VI
Die Danksagung unserer Sonntagsmesse lässt uns Menschen werden, feinfühlig für Gott, feinfühlig auch für uns selbst, was wir wirklich brauchen und was wir nur zu brauchen meinen. Teilen kann halt nur, wer zuvor danksagend begriffen, wenigstens erahnt hat, dass er nicht Herr des Lebens und der Schätze der Erde heißt, sondern ihr Hüter. Wo Menschen dem zustimmen, fängt das Gottesreich an, Fuß zu fassen. Deshalb liegt Jesus so sehr an dem einen von den 10, der das nicht vergaß.

Erhebet die Herzen. – Wir haben sie beim Herrn. – Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott. So sprechen wir jedes Mal zu Beginn des Hochgebets. Wirklich beten werden wir bei diesen Worten erst dann, wenn uns dabei einen Augenblick lang vor das Auge des Herzen tritt etwas von dem aus der vergangenen Woche, wofür wir zu danken haben. Wahrscheinlich reicht schon die kurze Stille jetzt nach der Predigt, damit ein jeder von uns findet, wofür er hernach Gott danken will. Nehmen Sie das, was Ihnen zuerst einfällt, sei es noch so klein. Das Gottes Reich lebt genau davon.