Nicht das Viele, sondern das Ganze
32. So B: Mk 12,41-44
I
Ein in geistlichen Dingen erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne. Er sagte:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich…
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus? Er sagte wiederum:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich…
Wieder sagten die Leute: Das tun wir doch auch. Er aber sagte zu ihnen:
Nein,
wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon
wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,
wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel…
II
Mit anderen Worten gesagt: Das Durcheinander im Leben kommt daher, dass wir so oft nicht bei uns sind. Immer ein paar Schritte voraus. Die Folge liegt auf der Hand: Bin ich anderswo, als ich mich in Wahrheit befinde, werde ich in der Regel falsch handeln. Mein Tun richtet sich ja danach, wo ich zu sein meine, und widerspricht darum dem, was in Wahrheit ist.
III
Es gibt keinen Bereich des Lebens, in dem dieser Unterschied zwischen Sein und Scheinen gefährlicher ist als dort, wo ein Mensch vor Gott steht, also in dem, was zu Glauben und Religion gehört. Genau darum geht es im heutigen Evangelium. Markus erzählt uns da von der flüchtigen, anonym bleibenden Begegnung Jesu mit der armen Witwe im Tempelbezirk – eine Episode im wahrsten Sinn des Wortes, wie es scheinen möchte. Seltsamerweise erzählt Markus sie an herausragender Stelle in seinem Evangelium, nämlich genau am Ende des ganzen öffentlichen Auftretens Jesu, kurz bevor die Passion in Jerusalem beginnt.
Dort im Tempel waren Opferkästen aufgestellt für allerlei Zwecke. Reiche Leute gehen vorbei und werfen viel ein. Und dann sieht Jesus die arme Witwe, wie sie zwei kleine Münzen hergibt. Diese unscheinbare, armselige, ja ohnmächtige Geste muss Jesus regelrecht getroffen haben. Würde er sonst die Jünger herbeirufen? Amen, ich sage euch, hebt er zu reden an. Er hat ihnen also etwas ganz Wichtiges zu sagen. Die Jünger hatten wohl die Witwe – und was sie tat – gar nicht bemerkt. Jesus erklärt ihnen, was da eben Besonderes geschehen ist. Die arme Frau hat mit ihren zwei kleinen Münzen mehr gegeben als all die Reichen. Weil die zwei Münzen alles waren. Sie hätte ja eine davon auch noch behalten können. Sie hat das Ganze gegeben. Die Reichen haben viel mehr in den Opferstock geworfen, als die Witwe. Aber das Viele ist wenig geblieben. Es war nur ein Stück von ihrem Überfluss. Deshalb haben die Gaben, obwohl sie groß waren, die Geber gar nicht berührt. Im Gegenteil: Sie haben sie eher noch fühlloser gemacht für die Wahrheit über Gott und über sich selber. Denn leicht, allzu leicht, schaffen große Gaben ein gutes Gewissen. Das schottet ab gegen den, dem die Gaben als Zeichen der Hingabe hätten gelten sollen.
Anders bei der Witwe. Sie hat das Ganze gegeben. Sie hat es riskiert, nur noch auf Gott angewiesen zu sein. Sie hat darauf verzichtet, wenigstens mit der Hälfte der Gabe – gleichsam an Gott vorbei – auch noch sich selber zu sichern. So hat sie die Armut ihres Leben zu einem Zeichen gemacht – zum Zeichen, das bekennt: Gott, ich vertraue dir, Du bist mir alles. Die Frau hat mit ihrer kleinen Gabe nicht etwas gegeben. Sie hat sich selber geschenkt. Das ist gewiss sinnlos nach den Kalkülen des Menschenverstandes. Aber: Zählt Gott vielleicht anders?
