Was den Papst zum Papst macht

21. So A: Mt 16, 13-20

       
I
Ein frommer Jude trug sich schon lange mit dem Gedanken, katholisch zu werden. Kurz bevor er getauft werden sollte, reiste er noch nach Rom, um dort die Kirche ganz aus der Nähe zu erleben. Bitter enttäuscht kehrte er zurück, schockiert von dem ungeistlichen, lärmenden Treiben in der ewigen Stadt. Ein paar Wochen später wurde er dennoch katholisch. Seine Freunde machten ihm heftige Vorwürfe deswegen. Er aber entgegnete mit einem leisen Lächeln: Eine Religion, die das aushält, muss wahr sein!

II
Wenn diese Anekdote nicht auf einer wahren Begebenheit beruht, dann ist sie zumindest gut erfunden. Denn schon lange war sie nicht mehr so wahr wie in den letzten Monaten: Was da aus Rom an Zumutungen kam von beinahe kniefälliger Heimholung der schismatischen Piusbrüder-Bischöfe über die permanenten Versuche, die alte Liturgie wiederzubeleben bis zu politischen Stillosigkeiten – und das ganze Hofschranzentum um einen weit über allem politischen Tagesgeschäft schwebenden Papst – das mag in gar nicht so wenigen – auch Katholiken – die Fragen aufsteigen lassen: Was hat das noch mit dem Evangelium zu tun? Ist das ganze Papsttum mit allem, was dazugehört, nicht doch bloß einer der letzten Nachzügler feudaler, unaufgeklärter Epochen, an dem sich bloß noch die ewig Gestrigen, ein paar dekadente Fürstenhäuser und dazu gehörige Klerikalbonzen mit ihren Retro-Phantasien delektieren?

III
Wenn Sie jetzt erwarten, dass ich ansetze, um diesen fragenden Vorwurf zu bestätigen (obwohl ich das vielfach könnte), dann muss ich Sie enttäuschen. Wie ich Sie übrigens auch enttäuschen muss, wenn Sie meinen, ich würde ihn widerlegen. Denn beides ist wertlos in Anbetracht dessen, dass uns das Evangelium selber Wichtiges über den Dienst des Petrus sagen will. Vorhin haben wir es gehört. Vor allem zwischen den Zeilen legt uns Matthäus da zwei Dinge ans Herz.

Das Erste: Sein ganzes Evangelium hindurch wird der Evangelist nicht müde zu betonen, dass der Kreis der Jünger um Jesus nicht einmal Sonderzirkel war, sondern das Ur-Bild, das richtungsweisende Beispiel für jede Gemeinschaft von Glaubenden, also für die Gemeinden. Was den Jüngern mit Jesus widerfährt, das wird auch den Gemeinden verheißen – genauso wie sie auch die Schwächen und Nöte der Jünger teilen. Denken Sie etwa an die Geschichte vom Seewandel Jesu, wo der Herr der verängstigten Schar im Schiff der Kirche zu Hilfe kommt. Aber derselbe Matthäus, der so sehr das Jüngersein aller Getauften betont, dieser Matthäus spricht so ausführlich wie kein anderer davon, dass es in der Kirche auch die besondere Stellung des Petrus gibt. Petrus gilt ihm nicht nur als der erste Apostel, ihr Wortführer (das wissen die anderen Schriften des NT auch). Er wird von Jesus selbst auch mit einem Dienst betraut, den die anderen Apostel so nicht übernehmen. Das Evangelium kennt also unbestreitbar eine Gliederung, eine innere Ordnung der Kirche, die einen besonderen Dienst des Petrus vorsieht.

Das ist das Erste, was uns das Matthäus-Evangelium zwischen den Zeilen sagen will. Das Zweite hat zu tun mit der Wesensart dieses Petrus. Der, dem der Herr jenen speziellen Dienst auferlegt, ist in keiner Hinsicht besonders vorbildlich – keine Intelligenzbestie, kein glänzender Redner und auch nicht überdurchschnittlich fromm – ja nicht einmal in seinem Verhältnis zu Jesus sticht er besonders hervor. Genauso wie die anderen überfällt ihn Kleinglaube – denken Sie nochmals an den Seewandel. Genauso wie die anderen begegnet er den Hinweisen Jesu auf sein künftiges Leiden voller Unverstand – so sehr, dass Jesus ihn anherrscht: Weiche, Satan! Ja, sogar verleugnen wird dieser Petrus seinen Herrn, als es ernst wird. All das verschweigt Matthäus nicht, obwohl ihm so sehr an der Gestalt des Petrus liegt. Einen ganz normalen, durchschnittlichen Menschen mit all seinen Schwächen und Fehlern beauftragt Jesus mit einem besonderen Dienst. Und auch durch diese Beauftragung wird Petrus nicht zu einem Supermann; er bleibt der Alte. Dennoch: Gerade ihn braucht er.

IV
Aber: Wozu braucht er ihn überhaupt? Den besonderen Ruf an Petrus spricht Jesus in unmittelbarem Zusammenhang einer Frage, der sich die ältesten Christen genauso stellen mussten, wie wir uns dieser Frage heute stellen müssen – und alle Christinnen und Christen, die nach uns kommen werden: Für wen haltet ihr mich? Wer bin ich für euch? Und ohne Zögern antwortet Petrus: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes; der in Gottes Vollmacht selber handelt und spricht; der uns den Willen Gottes offenbart; der uns den Segen Gottes bringt, wenn wir ihm nur vertrauen. Das sagt Petrus. Und Jesus preist ihn selig dafür – wie keinen anderen Apostel. Selig, weil er durch dieses sein Bekenntnis schon Gottes Heil empfangen hat. Jesus fügt aber gleich hinzu: Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel: dieses Glaubensbekenntnis ist keine Eigen- und Sonderleistung des Petrus. Es ist selber nichts anderes als Geschenk der Gnade Gottes, der das Heil der Menschen will, jedes einzelnen.

Alles, was jetzt noch folgt und die besondere Stellung des Petrus ausmacht – dass er „Fels“ heißt, dass er die Schlüssel des Himmelreiches erhält, all das ist streng bezogen auf jenes von Gott geschenkte Christus-Zeugnis des Petrus. Mit allem, was er ist und tut soll Petrus diesem Zeugnis dienen. Jenem Zeugnis, das nicht aus ihm stammt. Und deshalb ist Petrus für sich gar nichts, obwohl, ja weil er Fels ist, unverrückbares Fundament und ausschlaggebende Norm jedes Zeugnisses für Christus. Darin besteht der Petrusdienst. Dass Jesus der Sohn ist, der Heilbringer Gottes – dieses Bekenntnis soll Petrus mit seinem Dienst aufrechterhalten und schützen. Die Schlüssel des Himmelreiches verwalten, d. h., sein Bekenntnis soll Maßstab sein nach außen, wer zu Gott gehört und wer nicht – jedenfalls solange die Menschen unterwegs sind zu ihrem Ziel. Was dann am Ende sein wird, liegt allein in Gottes Händen. – Und binden und lösen d. h.: er soll das Zeugnis für Christus auch im Innern der Gemeinschaft des Glaubens, in der Kirche zur Geltung bringen, er soll es schützen vor aller Verzerrung.

Mag dieser Dienst mächtig sein – mit Gebärden der Macht wird er nie zu tun haben können, weil er immer Dienst bleibt. Ja, mehr noch: ein Dienst im Zeichen der Liebe, denn nur so kann dieser Dienst vor Gott bestehen und nur so kann er dem Heil der Menschen dienen, d. h., dem Evangeium entsprechen – und das muss er.

Der Petrusdienst besteht also darin, das Bekenntnis zu Christus als dem Heilbringer Gottes unverrückbar hochzuhalten und die zusammenzuhalten, die miteinander glaubend diesen Christus bezeugen. Solange die Kirche den Dienst des Petrus hat, solange bleibt sie auch mit Sicherheit dem Christuszeugnis treu. Und deshalb – nur deshalb – hängt am Petrusdienst eine große Verheißung Jesu an seine Kirche: Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Er will damit sagen: Solange in der Kirche mithilfe des Petrusdienstes das Bekenntnis zu mir gesprochen wird, solange wird diese Kirche nie total ins Leere laufen. Die Mächte der Unterwelt, des Todes also, des ärgsten Feindes des Lebens, das alle ersehnen, dieses Totsein wird die Gemeinden nie erledigen – die vielen Tode der Anpassung und der Bequemlichkeit, die Tode der Egoismen und der Lieblosigkeit. Gott hat vor, durch seine Kirche die Welt wieder so zu machen, wie er sie ursprünglich gedacht und sich erträumt hat. Und dieser Plan wird – trotz aller Gefahren und aller Versagen – ins Ziel kommen, solange die Kirche sich zu ihrem Herrn Jesus Christus bekennt.

V
– … die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Dieser Satz gibt uns beileibe keinen Anlass aufzutrumpfen und die Kirche selber für die bestmögliche oder gar das Reich Gottes auf Erden zu halten – auch wenn das im Lauf der Kirchengeschichte oft genug geschah und auch heute von manchen wieder gern so verstanden wird. Nein, diese Verheißung Jesu schenkt uns vielmehr ein tröstliches Wort der Hoffnung: dass wir als Glaubende nicht scheitern, auch wenn wir noch so viel falsch machen, solange wir uns zu Christus bekennen, demütig, um Vergebung bittend für unser Versagen. So wie er den schwachen und schwankenden Petrus immer wieder gerettet hat, weil er sich letztendlich doch immer an seinen Herrn klammert. Dazu also – zur Hoffnung – hat Gott uns in der Kirche den Dienst des Petrus geschenkt.

Gerade im schwachen Petrus hat Gott seine Kraft erwiesen, die uns retten will. So wird es auch mit der Kirche sein, bis der Herr wiederkommt. Gerade dort, wo sie schwach scheint, wird sie die Gegenwart Gottes besonders deutlich spüren, sofern sie am Zeugnis für Jesus festhält. Der Dienst des Petrus hilft uns dabei.