Ja, er zählt anders. Wissen Sie warum Jesus der Anblick dieser Frau, die alles gab, so sehr angerührt hat? Weil ihm da einen Moment lang leibhaftig vor Augen stand, was er verborgen von Anfang an schon als die große Wahrheit über Gott und über sich selber im Herzen trug. Alles, was er je in seinem Leben sagte und tat, hatte seinen Anfang genommen in der Freude darüber, dass Gott ihn liebte, sich ihm schenkte ohne Grenzen. Er hat diese Liebe – anders als alle anderen seit Adam, um in den Bildern des Alten Bundes zu reden, – nicht stolz auf Distanz gehalten und sie so zurückgewiesen aus Angst um seine Freiheit. Er hat sie sich schenken lassen – und er hat sie erwidert. So erfüllt war er davon, dass er nicht anders konnte, als seinerseits andere in diese unbedingte Gottesnähe einzuladen, ja sie geradezu anzustecken mit seiner Begeisterung für Gott. Immer ist ihm deshalb unbegreiflich gewesen, dass Menschen diese Einladung – dieses Geschenk der Liebe Gottes – ablehnen, ja brüsk manchmal voller Hohn zurückweisen. Dennoch ist er nicht irre geworden. Er hat sich mit seinem Gott auch in die dunkelsten Stunden hineingebetet. In ihnen hat er zu ahnen begonnen, dass dieser Widerstand gegen Gott eines Tages ihn selber treffen wird. Was aber würde dann all das noch wert sein, wofür er sich jetzt gänzlich verzehrte? Auf diese bedrängende Frage, ob Gottes Herzensanliegen sich erfüllen wird durch ihn, – darauf hat ihm die flüchtige Szene mit der armen Witwe am Opferstock endgültig Antwort geschenkt, nämlich: dass selbst und gerade noch das Armseligste der Menschen vor Gott zählt, wenn es das Ganze ist. Ihm wächst die ungeheure Ahnung zu, dass auch noch seine Ohnmacht und sein Untergang – da ihm alles genommen wird, sogar das nackte Leben –, dass auch das noch für Gottes Liebe ein Weg sein kann, die Herzen zu erreichen. Worauf es immer und einzig ankommt, ist dies: Dass es das Ganze ist, was er tut. Alles andere darf er Gott überlassen. Darin scheint von fern das unergründliche Geheimnis des Lebens Gottes auf: Dass gerade das Schwache stark, dass das Ohnmächtige mächtig ist – so mächtig, dass es rettet und die Welt verwandelt.
IV
Markus hat die Begegnung zwischen Jesus und der armen Witwe am Ende des öffentlichen Lebens Jesu erzählt, weil sie seine Lebensmitte, den Leitstern seines Daseins zeichenhaft anschaulich macht und zugleich vordeutet auf das Geheimnis des Kreuzes – jenen Ort der absoluten Ohnmacht Jesu, der zur Offenbarung der Lebensmacht Gottes geworden ist. Sich geborgen wissend in Gottes Liebe, ganz hingegeben an ihn und sein Anliegen in der Welt – davon zehrt Jesus. Wie könnte diese Mitte seiner Existenz nicht gleicherweise die betreffen, die zu ihm gehören wollen. Deshalb führt das Bild der armen Witwe auch uns selber ein in den Grundzug gelebten Chrisseins. Es sagt uns: Christsein heißt: sich ganz hingeben – ein Wort, das uns erschreckt und das wir uns vom Leib halten mit dem Argument, es sei doch ganz unmöglich, in unserer Lebenssituation alles dranzugeben und die Sparbücher und Wertpapiere dort hinten in den Opferstock zu stopfen. Richtig, das ist ganz unmöglich, aber gleichzeitig ganz falsch, weil schon wieder in der Logik der reichen Geber gedacht. Die Geschichte von der armen Witwe sagt uns deshalb, dass christliche Hingabe ganz anders geschieht: Wir brauchen dazu keine großen Leistungen – im Gegenteil, wir hüten uns besser davor, weil sie uns zu Ansprüchen Gott gegenüber verleiten. Wir brauchen keinen schönen Schein wie die Pharisäer, von dem der Herr im heutigen Evangelium auch redet. Wir brauchen vor Gott zunächst einmal nur uns selber – wie wir sind. Denn die einzige Antwort auf seine Liebe, die wirklich Antwort zu heißen verdient, sie besteht darin, nicht dass wir ihm etwas schenken, sondern uns selber. Uns ganz. Gerade das – und nur das – macht den Menschen zum Christen. Dass er sich hingibt an Gott – im abgründigen Vertrauen, gerade im Hergeben seiner selbst überreich das Leben geschenkt zu bekommen.
V
Ich bin mir ziemlich sicher: Diese Geschichte wiederholt sich auch heute noch und vielleicht gar nicht so selten: Da gibt es den Facharbeiter oder einen leitenden Angestellten mit satten 3500 Euro netto im Monat. Er spendet bei der Caritas-Sammlung 300 Euro. Das ist ohne Frage viel. Und da ist eine alleinerziehende Mutter, die von der Sozialhilfe lebt. Ihr Kind ist schwerkrank. Nächtelang weint die Frau und mittendrin betet sie manchmal: Herrgott, lass mir mein Kind nicht sterben. Das Kind wird wieder gesund. Da denkt die Frau dran, wie sie in den Nächten gebetet hat. Drum fängt sie an, jede Woche ein paar Groschen zu sparen, verzichtet auf ihre Zigaretten, bis genug beisammen ist. Dann fährt sie, die sonst nicht so oft zur Kirche geht, mit dem Kind nach Telgte oder Altötting. Sie beten in der Gnadenkapelle ein Vaterunser. Dann kauft sie – was sie sonst nicht tut – dem Kind einen Hamburger und ein Eis. Und von den letzten zwei Euro kaufen sie eine billige Kerze und zünden sie vor dem Gnadenbild an. Gottesliebe im Werktagskleid. Wie halten wir es mit ihr? Vor Gott zählt auch das Kleine ganz groß – nur von innen muss es kommen.
V
Als Jesus die Witwe beobachtet, rief er seine Jünger zu sich und erklärte ihnen genau dies. Er wollte sagen: Es kommt nicht auf das Viele an, sondern auf das Ganze. Dieses Maß ist nicht an groß und klein gebunden. Auch das Kleinste kann ein Ganzes sein. Ein mit Andacht gemachtes Kreuzzeichen am Werktag ist manchmal soviel wert wie ein ganzes Hochamt am Sonntag. Es gibt zahllose Weisen, Gott zu schenken, was wir ihm schulden. Nur ganz müssen wir tun, was wir dazu wählen.
Ein in geistlichen Dingen erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne. Er sagte:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich…
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus? Er sagte wiederum:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich
wenn ich sitze, dann sitze ich
wenn ich esse, dann esse ich
wenn ich spreche, dann spreche ich…
Wieder sagten die Leute: Das tun wir doch auch. Er aber sagte zu ihnen:
Nein,
wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon
wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,
wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel…
II
Mit anderen Worten gesagt: Das Durcheinander im Leben kommt daher, dass wir so oft nicht bei uns sind. Immer ein paar Schritte voraus. Die Folge liegt auf der Hand: Bin ich anderswo, als ich mich in Wahrheit befinde, werde ich in der Regel falsch handeln. Mein Tun richtet sich ja danach, wo ich zu sein meine, und widerspricht darum dem, was in Wahrheit ist.
III
Es gibt keinen Bereich des Lebens, in dem dieser Unterschied zwischen Sein und Scheinen gefährlicher ist als dort, wo ein Mensch vor Gott steht, also in dem, was zu Glauben und Religion gehört. Genau darum geht es im heutigen Evangelium. Markus erzählt uns da von der flüchtigen, anonym bleibenden Begegnung Jesu mit der armen Witwe im Tempelbezirk – eine Episode im wahrsten Sinn des Wortes, wie es scheinen möchte. Seltsamerweise erzählt Markus sie an herausragender Stelle in seinem Evangelium, nämlich genau am Ende des ganzen öffentlichen Auftretens Jesu, kurz bevor die Passion in Jerusalem beginnt.
Dort im Tempel waren Opferkästen aufgestellt für allerlei Zwecke. Reiche Leute gehen vorbei und werfen viel ein. Und dann sieht Jesus die arme Witwe, wie sie zwei kleine Münzen hergibt. Diese unscheinbare, armselige, ja ohnmächtige Geste muss Jesus regelrecht getroffen haben. Würde er sonst die Jünger herbeirufen? Amen, ich sage euch, hebt er zu reden an. Er hat ihnen also etwas ganz Wichtiges zu sagen. Die Jünger hatten wohl die Witwe – und was sie tat – gar nicht bemerkt. Jesus erklärt ihnen, was da eben Besonderes geschehen ist. Die arme Frau hat mit ihren zwei kleinen Münzen mehr gegeben als all die Reichen. Weil die zwei Münzen alles waren. Sie hätte ja eine davon auch noch behalten können. Sie hat das Ganze gegeben. Die Reichen haben viel mehr in den Opferstock geworfen, als die Witwe. Aber das Viele ist wenig geblieben. Es war nur ein Stück von ihrem Überfluss. Deshalb haben die Gaben, obwohl sie groß waren, die Geber gar nicht berührt. Im Gegenteil: Sie haben sie eher noch fühlloser gemacht für die Wahrheit über Gott und über sich selber. Denn leicht, allzu leicht, schaffen große Gaben ein gutes Gewissen. Das schottet ab gegen den, dem die Gaben als Zeichen der Hingabe hätten gelten sollen.
Anders bei der Witwe. Sie hat das Ganze gegeben. Sie hat es riskiert, nur noch auf Gott angewiesen zu sein. Sie hat darauf verzichtet, wenigstens mit der Hälfte der Gabe – gleichsam an Gott vorbei – auch noch sich selber zu sichern. So hat sie die Armut ihres Leben zu einem Zeichen gemacht – zum Zeichen, das bekennt: Gott, ich vertraue dir, Du bist mir alles. Die Frau hat mit ihrer kleinen Gabe nicht etwas gegeben. Sie hat sich selber geschenkt. Das ist gewiss sinnlos nach den Kalkülen des Menschenverstandes. Aber: Zählt Gott vielleicht anders?
Ja, er zählt anders. Wissen Sie warum Jesus der Anblick dieser Frau, die alles gab, so sehr angerührt hat? Weil ihm da einen Moment lang leibhaftig vor Augen stand, was er verborgen von Anfang an schon als die große Wahrheit über Gott und über sich selber im Herzen trug. Alles, was er je in seinem Leben sagte und tat, hatte seinen Anfang genommen in der Freude darüber, dass Gott ihn liebte, sich ihm schenkte ohne Grenzen. Er hat diese Liebe – anders als alle anderen seit Adam, um in den Bildern des Alten Bundes zu reden, – nicht stolz auf Distanz gehalten und sie so zurückgewiesen aus Angst um seine Freiheit. Er hat sie sich schenken lassen – und er hat sie erwidert. So erfüllt war er davon, dass er nicht anders konnte, als seinerseits andere in diese unbedingte Gottesnähe einzuladen, ja sie geradezu anzustecken mit seiner Begeisterung für Gott. Immer ist ihm deshalb unbegreiflich gewesen, dass Menschen diese Einladung – dieses Geschenk der Liebe Gottes – ablehnen, ja brüsk manchmal voller Hohn zurückweisen. Dennoch ist er nicht irre geworden. Er hat sich mit seinem Gott auch in die dunkelsten Stunden hineingebetet. In ihnen hat er zu ahnen begonnen, dass dieser Widerstand gegen Gott eines Tages ihn selber treffen wird. Was aber würde dann all das noch wert sein, wofür er sich jetzt gänzlich verzehrte? Auf diese bedrängende Frage, ob Gottes Herzensanliegen sich erfüllen wird durch ihn, – darauf hat ihm die flüchtige Szene mit der armen Witwe am Opferstock endgültig Antwort geschenkt, nämlich: dass selbst und gerade noch das Armseligste der Menschen vor Gott zählt, wenn es das Ganze ist. Ihm wächst die ungeheure Ahnung zu, dass auch noch seine Ohnmacht und sein Untergang – da ihm alles genommen wird, sogar das nackte Leben –, dass auch das noch für Gottes Liebe ein Weg sein kann, die Herzen zu erreichen. Worauf es immer und einzig ankommt, ist dies: Dass es das Ganze ist, was er tut. Alles andere darf er Gott überlassen. Darin scheint von fern das unergründliche Geheimnis des Lebens Gottes auf: Dass gerade das Schwache stark, dass das Ohnmächtige mächtig ist – so mächtig, dass es rettet und die Welt verwandelt.
IV
Markus hat die Begegnung zwischen Jesus und der armen Witwe am Ende des öffentlichen Lebens Jesu erzählt, weil sie seine Lebensmitte, den Leitstern seines Daseins zeichenhaft anschaulich macht und zugleich vordeutet auf das Geheimnis des Kreuzes – jenen Ort der absoluten Ohnmacht Jesu, der zur Offenbarung der Lebensmacht Gottes geworden ist. Sich geborgen wissend in Gottes Liebe, ganz hingegeben an ihn und sein Anliegen in der Welt – davon zehrt Jesus. Wie könnte diese Mitte seiner Existenz nicht gleicherweise die betreffen, die zu ihm gehören wollen. Deshalb führt das Bild der armen Witwe auch uns selber ein in den Grundzug gelebten Chrisseins. Es sagt uns: Christsein heißt: sich ganz hingeben – ein Wort, das uns erschreckt und das wir uns vom Leib halten mit dem Argument, es sei doch ganz unmöglich, in unserer Lebenssituation alles dranzugeben und die Sparbücher und Wertpapiere dort hinten in den Opferstock zu stopfen. Richtig, das ist ganz unmöglich, aber gleichzeitig ganz falsch, weil schon wieder in der Logik der reichen Geber gedacht. Die Geschichte von der armen Witwe sagt uns deshalb, dass christliche Hingabe ganz anders geschieht: Wir brauchen dazu keine großen Leistungen – im Gegenteil, wir hüten uns besser davor, weil sie uns zu Ansprüchen Gott gegenüber verleiten. Wir brauchen keinen schönen Schein wie die Pharisäer, von dem der Herr im heutigen Evangelium auch redet. Wir brauchen vor Gott zunächst einmal nur uns selber – wie wir sind. Denn die einzige Antwort auf seine Liebe, die wirklich Antwort zu heißen verdient, sie besteht darin, nicht dass wir ihm etwas schenken, sondern uns selber. Uns ganz. Gerade das – und nur das – macht den Menschen zum Christen. Dass er sich hingibt an Gott – im abgründigen Vertrauen, gerade im Hergeben seiner selbst überreich das Leben geschenkt zu bekommen.
V
Ich bin mir ziemlich sicher: Diese Geschichte wiederholt sich auch heute noch und vielleicht gar nicht so selten: Da gibt es den Facharbeiter oder einen leitenden Angestellten mit satten 3500 Euro netto im Monat. Er spendet bei der Caritas-Sammlung 300 Euro. Das ist ohne Frage viel. Und da ist eine alleinerziehende Mutter, die von der Sozialhilfe lebt. Ihr Kind ist schwerkrank. Nächtelang weint die Frau und mittendrin betet sie manchmal: Herrgott, lass mir mein Kind nicht sterben. Das Kind wird wieder gesund. Da denkt die Frau dran, wie sie in den Nächten gebetet hat. Drum fängt sie an, jede Woche ein paar Groschen zu sparen, verzichtet auf ihre Zigaretten, bis genug beisammen ist. Dann fährt sie, die sonst nicht so oft zur Kirche geht, mit dem Kind nach Telgte oder Altötting. Sie beten in der Gnadenkapelle ein Vaterunser. Dann kauft sie – was sie sonst nicht tut – dem Kind einen Hamburger und ein Eis. Und von den letzten zwei Euro kaufen sie eine billige Kerze und zünden sie vor dem Gnadenbild an. Gottesliebe im Werktagskleid. Wie halten wir es mit ihr? Vor Gott zählt auch das Kleine ganz groß – nur von innen muss es kommen.
V
Als Jesus die Witwe beobachtet, rief er seine Jünger zu sich und erklärte ihnen genau dies. Er wollte sagen: Es kommt nicht auf das Viele an, sondern auf das Ganze. Dieses Maß ist nicht an groß und klein gebunden. Auch das Kleinste kann ein Ganzes sein. Ein mit Andacht gemachtes Kreuzzeichen am Werktag ist manchmal soviel wert wie ein ganzes Hochamt am Sonntag. Es gibt zahllose Weisen, Gott zu schenken, was wir ihm schulden. Nur ganz müssen wir tun, was wir dazu wählen.